Opa spinnt

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Opa spinnt

Unser Leben änderte sich, als Oma starb.
Opa war total am Boden zerstört. Er saß nur in seinem Ohrensessel und starrte vor sich hin, wollte nichts essen, nichts trinken. Niemand konnte ihn bewegen, an der Beerdigung teilzunehmen.
Im Krankenhaus wurde er zwangsernährt. Die Ärzte empfahlen seinem Sohn, meinem Vater, ihn eine Zeit lang bei sich aufzunehmen. Er dürfe auf keinen Fall allein in seine Wohnung zurück. Mutter schaute sehr zweifelnd auf den Arzt:
“ Ob das gut geht?“
Nun zog er bei uns ein. Ich musste mein großes Zimmer räumen und in das viel kleinere Gästezimmer umziehen. Na ja, dachte ich, für eine kurze Zeit geht es wohl. Ich war 15 Jahre damals.
Opa erholte sich erstaunlich schnell und fing an, meine Mutter zu ärgern. Mein Vater kriegte das alles nicht mit, er ging ja arbeiten.
Opa brachte auf eine seltsame Art meine Mutter zur Weißglut.
Hatte er vorher kaum was gegessen, machte er sich jetzt über die Mahlzeiten her.
Sagte meine Mutter zu ihm: „ Mampf doch nicht so, “ diskutierte er stundenlang mit ihr, was denn das Wort Schwampf zu bedeuten hätte. Obwohl meine Mutter abstritt, Schwampf gesagt zu haben, blieb er dabei.
Beim nächsten großen „Fressen“ fragte er wieder, und das mit einem perfiden Lächeln: „Schwampf ich dir wieder zu sehr?“
Wäre Mutter doch etwas gelassener geblieben, aber sie wusste ja, dass er sie absichtlich ärgern wollte und dies auch ausgiebig tat.
Mein Vater lachte nur darüber, wenn meine Mutter ihm abends davon erzählte.
Als meine Mutter ihren Schwiegervater einmal fragte, ob er trinken wollte, sagte er: „Nein, ich bin total sitt.“ „Was soll das denn schon wieder?“ fragte sie ärgerlich. „ Wenn ich keinen Hunger habe, bin ich satt, habe ich keinen Durst, bin ich sitt“, antwortete er.
Als Vater und ich uns diese neuen Worte auch aneigneten, flippte Mutter fast aus.
Sie und ihr Schwiegervater hatten sich nie so gut verstanden. Vielleicht war das der Grund, warum sie ihm gegenüber so unduldsam war.
Schwampf und sitt waren also bei uns geflügelte Worte.
Wir warteten schon gespannt, welches abstruse Wort bald unseren Sprachschatz erweitern sollte. Lange brauchten wir nicht zu warten. Als Opa sich mal bekleckerte, rief er: „ Inge, bring mir mal ein Tuch, ich habe mich geplenkt und bin hier ganz peekig.“ Mutter war sauer, sie holte kein Tuch zum Saubermachen, rannte aus dem Zimmer und ich hörte sie leise weinen.
Ich habe dann recherchiert, ob diese Worte eigentlich wirklich existieren.
Mit dem Wort Plenk wird im Netzjargon ein Leerzeichen vor einem Satzzeichen bezeichnet, das dort nach den Regeln für den Schriftsatz nicht hingehört.
Ich verstand Opa nicht, warum er Mutter mit diesem falsch angewandten Wort wieder mal auf die Palme bringen wollte.
Peekig fand ich auch. Das Wort gab es und hieß dreckig. Auch nach Schwampf und sitt fahndete ich. Schwampf war ein Kunst- oder Quatschwort, doch sitt hatte man wirklich schon mal für „durstlos“ vorgeschlagen.
Je gesunder Opa wurde, desto dicker wurde die Luft. Es wurde nur noch gestritten. Als er es mal wieder auf die Spitze trieb, sagte Mutter mit einer ganz ruhigen, sehr veränderten Stimme:
„Was ich jetzt sage, ist kein Euphemismus. Es ist einfach incommensurable. Ich bin für Klasterung. Der Alte kann jetzt auf den Löseplatz gehen.“
Dann lachte sie hysterisch und hörte nicht mehr auf.
Der Rettungswagen brachte sie in die Psychiatrie.
Nach drei Monaten kam sie zurück.
Opa lebte wieder pumpergesund in seiner eigenen Wohnung.
Wir sind zu einem ganz normalen, ruhigen Familienleben zurück gekehrt.

