schreibfuchs
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Omar, ein einfacher junger Mann mit Lendenschurz, ausgemergeltem Körper und schmuddeligem Turban, treckte mühelos, den gefüllten Lederbalg voller Wasser aus dem tiefen Brunnen. Am Himmel zogen einige Aasgeier gemächlich ihre Kreise. Aus dem Wüsten-Dorf, nahe der Gold und Weihrauchstraße, erklang wütendes Hundegekläff. Omar sah, wie sich zwei Hunde um einen alten Knochen balgten. Sie stritten und zerrten so leidenschaftlich, dass Omar automatisch für den Schwächeren der beiden „Streithälse“ Partei ergriff. Doch wie immer gewann der mit der meisten Kraft und trug den Knochen, gleich einer Trophäe, stolz davon. Die Besitzer der kleinen Hütten, die sich ungeordnet teils an die Dünen, teils an bäuerliche Wirtschaftsflächen, wie Ackerland und Obsthaine, schlossen, schien dieser morgendliche Spektakel nicht zu stören. Omar lenkte seinen Blick wieder seiner Arbeit zu. Die von der Quelle aufsteigende Kühle tat ihm gut, er atmete tief und sog genüsslich die feuchte Luft ein. Der fadenscheinige Sisalstrang rieb sich, wie seit Jahr und Tag, an dem trockenen Querholz über dem Brunnen. “Der ist schon ganz schön dünn und muß mal ausgewechselt werden!“ murmelte Omar mit prüfendem Blick und legte wie gewohnt die linke Hand auf die Brunneneinfassung...
Plötzlich spürte er einen furchtbaren Schmerz in dieser Hand. Mit einem lauten Aufschrei fuhr Omar herum und sah einen Skorpion mit kampfeslustig aufgerichtetem Stachelschwanz. Der Skorpion hatte schnell den Rückwärtsgang eingelegt und versuchte nun sein Heil in der Flucht „Du verdammtes Mistvieh!“, Er starrte ungläubig auf das giftige Gliedertier und rief erbost: „Warte, ich will dich lehren einen rechtschaffenen Mann zu stechen!“ Zornig griff er nach einem Stein und zermalmte das bissige Tier mit einem Schlag. Er betrachtete schadenfroh die letzten Zuckungen des Tieres und frohlockte: „Du wirst keinen mehr stechen, du alte Bestie!“, lachte kurz und boshaft, kratzte mit einem Holzstück den Brunnenrand sauber und schaute sich nach allen Seiten um. „Komisch, kein Mensch weit und breit zu sehen!“, dachte er. „Selbst das Hundegebell hat niemanden aus seiner Hütte gelockt! Wo sind denn nur die jungen und hübschen Sklavinnen von Hassan? Normalerweise sind die immer die ersten! Lachen und albern hier rum. Sind kess, manchmal richtig anzüglich und verbreiten ein prickelndes Leben auf diesem grünen Wüstenfleck!“ Er lächelte trotz seiner Schmerzen und sinnierte: „Wie mich Leila, dieses samtäugige Kätzchen, immer anschmachtet, obwohl sie weiß, dass ich Weib und Kinder habe!“ Die schmerzende Hand riss ihn kurz aus den Gedanken, doch er grübelte weiter:“ Ist das nicht seltsam? Keine Menschenseele zu sehen!“ Plötzlich fiel es ihm ein, seine Augen begannen zu leuchten und er rief: „Ich mauleseliger Trottel! Vergangene Nacht wurden ja die Uhren umgestellt, es ist Sommerzeit – aber ich darf um diese Zeit schon Wasserholen!“, nörgelte er, „da kennt Latifa nichts!“ Er spürte, wie dieser hinterhältige und ziehende Schmerz zunahm! Es war ein furchtbarer Schmerz, der sich in wellenartigen Krämpfen den Arm hinaufzog und im Kopf weiterpochte. Omar schüttelte sich wie einer jener Hunde, die er beobachtet hatte, biss die Zähne zusammen und versuchte instinktiv das Gift aus dem kleinen Wundmal zu saugen. Erfolglos, denn er hatte nichts um die Wunde zu eröffnen! Nichts Scharfes! Nichts Spitzes! Die Wunde einfach mit den Zähnen aufzubeißen? Dazu fehlte ihm Entschlossenheit und Mut. Sein Mund wurde trocken, und ein jähes Zittern erfasste ihn. „Jetzt nur nicht schlappmachen!“ schoss ihn durch den Kopf. In seiner verzweifelnden Lage entdeckte er Latifa, sein Weib, das mit Riesenschritten angelaufen kam. „Endlich kommt mein Weib! Sie wird aus allen Wolken fallen, wenn sie hört, was mir widerfahren ist! Sie wird mir Trost spenden und bestimmt Mittel und Wege wissen, um mir zu helfen!“, freute sich Omar und fieberte auf ihre Ankunft…!
„Bei Allah!“, rief Latifa, kaum, dass sie auf Hörweite war, „Ich denke: Omar wird schon alle Krüge mit Wasser gefüllt haben und ich kann gleich einen mitnehmen. Aber nein, der Herr ruht sich lieber aus, hält Maulaffenfeil und lässt Allah einen guten Mann sein! Wahrscheinlich glaubt er nicht am Brunnen, sondern mit der Wasserpfeife in der Männerecke zu sitzen!“ Ihre Stimme nahm noch an Schärfe zu: „Ich muß das Baba ghanush* (*Baba ghanush Auberginenpüree) vorbereiten, die Kinder haben Hunger!“ Omar glotzte nur wortlos, stützte sich auf und verbiss sich ein Stöhnen auf den Lippen.
Seiner sonst so braunen Hautfarbe schien alle Farbe abhanden gekommen, seine Augen hatten den gewohnten Glanz verloren und sein Keuchen wurde hörbar:
„Ich wurde eben von einem Skorpion gestochen, mir ist kotzübel Weib! Bist du von allen guten Geistern verlassen mich hier so zu überfallen? Lass mich jetzt erst einmal in Ruhe und vor allem mit deinem Baba ghanush zufrieden!“ Latifa stemmte beide Arme in den Leib und wetterte: „So, du wurdest also von einem Skorpion gestochen? Das ist noch lange kein Grund, dass du mich auf mein Wasser, das ich so dringend brauche, warten lässt! Ich werde dir helfen…“ Doch, sie wurde unsicher und erklärte, nun etwas versöhnlicher: „Stell dich nicht so an! Konntest du nicht besser aufpassen! Wie kann man nur einen Skorpion übersehen?“ Sie beruhigte sich und prüfte kritisch den Stich: „Also Omar! Ich kann nicht viel erkennen! Diese Stelle hier ist leicht gerötet und etwas geschwollen - daran stirbt man nicht!“
„Aber der Skorpion ist doch giftig!“ Omar sah seine Frau verstört und vollkommen fassungslos an.
