Oktober

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D

Dominik Klama

Gast
Na, was an deutschen Herbstgedichten von Storm, Keller, Fontane, Rilke, Trakl, Benn, Hesse aber schon weggedichtet wurde! Und ich meine das wörtlich. Die Herren haben es schon so oft und so meisterhaft erledigt, dass ein gereimtes, metrisches aus vier vierzeiligen Strophen und einer Reihung von Naturbeobachtungen bestehendes Gedicht mittlerweile unnötig ist. Das Thema ist weg. Wenigstens in dieser Form. Da schon dermaßen reichlich und gut verbraten.

Es freuen einen der gute Klang und die reinen Reime. Allerdings finde ich das Thema, gerade im Vergleich zu all den Vorgängern, zu leichthändig abgehakt. Nämlich kommt immer mal wieder das Gefühl auf, dass Ernst und Komik da vermischt werden, Hingeplaudertes mit Bedeutungsschwangerem. Da denke ich an Robert Gernhardt, er hätte die Richtung aber deutlicher forciert.

Dass sich im Sommer das Licht ständig verändert hat, gehört nicht ins Herbstgedicht. Ins Herbstgedicht gehört Herbstlicht.

Der Reim
...Sommerlicht ... hat ... sich verändert.
Bäume Laub ... zeigt sich ... braun gerändert.
kommt mir wie aus einem humoristischen Gedicht vor, doch will er das wohl gar nicht sein.

Dann Stutenherde in Morgennebel. Sie scheinen nicht laufen zu wollen.
Es riecht nach kalter Erde.
Das legt nahe, dass die Pferde nicht laufen, weil der Boden so kalt ist, dass ihnen jeder Schritt wehtut. Was ich nicht glaube. Was tun sie denn im Schnee?

gebrochen sind die Felder.
Ich geh die Wege fest besohlt.
In Demut stehn die Wälder.
Mal abgesehen von den Fragen, was gebrochene Felder seien (entweder sind sie abgeerntet, also leer, oder vielleicht sind sie bereits umgepflügt, also auf-gebrochen, nicht gebrochen) und demütige Wälder (stehen sie im Okober demütiger als im August?), haben wir hier einen ziemlichen Kontrast zwischen den "tragischen" Wörtern "gebrochen", "Demut" und dem annehmlichen Leben des Spaziergängers (ich fest besohlt).

In der letzten Strophe dann Zugvögel, die sich zum Abflug bereit machen.
Die Schar weilt nicht mehr lange.
Das als letzte Zeile - und ich muss sogleich an Abschied, anschließende Verlassenheit, Endlichkeit, Tod.. denken. Was tradtionell großes Thema jeglicher Herbstlyrik ist. Entweder es geht um die Überfülle der Früchte, die Reife, die Ernte - oder es geht um Vergehen, Sterblichkeit, Einsamkeit. Wozu auch die vorletzte Zeile passen würde:
...und man macht sich Mut.
Aber da kommt per namentlicher Nennung des Bauern Willbrock und den Vergleich der Vogelschar mit einer kreisenden Warteschlange, wobei wir heutigen Leser doch an Flugzeuge über einem Flughafen denken müssen, dieses Gefühl wieder auf, jemand ziehe sehr traditionelle Muster der Naturlyrik hervor, um sie dann mit einem zeitgenössischen Augenzwinkern à la Gernhardt zu mixen.

Damit landet der Text in einem Zwischenbereich, wo einerseits die auf die Seele des Menschen verweisenden Naturbilder fast schon parodistisch anmuten, der gewitzte zeitgenössische Ironiefunke aber auch nie wirklich zündet.
 
