Orpheus in der Unterwelt

Thomasius

Mitglied
Orpheus in der Unterwelt
nach einem Fragment Schillers

\"Charon, lenke deine Fähre
durch des Totenflusses Schlund;
deinen Dienst mir nicht verwehre,
nimm den Lohn aus meinem Mund.
In den Hades muß ich gehen,
muß Euridyke dort sehen.\"

\"Orpheus, dort im Schattenreiche
kennt man nicht die Kraft der Lieder.
Vor der Todesschwelle weiche!
Keiner kehrt vom Hades wieder
in des Lebens Licht zurück –
Nicht durch Taten, nicht durch Glück.\"

Orpheus schlug die goldne Leier,
schilderte mit Trauerklange,
wie sie, fliehend vor dem Freier,
trat auf jene giftge Schlange.
\"Ach, sie mußte grausam sterben,
durch des lüstren Gottes Werben!\"

Charon bindet los den Nachen,
rudert schweigend durch die Wellen,
rudert in der Hölle Rachen.
Kerberos mit grimmen Bellen
tobt und geifert, fletscht und springt.
Orpheus geht vorbei und singt.

Und es klingt sein helles Singen
vorwärts in die graue Leere,
ohne Wirkung zu vollbringen,
ohne Echo, wie am Meere
kraftlos jeder Ton verweht
und im Rauschen untergeht.

Lauter schlägt er nur die Seiten,
schöner malt er Melodien,
noch entschlossner wird sein Schreiten
zu dem stygschen Throne hin.
Ernst, mit hocherhobnem Blick
füllt den Raum er mit Musik.

Aus den Winkeln, aus den Ecken
lugen Larven scheu hervor,
staunend, zweifelnd, mit Erschrecken.
Welcher Klang durchdringt das Ohr?
Bringt zurück vergessne Zeit,
weckt was, ach, so weit, so weit! -

Überall entsteht Bewegung,
Schatten seufzen, flattern, schwirren,
bald ist überall Erregung,
kaltes Schnarren, Zischen, Klirren:
\"Er will uns die Ruhe stören!\"
\"Ha, er wagt, uns zu betören!\"

Orpheus mutig weiterschreitet.
Geister drohend ihn umringen;
doch von Zauberhand geteilet,
weichen sie vor seinem Singen,
bilden eine freie Bahn
bis zu Hades\' Thron hinan.

Hades sieht auf Orpheus nieder,
spricht mit kalten Herrscheraugen:
\"Spare deine Klagelieder,
die im Schattenreich nichts taugen!
Kannst den Tod nicht übertönen,
Wie am Meer einst die Sirenen.

Meiner höchsten Macht muß weichen,
was dem Erdenschoß entspringt,
Tiere, Menschen, deinesgleichen,
alles vor mir niedersinkt!
Orpheus! Höre mein Gebot:
Preise meine Macht - den Tod!\"

\"Nicht dem Tode sing ich Lieder,
singen will ich nur dem Leben.
Meine Gattin gib mir wieder,
Meiner Gattin gib das Leben!\"
Orpheus schließt die Augen, singt,
was ihm in der Seele klingt.

\"Singen will ich nur dem Leben,
nur der Sonne will ich singen,
will zum Licht das Auge heben
will mich über Wolken schwingen,
will in buntem Farbgewimmel
mich im Tau der Blüten brechen,
blitzen will ich hoch im Himmel,
mächtig wie der Donner sprechen;
will lebendig überschauen
Tal und Berge, Fluß und Auen,
Will umschließen um mich her
allumfassend, wie ein Meer.\"

Staunend stehen alle Manen,
sie verspüren das Bedeuten,
sie ergreift ein fernes Ahnen
längst vergess‘ner Lebensfreuden.
Orpheus schließt die Augen, singt,
was ihm in der Seele klingt.

\"Ich preise dich, du schöner Schall,
das Echo, das der Berg mir bringt,
den Jubel, den die Lerche singt,
das sanfte Rauschen überall.

Ich preis die heilge Melodie,
die aus dem reinen Busen quillt,
das Herz erregt, die Sinne stillt,
dich Seelenknospe Phantasie!

Oh Melodie! Oh süßer Schall!
Wie macht ihr diese Welt so reich,
lebendig klingend, niemals gleich,
im Kleinsten stets ein ganzes All.\" -

Alle Geister sinnend stehen,
fühlen trauernd mit dem Gatten.
Selbst die Furien vergehen
nur zur ahnungsvollen Schatten.
Orpheus schließt die Augen, singt,
was ihm in der Seele klingt.

\"Des Frühlings tändelnde, spielende Triebe
umtummeln die Blüte in trunkener Lust.
Des Sommers Erwärmen bekräftigt die Liebe,
den Samen erziehend in fühlender Brust,
um bald in des Herbstes farbigem Reigen
der Liebe lebendige Früchte zu zeigen.

Oh, laßt meine Gattin, die liebliche Blüte,
im Frühling gerissen zum Hades hinab,
Oh lasse, wie sommerlich wärmende Güte,
sie huldreich entsteigen dem finsteren Grab,
laß wachsen und reifen uns Früchte und Glück,
dann kommen wir gerne gemeinsam zurück.\" -

Seht, Persephone, sie weint,
fleht zu ihrem finstern Gatten,
daß die beiden er vereint
freigibt, aus dem Reich der Schatten!
Orpheus schließt die Augen, singt,
was ihm in der Seele klingt.

\"Die Hoffnung durchweht selbst Wüste und Stein
sie findet den glimmenden Kern
und haucht ihm neues Leben ein,
und weist auf den schönsten Stern allein,
damit der glimmende Funken erkennt,
wie groß das kleinste Licht doch brennt.

