Old Icke geht in den Kindergarten
„Oma, du musst die Christa in n Kindajaatn schickn“, sagte in bestimmendem Ton die Nachbarin zu meiner erziehungsberechtigten Tante Ida. „So, warum det denn? Wird se da jejossn, damit se schnella wäkst?“ fragte die humorige Alte zurück.
„Nee, det nich. Aba die Kleene kennt doch keene Kinda! Dadrum muss se dahin.“
„Ach, sind Waltraud, Doris und Mäcki schon awacksn?“ grinste Ida breit.
„Mensch, nu vaschteh mir doch ma richtich, Mensch. Ick meine natürlich jleichaltrije Kinda.“
„Ach, det is woll heute for die neue Zeit wichtich, wat?“ konterte Ida bissig.
„Nee“, Grete L. schüttelte den Kopf, „det wa schon imma wichtich. Wenn die Jöre neechstet Jah in ne Schuhle kommt, denn muss se mit die andern Kinda auskomm könn, dadrum muss se jetze in n Kindajaatn jehn. Außadem lernt se da ooch schon n bisschen wat for de Schuhle. Oda willst du dir villeicht hinsetzen und jedn Tach mit ihr bis zwanzich zeehln un wat weeß ick nich noch allet?“
Die Mühe wollte Ida sich nicht machen und ich wurde im Kindergarten angemeldet. Ich stiefelte auch recht brav neben Tante Irma her – Ida war der Weg zu beschwerlich. Und Tante Irma erzählte mir so viel Vergnügliches unterwegs, dass ich mir vor Begeisterung den Weg nicht merkte.
Die Kindergärtnerin war eine hübsche junge Frau. Sie begrüßte mich sehr freundlich und brachte auch die Kinder dazu, mich freundlich willkommen zu heißen. Ich freute mich sehr, mich in einem riesigen Spielzimmer zu befinden, wo alles so bunt und neu war.
Nachdem ein paar Lieder gesungen wurden, von denen ich fast alle kannte, durften wir spielen, was wir wollten. Die Mädchen zogen sich in die „Puppenecke“ zurück, die Jungen bildeten kleinere Grüppchen um mehrere Bausteinhaufen und einen Kaufmannsladen.
Ich war unschlüssig, wohin ich mich wenden könnte. Das Angebot war so groß! Wie in einem Spielzeugladen! Ich vergewisserte mich bei der Erzieherin, ob ich wirklich mit allem spielen könne, was an Spielzeug im Raum ist, denn es gab auch viel Jungsspielzeug, und die Puppenecke sah mir mit den vielen Mädchen darin sehr eng aus. Sie bejahte lächelnd und ich lief schnurstracks zu einem großen roten Auto und bewegte es auf dem Fußboden.
Leider gehörte dieses Auto einem Jungen, es war Privatbesitz. Er schoss auf mich zu und entwand mir das Gefährt. Ich brüllte auf und wies auf die Erlaubnis der Erzieherin hin. Sie stand mir bei und ich durfte weiter mit dem schönen Auto spielen.
Ich fuhr auf einen Bausteinhaufen zu. Die Jungen riefen: „Hier kannste nich lang, hier is Baustelle!“ und rasch wendete ich. Leider zu rasch, die Reifen stellten sich quer. Der Besitzer fürchtete um seinen Flitzer und nahm mir das Auto noch einmal weg. Die Erzieherin brachte die Räder wieder in Ordnung und stellte das Auto auf ein Regal, sodass es keiner von uns erreichen konnte. „So“, sagte sie. „Wenn du nach Hause gehst, dann bekommst du es wieder. Und ich möchte dich bitten, es in Zukunft zu Hause zu lassen. Es gibt hier genug Spielzeug.“
Mich aber führte sie in die Puppenecke zu den Mädchen. Da waren alle Puppen und Teddys schon in fester Hand einer Puppenmutti. Nur ein dünnes Stoffpüppchen war noch übrig, eine Figur aus dem Kaspertheater. Das sollte die Mutter sein und ich sollte ihre Rolle spielen. Ein Kind sagte: „Die Mutti muss jetzt zur Arbeit gehen. Die Fabrik ist da drüben bei den Jungs.“
Diese goldene Brücke betrat ich kleiner Idiot leider nicht. Meine Wahrheitsliebe schlug mir ein Schnippchen. Ich verkündete lauthals: „Nee, die Mutter sitzt!“ und setzte die Kasperfigur rigoros auf einen Stuhl in der Puppenstube.