S

suzah

Gast
ich stimme oft nicht mit den - mir meist zu weitschweifigen - kritischen anmerkungen von Dominik Klama überein, aber in diesem fall stimme ich ihm zu und werde nun auch etwas (zu)ausführlich.
hier wird ein wohl formgerechtes aber inhaltlich doch etwas schwaches gedicht hochgejubelt.
wenn vieles der fantasie des lesers üerlassen bleiben soll, diese bilder ruft es bei mir hervor:
wieso hat sich das sommerlicht "beständig" verändert? ist das eine anspielung auf das wechselhafte wetter dieses sommers? die tage werden bekanntermaßen im herbst kürzer und kühler.
"oktobermatt", wo doch die strahlende sonne jetzt - und eigentlich jedes jahr - das bunte laub so wunderschön leuchten lässt. "novembermatt" wird es später.
ob die pferde still stehen? wegen kälte und nebel? der besitzer hätte sie dann sicher in den stall geholt, oder sind das wildpferde?
bei"gebrochener" erde denke ich an erdspalten bei erdbeben. nicht an umgepflügte felder.
dass wälder "in demut stehen" ist eine vermenschlichung, wie auch immer ob grün- oder buntbelaubt, nachtdunkel, mondbeschienen, still oder sturmgeschüttelt, kahl, froststarr oder schneebedeckt, sie wecken in uns menschen unterschiedliche gefühle, aber sie haben sie nicht selbst.
wer ist bauer "Willbrock", dass die vögel gerade über seinem hof kreisen und nicht, wie üblich, über einem größeren gebiet?
im zusammenhang mit "sich mut machen", denke ich an verbrecherjagt durch polizeihubschrauber oder die flugzeuge in der warteschleife des überlasteten flughafen tegel. pech für bauer willbrook, dass sich die eröffnung BER so lange verzögert.
trotzdem liebe grüße suzah
 

Gerd Geiser

Mitglied
Hallo suzah, hallo Dominik
Erst einmal herzlichen Dank für euren ausführlichen Kommentar.
Ich war selbst überrascht, dass dieses ältere Gedicht als Werk des Monats ausgelobt wurde, zumal sich schon im Herbst 2006 kritische Stimmen meldeten, die hier und da ihre Schwierigkeiten mit diesem Gedicht hatten. Ich selbst habe es jetzt nach langer Zeit erstmals wieder gelesen und siehe da, ich kann mich nach wie vor mit meinem "Oktober" anfreunden.
Einige eurer Anmerkungen kann ich nachvollziehen, mit anderen tue ich mich schwer.
Ich mag nicht einsehen, warum zum Thema Herbst keine weiteren Gedichte geschrieben werden sollten. "Es ist schon alles gesagt, nur noch nicht von allen" steht unter jedem meiner Gedichte. Das ist wohl wahr. Aber nichts desto trotz kommt immer mal wieder etwas Überraschendes zustande, egal zu welchem Thema. Warum? Weil ich es bin, der darüber Auskunft gibt, wie mir (z.B.) der Herbst begegnet. Ich benenne die Bilder, die in mir einen Eindruck hinterlassen und andere Autoren haben gute Herbstgedichte geschrieben, weil sie eben auch mit ihrem eigenen ganz persönlichen Empfinden den Herbst wahrgenommen und uns vor Augen gestellt haben. Dass das den Großen besser gelungen ist als mir und den meisten von uns, das ist nun mal so. Es hindert mich aber nicht daran, immer wieder mein Bestes zu versuchen.
Ich hatte mal ein Gedicht über Birken geschrieben und bin angefragt worden, ob ich es für eine Anthologie zur Verfügung stellen würde. Die Anthologie liegt mir seit Kurzem vor und ich hätte vorher nicht geglaubt, wie viele unterschiedliche und lesenswerte Gedichte über die Birke schon verfasst wurden.
Das Sommerlicht der Sonne hat
beständig sich verändert.
Der Bäume Laub, oktobermatt,
zeigt sich schon braun gerändert.
Ich nehme das Licht während des Sommers unterschiedlich wahr: Das Licht im Frühsommer ist ein anderes als das Licht im Spätsommer, wohl dadurch bedingt, dass die Sonne zum Herbst hin nicht mehr so hoch am Himmel steht wie noch im Juni.
Für mich ist das Laub der Bäume im Frühling frisch und lebendig, im Sommer hat es ein sattes Grün und im Oktober, der bis zum 31.10. geht, erscheinen mir die gelben Blätter matt. Die rote Aufdringlichkeit einzelner Baumsorten täuscht mich nicht darüber hinweg, dass auch deren Blätter schon scheintot sind.
Der Morgen brachte Nebel mit,
still steht die Stutenherde.
Die Tiere meiden jeden Schritt.
Es riecht nach kalter Erde.
Der Morgen, bzw. dieser besagte Morgen war ein nebliger, vielleicht der erste im Oktober, vielleicht der erste kalte Morgen und Bauer Willbrock wird den Wetterbericht mit der Frage verfolgen, ob er die Tiere in den nächsten Nächten noch draußen lassen kann. Und die Viecher stehen einfach nur still da, weil das für sie die optimalste Reaktion auf die feuchte und kalte Luft ist.
Das Korn ist längst schon eingeholt,
gebrochen sind die Felder.
Ich geh die Wege fest besohlt.
In Demut stehn die Wälder.
Ich habe ein bisschen gegoogelt und finde durchaus Texte, in denen zumindest von gebrochenen Äckern (also gepflügten Äckern) die Rede ist. Dass ich festes Schuhwerk anhabe fand ich erwähnenswert, da ich bis vor kurzem noch in Sandalen rumgelaufen bin und mich jetzt Oktober gemäß gekleidet habe.
Die Wälder stehn in Demut.
Die stehn nicht das ganze Jahr über in Demut. Sie stehen jetzt in Ergebenheit, die in der Einsicht in die Notwendigkeit und im Hinnehmen der Gegebenheiten begründet ist. Sie finden sich damit ab, dass erst einmal Schluss ist mit lustig. (Im Gegensatz zum Frühling, da schlagen die Bäume regelrecht aus). Natürlich weiß ich nicht, was ein Baum im Herbst fühlt. Aber wenn ich die Beschreibungsebene verlassen will, dann kann ich nur mein eigenes Gefühl darüber ausdrücken, wie er mir vorkommt.
Und über Willbrocks Bauerngut
kreist eine Warteschlange.
Man trifft sich und man macht sich Mut.
Die Schar weilt nicht mehr lange.
Ja, da habe ich das Gedicht verortet, da spricht doch nichts dagegen. Und dass jemand nach den nächsten 3 Worten Hubschrauber im Kopf hat kann ich auch nicht ändern. Andere haben Hummeln im Hintern, entzieht sich auch meiner Einflussnahme.
Und ich stelle mir vor, dass sich die Flatterfauna gegenseitig Mut macht, denn immerhin liegen einige beschwerliche Wochen vor ihnen und nicht jeder erreicht das Ziel.
Interessant finde ich, dass sich so was wie Komik im Gedicht aufzuhalten scheint. Beabsichtigt war das nicht, aber ich habe mich ja im Laufe der Zeit mehr und mehr auf die komische Lyrik verlegt weil ich glaube, dass ich da ein gewisses kleines Talent habe. Und der "Oktober" sitzt da eventuell zwischen 2 Stühlen.
Aber mit all dem (s.o.) will ich das Gedicht nicht besser reden, als es ist.