Euphemismus -Beschönigung - Incommensurable unvergleichbar,
Klasterung Aufteilung ,Löseplatz (Jägersprache) = der Platz, wo die Hunde kacken
 

molly

Mitglied
:) Sehr gern gelesen. Ich habe förmlich auf das nächste "Fremdwort" gewartet. Jedenfalls nehme ich sie in mein kurioses Lexikon auf.
Liebe Grüße
molly
 

Hagen

Mitglied
Hallo Marie-Luise,

das war ja devastierend, was der ehrwürdige Herr von sich gegeben hat.
Aber dass die Mutter deswegen in die Institution für Seelenheilkunde, im Jargon ‚Agentenschule‘ genannt, eingeliefert worden ist, erscheint mir etwas inadäquat.

Notabene gibt es in Deiner Story manche Plenks, die Du sicher eingebettet hast, um des geneigten Lesers Wachsamkeit zu fordern, denn bisher kannte ich dieses Wort nicht.
Lesen, ganz besonders die Leselupe, bildet eben.

Viele Grüße und küss die Hand, gnädige Frau!
Yours Hagen
___________________________
Ungeachtet der Geschichte, die vom Autoren an den geneigten Leser geliefert wird, sollte der Autor eigenmächtig seinen eigenen Stil verwenden, welcher nur mit seinen Eigenheiten auf dem Weg des Geheimnisvollen und unnatürlichen Umänderungsfaktoren vom Leser zu verwenden ist.
 

Nosie

Mitglied
Ich habe mit großem Vergnügen deine Geschichte gelesen und für mich lässt sie auch eine völlig andere Interpretation zu. Opa hat Anwandlungen von Demenz mit beginnendem Sprachverlust, sein Enkel ist aber zu jung um das zu begreifen und sucht nach Erklärungen. Der Witz dabei ist, dass er die tatsächlich im www findet. Passt ganz zu meiner Erfahrung: es gibt nichts auf dieser Welt, wo Tante Google nicht was dazu ausspuckt.
Aber egal, wie's gemeint war, die story ist blendend erzählt.

Liebe Grüße
Nosie
 

DocSchneider

Foren-Redakteur
Teammitglied
Hallo Marie-Luise,
ich frag mich, wie viele Frauen tatsächlich in der Psychatrie landen, weil sie mit der Pflege von Angehörigen total überfordert sind.
Das Thema eignet sich überhaupt nicht für eine Satire. Die Personen in Deiner Geschichte werden nur lächerlich gemacht und sind weder liebevoll noch karikierend gezeichnet, sondern einfach nur plump.

Sorry,

lG, Doc
 

Happy End

Mitglied
Also, ich sehe das so:
Vielleicht hat sich die Mutter nicht nur an Opas Spracheskapaden gestört, sondern auch daran, dass er, wenn er gekleckert hatte, sich nicht mal SELBER einen Lappen holen konnte???
Bei dieser Generation Männer war es noch üblich, sich von Frauen bedienen zu lassen. Und wenn die eigene tot war, dann musste selbstverständlich die Schwiegertochter ran. Weiß ich aus eigener Erfahrung.
Und dann hat der alte Knacker noch Spaß dran, die arme Frau in den Wahnsinn zu treiben --- muss man sich jetzt mal vorstellen!
 
Hallo Happy End,
richtig, so war es. Die beiden konnten sich vor dem Zusammenleben schon nicht verstehen.
Er hat seine Schwiegertochter bewusst geärgert. Dement war er nicht.

