Omas Decke

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Gue

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Privato
oder
Die Decke meiner Großmutter

Orientierungslos lief ich durch einen Wald von Sonnenschirmen. Irgendwo zwischen den gelben, roten, blauen, grüngestreiften und den zwanzig ungenannten Farbzusammenstellungen muss meine Decke liegen. Eine ganz besondere Decke. Meine Großmutter hatte sie mir vor 25 Jahren als Geschenk von einer Kenia - Safari mitgebracht. Bunt, äußerst strapazierfähig und als stetiger Begleiter war sie mir ans Herz gewachsen.
Als ich vor ein paar Stunden aus langer Weile beschloss, mich in die italienische Adria zu stürzen, konnte ich nicht ahnen, was für ein guter Tag heute noch werden würde. Erfrischendes Wasser hatte ich ebenso erhofft und erwartet wie den wunderschönen Anblick sonnengebräunter Körper. Die ziemlich starke Strömung und das Folgende dagegen sicherlich nicht. Kaum aus dem Wasser heraus, kamen die ersten Zweifel hinsichtlich meines Standortes. Lief ich in die richtige Richtung? Aus so kurzer Entfernung sah es aus, als ob jeder Quadratzentimeter des Strandes vermietet war. Ich musste nachdenken. Ein etwas vergilbter, ehemals wohl grüner Liegestuhl war frei. Kaum hatte ich mich hingesetzt um mir eine Strategie meiner weiteren Vorgehensweise zu Recht zu legen, brüllte es neben mir: „Privato!“ und als ob ich hochgradig schwerhörig wäre noch einmal mit Nachdruck: „Privato!“
Alles in mir zuckte zusammen. Ein offensichtlich sehr auf das Wohl von Strandmöbeln bedachter Mitmensch stürmte auf mich zu. Mein erster Gedanke - Flucht. Völlig außer sich fuchtelte mein Gegenüber mit einer Zeitung vor mir herum und machte mich zum dritten Mal auf seinen sehr beschränkten Wortschatz aufmerksam: „Privato!“ Durch die Blicke einiger Landsleute bekam er offensichtlich ausreichende Unterstützung. Mir war sofort klar, dass es jetzt wenig Sinn machen würde, diesem scheinbar zum Kampf bereiten italienischen Stier die Geschichte mit meiner Decke anzubieten. Auch der Spruch: „Ich komme in friedlicher Absicht, lasst uns verhandeln“ hätte mich in diesem Moment wahrscheinlich auch nicht viel weiter gebracht. So räumte ich mit einer kleinen abwehrenden Geste die Arena. Italiener sind sehr angenehme und nette Zeitgenossen, war jedenfalls die von mir hoch geschätzte Meinung meiner vielgereisten Großmutter. Na gut. Die erste Chance, das zu beweisen, hatten sie gründlich vermasselt.
Die Grenze zwischen den roten und den gelbweißgestreiften Sonnenschirmen hatte ich gerade schadlos überschritten, als mir ein Haus am äußersten Rand des Strandes auffiel. Ich hatte es heute schon einmal gesehen. Entschlossen steuerte ich darauf zu. Unter meinen Füßen brannte der heiße Sand. Wie von Geisterhand wurden die Schritte länger und schneller. Nach etwa einhundert Metern, ein Glücksgefühl. Da war sie, die unverwechselbare Decke meiner Großmutter. Erleichtert ließ ich mich fallen. Durst! Der Gedanke, bis zum Kiosk wieder in den heißen Sand zurück zu müssen, schreckte mich ab. Bekanntlich ist Durst schlimmer als Heimweh. Für mich war in diesem Moment in dieser Frage kein Unterschied zu erkennen. Wie gerne würde ich jetzt zu Hause über den im Sommer so angenehmen Fliesenfußboden zum Kühlschrank schleichen, mir ein kühles Bier holen, mich dann in den Fernsehsessel fläzen und alles ohne dass man mich anbrüllen würde, ich sei auf lange privatisiertem fremden Territorium.
Gerade als ich der zunehmenden Trockenheit unter meiner Zunge nachgeben wollte, kam einer dieser meist im Rudel auftretenden wilden Strandhändler auf mich zu. Verhüllt, sich vor der Sonne schützend mit einem bunten Kaftan und einem Basecap mit der Aufschrift „Brasil“, sprach mich der dunkelhäutige junge Mann in gebrochenem deutsch an. „Du haben schöne Decke. Ich gute Ware, alles Handarbeit und Unikate aus Heimat.“ Ohne auf irgendeine Reaktion meinerseits zu warten, baute er sich und seine Schaukästen mit den unzähligen Broschen, Ringen, Ketten und Armbanduhren vor mir auf. Unter dem Arm trug er ein dickes Buch. Über der linken Schulter lagen einige sehr farbenfrohe Kleidungsstücke aus offensichtlich sehr leichten Stoffen. „Was ist in dem Buch?“ fragte ich interessiert. Er legte die Kleidungsstücke von der Schulter, kam noch einen Schritt näher und hockte sich hin. Das Buch postierte er zwischen uns, so dass ich es von meiner Seite aus gut einsehen konnte. „Tattoos.