„Giftig? Das ich nicht lache! Eine Kobra ist giftig, wirklich giftig! Aber ein Skorpion? Lächerlich, einfach lächerlich, aber das kriegen wir wieder hin! Wir haben Wasser, Tücher und guten Tee! Du wirst sehen, wie schnell das Gift damit ausgetrieben wird!“ Sie betrachtete ihren Mann mit hellen, spöttischen Augen. Plötzlich wurde sie nachdenklich: „Pass auf: "Wenn du schon mal dieses Missgeschick …!“ Sie hielt in ihrem Gedanken inne und formulierte den Satz, mit verschlagener Miene, neu:
„Das trifft sich gut!“
„Was trifft sich gut?“ Er schaute verständnislos.
„Na, das dich ein Skorpion gestochen hat!“
„Das ist nicht dein Ernst?“, Omars Gegenwehr war schwach. Er erhob seine Augen zum Himmel.
„Schau dir die Geier an! Sie kreisen schon. Sie warten nur auf eine Gelegenheit um herabzustoßen! Dabei ist es ihnen egal, ob ich noch am Leben bin! Wichtig ist, dass ich mich nicht mehr wehren kann! Diese Kreaturen! Die kommen in Scharen, trampeln auf mir rum und zerren mir meinen letzten Zipfel Leben aus dem Leib! Dann liege ich ruhig und bin ein gefundenes Fressen für diese gefiederten Teufel!“
„Nun ist es aber gut mit dieser Schmierenkomödie!“
„Schmierenkomödie? Ich sah vor dem Unglück noch keine Geier am Himmel kreisen! Erst kurz nach dem Skorpionstich, da waren sie plötzlich da!“, er flüsterte mit geistesabwesenden, fast verschwörerischen Augen, „es scheint, dass sich Skorpion und Geier abgesprochen hätten!“
„Ja, ja! Fragt sich jetzt nur noch, wer wen geschickt hat! Waren es die Geier, die sagten:
„Hey Skorpion stich doch schnell mal den Omar, wir hatten lange nichts mehr zu fressen! Oder führte gar der Skorpion die Regie und sagte:
„Hey Geier! Ich steche jetzt den Omar, aber ihr müsst mich dann vor ihm beschützen, weil ich euch was zum Frühstück besorgt habe!“
Latifa schaute auf den Boden und kratzte mit dem Fuß über die Überreste des Skorpions! „Aber aus dem Schutz scheint nicht viel geworden zu sein!“, stichelte sie, strich ihm über den Kopf und flüsterte: „Armer Omar! Ich habe es doch nicht böse gemeint, als ich sagte, dass es sich gut trifft! Eigentlich wollte ich damit sagen, dass wir, wo dich nun einmal unglücklicherweise ein Skorpion gestochen hat, noch unseren Nutzen aus diesem Unglück ziehen könnten!“ Omars halb geschlossenen Augen öffneten sich augenblicklich. „Weib bist du noch bei Sinnen? Du willst einen Nutzen aus meinem Unglück ziehen?“
„Aber, klar doch!“ Sie machte eine spannungsgeladene Pause: „Ich sage nur: Hassan!“, und in ihren Augen funkelte es geschäftstüchtig. Omar stöhnte, aber dieses Mal nicht wegen der Schmerzen: „Hassan, der Dorfälteste!“, jetzt begriff er: „Du willst um mein Leben Wetten?“ Sie bejahte mit heftigem Kopfnicken und schüttelte ihn aber gleich wieder resolut.
„Nicht ich werde um dein Leben wetten, sonders Hassan! Du bist lediglich das Wettsubjekt!“
„Wettsubjekt? Geht’s noch? Kennst du eigentlich Hassan? Du weißt doch, dass der nicht rechtschaffen ist und die Leute betrügt!“, keuchte er.
„Wenn sie betrogen werden wollen?“
„Komm jetzt!“, versuchte Omar, sie von ihrem Vorhaben abzubringen, „Wette! Mach nicht so ein Aufsehen! Wir gehen still in unsere Hütte, und du machst mich wieder gesund - fertig!“
“Aber es fallen doch genügend auf seine üblen Machenschaften herein!“ verbiss sie sich in ihren Gedanken und spann ihn stolz weiter: „hast du nicht begriffen? Jetzt sind wir einmal dran, ein kleines Geschäft zu machen! Für uns! Verstehst du, für uns allein! Omar, das ist unsere Chance endlich eine zweite Ziege zu bekommen oder vielleicht sogar einen Ochsen! Das wäre doch gelacht, wenn uns das nicht gelingen würde! Wir wissen, dass dieser Stich (Allah möge uns beistehen) nicht tödlich sein wird Du musst einfach nur so tun als ob du mit dem Tode ringst! Also nur laut genug schreien, dich zu unserer Hütte schleppen und dich auf unser Lager werfen und du wirst sehen, wie sehr das Hassan gefallen und wie sehr er uns bei unserem kleinen Trick helfen wird! Weil er sich damit selbst am meisten hilft!“
„Trick? Wieso?“ Omar hatte plötzlich Mühe sich zu konzentrieren. Er konnte keinen klaren Gedanken mehr fassen.
„Ganz einfach!“, erklärte Latifa geduldig: „Hassan macht den Leuten glauben, dass du an diesem Stich sterben wirst, aber in Wirklichkeit setzt er heimlich auf deine Gesundung. Nur so kann der ein Geschäft machen! Nur so macht der immer seine Geschäfte!“
Sie ließ ihn nicht mehr antworten, kroch unter seinen Arm und flüsterte: „ Hab Vertrauen Omar, alles wird gut! Los, stütz dich auf mich, mach ein schmerzerfülltes Gesicht, vergiß nicht laut wehzuklagen und lass mich nur machen!“
„Da brauche ich mich gar nicht zu verstellen!“, jammerte Omar wahrheitsgetreu. Latifa winkte ab und schob sich noch weiter unter Omar. Sie taumelte unter seinem Gewicht! Jedoch mehr schwankend als laufend, verließen beide den Brunnen: „Hilfe, Hilfe Omar wurde von einem wilden Skorpion gestochen, seht nur, wie er leidet und wie schlimm er zugerichtet ist!“, schrie sie unaufhörlich und stöhnte laut, weil sie unter dem Gewicht ihres Mannes fast zusammenbrach! Omar gab die zweite Stimme in diesem Trauerspiel, so dass dieses laute Gemeinschaftsgezeter seine Wirkung nicht verfehlte…!