Viele Grüße,
Marie-Luise
 

herziblatti

Mitglied
Hallo Marie-Luise Wendland, gut gebaute Realsatire, mag ich. Der Schwiegertochter/Figur könnte etwas Humor/Selbstironie nicht schaden :) und genau hierzu eine Anregung
Was ich jetzt sage, ist kein Euphemismus. Es ist einfach incommensurable. Ich bin für Klasterung. Der Alte kann jetzt auf den Löseplatz gehen.“
danach sollte die Schwiegertochter noch etwas ganz Unerwartetes tun, eine liebevolle Geste etc. und nicht hysterisch ausflippen, ein versöhnliches Ende vielleicht, hm? Opas Provokationen - wie Kinder es auch häufig tun, hm? Aber, wie bereits gesagt: sehr gern gelesen. LG - herziblatti
 
Hallo herziblatti,
ich danke dir für den für mich wertvollen Vorschlag.
Vielleicht ist der Schluss einfach zu krass. Ich werde versuchen, es zu ändern.
Nochmals danke.

Viele Grüße,
Marie-Luise
 
Opa spinnt

Unser Leben änderte sich, als Oma starb.
Opa war total am Boden zerstört. Er saß nur in seinem Ohrensessel und starrte vor sich hin, wollte nichts essen, nichts trinken. Niemand konnte ihn bewegen, an der Beerdigung teilzunehmen.
Im Krankenhaus wurde er zwangsernährt. Die Ärzte empfahlen seinem Sohn, meinem Vater, ihn eine Zeit lang bei sich aufzunehmen. Er dürfe auf keinen Fall allein in seine Wohnung zurück. Mutter schaute sehr zweifelnd auf den Arzt:
“ Ob das gut geht?“
Nun zog er bei uns ein. Ich musste mein großes Zimmer räumen und in das viel kleinere Gästezimmer umziehen. Na ja, dachte ich, für eine kurze Zeit geht es wohl. Ich war 15 Jahre damals.
Opa erholte sich erstaunlich schnell und fing an, meine Mutter zu ärgern. Mein Vater kriegte das alles nicht mit, er ging ja arbeiten.
Opa brachte auf eine seltsame Art meine Mutter zur Weißglut.
Hatte er vorher kaum was gegessen, machte er sich jetzt über die Mahlzeiten her.
Sagte meine Mutter zu ihm: „ Mampf doch nicht so, “ diskutierte er stundenlang mit ihr, was denn das Wort Schwampf zu bedeuten hätte. Obwohl meine Mutter abstritt, Schwampf gesagt zu haben, blieb er dabei.
Beim nächsten großen „Fressen“ fragte er wieder, und das mit einem perfiden Lächeln: „Schwampf ich dir wieder zu sehr?“
Wäre Mutter doch etwas gelassener geblieben, aber sie wusste ja, dass er sie absichtlich ärgern wollte und dies auch ausgiebig tat.
Mein Vater lachte nur darüber, wenn meine Mutter ihm abends davon erzählte.
Als meine Mutter ihren Schwiegervater einmal fragte, ob er trinken wollte, sagte er: „Nein, ich bin total sitt.“ „Was soll das denn schon wieder?“ fragte sie ärgerlich. „ Wenn ich keinen Hunger habe, bin ich satt, habe ich keinen Durst, bin ich sitt“, antwortete er.
Als Vater und ich uns diese neuen Worte auch aneigneten, flippte Mutter fast aus.
Sie und ihr Schwiegervater hatten sich nie so gut verstanden. Vielleicht war das der Grund, warum sie ihm gegenüber so unduldsam war.
Schwampf und sitt waren also bei uns geflügelte Worte.
Wir warteten schon gespannt, welches abstruse Wort bald unseren Sprachschatz erweitern sollte. Lange brauchten wir nicht zu warten. Als Opa sich mal bekleckerte, rief er: „ Inge, bring mir mal ein Tuch, ich habe mich geplenkt und bin hier ganz peekig.“ Mutter war sauer, sie holte kein Tuch zum Saubermachen, rannte aus dem Zimmer und ich hörte sie leise weinen.