Euch beiden einen lieben Gruß,
Gerd
 
S

suzah

Gast
hallo gerd,
dass du selbst überrascht warst, dass dein schon älteres gedicht zum „werk des monats“ ausgelobt wurde und dein sachlicher umgang mit nicht so positiven kommentaren spricht für deine selbstkritik.
ich las in der leselupe ein anderes herbstgedicht „Oktobermenuett“, sogar im aktuellen monat eingestellt, und wundere mich, warum dieses sehr schöne gedicht nicht ausgewählt wurde.

natürlich steht es jedem frei, auch themen aufzunehmen, die bereits zahlreich in der literatur vorliegen, denn jeder wird eigene und jeweils andere empfindungen zum ausdruck bringen, doch dieses gedicht ist mit sicherheit nicht dein bestes werk und deshalb verstehe ich auch die lobeshymnen nicht.
das sonnenlicht ist unterschiedlich in den jahreszeiten, aber du sprichst von „sommerlicht“ statt z.b. vom „licht der sonne“, was eine andere schlußfolgerung nach sich zieht. wenn du jetzt erklärend von der „roten Aufdringlichkeit einzelner Baumsorten“ sprichst und bereits “scheintoten blättern“, so muss ich deine offensichtlich sehr
melancholische auffassung des oktobers akzeptieren, der mir hingegen mit seinen wundervoll leuchtenden gelbgolden bis rostroten tönen ein einzigartiges farbenspiel bietet, ganz zu schweigen von der fülle rotbäckiger äpfel in bäumen, die die straßen der uckermark säumen. auch der nebel kann sehr reizvoll sein, aber das sehe ich wohl anders, weil ich male.
dass du demut empfindest beim anblick der wälder kann ich nachvollziehen, doch es ist das menschliche gefühl, nicht das der bäume.
genau so die flatterschar über willbrocks bauerngut, die wie geier über einer leiche kreist.
wie du selbst sagst, scheint eine gewisse komik in diesem gedicht zu stecken (was z.b.in „fest besohlt“ zum ausdruck kommt) und das talent dazu hast du gewiß.

herzliche grüße suzah
 
D

Dominik Klama

Gast
Na, was ich eigentlich meinte:
Wenn ein Text schon so kurz ist wie ein Gedicht, dann muss sich der Autor vorher eine künstlerische Vision zurechgelegt haben, die dieser Text zum Leser transportiert. Dann muss wirklich alles und jedes, jedes einzelne Wort, dieser Richtung dienen, die man für sein Gedicht bestimmt hat. Da ist es dann eben fraglich, ob ich was über den Wechsel im Sommerlicht sagen darf, wenn ich eigentlich was über den Herbst sagen sollte. (Wie er das gemeint hatte mit dem wechselnden Licht, war mir schon vor seiner Erläuterung klar.)

