Orientierung

sufnus

Mitglied
Hi Freedom,

ich rate in der Lyrik von der Benutzung einer derartig abstrakten Formelsprache eher ab.
Bei Deinem Text ist keines der Substantive (inklusive des Titels) wirklich konkret (ggf. mit Ausnahme der Zielscheibe, die hier jedoch erkennbar ins Metaphorische entrückt wurde und somit auch keine wirklichkeitsgesättigte, fassliche Dartscheibe in Wilmas Eckkneipe "Zum fröhlichen Horst" darstellt.

So eine völlig abstrakte Schreibe kann den Leser von der inhaltlichen Seite her eigentlich nie emotional packen, so dass nur zwei alternative Routen zur geschätzten Aufmerksamkeit des Lesers übrig bleiben: Der reine Sprachspaß mit dem Wortmaterial (also unabhängig vom Inhalt) oder die Vermittlung kluger Einsichten. Und das ist beides technisch beträchtlich viel schwieriger als die emotionale Kiste.

Bei Deinem Text ist der emotionale Schwingungsgrad aufgrund der abstrakten Verkopftheit nahezu bei null. Auch die sprachspielerische Komponente hält sich in engen Grenzen und eine wirkliche Erkenntnis vermittelt der Text ebenfalls nicht - ich würde die "Lebensweisheit" des Textes etwa folgendermaßen in etwas normalere Sprache übersetzen: "Wenn man seine Ziele nicht so klar definiert, dann fällt es viel leichter, ein neues Projekt anzufangen und dieses erfolgreich abzuschließen.".
Von dieser Maxime bin ich nun weder beeindruckt noch überzeugt.

Wenn der Text hingegen ins Konkret-Fassliche transformiert würde, ergeben sich (womöglich) aus dem Text heraus Anknüpfungspunkte, durch die man die Leserschaft womöglich auf die ein oder andere Weise erreicht.

LG!

S.

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Origo möchte nach Hause

Origo ist aus Bebra
und will nach New York an den Lido,
pazifisches Rauschen,
ah, die bömische Küste:
Thálatta! Thálatta!

Und irgendwie schon besser,
im Flugzeug zu schlafen,
als in Bebra in die Schule gehn.

Am Strand von Prag
steht ein Typ in Lederkluft,
der mit Mama beschriftet wurde.

Origo ist aus Bebra.
 

Freedom

Mitglied
Hallo Sufnus,

danke für deine Rückmeldung, die ich gut nachvollziehen kann.

Texte dieser Art schreibe ich aufgrund vorliegender Wörter in sehr kurzer Zeit. Es entsteht dabei nur ein Satz. Auch liegt kein Anspruch auf einen konkreten Sinn oder Inhalt vor. Die Wörter nehme ich also kurz auf und verarbeite sich rasch in derartige Sätze.

Ich wollte diese Form einmal zur Schau und Diskussion stellen. Ich wüsste auch gar nicht, welchem Genre sie entsprechen würden, weil ich mich damit zu wenig auskenne.

Die Vermittlung kluger Einsichten ist nicht meine Intention. Der reine Sprachspaß mit dem Wortmaterial, wie du es genannt hast, trifft es ganz gut.

Dass die Emotion dabei fehlt, ist mir nachvollziehbar, weil ich auch keine beifüge. Aber auch dass ist ein brauchbares Feedback für mich.

Danke und LG Markus
 

sufnus

Mitglied
Hi Markus!

Vielen Dank für die Rückmeldung zur Rückmeldung und damit die Möglichkeit zum wechselseitigen Austausch!

Was mir sehr gefällt, sogar richtig richtig gut gefällt!, ist Deine Konzeption, dass bei den Texten, die Du in diesem Style schreibst, nur ein Satz entstehen soll. Das ist eine formale Vorgabe, die m. E. sehr wichtig ist, weil damit sozusagen ein Spielfeld abgesteckt wird. Ohne Deinen Hinweis wäre mir dieser Aspekt bei diesem Text entgangen. :)

Dann schreibst Du, dass es Dir um den Sprachspaß mit dem Wortmaterial geht und weniger darum eine "sinnvolle" Aussage zu treffen. Unter dieser Voraussetzung würde ich mein "Nochnichtsorechtmitgenommenwerden" von Deinem Text jetzt tatsächlich neu ausrichten, denn mit dieser Info im Hinterkopf würde ich sagen, dass der Text womöglich noch zu "sinnvoll" ist bzw. noch nicht verspielt genug.