Ich habe dann recherchiert, ob diese Worte eigentlich wirklich existieren.
Mit dem Wort Plenk wird im Netzjargon ein Leerzeichen vor einem Satzzeichen bezeichnet, das dort nach den Regeln für den Schriftsatz nicht hingehört.
Ich verstand Opa nicht, warum er Mutter mit diesem falsch angewandten Wort wieder mal auf die Palme bringen wollte.
Peekig fand ich auch. Das Wort gab es und hieß dreckig. Auch nach Schwampf und sitt fahndete ich. Schwampf war ein Kunst- oder Quatschwort, doch sitt hatte man wirklich schon mal für „durstlos“ vorgeschlagen.
Je gesunder Opa wurde, desto dicker wurde die Luft. Es wurde nur noch gestritten. Als er es mal wieder auf die Spitze trieb, sagte Mutter mit einer ganz ruhigen, sehr veränderten Stimme:
„Was ich jetzt sage, ist kein Euphemismus. Es ist einfach incommensurable. Ich bin für Klasterung. Der Alte kann jetzt auf den Löseplatz gehen.“
Dann lachte sie hysterisch, ein unnatürliches Lachen.
Mein Vater und ich schauten sie besorgt an. Selbst Opa war das Grinsen vergangen.
„So“, sagte Mutter dann, „ ihr werdet jetzt jeden Tag ein Quatschwort von mir hören. Ob ihr es versteht oder nicht, das ist mir egal. Heute habe ich mein „Pulver verschossen“. Wartet geduldig darauf, was ich morgen sage.“
Am nächsten Tag kam Mutter fröhlich in die Küche mit den Worten:“ Heute ist ein urster Tag, ich koche für den Quarrer nicht.“ Wir kannten das Wort Quarrer zwar nicht, doch wussten wir genau, wen sie damit meinte.
So tauchte jeden Tag ein neues, unverständliches Wort auf. Vater und ich fanden das ja lustig, doch Opa war sauer. Er war nicht mehr Mittelpunkt.
Nach kurzer Zeit beschloss er, in seine Wohnung zurück zu kehren.
Wir führten nun wieder ein ganz normales, ruhiges Familienleben.
Ab und zu tauchten aber die seltsamen Wörter in unserer Unterhaltung noch auf, und wir lachten uns schlapp.
Einmal hörte ich, wie Vater Mutter lobte, weil sie den Angriffen durch Opa zu guter Letzt so souverän begegnet war.


Euphemismus -Beschönigung - Incommensurable unvergleichbar,
Klasterung Aufteilung ,Löseplatz (Jägersprache) = der Platz, wo die Hunde kacken
 

molly

Mitglied
Hallo Marie-Luise,
mit diesem Schluss gefällt mir die Geschichte noch besser. Aber ich habe mich vorher schon schlapp gelacht, schließlich pflegte ich meinen Schwiegervater in seinem letzten Jahr. Auch er wollte immer im Mittelpunkt stehen ...
Liebe Grüße
molly
 

Happy End

Mitglied
Hallo Marie- Luise und molly,
im Mittelpuknt stehen, ist es wirklich nur das?
Ich an der Stelle der Mutter hätte es so empfunden, als würde mir hier jemand in meinem eigenen Haus seine Regeln aufzwingen wollen.
Das Ende der Geschichte kann meiner Meinung nach nicht böse genug sein.
Vielleicht hätte sich die Mutter einen Job suchen, und von heute auf morgen keine Zeit mehr für ihn haben sollen.
Oder die Tochter liest mit auf dem Wohnzimmertisch liegenden Füßen demonstrativ die "Emma", die sie sich am Kiosk gekauft hat, und lernt, sich zu artikulieren.
 



 
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