Man kann dann aber nicht hingehen und sagen: "Ha, für dich ist der Herbst so traurig, für mich ist er aber richtig froh!" Darum geht's ja nicht. Man kann sowohl ein Sterbens-Herbstgedicht wie ein Jubel-Herbstgedicht schreiben.

Ich hatte aber bei dem Text - und Gerd Geisers Erklärungen bestätigen es sogar noch - den Eindruck, dass da ganz zufällige Beobachtungen vermerkt werden bzw. das, was man so an Ideen in den Kopf bekommt, nachdem man sich gesagt hat, ich mache jetzt mal einen Text mit Herbst. Das ist wie Brainstorming, das kann man vor dem Gedichtschreiben machen, aber nicht im Gedicht, weil eben ein Gedicht eine sprachlich so knappe Form ist, dass alles zusammenstimmen und eins ins andre fließen und eine Gesamtgestalt ergeben muss.

Übrigens, ich bin ja kein Botaniker, aber soweit ich informiert bin, sind die Blätter im Okotber, egal ob gelbgrau oder flammend rot, was dann für Suzah so heiter aussieht, nicht bloß scheintot, sondern sie sind tatsächlich mausetot. Nämlich nimmt ja der Baum über seine Blätter CO2 aus der Luft und baut ihn chemisch um, was mittels Chlorophyll geschieht, auch Blattgrün genannt. Dieses macht die Blätter grün, wenn es da ist. Stirbt das Blatt, verschwindet das Grün. Was wir dann sehen, ist die eigentliche Farbe, die die Blätter des Baumes hätten, wenn Chlorophyll es nicht das Jahr über maskieren würde. Wir sehen also die Wahrheit, aber sie ist tot. In solchen Blättern tut sich absolut nichts mehr. Also sind sie tot.
 
Hallo Gerd

Natürlich sind schon viele Herbstgedichte geschrieben worden.
Nur selten haben mir Zeilen an den Herbst besser gefallen.
Das liegt an der Metrik, am Rhythmus, an den passenden Reimen und an den Bildern die bei mir im Kopf entstehen.

lg dunkelkristall
 

Gerd Geiser

Mitglied
Liebe suzah,
ich danke dir für deinen nochmaligen Kommentar, der mir einmal mehr vor Augen führt, wie unterschiedlich wir in unseren Gefühlen dem Herbst entgegen treten. Meine Zeit ist der Vorfrühling, und schon im Verlaufe des Sommers, wenn sich "das Sommerlicht der Sonne" verändert, drängt sich mir das Wort "Vergänglichkeit" auf.
Aus nahe liegenden Gründen, die man mir nachsehen möge, halte ich mich mit weiterer (berechtigter) Selbstkritik an diesem Gedicht zurück.
Dir einen lieben Gruß,
Gerd
 

Gerd Geiser

Mitglied
Ja Dominik, du könntest Recht haben, was deine Vermutungen zur Entstehungsgeschichte des Gedichtes betrifft. Aber fehlt es uns (fast) allen nicht an wirklicher Gefühlstiefe und der Fähigkeit, das Gefühlte mit angemessenen Worten auszudrücken? Ich sehe mich oft belästigt durch die vielen überfrachteten Begriffe, die herhalten müssen, um der eigenen Befindlichkeit Ausdruck zu verleihen. Und wenn gar nichts mehr geht kommt die Metaffa (!) Da lob ich mir das Banale: Die Erde riecht, das Hottehüh steht und die Vögel fliegen.
Eine kleine Spitzfindigkeit noch zum Schluss: Scheintot meint, die Blätter scheinen (im Sinne von leuchten) noch, sind aber schon tot.

Wir arbeiten dran. Es kann nur besser werden.

Lieben Gruß,
Gerd
 

Gerd Geiser

Mitglied
Hallo dunkelkristall,
tut gut von dir zu hören, dass du dich mit meinem Gedicht anfreunden konntest. Die LeLu-Redaktion wird es auch freuen, dass sie mit ihrer Entscheidung nicht ins Klo gegriffen hat.
Weiterhin frohes Schaffen und dir einen lieben Gruß,
Gerd
 



 
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