Der stille Brunnenplatz füllte sich rasch mit Menschen, die das laute Spektakel mitleidig oder sensationslüstern betrachteten. „Wetten, dass der das nicht mehr lange macht!“, hört man einen rufen. „Ich halte dagegen!“, meinte ein anderer, „der Stich eines Skorpions ist zwar heimtückisch, aber nicht immer tödlich!“ und glotzte wie ein stupides Chamäleon…!“
Und es dauerte gar nicht lange da ertönte von hinten eine herrische Stimme: „Platz da, aus dem Weg!“ Der Inhaber der Stimme, Hassan Ibn Abi Habbich, ein mittelgroßer, drahtiger Mann mit faltigem Bulldoggengesicht, stechendem Blick, wehendem Gewand und breitem Leibgürtel, bahnte sich einen Weg resolut durch die gaffende Masse: „Oh Omar, konntest du nicht aufpassen? Weißt du nicht, dass der Stich eines Skorpions tödlich sein kann?“, begann er ohne Umschweife und mit täuschend echtem Mitleidsgesicht zu klagen: „Du weißt, was das Reglement in solch einem Fall vorsieht?“ Er schaute Omar lauernd und mit kalten Augen an. Als dieser nicht wunschgemäß antwortete, eiferte er: „Nein? Macht nichts, ich sag’s dir besser noch einmal! Also: Begib dich direkt in deine Hütte, beschleunige deinen Schritt und gehe nicht über Umweg!“ Danach heulte sein falsches Mitleidsgehabe erneut: „Ach, Omar, ich hörte was dir widerfuhr! Wie konnte das nur geschehen? Allah ist mein Zeuge, dass wir alle mit dir mitfühlen! Sei unbesorgt, ab jetzt geht alles seinen geregelten und unbürokratischen Gang! Jetzt im Augenblick errichten meine Sklaven beispielsweise gerade das mobile Wettbüro vor eurer Hütte! Das ist wichtig! Du weißt doch wie sehr die gesamte Dorfbevölkerung erpicht ist, mit dir „mitzufiebern“ und deine Genesung mit einer Wette zu unterstützen! Sag nun frei heraus, was ich noch für euch tun kann!“, ließ ihn aber nicht zu Wort kommen und setzte nach: „Armer Teufel! Tut´s denn sehr weh?“ Dann beugte er sein faltenverbrämtes Doggengesicht an Omars Ohr und sabberte: „Stirb mir ja nicht hier auf der Straße, hörst du! Bei mir steht noch keine einzige Wette zu Buche! Du weißt doch, zehn Prozent von allem gehört dir oder deiner Witwe!“ er lachte verächtlich und zischte: „Nichts für ungut! War nur`n Scherz! Also los schnell, schnell ab in die Hütte!“ Er rieb sich hinter ihren Rücken die Hände und setzte mit lauter und aufgeräumter Stimme nach: „Und die Hütte darfst du keinem anderen, außer mir öffnen! Denk an das Reglement! Hörst du?“
Dann überließ er die beiden ihrem Schicksal und eilte voraus, um sein Wettbüro, das auch an diesem Tag wieder Wetten auf Leben oder Tod annahm, so schnell wie möglich zu eröffnen…
Die Luft in dem einzigen Raum der winzigen Hütte, die sich Omar, Latifa mit ihren drei Kindern und einer Ziege teilten, war heiß und stickig. Latifa hatte die ganze Nacht an Omars Lager gewacht. Diese Nacht hatte alle Spöttelei von ihr abgewaschen, denn Omars Arm war zu einem unförmigen Klumpen angeschwollen und sein Zustand hatte ihr tiefe Falten auf die Stirn gelegt. Er redete im Fieber und warf sich unter lautem Stöhnen hin und her. Der Morgen graute. Mit dem Geschrei der Kinder erhob sich auch ein lautes Meckern der Ziege, deren Euter voll und deren Magen leer war. Rastlos wechselte Latifa die kühlenden Tücher auf Omars Arm. Das Feuer, unter dem gusseiserner Wasserkessel, drohte zu verlöschen und wollte mit frischem mit Brennmaterial versorgt werden. Als erstes nahm Latifa die Ziege aus dem Verschlag, schob sie unsanft zur Tür hinaus und rief: „Mach das du rauskommst! Such dir im Hain was zu fressen!“ Dann wandte sie sich um und sah nach den Kindern. Den beiden größeren gab sie die Reste vom Baba ghanush in je eine Holzschüssel und hieß sie essen. Das jüngste nahm sie auf den Arm, legte es an und setzte sich mit einem lauten Schnaufen zu Omar ans Lager. Omar war erwacht und sah sein Weib mit einem liebevollen Blick an: „Gut, dass ich in den vergangenen Tagen für genügend Brennmaterial gesorgt habe!“ und er schaute zu dem Haufen getrocknetem Kamelmist, der etwas entfernt in einer Ecke lag. Sie lächelte schwach und strich Omar sorgenvoll über die Stirn: „Das dir dieser verwunschene Skorpion so arg zusetzen würde, hätte ich auch nicht gedacht!“
„Aber, Latifa, daran stirbt man doch nicht!“, er versucht ein zaghaftes Lächeln: „das habe ich jedenfalls nicht vor. Zwar wird es schwer für dich, da du jetzt statt drei plötzlich vier Kinder hast. Aber“, er versuchte Zuversicht und Hoffnung in seine Stimme zu legen, „du wirst sehen, in ein paar Tagen bin ich wieder auf den Beinen!“, seine Stimme klang rau und kratzig. Er räusperte sich: „ich werde leben und denen etwas husten!“
„Du hast Recht, ich will alles tun, damit es dir bald wieder besser geht! Aber unser Gewinn wird einmalig sein. Schau dir Hassan an, bei allen Heiligen! Der gewinnt immer! Und was der alles besitzt: Drei große Felder mit je einem Brunnen, ein richtiges Haus, sogar Sklaven, viele Kamele, Ochsen, Ziegen und Frauen und was weiß ich nicht noch alles!“
„Hassan!“, Omar lachte bitter, „Der hat sich doch dem Scheitan verschrieben, irgendwann wird der kommen, um ihn zu holen! Das ist keiner, an dem man sich ein Beispiel nehmen kann! Hörst du Weib!“ Er schnaufte vor Anstrengung, der Schweiß brach ihm aus und er rief mit aller Kraft: „Das ist kein Beispiel für uns! Wir wissen, was er mit dem gewonnen Vieh anstellt! Jawohl! Er treibt es auf den Basar von Sultanstadt und wandelt es dort in klingende Münze um! Er ist der einzige hier im Dorf, der Sultanos oder gar Gold besitzt! Bei Allah, der Scheitan soll ihn holen, diesen dreimal verfluchten Halsabschneider, der mit unsereins seine miese Geschäfte treibt!“
Im selben Augenblick ertönte, draußen vor ihrer Hütte die laute und markante Stimme Hassans. Laut, lockend und geschäfttüchtig!
