Opfer und Täter

Hera Klit

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Opfer und Täter

Ein Komodowaran attackiert eine Ziege. Mit das grausamste Geschehen, das ich mir bisher ansehen musste. Musste? Nein, ich musste nicht, aber ich habe es getan, weil bei mir die Hoffnung auf ein Happyend permanent mitschwang. Glaube ich. Also, ich bin doch keiner der Grausamkeiten anschauen will? Nein, ich schaue auch keine Krimis.

Schon hingen die Hinterbeine der Ziege schlapp herab und an eine geglückte Flucht des lieblichen sanften Tieres war kaum noch zu denken. Ich litt schrecklich mit. Sind Ziegen Opfertiere, die dafür gemacht sind, sich abmurksen zu lassen? Man könnte es meinen.
Muss man dies filmen? Kann man keine Eisenstange hernehmen und dem Waran die Schädeldecke zertrümmern? Gibt es keine Tierliebe mehr?

Später las ich, dass Komodowarane Gift absondern, bei jedem Biss und damit in der Lage sind, einen ausgewachsenen Wasserbüffel zur Strecke zu bringen. Sie lauern an einem Wildwechsel und wenn der Büffel vorbeitrabt, schnappen sie ihn kurz an der Achillesferse.

Der Büffel reißt sich freilich los, aufgrund seiner immensen Stärke, doch der Waran kann sich darauf verlassen, dass er den Büffel bald tot irgendwo finden wird, denn seine stetig züngelnde Zunge riecht ausgezeichnet, besonders Aas, das irgendwo herumliegt.

Ich kann das langsame Sterben der Ziege jetzt nicht mehr ertragen und erste Versuche sie komplett zu verschlucken seitens des Warans, schlagen mir auch langsam auf den Magen. Ich klicke weg.

Doch was ist das? Ein Kriminalfall, der sich hier ganz in der Nähe abspielte, wird aufgerollt. Ich kann nicht wegklicken, ich muss doch wissen, ob die Sache ein gutes Ende findet.

Ein etwa dreißigjähriger Mann, der es offensichtlich nach Feierabend nicht eilig hatte, zu seiner Frau nach Hause zu kommen, holte zunächst eine Kiste Mineralwasser in einem Getränkeshop und kehrte danach noch für zwei, drei Biere in einer Dorfkneipe ein.

Recht spät bei ziemlicher Dunkelheit brach er endlich nach Hause auf. Sicher wurde er schon sehnsüchtig erwartet, von seiner treuen Gemahlin. Dennoch hielt er noch an einem Waldparkplatz an. Warum kann nicht recht nachvollzogen werden, von dem Polizeibeamten, der den Fall, den er selbst letztlich aufklärte, genau schildert.

Der junge Mann saß in seinem Wagen bei heruntergelassener Seitenscheibe und rauchte eine letzte Zigarette, als der Täter von hinten seitlich herantrat und ihm eine Kugel in den Kopf schoss. Einfach so. Warum kann nicht gesagt werden. Der Unhold schubste das Opfer zunächst in dessen Wagen hin und her, das ist ersichtlich aus dem vielen Blut, das überall verteilt ist und zerrt ihn letztlich aus dem Wagen heraus. Da ein weiterer Wagen sich nähert, muss der Mörder sich schleunigst aus dem Staub machen.

Die Polizei nimmt einen völlig Unbeteiligten fest, der zufällig hundert Meter entfernt auch in seinem Auto saß und vor sich hin sinnierte, und steckte ihn so lange -ohne jegliche Beweise- in Untersuchungshaft, bis der wahre Täter endlich eine zweite Tat beging.

Da sieht man mal wieder, es ist auch heute noch ungünstig, im falschen Moment am falschen Ort zu sein. Wäre der Haupttäter niemals zum Serientäter mutiert, hätte der Unschuldige sein Leben lang brummen müssen. Dieser Aspekt der Geschichte, macht mir fast soviel Angst, wie der zweite Mord.

Hier war es ein älterer Mann, der sich auf einem einschlägigen Cruisingparkplatz etwas umsah, den das grausame Schicksal traf. Eine Kugel, von hinten in den Kopf, einfach so.
Die Polizei fand eine Patronenhülse am Tatort. Immerhin. Ein Indiz.

So simple Morde schienen den Täter nicht weiter zu befriedigen, deswegen erdreistete er sich mitten auf einem gut besuchten Parkplatz, mit einem Messer in der Hand, die Beifahrertür des Wagens eines nicht mehr ganz jungen Herrn aufzureißen und zu verlangen, dieser solle losfahren, womöglich in den nächsten Wald.
Der nicht mehr ganz junge Herr dachte aber nicht im Mindesten daran, einfach das willfährige Opfer zu spielen, außerdem wusste er auch natürlich nichts von der Grausamkeit und Gefährlichkeit seines ungebetenen Fahrgastes, deswegen hatte er den Mut, mit beiden Händen die Klinge des drohend hingestreckten Messers zu packen und trotz sicherlich erheblicher Schnittverletzungen und Schmerzen dem Angreifer die Waffe abzuringen und aus dem Wagen zu springen.

Der Täter konnte fliehen, aber er wurde dennoch bald gefasst, weil die Kripo einen Hinweis auf seinen Wagen erhalten hatte. Ein schwarzer BWM, in dessen Kofferraum die Tatwaffe sichergestellt werden konnte.

Eine Sportpistole. Wiedermal! Der Täter war ein ca. sechzigjähriger Mann, der völlig untadelig in einer langjährigen Ehegemeinschaft lebte. Seine Frau fiel aus allen Wolken, als sie von den Taten ihres Mannes erfuhr. Sie ahnte nicht das geringste.

Mich brachte das Ganze zum Grübeln. Kann es sein, dass uns gewisse Sehnsüchte, Prägungen und Gestimmtheiten zu Opfern machen, die dann -ähnlich wie bei der bedauernswerten Ziege- Frassfeinde, Täter oder Mörder geradezu magisch anziehen?

Ich fürchte mich neuerdings etwas im Wald, auch weil Bären und Wölfe sich zusehends wieder ausbreiten.
 
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