Ja, meine Mutter „saß“. Das war alles, was ich von ihr wusste. Und meine erziehungsberechtigte Tante saß auch immer gern irgendwo auf einem Stuhl. Diese Erklärungen sprudelte ich hervor und bekam gar nicht mit, dass die Muttis aller hier anwesenden Kinder arbeiten gingen.
Wieder einmal hatte ich mich gründlich daneben benommen, keiner wollte jetzt noch mit mir spielen. Es wurde mir ein Bilderbuch in die Hand gedrückt und ich saß ganz allein am Tisch, bis ich endlich von Grete L. abgeholt wurde.
Bevor ich mit ihr gehen durfte, führte die Erzieherin ein längeres Gespräch mit ihr über mich und mein Benehmen. Ich schämte mich in Grund und Boden. Das hielt Grete L. natürlich nicht davon ab, bei Ida Bericht zu erstatten. „Aba vahaun musste die Jöre nu nich jleich dafor, die weeß et doch man bloß nich bessa.“, sagte sie am Schluss, so kam ich glimpflich davon.
Ich fürchtete, dass ich am nächsten Tag von vornherein mit einem Bilderbuch an den Tisch gesetzt werde. Das wollte ich nicht. Ich wollte mich auch nicht mit den anderen Kindern, deren Welt mir so völlig fremd war, streiten. Überhaupt wollte ich niiiiie wieder in den Kindergarten gehen. Am anderen Tag bettelte ich erst einmal, damit ich nicht dahin muss. Da es nicht half, warf ich mich zu Boden, strampelte und schrie und setzte so meinen Willen durch.
Heute überlege ich, ob es mir in der Schule genützt hätte, wenn ich weiterhin in den Kindergarten gegangen wäre. Und wenn ja, auf welche Weise.
„Oma, du musst die Christa in n Kindajaatn schickn“, sagte in bestimmendem Ton die Nachbarin zu meiner erziehungsberechtigten Tante Ida. „So, warum det denn? Wird se da jejossn, damit se schnella wäkst?“ fragte die humorige Alte zurück.
„Nee, det nich. Aba die Kleene kennt doch keene Kinda! Dadrum muss se dahin.“
„Ach, sind Waltraud, Doris und Mäcki schon awacksn?“ grinste Ida breit.
„Mensch, nu vaschteh mir doch ma richtich, Mensch. Ick meine natürlich jleichaltrije Kinda.“
„Ach, det is woll heute for die neue Zeit wichtich, wat?“ konterte Ida bissig.
„Nee“, Grete L. schüttelte den Kopf, „det wa schon imma wichtich. Wenn die Jöre neechstet Jah in ne Schuhle kommt, denn muss se mit die andern Kinda auskomm könn, dadrum muss se jetze in n Kindajaatn jehn. Außadem lernt se da ooch schon n bisschen wat for de Schuhle. Oda willst du dir villeicht hinsetzen und jedn Tach mit ihr bis zwanzich zeehln un wat weeß ick nich noch allet?“
Die Mühe wollte Ida sich nicht machen und ich wurde im Kindergarten angemeldet. Ich stiefelte auch recht brav neben Tante Irma her – Ida war der Weg zu beschwerlich. Und Tante Irma erzählte mir so viel Vergnügliches unterwegs, dass ich mir vor Begeisterung den Weg nicht merkte.
Die Kindergärtnerin war eine hübsche junge Frau. Sie begrüßte mich sehr freundlich und brachte auch die Kinder dazu, mich freundlich willkommen zu heißen. Ich freute mich sehr, mich in einem riesigen Spielzimmer zu befinden, wo alles so bunt und neu war.
Nachdem ein paar Lieder gesungen wurden, von denen ich fast alle kannte, durften wir spielen, was wir wollten. Die Mädchen zogen sich in die „Puppenecke“ zurück, die Jungen bildeten kleinere Grüppchen um mehrere Bausteinhaufen und einen Kaufmannsladen.