„Leute kommt herbei und wettet! Keiner weiß, wie Omars Chancen stehen! Wir alle fühlen mit ihm, aber ihr kennt das Reglement! Bei Gewinn verdoppelt sich euer Wetteinsatz und bei Niederlage verliert ihr euren Wetteinsatz. Wer nicht wagt, der nicht gewinnt. Zögert nicht länger! Nie war es einfacher, neuen Reichtum zu erlangen!“, er zeigte sich leutselig und aufgeräumt. "Hey, Achmed! Was bringst du mir schönes? Oh, einen Ochsen!“, dann rief er laut: „Leute schaut Achmed an: Den Tüchtigen und den Mutigen ist das Glück hold!“ Er klopfte den schüchternen Mann auf die Schulter und flötete: „So Achmed, geh nun wieder an deine Arbeit! Ich werde dich im Gewinnfalle informieren, Allah sei mit dir und deiner Familie…! So, der nächste…! Das Gestampfe und Gemurmel der Leute, die sich bereits seit einiger Zeit vor dem Wettbüro herumdrängten, flog plötzlich wie Aasgeierrufe durch die Luft. Es vermischte sich mit dem Meckern und Muhen ihrer Tiere. Die Tiere waren ihr Wetteinsatz! Sie galten als Hoffnungsträger und wurden zu einem tönernen Synonym für eine bessere Zukunft. An etwas anderes dachten die nicht, zu groß schwang in ihnen die Hoffnung auf einen Gewinn.
„Wie geht es Omar?“, erkundigte sich ein kleines, dürres Männchen mit krankhaft großen Augen.
„Bei Allah, Laeith, du weißt doch genau, dass das Reglement verbietet Auskünfte über betroffene Personen zu erteilen!“ Hassan, der das sagte, glubschte Laeith aus listigen Schlitzaugen an.
„Ich wollte dich doch nur fragen! Schließlich ist das meine letzte Ziege, die ich besitze. Sie ist zwar alt und dürr, aber sie gibt immer noch jeden Tag, den Allah werden lässt, ein bisschen Milch!“
Hassan winkte den Alten nah zu sich heran und flüsterte wohltäterisch mit vorgehaltener Hand: „Eigentlich dürfte ich es dir nicht sagen!“, er rollte Angst einflößend mit den Augen! „Du weist doch das Reglement!“ Hassan machte eine gezielte Pause ehe er weiterflüsterte: „Omar soll es gar nicht gut gehen!“ Er zog eine mitfühlende Miene, die der Alte ohne es zu bemerken kopierte und sehr ernst nickte…
„Hörst du das Weib? Da draußen ist Volksfest! Wegen mir! Ob ich da drauf stolz sein kann?“, er lachte erneut bitter.
„Ssssch, ssssch!“, versuchte sie ihn zu besänftigen.
„Na ist doch wahr!“, ereiferte sich Omar. „Wenn wir die Ziege nicht so dringend brauchen würde, würde ich dazwischenschlagen. Hassan würde ich auf einem seiner Böcke binden und in die Wüste jagen! Auf Nimmerwiedersehen! Und die Menschen, diese dummen Menschen! Haben die vergessen wer den meisten, ach was sage ich, wer allen Gewinn aus den Wetten zieht?“ Sein Gesicht begann sich noch heftiger zu röten.
„Omar! So beruhige dich doch! Hassan versteht es eben Geschäfte zu machen. Das ist nun mal so!
„Ist nun mal so!“, äffte Omar seine Frau nach. „Ist nun mal so? Wie war das denn mit der Familie die in ihrer Hütte verbrannt ist? Meinst du einer der Frauen und Männer ist so blöd und lässt seine Hütte abbrennen und sich selbst gleich mit? Selbst den kleinen Kindern wird eingetrichtert, dass sie am Feuer nichts zu suchen haben, weil es Frauensache ist. Und dann brennt einfach so eine Hütte nieder? Ich höre noch Hassans Worte: Sie hätten fahrlässig gehandelt! Fahrlässig, das ich nicht lache! Da hat der nachgeholfen! Nachgeholfen, weil in diesem Dorf einfach nichts Spektakuläres mehr geschah und er Angst hatte, dass seine Wettleidenschaft in Vergessenheit gerät und seine Geschäfte versiegen! Ich sage dir: Der hat die Hütte anzünden, die Türen verrammeln und alles darin verbrennen lassen! Bei Allah, so und nicht anders war´s! Und dann stellt der sich am nächsten Tag hin und nimmt scheinheilig Wetten an! So, als ob jemand diese Brandschatzung überlebt haben könnte. Die Dorfbevölkerung wettete natürlich auf den Tod von allen: Mann, Frau und Kind! Und wie war das Ergebnis, Weib? Weißt du´s noch?“
„Wie durch ein Wunder hatte die junge Frau überlebt!“ Latifas große Augen sahen ihren Mann nachdenklich an.
„Wie durch ein Wunder? Latifa, wach auf! Das war kein Wunder! Das war Betrug! Tamima, die junge Frau kroch aus der Brandruine, wie Phoenix aus der Asche und war unversehrt! Kein Härchen hatte sich bei ihr durch die Feuersbrunst gekräuselt! Nichts! Einzig ein wenig rußgeschwärzt war sie, aber sonst heil und unversehrt! Glaubst du, das ging mit rechten Dingen zu? Und heute ist Tamima Hassans Weib. Herrisch, eitel und selbstgefällig! Ich glaube: Vor der hat selbst Hassan manchmal mächtig Dampf!“ Schweigen legte sich über die beiden. Die Kinder begannen zu lärmen, so dass sie Latifa zur Ordnung rufen musste. Der Säugling schmatze an ihrer Brust und sie sagte:
„Da war da auch noch die Sache mit dem Schlangenbiss!“ Omar winkte ab.
„Ach ja, siehst du, das war auch wieder typisch Hassan. Jassir wird von einer Kobra in die Wade gebissen und Hassan machte den Leuten glauben, dass es nur eine harmlose Natter gewesen sei!“
„Und bei Saliha!“, eiferte Latifa, „machte er den Leuten nach ihrem Sturz vom Kamel weis, dass sie sich den Hals gebrochen habe und mit dem Tod ringe! In Wirklichkeit stellte ihr Mann fest, nachdem man sie in die Hütte gelegt hatte, dass sie nur vor Schreck ohnmächtig geworden war und ihr sonst weiter nichts fehlte!“
Omar atmete schwer und schwieg!