Zur Illustrierung dieses Einwandes hier nochmal ein verspielterer Take zu Deinem Text, dieses mal aber deutlich näher dran an Deiner Fassung (meine Bebra-Etüde werd ich wohl bei Gelegenheit mal separat einstellen, aber natürlich mit freundlicher Reverenz gegenüber diesem Thread. :) ).

Unscharfe Kafkakoordinaten
verbrennen zur Reisezielscheibe
fürs Provisordefinitivum,
mein lieber Potemkin, eine Erhebung
der artistischen Praxis zur Theorie
(und umgekehrt).

Das ließe sich natürlich durch unreguliertes, freies Assoziieren endlos weiter permutieren, bis aus reinem Unsinn plötzlich irgend eine rätselhafte Art von Sinn erwächst. :)

LG!

S.
 

Freedom

Mitglied
Hallo Sufnus,

meine beiden Sätze habe ich gefühlt eher aus dem schaumgebremsten Fach entnommen, weil ich diese zum Antesten passender gefunden habe. Richtig abgedreht sind sie insofern nicht, als ich zwar Wörter spontan verwende, jedoch ein Auge darauf achtet, dass sie einen Satz ergeben.

Um noch genauer darstellen zu können, wie meine Sätze ausschauen können, lege ich noch drei Beispiele nach:

  • Eine pulsierende Revolution der Struktur stürzt das Monument des starren Aggregatzustandes eines Organigramms, befreit aus der Arena der Fiktion, und projiziert den Weg des Eigen-Sinns.

  • Komplementäre Gedanken treffen auf stereotype Bilder, die gemeinsam eine Dreidimensionalität imaginieren, welche als Placebo der Wirklichkeitskonstruktion die Realität kompensieren.

  • Die verborgene Identität verklumpt innerhalb des Gebildes der Konfusion und der Orientierung an alten Geistern zu einem traurigen Kern eines dekonstruierten Körpers, der als Symptomträger Lichtblitze in den schemenhaften Raum sendet.

Und weil du, Sufnus offenbar auch auch gerne das Wort "Abstraktion" verwendest (wie aus dem anderen Thread zu entnehmen ist), lege ich noch einen nach. Abstraktion kommt in meinen Sätzen wohl am häufigsten vor.
  • Verweigerung der Wohnfühlveranstaltung durch die Persiflage des Alltags, letztlich jedoch durch augenzwinkerndes Verlassen der Bühne der Abstraktion.
Dein Take zu meinem Text gefällt mir sehr gut! Genial ist das in Klammer gesetzte "und umgekehrt" :D

LG Freedom
 

Patrick Schuler

Foren-Redakteur
Teammitglied
Hier kommen wir an den Punkt, an dem die theoretischen Grundlagen und Rechtfertigungen in Richtung Kunst gehen, während die eigentliche Kunst als solche gerechtfertigt werden muss. Das geht nie gut aus ;)

LG
Patrick
 

sufnus

Mitglied
Hey!
Deine schönen Beispiele, lieber Freedom, verdeutlichen Dein "Programm" weiter - ich muss da nochmal eingehender drüber nachdenken. :)
Und @Patrick will uns wohl zartfühlend nahebringen, dass wir uns gerade verkünsteln. :p Dem stimme ich auf alle Fälle uneingeschränkt zu - mein verblendeter Optimismus leugnet jedoch strikt, dass Selbiges nie (im Allgemeinen) gut oder hier (im Speziellen) schlecht ausgehen soll,
Oder umgekehrt. :cool:
LG!
S.
 

Freedom

Mitglied
Hello!
informiere mich bitte über das Ergebnis deines Nachdenkens :)

Wenn es ums Verkünsteln geht, dann hab ich im Identität-Thread vielleicht noch ein Scheibchen drauf gelegt. Jedoch im Sinne des Textes und nicht der Kunst erliegend.

LG Markus
 



 
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