Oma erlebt Ungarn
In Omas Seniorentreff fand ein ungarischer Nachmittag statt. Eine der Angestellten war nämlich gebürtige Ungarin, so kam die „Herbstlaube“ zu einer kostenlosen Attraktion.
Oma bereitete sich geistig auf den Genuss vor. Sie dachte an das Kinderbuch „Das französische Mädchen“, aus welchem sie die Koseworte „Edvesem“ und „Kedvesem“ einst lernte und an Kaiserin Sissi, die ja recht gern in Ungarn weilte, nachdem sie dort zur Königin gekrönt wurde. Und ihr kamen die Operette „Die Csardasfürstin“ in den Sinn und der Spielfilm „Ich denke oft an Piroschka“. Natürlich wurde all das nicht erwähnt.
Die gute Frau redete von Budapest, ihrer Heimatstadt, und vom Balaton. Einige der Senioren waren an diesen Orten schon gewesen, so war es ihnen eine vergnügliche Auffrischung ihrer Erinnerungen. Oma war nie so reich, um sich eine Auslandsreise leisten zu können. Sie begnügte sich mit den Bildern aus dem Fernsehen und wurde auch jetzt nicht neidisch. Schließlich kannte sie Eger zum Beispiel aus Kreuzworträtseln und wusste, dass Buda und Pest lange Zeit selbständige Städte waren, bis sie durch eine Brücke über die Donau miteinander verbunden wurden.
Die Vortragende erwähnte den Trubel und das bombastische Feuerwerk am Staatsfeiertag zu Ehren des ersten Ungarkönigs Stefan, zeigte Bildbände herum und einige Handarbeiten im landesüblichen Stil, von ihr selbst gefertigt. Selten so saubere Arbeiten gesehen! Zwischendurch wurde ungarischer Rotwein gereicht, der nicht, wie von Oma befürchtet, seinen Geruch verströmte.
Die Kaffeetafel war in den Farben Ungarns ausgestaltet und sah prächtig aus. Unter anderem prunkte ein Behältnis aus Stoff für Brötchen oder Eier auf dem Tisch, genaugenommen eine kunstvolle Rosette. Dann gab es Kaffee und ein leckeres Dessert. Es sah aus wie ein Schokoladeneisbecher, bestand aber aus Keksen, Schokomus, gehackten Nüssen, einem Schuss Rum und einer dicken Haube Schlagsahne. Vielleicht war auch noch dies oder das anderes darin, aber Oma schmeckte nur Genanntes heraus.
Während all der Zeit dudelte das Radio ungarische Zigeunermusik. Oma hoffte, dass irgendwann auch „Dselem“, die Hymne der Sinti und Roma, erklingen würde, aber Pustekuchen. Na ja, die konnte sie sich ja jederzeit zu Hause von Kassette anhören. Ebenso das „La Paloma“ eines ungarischen Buffo, der das alte Liebeslied mit seiner schmachtenden Stimme zu einem glanzvollen Erlebnis werden ließ. Schon allein die ungewöhnlichen Buchstabenkombinationen, aus denen die ungarische Sprache besteht! Darüber konnte Oma sich schon vor zehn Jahren wundern, als sie im Hackeschen Hof-Theater die Gruppe „The Transsylvanians“ spielen und singen hörte. Ihre mitreißenden Weisen lassen noch heute Omas Elefantenbeine zucken und zappeln.
Als Höhepunkt des Tages konnte der Csardas bezeichnet werden, den die Veranstalterin vorzeigte und dann auch noch der dreiundneunzigjährigen Alterspräsidentin beibrachte. Welche Anmut, welche Grazie! Sowohl von der vollbusigen Büroangestellten als auch von der spindeldürren Greisin.
An der Stelle fiel Oma die Szene aus „Heute Abend: Lola Blau“ ein, wo die Protagonistin einem Theaterdirektor ihre Fähigkeiten zeigt, alle Register zieht und dann doch abgewiesen wird. Sie versucht es nämlich sehr gekonnt auch auf ungarisch: „Ich hab ein – joi, Mama – in meinem Taschinkam, das ist mein Trick, Mama, und meine Maschinkam! Ich geb dir Bussi in der Nacht, wenn du Zigeunerlieder spielst auf deiner Geige. Ich hab ein – joi, Mama – in meinem Taschinkam, das ist mein Trick, Mama, und meine Maschinkam. Ich geb dir Bussi bis es kracht! Denk ich an Goulasch in der Nacht, dann bin ich um den Schlaf gebracht! Joi, joi, ischdilem!“
Tja, wer regelmäßig ins Theater geht, lernt die ganze Welt kennen. Auch Ungarn. Und wenn es nur seine Lieder sind oder solche, die ungarisch tun.