“ Tattoos? Meine Nichte hatte einmal davon erzählt. Sie wollte sich irgendeinen Drachen auf den Hintern tätowieren lassen. Verstanden hatte ich das seinerzeit nicht. Der junge Händler öffnete das schon etwas strapazierte Buch. Da waren sie, die Drachen, Piratenköpfe, Schlangen, Comicfiguren und die unzähligen asiatischen Symbole. Ehrlich gesagt, konnte ich mir von all diesen Dingen beim besten Willen nichts auf meinem Allerwertesten vorstellen. Die Einstellung zu Tattoos musste offenbar in meinem Gesichtsausdruck ablesbar gewesen sein, denn mein Gegenüber klappte das Buch schlagartig zu und versuchte meine Aufmerksamkeit auf die Schmuckkästen zu lenken. „Echte Silber“. Der Händler zeigte auf einen Kettenanhänger in Form einer Sonne. Hübsches Stück dachte ich und fragte nach dem Preis. „Zehn Euro Freundpreis“ erwiderte der Händler. Zu teuer, ließ ich nach kurzer Pause mit einem Kopfschütteln durch-blicken und zeigte auf ein anderes Stück. Das Ganze dauerte so etwa zehn Minuten bis der junge Farbige mich darauf aufmerksam machte: „Du müssen handeln“. Mir war das schon klar, doch im Grunde genommen wollte ich ja nichts kaufen, sondern war froh über die sich ergebende kleine Abwechslung. Meine Frage, ob er auch kalte Getränke hätte, schien ihn schwer zu verärgern. Seine Bemerkung: „Schöne Decke sonst arm“ ließ unmissverständlich darauf schließen. Meine verbale Entschuldigung untermauerte ich mit dem Kauf der silbernen Sonne aus dem ersten Schaukasten. Natürlich als Mitbringsel für Großmutter. Zudem war das Bedürfnis, mich als besseren Menschen darzustellen, geweckt. In der nächsten halben Stunde versuchten wir mit Händen und Füßen, sowie vielschichtigen sprachlichem Halbwissen, dem An-deren unser Leben näher zu bringen. Glaubte ich. Als Giovanni aufbrach, um noch ein paar Lire für seine aus brasilianischem Vater, italienischer Mutter und acht Geschwistern bestehenden Familie zu verdienen, hatte ich ihm noch zwei Ringe, eine Armbanduhr und ein Strandkleid abgekauft. Das Kleid würde meiner Nichte bestimmt nicht sonderlich gefallen, doch das war mir in diesem Augenblick völlig egal. Geraume Zeit später hätte ich bestimmt auch noch über eine geeignete Stelle für einen Drachen nachgedacht. Ich fühlte mich irgend-wie gut, bis auf den unbändigen Durst, der mich immer noch plagte.
An dem kleinen Kiosk hinter mir, der mich ein wenig an das gute Leben der Kaninchen bei meinen Eltern erinnerte, hatte sich eine Schlange gebildet. Die üppige Reklame ließ nicht nur auf mindestens zwanzig Eissorten schließen, sondern versprach auch eiskalte Getränke. Ich ging hinauf und stellte mich an. Die Schlange vor mir geriet etwas ins Stocken.
Offensichtlich hatten die kleinen Italiener, die gerade mit dem Verkäufer verhandelten, nicht genügend Geld um ihre Wünsche zu verwirklichen. Einen Moment lang schaute ich mir die immer stimmgewaltiger werdende Szene an und ging dann an den Wartenden vorbei nach vorn. Der Kleinste der drei Bambinos fing soeben mit Heulen an, als eines der Mädchen versuchte, ihm eine Tüte mit Süßigkeiten aus der Hand zu nehmen. „Wie viel bekommen Sie?“ fragte ich den schon etwas älteren Herrn hinter dem Ladentisch. „Es fehlen zwei Euro.“ Mit hochgestrecktem Daumen und Zeigefinger verdeutlichte er seine Forderung. Ich nahm das Geld aus meiner Börse und gab es ihm. Als ich mich umdrehte, waren die kleinen Stimmungsmacher bereits verschwunden. Der ältere Herr lächelte und auch ich konnte mir ein kleines Schmunzeln nicht verkneifen. „Was wünschen Sie mein Herr?“ „Bitte eine kalte Cola, aber ich bin doch noch gar nicht an der Reihe.“ Er nahm eine Büchse aus der Kühltruhe und gab sie mir. „Danke, ich wünsche Ihnen noch schöne Tage hier, und grüßen Sie Deutschland von mir.“ Das Geld, das ich ihm reichen wollte, wies er zurück. „Das ist mein Geschenk für Sie.“ Nun wandte er sich wieder seiner Kundschaft zu. Es waren etwa zwei Stunden vergangen seit dem ich meinen Urlaubsfrust im Meer ertränken wollte, doch nun war ich mir sicher - nächstes Jahr fahre ich wieder weg. Vielleicht noch einmal nach Italien oder sogar nach Brasilien. Auf keinen Fall aber ohne die Decke meiner Großmutter.
 

hein

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Hallo Gue,

schöne Geschichte.

Du solltest einige Absätze einfügen. So ist es schwer zu lesen.

Und: einmal schreibst du "um noch ein paar Lire "; dann „Es fehlen zwei Euro.“ Das passt nicht ganz zusammen.

LG
hein
 



 
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