Opfer der Werbung

hera

Foren-Redakteur
Teammitglied
Tage wie dieser kann man voll vergessen.
Der Zahnarzttermin stand an.
Ich sah in den Spiegel und stellte fest, dass ich mein Haar wieder nicht voll unter Kontrolle hatte. Das hat man davon, wenn man sein Haar nur coloriert, anstatt es zu colorieren und zu pflegen.
Aber mein Zahnarzt wird sich wohl kaum um meine Haare kümmern. Er will in meinen Mund sehen.
Eilig kramte ich im Badschrank herum, wo ich alles an Pflegeartikeln gesammelt hatte, was unter die Rubrik: Blitzschnell-zugreifen-und profitieren fiel.
Hach, da war ja noch eine Zahncreme, die gegen Zahnstein, normale Karies, Zahnhalskaries und Zahnfleischschwund half. Allerdings war mir nicht ganz klar, wohin mein Zahnfleisch verschwinden sollte. Na egal, ich putzte ganze zehn Minuten. Hoffentlich hält der Zahnschmelz das aus.
Bevor ich ging, nahm ich noch eine Baldrianpillchen, die machen alles ganz leicht. Trotzdem, mir war mulmig zumute. Jetzt einfach wegfliegen und am Strand aufwachen, wünschte ich.
Die nette Arzthelferin begrüßte mich mit einem strahlenden Lächel und ich durfte ins Wartezimmer. Ich setzte mich ans Fenster, neben einen schönen Blumentopf. So viel Extra muss sein.
Es dauerte und dauerte und dauerte. Die werden doch hier nicht die Welt anhalten?
Was soll man tun, wenn's mal wieder länger dauert? Richtig! Ich aß einen Riegel. Diese Sorte gibt es auf Wunsch jetzt sogar eine Nummer größer.
Aber was tat ich da? Auch wennn hier eine extra große Portion Milch drin ist, dass war keine Entschuldigung für mich, beim Zahnarzt mit schokoladenverschmierten Zähnen aufzutauchen. Na ja, wenn's schön macht.
Mein Handy piepte. Eine SMS: "Komm und lass dich verzaubern." Ohne Unterschrift. Von wem kam das? Ach, ich will es gar nicht wissen. Das juckt mich Null.
Eine andere Patientin starrte interessiert auf mein Handy.
"Entweder man hat es oder man braucht es", sagte ich und nickte ihr freundlich zu. "Mit dem Ding ist verdammt viel möglich."
Ich steckte mein Handy wieder ein, nahm eine kleine Flasche Wasser aus der Tasche und trank einen Schluck. Es war total langweilig hier und so konnte wenigstens mein Durst was erleben. Meine Zähne fühlten sich gleich viel glatter an. So muss es glänzen.
"Und was ist mit Tee?", fragte die andere Patientin.
"Nee", sagte ich. "Da sind doch immer diese Metallklammern am Teebeutel. Wasser ist da besser. Da kann man Geld sparen und gleichzeitig die Umwelt schonen. Und dann, was ich besonders gut finde, kann man der Verpackung ein neues Leben schenken, als Bagger oder Feuerwehrauto.
Das Geräusch eines quietschenden Bohrers drang aus dem Behandlungszimmer. In Dolby Surround!! Das Herz rast, der Puls auf 180...
Dann fiel es mir wie Schuppen von den Augen: Was wollte ich eigentlich hier? Ich hatte doch mit Zahncreme gegen alle Zahnprobleme, auf die ich mich mit über 40 gefasst machen sollte, geputzt. Und ich war noch nicht mal 40. Noch lange nicht. Mein Zahnklempner würde gar nichts für mich tun können.
Ich beschloss zu gehen. Da gab es schließlich jemanden, der hatte schon Kaffee gekocht und wartete nur darauf, mich zu beraten. Da kriegt jeder, was er will.
 

Frank Zimmermann

Junior Mitglied
Werbung

Eine schöne Idee, das Thema auf Werbung umzumünzen, ziehen sich Werbeslogans doch wie ein roter Faden durch unsere Sprache. Allerdings mußte ich feststellen, daß ich wohl einige Zitate nicht mehr entdecke, weil ich seit einem halben Jahr keinen Fernsehanschluß mehr habe...
Danke, daß Du die erste bist, die im Juni mit von der Partie ist.
 
W

willow

Gast
Da weiss man, was man hat...

Hallo hera,

als alter Fernsehjunkie muss ich sagen, dass ich echt BEGEISTERT bin, von deiner Schreibaufgabe.Das war wirklich klasse. Hab gelacht, dass mir fast die Plomben rausgefallen sind.

Echt toll!!!


Lieber Gruß,

Willow
 

jon

Mitglied
Teammitglied
Wie wahr!

Danke, hera,

für diese Gesellschaftstudie. Sie ist so wahr, dass mir das Schmunzeln nicht recht geriet, obwohl es oft, wirklich oft in mir aufstieg.
 

hera

Foren-Redakteur
Teammitglied
Hallo!

Vielen Dank für eure Nachrichten.
Ich bin übrigens auf das Thema gekommen, weil meine Tochter in der Schule einen ernsthaften Aufsatz zum Thema "Sind wir Opfer der Werbung?" schreiben sollte. Das war für die ganze Klasse nicht einfach und viel zu ernst. Deswegen habe ich gedacht, ich mache mich mal richtig lustig über die Werbung. Und jetzt hat es gerade hier her gepasst.

hera
 



 
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