„Wenn du dich weiter so aufregst, wirst du nie wieder gesund!“ schalt ihn Latifa sanft. „Hörst du, Omar!“ Doch ihr Mann hörte nichts mehr. Er hatte sein Antlitz langsam zur Seite geneigt und war über seiner Empörung eingeschlafen. Die Augen Latifas waren starr auf den aufsteigenden Qualm des Hüttenfeuers gerichtet, der sich fast geradlinig seinen Abzug durch das Loch im Dach suchte. Dann streichelte sie sanft ihren schlafenden Mann und flüsterte:
„Omar, wir schaffen das! Du wirst uns wieder gesund, hörst du und dann gehen wir zu Hassan und streichen unseren Gewinn ein. Wer weiß, vielleicht müssen wir unseren Verschlag etwas vergrößern? So eine Ziege braucht auch ihren Platz!“, sie lachte leis e: „ Und eine Kuh oder ein Ochse braucht noch mehr davon!“
Latifa stand entschlossen auf, legte ihren ebenfalls schlafenden Säugling vorsichtig in die kleine Bettkiste, legte Brennmaterial nach, kümmerte sich um etwas Essbares und verließ die Hütte, um die Ziege zu melken…
Plötzlich spürte er einen furchtbaren Schmerz in dieser Hand. Mit einem lauten Aufschrei fuhr Omar herum und sah einen Skorpion mit kampfeslustig aufgerichtetem Stachelschwanz. Der Skorpion hatte schnell den Rückwärtsgang eingelegt und versuchte nun sein Heil in der Flucht „Du verdammtes Mistvieh!“, Er starrte ungläubig auf das giftige Gliedertier und rief erbost: „Warte, ich will dich lehren einen rechtschaffenen Mann zu stechen!“ Zornig griff er nach einem Stein und zermalmte das bissige Tier mit einem Schlag. Er betrachtete schadenfroh die letzten Zuckungen des Tieres und frohlockte: „Du wirst keinen mehr stechen, du alte Bestie!“, lachte kurz und boshaft, kratzte mit einem Holzstück den Brunnenrand sauber und schaute sich nach allen Seiten um. „Komisch, kein Mensch weit und breit zu sehen!“, dachte er. „Selbst das Hundegebell hat niemanden aus seiner Hütte gelockt! Wo sind denn nur die jungen und hübschen Sklavinnen von Hassan? Normalerweise sind die immer die ersten! Lachen und albern hier rum. Sind kess, manchmal richtig anzüglich und verbreiten ein prickelndes Leben auf diesem grünen Wüstenfleck!“ Er lächelte trotz seiner Schmerzen und sinnierte: „Wie mich Leila, dieses samtäugige Kätzchen, immer anschmachtet, obwohl sie weiß, dass ich Weib und Kinder habe!“ Die schmerzende Hand riss ihn kurz aus den Gedanken, doch er grübelte weiter:“ Ist das nicht seltsam? Keine Menschenseele zu sehen!“ Plötzlich fiel es ihm ein, seine Augen begannen zu leuchten und er rief: „Ich mauleseliger Trottel! Vergangene Nacht wurden ja die Uhren umgestellt, es ist Sommerzeit – aber ich darf um diese Zeit schon Wasserholen!“, nörgelte er, „da kennt Latifa nichts!“ Er spürte, wie dieser hinterhältige und ziehende Schmerz zunahm! Es war ein furchtbarer Schmerz, der sich in wellenartigen Krämpfen den Arm hinaufzog und im Kopf weiterpochte. Omar schüttelte sich wie einer jener Hunde, die er beobachtet hatte, biss die Zähne zusammen und versuchte instinktiv das Gift aus dem kleinen Wundmal zu saugen. Erfolglos, denn er hatte nichts um die Wunde zu eröffnen! Nichts Scharfes! Nichts Spitzes! Die Wunde einfach mit den Zähnen aufzubeißen? Dazu fehlte ihm Entschlossenheit und Mut. Sein Mund wurde trocken, und ein jähes Zittern erfasste ihn. „Jetzt nur nicht schlappmachen!“ schoss ihn durch den Kopf. In seiner verzweifelnden Lage entdeckte er Latifa, sein Weib, das mit Riesenschritten angelaufen kam. „Endlich kommt mein Weib! Sie wird aus allen Wolken fallen, wenn sie hört, was mir widerfahren ist! Sie wird mir Trost spenden und bestimmt Mittel und Wege wissen, um mir zu helfen!“, freute sich Omar und fieberte auf ihre Ankunft…!
„Bei Allah!“, rief Latifa, kaum, dass sie auf Hörweite war, „Ich denke: Omar wird schon alle Krüge mit Wasser gefüllt haben und ich kann gleich einen mitnehmen. Aber nein, der Herr ruht sich lieber aus, hält Maulaffenfeil und lässt Allah einen guten Mann sein! Wahrscheinlich glaubt er nicht am Brunnen, sondern mit der Wasserpfeife in der Männerecke zu sitzen!“ Ihre Stimme nahm noch an Schärfe zu: „Ich muß das Baba ghanush* (*Baba ghanush Auberginenpüree) vorbereiten, die Kinder haben Hunger!“ Omar glotzte nur wortlos, stützte sich auf und verbiss sich ein Stöhnen auf den Lippen.
Seiner sonst so braunen Hautfarbe schien alle Farbe abhanden gekommen, seine Augen hatten den gewohnten Glanz verloren und sein Keuchen wurde hörbar:
„Ich wurde eben von einem Skorpion gestochen, mir ist kotzübel Weib! Bist du von allen guten Geistern verlassen mich hier so zu überfallen? Lass mich jetzt erst einmal in Ruhe und vor allem mit deinem Baba ghanush zufrieden!“ Latifa stemmte beide Arme in den Leib und wetterte: „So, du wurdest also von einem Skorpion gestochen? Das ist noch lange kein Grund, dass du mich auf mein Wasser, das ich so dringend brauche, warten lässt! Ich werde dir helfen…“ Doch, sie wurde unsicher und erklärte, nun etwas versöhnlicher: „Stell dich nicht so an! Konntest du nicht besser aufpassen! Wie kann man nur einen Skorpion übersehen?“ Sie beruhigte sich und prüfte kritisch den Stich: „Also Omar! Ich kann nicht viel erkennen! Diese Stelle hier ist leicht gerötet und etwas geschwollen - daran stirbt man nicht!“
„Aber der Skorpion ist doch giftig!“ Omar sah seine Frau verstört und vollkommen fassungslos an.
„Giftig? Das ich nicht lache! Eine Kobra ist giftig, wirklich giftig! Aber ein Skorpion? Lächerlich, einfach lächerlich, aber das kriegen wir wieder hin! Wir haben Wasser, Tücher und guten Tee! Du wirst sehen, wie schnell das Gift damit ausgetrieben wird!“ Sie betrachtete ihren Mann mit hellen, spöttischen Augen. Plötzlich wurde sie nachdenklich: „Pass auf: "Wenn du schon mal dieses Missgeschick …!“ Sie hielt in ihrem Gedanken inne und formulierte den Satz, mit verschlagener Miene, neu:
„Das trifft sich gut!“
„Was trifft sich gut?“ Er schaute verständnislos.