Ich war unschlüssig, wohin ich mich wenden könnte. Das Angebot war so groß! Wie in einem Spielzeugladen! Ich vergewisserte mich bei der Erzieherin, ob ich wirklich mit allem spielen könne, was an Spielzeug im Raum ist, denn es gab auch viel Jungsspielzeug, und die Puppenecke sah mir mit den vielen Mädchen darin sehr eng aus. Sie bejahte lächelnd und ich lief schnurstracks zu einem großen roten Auto und bewegte es auf dem Fußboden.
Leider gehörte dieses Auto einem Jungen, es war Privatbesitz. Er schoss auf mich zu und entwand mir das Gefährt. Ich brüllte auf und wies auf die Erlaubnis der Erzieherin hin. Sie stand mir bei und ich durfte weiter mit dem schönen Auto spielen.
Ich fuhr auf einen Bausteinhaufen zu. Die Jungen riefen: „Hier kannste nich lang, hier is Baustelle!“ und rasch wendete ich. Leider zu rasch, die Reifen stellten sich quer. Der Besitzer fürchtete um seinen Flitzer und nahm mir das Auto noch einmal weg. Die Erzieherin brachte die Räder wieder in Ordnung und stellte das Auto auf ein Regal, sodass es keiner von uns erreichen konnte. „So“, sagte sie. „Wenn du nach Hause gehst, dann bekommst du es wieder. Und ich möchte dich bitten, es in Zukunft zu Hause zu lassen. Es gibt hier genug Spielzeug.“
Mich aber führte sie in die Puppenecke zu den Mädchen. Da waren alle Puppen und Teddys schon in fester Hand einer Puppenmutti. Nur ein dünnes Stoffpüppchen war noch übrig, eine Figur aus dem Kaspertheater. Das sollte die Mutter sein und ich sollte ihre Rolle spielen. Ein Kind sagte: „Die Mutti muss jetzt zur Arbeit gehen. Die Fabrik ist da drüben bei den Jungs.“
Diese goldene Brücke betrat ich kleiner Idiot leider nicht. Meine Wahrheitsliebe schlug mir ein Schnippchen. Ich verkündete lauthals: „Nee, die Mutter sitzt!“ und setzte die Kasperfigur rigoros auf einen Stuhl in der Puppenstube.
Ja, meine Mutter „saß“. Das war alles, was ich von ihr wusste. Und meine erziehungsberechtigte Tante saß auch immer gern irgendwo auf einem Stuhl. Diese Erklärungen sprudelte ich hervor und bekam gar nicht mit, dass die Muttis aller hier anwesenden Kinder arbeiten gingen.
Wieder einmal hatte ich mich gründlich daneben benommen, keiner wollte jetzt noch mit mir spielen. Es wurde mir ein Bilderbuch in die Hand gedrückt und ich saß ganz allein am Tisch, bis ich endlich von Grete L. abgeholt wurde.
Bevor ich mit ihr gehen durfte, führte die Erzieherin ein längeres Gespräch mit ihr über mich und mein Benehmen. Ich schämte mich in Grund und Boden. Das hielt Grete L. natürlich nicht davon ab, bei Ida Bericht zu erstatten. „Aba vahaun musste die Jöre nu nich jleich dafor, die weeß et doch man bloß nich bessa.“, sagte sie am Schluss, so kam ich glimpflich davon.
Ich fürchtete, dass ich am nächsten Tag von vornherein mit einem Bilderbuch an den Tisch gesetzt werde. Das wollte ich nicht. Ich wollte mich auch nicht mit den anderen Kindern, deren Welt mir so völlig fremd war, streiten. Überhaupt wollte ich niiiiie wieder in den Kindergarten gehen. Am anderen Tag bettelte ich erst einmal, damit ich nicht dahin muss. Da es nicht half, warf ich mich zu Boden, strampelte und schrie und setzte so meinen Willen durch.
Heute überlege ich, ob es mir in der Schule genützt hätte, wenn ich weiterhin in den Kindergarten gegangen wäre. Und wenn ja, auf welche Weise.