Mai 2003
In Omas Seniorentreff fand ein ungarischer Nachmittag statt. Eine der Angestellten war nämlich gebürtige Ungarin, so kam die „Herbstlaube“ zu einer kostenlosen Attraktion.
Oma bereitete sich geistig auf den Genuss vor. Sie dachte an das Kinderbuch „Das französische Mädchen“, aus welchem sie die Koseworte „Edvesem“ und „Kedvesem“ einst lernte und an Kaiserin Sissi, die ja recht gern in Ungarn weilte, nachdem sie dort zur Königin gekrönt wurde. Und ihr kamen die Operette „Die Csardasfürstin“ in den Sinn und der Spielfilm „Ich denke oft an Piroschka“. Natürlich wurde all das nicht erwähnt.
Die gute Frau redete von Budapest, ihrer Heimatstadt, und vom Balaton. Einige der Senioren waren an diesen Orten schon gewesen, so war es ihnen eine vergnügliche Auffrischung ihrer Erinnerungen. Oma war nie so reich, um sich eine Auslandsreise leisten zu können. Sie begnügte sich mit den Bildern aus dem Fernsehen und wurde auch jetzt nicht neidisch. Schließlich kannte sie Eger zum Beispiel aus Kreuzworträtseln und wusste, dass Buda und Pest lange Zeit selbständige Städte waren, bis sie durch eine Brücke über die Donau miteinander verbunden wurden.
Die Vortragende erwähnte den Trubel und das bombastische Feuerwerk am Staatsfeiertag zu Ehren des ersten Ungarkönigs Stefan, zeigte Bildbände herum und einige Handarbeiten im landesüblichen Stil, von ihr selbst gefertigt. Selten so saubere Arbeiten gesehen! Zwischendurch wurde ungarischer Rotwein gereicht, der nicht, wie von Oma befürchtet, seinen Geruch verströmte.
Die Kaffeetafel war in den Farben Ungarns ausgestaltet und sah prächtig aus. Unter anderem prunkte ein Behältnis aus Stoff für Brötchen oder Eier auf dem Tisch, genaugenommen eine kunstvolle Rosette. Dann gab es Kaffee und ein leckeres Dessert. Es sah aus wie ein Schokoladeneisbecher, bestand aber aus Keksen, Schokomus, gehackten Nüssen, einem Schuss Rum und einer dicken Haube Schlagsahne. Vielleicht war auch noch dies oder das anderes darin, aber Oma schmeckte nur Genanntes heraus.
Während all der Zeit dudelte das Radio ungarische Zigeunermusik. Oma hoffte, dass irgendwann auch „Dselem“, die Hymne der Sinti und Roma, erklingen würde, aber Pustekuchen. Na ja, die konnte sie sich ja jederzeit zu Hause von Kassette anhören. Ebenso das „La Paloma“ eines ungarischen Buffo, der das alte Liebeslied mit seiner schmachtenden Stimme zu einem glanzvollen Erlebnis werden ließ. Schon allein die ungewöhnlichen Buchstabenkombinationen, aus denen die ungarische Sprache besteht! Darüber konnte Oma sich schon vor zehn Jahren wundern, als sie im Hackeschen Hof-Theater die Gruppe „The Transsylvanians“ spielen und singen hörte. Ihre mitreißenden Weisen lassen noch heute Omas Elefantenbeine zucken und zappeln.
Als Höhepunkt des Tages konnte der Csardas bezeichnet werden, den die Veranstalterin vorzeigte und dann auch noch der dreiundneunzigjährigen Alterspräsidentin beibrachte. Welche Anmut, welche Grazie! Sowohl von der vollbusigen Büroangestellten als auch von der spindeldürren Greisin.
An der Stelle fiel Oma die Szene aus „Heute Abend: Lola Blau“ ein, wo die Protagonistin einem Theaterdirektor ihre Fähigkeiten zeigt, alle Register zieht und dann doch abgewiesen wird. Sie versucht es nämlich sehr gekonnt auch auf ungarisch: „Ich hab ein – joi, Mama – in meinem Taschinkam, das ist mein Trick, Mama, und meine Maschinkam! Ich geb dir Bussi in der Nacht, wenn du Zigeunerlieder spielst auf deiner Geige. Ich hab ein – joi, Mama – in meinem Taschinkam, das ist mein Trick, Mama, und meine Maschinkam. Ich geb dir Bussi bis es kracht! Denk ich an Goulasch in der Nacht, dann bin ich um den Schlaf gebracht! Joi, joi, ischdilem!“
Tja, wer regelmäßig ins Theater geht, lernt die ganze Welt kennen. Auch Ungarn. Und wenn es nur seine Lieder sind oder solche, die ungarisch tun.
Mai 2003