„Na, das dich ein Skorpion gestochen hat!“
„Das ist nicht dein Ernst?“, Omars Gegenwehr war schwach. Er erhob seine Augen zum Himmel.
„Schau dir die Geier an! Sie kreisen schon. Sie warten nur auf eine Gelegenheit um herabzustoßen! Dabei ist es ihnen egal, ob ich noch am Leben bin! Wichtig ist, dass ich mich nicht mehr wehren kann! Diese Kreaturen! Die kommen in Scharen, trampeln auf mir rum und zerren mir meinen letzten Zipfel Leben aus dem Leib! Dann liege ich ruhig und bin ein gefundenes Fressen für diese gefiederten Teufel!“
„Nun ist es aber gut mit dieser Schmierenkomödie!“
„Schmierenkomödie? Ich sah vor dem Unglück noch keine Geier am Himmel kreisen! Erst kurz nach dem Skorpionstich, da waren sie plötzlich da!“, er flüsterte mit geistesabwesenden, fast verschwörerischen Augen, „es scheint, dass sich Skorpion und Geier abgesprochen hätten!“
„Ja, ja! Fragt sich jetzt nur noch, wer wen geschickt hat! Waren es die Geier, die sagten:
„Hey Skorpion stich doch schnell mal den Omar, wir hatten lange nichts mehr zu fressen! Oder führte gar der Skorpion die Regie und sagte:
„Hey Geier! Ich steche jetzt den Omar, aber ihr müsst mich dann vor ihm beschützen, weil ich euch was zum Frühstück besorgt habe!“
Latifa schaute auf den Boden und kratzte mit dem Fuß über die Überreste des Skorpions! „Aber aus dem Schutz scheint nicht viel geworden zu sein!“, stichelte sie, strich ihm über den Kopf und flüsterte: „Armer Omar! Ich habe es doch nicht böse gemeint, als ich sagte, dass es sich gut trifft! Eigentlich wollte ich damit sagen, dass wir, wo dich nun einmal unglücklicherweise ein Skorpion gestochen hat, noch unseren Nutzen aus diesem Unglück ziehen könnten!“ Omars halb geschlossenen Augen öffneten sich augenblicklich. „Weib bist du noch bei Sinnen? Du willst einen Nutzen aus meinem Unglück ziehen?“
„Aber, klar doch!“ Sie machte eine spannungsgeladene Pause: „Ich sage nur: Hassan!“, und in ihren Augen funkelte es geschäftstüchtig. Omar stöhnte, aber dieses Mal nicht wegen der Schmerzen: „Hassan, der Dorfälteste!“, jetzt begriff er: „Du willst um mein Leben Wetten?“ Sie bejahte mit heftigem Kopfnicken und schüttelte ihn aber gleich wieder resolut.
„Nicht ich werde um dein Leben wetten, sonders Hassan! Du bist lediglich das Wettsubjekt!“
„Wettsubjekt? Geht’s noch? Kennst du eigentlich Hassan? Du weißt doch, dass der nicht rechtschaffen ist und die Leute betrügt!“, keuchte er.
„Wenn sie betrogen werden wollen?“
„Komm jetzt!“, versuchte Omar, sie von ihrem Vorhaben abzubringen, „Wette! Mach nicht so ein Aufsehen! Wir gehen still in unsere Hütte, und du machst mich wieder gesund - fertig!“
“Aber es fallen doch genügend auf seine üblen Machenschaften herein!“ verbiss sie sich in ihren Gedanken und spann ihn stolz weiter: „hast du nicht begriffen? Jetzt sind wir einmal dran, ein kleines Geschäft zu machen! Für uns! Verstehst du, für uns allein! Omar, das ist unsere Chance endlich eine zweite Ziege zu bekommen oder vielleicht sogar einen Ochsen! Das wäre doch gelacht, wenn uns das nicht gelingen würde! Wir wissen, dass dieser Stich (Allah möge uns beistehen) nicht tödlich sein wird Du musst einfach nur so tun als ob du mit dem Tode ringst! Also nur laut genug schreien, dich zu unserer Hütte schleppen und dich auf unser Lager werfen und du wirst sehen, wie sehr das Hassan gefallen und wie sehr er uns bei unserem kleinen Trick helfen wird! Weil er sich damit selbst am meisten hilft!“
„Trick? Wieso?“ Omar hatte plötzlich Mühe sich zu konzentrieren. Er konnte keinen klaren Gedanken mehr fassen.
„Ganz einfach!“, erklärte Latifa geduldig: „Hassan macht den Leuten glauben, dass du an diesem Stich sterben wirst, aber in Wirklichkeit setzt er heimlich auf deine Gesundung. Nur so kann der ein Geschäft machen! Nur so macht der immer seine Geschäfte!“
Sie ließ ihn nicht mehr antworten, kroch unter seinen Arm und flüsterte: „ Hab Vertrauen Omar, alles wird gut! Los, stütz dich auf mich, mach ein schmerzerfülltes Gesicht, vergiß nicht laut wehzuklagen und lass mich nur machen!“
„Da brauche ich mich gar nicht zu verstellen!“, jammerte Omar wahrheitsgetreu. Latifa winkte ab und schob sich noch weiter unter Omar. Sie taumelte unter seinem Gewicht! Jedoch mehr schwankend als laufend, verließen beide den Brunnen: „Hilfe, Hilfe Omar wurde von einem wilden Skorpion gestochen, seht nur, wie er leidet und wie schlimm er zugerichtet ist!“, schrie sie unaufhörlich und stöhnte laut, weil sie unter dem Gewicht ihres Mannes fast zusammenbrach! Omar gab die zweite Stimme in diesem Trauerspiel, so dass dieses laute Gemeinschaftsgezeter seine Wirkung nicht verfehlte…!
Der stille Brunnenplatz füllte sich rasch mit Menschen, die das laute Spektakel mitleidig oder sensationslüstern betrachteten. „Wetten, dass der das nicht mehr lange macht!“, hört man einen rufen. „Ich halte dagegen!“, meinte ein anderer, „der Stich eines Skorpions ist zwar heimtückisch, aber nicht immer tödlich!“ und glotzte wie ein stupides Chamäleon…!“
Und es dauerte gar nicht lange da ertönte von hinten eine herrische Stimme: „Platz da, aus dem Weg!“ Der Inhaber der Stimme, Hassan Ibn Abi Habbich, ein mittelgroßer, drahtiger Mann mit faltigem Bulldoggengesicht, stechendem Blick, wehendem Gewand und breitem Leibgürtel, bahnte sich einen Weg resolut durch die gaffende Masse: „Oh Omar, konntest du nicht aufpassen? Weißt du nicht, dass der Stich eines Skorpions tödlich sein kann?“, begann er ohne Umschweife und mit täuschend echtem Mitleidsgesicht zu klagen: „Du weißt, was das Reglement in solch einem Fall vorsieht?“ Er schaute Omar lauernd und mit kalten Augen an. Als dieser nicht wunschgemäß antwortete, eiferte er: „Nein? Macht nichts, ich sag’s dir besser noch einmal! Also: Begib dich direkt in deine Hütte, beschleunige deinen Schritt und gehe nicht über Umweg!“ Danach heulte sein falsches Mitleidsgehabe erneut: „Ach, Omar, ich hörte was dir widerfuhr! Wie konnte das nur geschehen? Allah ist mein Zeuge, dass wir alle mit dir mitfühlen! Sei unbesorgt, ab jetzt geht alles seinen geregelten und unbürokratischen Gang! Jetzt im Augenblick errichten meine Sklaven beispielsweise gerade das mobile Wettbüro vor eurer Hütte! Das ist wichtig! Du weißt doch wie sehr die gesamte Dorfbevölkerung erpicht ist, mit dir „mitzufiebern“ und deine Genesung mit einer Wette zu unterstützen! Sag nun frei heraus, was ich noch für euch tun kann!“, ließ ihn aber nicht zu Wort kommen und setzte nach: „Armer Teufel! Tut´s denn sehr weh?“ Dann beugte er sein faltenverbrämtes Doggengesicht an Omars Ohr und sabberte: „Stirb mir ja nicht hier auf der Straße, hörst du! Bei mir steht noch keine einzige Wette zu Buche! Du weißt doch, zehn Prozent von allem gehört dir oder deiner Witwe!“ er lachte verächtlich und zischte: „Nichts für ungut! War nur`n Scherz! Also los schnell, schnell ab in die Hütte!“ Er rieb sich hinter ihren Rücken die Hände und setzte mit lauter und aufgeräumter Stimme nach: „Und die Hütte darfst du keinem anderen, außer mir öffnen! Denk an das Reglement! Hörst du?“
Dann überließ er die beiden ihrem Schicksal und eilte voraus, um sein Wettbüro, das auch an diesem Tag wieder Wetten auf Leben oder Tod annahm, so schnell wie möglich zu eröffnen…
Die Luft in dem einzigen Raum der winzigen Hütte, die sich Omar, Latifa mit ihren drei Kindern und einer Ziege teilten, war heiß und stickig. Latifa hatte die ganze Nacht an Omars Lager gewacht. Diese Nacht hatte alle Spöttelei von ihr abgewaschen, denn Omars Arm war zu einem unförmigen Klumpen angeschwollen und sein Zustand hatte ihr tiefe Falten auf die Stirn gelegt. Er redete im Fieber und warf sich unter lautem Stöhnen hin und her. Der Morgen graute. Mit dem Geschrei der Kinder erhob sich auch ein lautes Meckern der Ziege, deren Euter voll und deren Magen leer war. Rastlos wechselte Latifa die kühlenden Tücher auf Omars Arm. Das Feuer, unter dem gusseiserner Wasserkessel, drohte zu verlöschen und wollte mit frischem mit Brennmaterial versorgt werden. Als erstes nahm Latifa die Ziege aus dem Verschlag, schob sie unsanft zur Tür hinaus und rief: „Mach das du rauskommst! Such dir im Hain was zu fressen!“ Dann wandte sie sich um und sah nach den Kindern. Den beiden größeren gab sie die Reste vom Baba ghanush in je eine Holzschüssel und hieß sie essen. Das jüngste nahm sie auf den Arm, legte es an und setzte sich mit einem lauten Schnaufen zu Omar ans Lager. Omar war erwacht und sah sein Weib mit einem liebevollen Blick an: „Gut, dass ich in den vergangenen Tagen für genügend Brennmaterial gesorgt habe!“ und er schaute zu dem Haufen getrocknetem Kamelmist, der etwas entfernt in einer Ecke lag. Sie lächelte schwach und strich Omar sorgenvoll über die Stirn: „Das dir dieser verwunschene Skorpion so arg zusetzen würde, hätte ich auch nicht gedacht!“
„Aber, Latifa, daran stirbt man doch nicht!“, er versucht ein zaghaftes Lächeln: „das habe ich jedenfalls nicht vor. Zwar wird es schwer für dich, da du jetzt statt drei plötzlich vier Kinder hast. Aber“, er versuchte Zuversicht und Hoffnung in seine Stimme zu legen, „du wirst sehen, in ein paar Tagen bin ich wieder auf den Beinen!“, seine Stimme klang rau und kratzig. Er räusperte sich: „ich werde leben und denen etwas husten!“
„Du hast Recht, ich will alles tun, damit es dir bald wieder besser geht! Aber unser Gewinn wird einmalig sein. Schau dir Hassan an, bei allen Heiligen! Der gewinnt immer! Und was der alles besitzt: Drei große Felder mit je einem Brunnen, ein richtiges Haus, sogar Sklaven, viele Kamele, Ochsen, Ziegen und Frauen und was weiß ich nicht noch alles!“
„Hassan!“, Omar lachte bitter, „Der hat sich doch dem Scheitan verschrieben, irgendwann wird der kommen, um ihn zu holen! Das ist keiner, an dem man sich ein Beispiel nehmen kann! Hörst du Weib!“ Er schnaufte vor Anstrengung, der Schweiß brach ihm aus und er rief mit aller Kraft: „Das ist kein Beispiel für uns! Wir wissen, was er mit dem gewonnen Vieh anstellt! Jawohl! Er treibt es auf den Basar von Sultanstadt und wandelt es dort in klingende Münze um! Er ist der einzige hier im Dorf, der Sultanos oder gar Gold besitzt! Bei Allah, der Scheitan soll ihn holen, diesen dreimal verfluchten Halsabschneider, der mit unsereins seine miese Geschäfte treibt!“
Im selben Augenblick ertönte, draußen vor ihrer Hütte die laute und markante Stimme Hassans. Laut, lockend und geschäfttüchtig!
„Leute kommt herbei und wettet! Keiner weiß, wie Omars Chancen stehen! Wir alle fühlen mit ihm, aber ihr kennt das Reglement! Bei Gewinn verdoppelt sich euer Wetteinsatz und bei Niederlage verliert ihr euren Wetteinsatz. Wer nicht wagt, der nicht gewinnt. Zögert nicht länger! Nie war es einfacher, neuen Reichtum zu erlangen!“, er zeigte sich leutselig und aufgeräumt. "Hey, Achmed! Was bringst du mir schönes? Oh, einen Ochsen!“, dann rief er laut: „Leute schaut Achmed an: Den Tüchtigen und den Mutigen ist das Glück hold!“ Er klopfte den schüchternen Mann auf die Schulter und flötete: „So Achmed, geh nun wieder an deine Arbeit! Ich werde dich im Gewinnfalle informieren, Allah sei mit dir und deiner Familie…! So, der nächste…! Das Gestampfe und Gemurmel der Leute, die sich bereits seit einiger Zeit vor dem Wettbüro herumdrängten, flog plötzlich wie Aasgeierrufe durch die Luft. Es vermischte sich mit dem Meckern und Muhen ihrer Tiere. Die Tiere waren ihr Wetteinsatz! Sie galten als Hoffnungsträger und wurden zu einem tönernen Synonym für eine bessere Zukunft. An etwas anderes dachten die nicht, zu groß schwang in ihnen die Hoffnung auf einen Gewinn.
„Wie geht es Omar?“, erkundigte sich ein kleines, dürres Männchen mit krankhaft großen Augen.
„Bei Allah, Laeith, du weißt doch genau, dass das Reglement verbietet Auskünfte über betroffene Personen zu erteilen!“ Hassan, der das sagte, glubschte Laeith aus listigen Schlitzaugen an.
„Ich wollte dich doch nur fragen! Schließlich ist das meine letzte Ziege, die ich besitze. Sie ist zwar alt und dürr, aber sie gibt immer noch jeden Tag, den Allah werden lässt, ein bisschen Milch!“
Hassan winkte den Alten nah zu sich heran und flüsterte wohltäterisch mit vorgehaltener Hand: „Eigentlich dürfte ich es dir nicht sagen!“, er rollte Angst einflößend mit den Augen! „Du weist doch das Reglement!“ Hassan machte eine gezielte Pause ehe er weiterflüsterte: „Omar soll es gar nicht gut gehen!“ Er zog eine mitfühlende Miene, die der Alte ohne es zu bemerken kopierte und sehr ernst nickte…
„Hörst du das Weib? Da draußen ist Volksfest! Wegen mir! Ob ich da drauf stolz sein kann?“, er lachte erneut bitter.
„Ssssch, ssssch!“, versuchte sie ihn zu besänftigen.
„Na ist doch wahr!“, ereiferte sich Omar. „Wenn wir die Ziege nicht so dringend brauchen würde, würde ich dazwischenschlagen. Hassan würde ich auf einem seiner Böcke binden und in die Wüste jagen! Auf Nimmerwiedersehen! Und die Menschen, diese dummen Menschen! Haben die vergessen wer den meisten, ach was sage ich, wer allen Gewinn aus den Wetten zieht?“ Sein Gesicht begann sich noch heftiger zu röten.
„Omar! So beruhige dich doch! Hassan versteht es eben Geschäfte zu machen. Das ist nun mal so!
„Ist nun mal so!“, äffte Omar seine Frau nach. „Ist nun mal so? Wie war das denn mit der Familie die in ihrer Hütte verbrannt ist? Meinst du einer der Frauen und Männer ist so blöd und lässt seine Hütte abbrennen und sich selbst gleich mit? Selbst den kleinen Kindern wird eingetrichtert, dass sie am Feuer nichts zu suchen haben, weil es Frauensache ist. Und dann brennt einfach so eine Hütte nieder? Ich höre noch Hassans Worte: Sie hätten fahrlässig gehandelt! Fahrlässig, das ich nicht lache! Da hat der nachgeholfen! Nachgeholfen, weil in diesem Dorf einfach nichts Spektakuläres mehr geschah und er Angst hatte, dass seine Wettleidenschaft in Vergessenheit gerät und seine Geschäfte versiegen! Ich sage dir: Der hat die Hütte anzünden, die Türen verrammeln und alles darin verbrennen lassen! Bei Allah, so und nicht anders war´s! Und dann stellt der sich am nächsten Tag hin und nimmt scheinheilig Wetten an! So, als ob jemand diese Brandschatzung überlebt haben könnte. Die Dorfbevölkerung wettete natürlich auf den Tod von allen: Mann, Frau und Kind! Und wie war das Ergebnis, Weib? Weißt du´s noch?“
„Wie durch ein Wunder hatte die junge Frau überlebt!“ Latifas große Augen sahen ihren Mann nachdenklich an.
„Wie durch ein Wunder? Latifa, wach auf! Das war kein Wunder! Das war Betrug! Tamima, die junge Frau kroch aus der Brandruine, wie Phoenix aus der Asche und war unversehrt! Kein Härchen hatte sich bei ihr durch die Feuersbrunst gekräuselt! Nichts! Einzig ein wenig rußgeschwärzt war sie, aber sonst heil und unversehrt! Glaubst du, das ging mit rechten Dingen zu? Und heute ist Tamima Hassans Weib. Herrisch, eitel und selbstgefällig! Ich glaube: Vor der hat selbst Hassan manchmal mächtig Dampf!“ Schweigen legte sich über die beiden. Die Kinder begannen zu lärmen, so dass sie Latifa zur Ordnung rufen musste. Der Säugling schmatze an ihrer Brust und sie sagte:
„Da war da auch noch die Sache mit dem Schlangenbiss!“ Omar winkte ab.
„Ach ja, siehst du, das war auch wieder typisch Hassan. Jassir wird von einer Kobra in die Wade gebissen und Hassan machte den Leuten glauben, dass es nur eine harmlose Natter gewesen sei!“
„Und bei Saliha!“, eiferte Latifa, „machte er den Leuten nach ihrem Sturz vom Kamel weis, dass sie sich den Hals gebrochen habe und mit dem Tod ringe! In Wirklichkeit stellte ihr Mann fest, nachdem man sie in die Hütte gelegt hatte, dass sie nur vor Schreck ohnmächtig geworden war und ihr sonst weiter nichts fehlte!“
Omar atmete schwer und schwieg!
„Wenn du dich weiter so aufregst, wirst du nie wieder gesund!“ schalt ihn Latifa sanft. „Hörst du, Omar!“ Doch ihr Mann hörte nichts mehr. Er hatte sein Antlitz langsam zur Seite geneigt und war über seiner Empörung eingeschlafen. Die Augen Latifas waren starr auf den aufsteigenden Qualm des Hüttenfeuers gerichtet, der sich fast geradlinig seinen Abzug durch das Loch im Dach suchte. Dann streichelte sie sanft ihren schlafenden Mann und flüsterte:
„Omar, wir schaffen das! Du wirst uns wieder gesund, hörst du und dann gehen wir zu Hassan und streichen unseren Gewinn ein. Wer weiß, vielleicht müssen wir unseren Verschlag etwas vergrößern? So eine Ziege braucht auch ihren Platz!“, sie lachte leis e: „ Und eine Kuh oder ein Ochse braucht noch mehr davon!“
Latifa stand entschlossen auf, legte ihren ebenfalls schlafenden Säugling vorsichtig in die kleine Bettkiste, legte Brennmaterial nach, kümmerte sich um etwas Essbares und verließ die Hütte, um die Ziege zu melken…