In Schönheit erzeugt die Liebe ein Lied,
eröffnet die ehrliche Brust,
bewirkt, daß ohne Unterschied
bald alles nach Herzenslust erblüht,
und selbst zu Schatten in ewiger Nacht
hat Rührung sie und Freude gebracht.\"

Verwundert spricht der Herr der Schatten:
\"Du wagst es, solch ein Lied zu singen,
von Liebe zu dem treuen Gatten!
Du wagst des Todes Macht zu zwingen!\" -
Dann schickt er schnell den Sänger fort
und spricht das düstre Richterwort:

\"Selbst Schatten rührten deine Lieder.
Es sei gewährt die kühne Bitte.
Ich gebe dir die Gattin wieder.
Sie folge schweigend deinem Schritte;
doch wendest du dich um nach ihr,
bleibt sie für alle Zeiten hier!\"




Orpheus in der Unterwelt – Das Fragment von Friedrich Schiller.

Gedräng im Orkus, Bewegung, Saitenklang durch das stille Reich.

Orpheus mit der Leier, auf ihn eindrängende Larven, Er immer vorwärts schreitend und mit dem Klang der Saiten sie von sich wehrend. Die Töne der Leier bilden einen Lebenskreis um ihn her, daß er, ein Lebendiger, jugendlich Blühender, ungefährdet durch die Schatten geht, obgleich immer von neuen Scheusalen bedroht. So gelangt er, unter Begleitung zahlloser Schatten, ein mächtig Schreitender, bis zum Thron des stygischen Königs. Erstaunlich, allgemeines über das Abenteuer.

Beschreibung des Lokals; alles geisterhaft, gierig, farb- und gestaltlos.

Er redet den Schattenbeherrscher an und fordert seine Gattin zurück: \"Nimm das Alter, aber schone die Jugend\" etc. Eindruck seiner Rede, Gebärdung der Schatten, Macht der Leier.

Antwort des Schattenbeherrschers, daß Orpheus seine Macht besingen soll.

Orpheus weigert sich, den Tod zu singen, aber dem Leben stimmt er jetzt ein Lied an. - Der Hymnus auf das Leben, in der Hölle gesungen, vor Toten und Geistern: 1. Das Licht, die Farbe, die Wärme, die Gestalt, die Fülle, die Schönheit. Meer und Land. - Erstaunen der Manen. 2. Der Schall, die Stimme, die Melodie, die Leidenschaft. Refrain. 3. Der Genuß: Leben, Lieben, Beleben! - - -
 

Label

Mitglied
Hallo Thomasius

zuerst möchte ich dich hier in der Lupe herzlich willkommen heißen.
Das Werk das du mitgebracht hast ist ein monumentales und tatsächlich soweit ich das beurteilen kann, im Duktus an Schiller angelehnt.
Das hat mich unvorbereitet geplättet ;)
Ich werde es gewiss noch einmal lesen, wenn ich besser auf - bitte sieh mir den Ausdruck nach, er ist nett gemeint - auf schwere Kost vorbereitet bin

Dir einen lieben Gruß
Label
 
F

Fettauge

Gast
Lieber Thomasius,

da hast du dir viel Mühe gegeben, und es ist auch was durchaus Lesenswertes entstanden. Soweit, so gut. Das Dumme daran ist nur, der Schiller hatte das Gedicht schon geschrieben, allerdings, wenn es als Fragment in der Literatur existiert, nur nicht zu Ende. Ich habe das Orpheus-Gedicht im Moment nicht zur Hand, kann also nicht vergleichen, aber ich denke mir, wenn du den Schiller einfach nur "verbessern" wolltest, wäre das ein ziemliches Unterfangen.

Ich hätte mir eine Parodie auf Schillers "Orpheus" vorstellen können, indem du die Conclusio völlig unmythisch gestaltet hättest - zum Beispiel. Aber so ernsthaft, wie du dich an den Mythos hältst, da vermisse ich doch mehr oder weniger den Neuigkeitswert oder vielmehr den Grund des Daseins.

Was mir zu kommentieren bleibt, das sind Aufbau, Metrik, Sprache.

Zum Aufbau des Gedichts:
Inhaltlich geht es in diesem Gedicht um den Bittgang des Orpheus zum Gott der Unterwelt Hades, ihm die Gattin aus dem Totenreich lebendig wiederzugeben. Den Höhepunkt des Mythos, nämlich den endgültigen Verlust der Eurydike, sparst du aus.
Weiß nicht, ob Schiller das so angelegt hätte. Eher nicht, als Dramatiker legte er gerade auf die Lösung des Konflikts absoluten Wert.

Zur Metrik:
Auffallend, dass du die Gesänge des Orpheus im Daktylus geschrieben hast, nicht aber das eigentliche Geschehen. So könnten sie sich gut vom Geschehen selbst absetzen, würde es hier nicht durcheinander gehen: Mal Jambus, mal Trochäus, mal Daktylus (kann sein, dass ich noch was ausgelassen habe). Einen handwerklich schon sicher gekonnten Eindruck macht das Potpourri der Rhythmen nicht auf mich. Ich habe es nicht nachgezählt, aber die Anzahl der Hebungen (vier) hältst du augenscheinlich ein.

Zum Sprachlich-Stilistischen:
Du bewegst dich auf der gehobenen Sprachebene, es "schillert" tatsächlich ein bisschen. Die gebrauchst Begriffe, die dem mythischen Kontext angemessen sind.

Ein paar Inversionen (z. B. "deinen Dienst mir nicht verwehre","Orpheus mutig weiterschreitet") sind meines Erachtens schnell aufzulösen.

Grammatisch richtig müsste es heißen: "Kerberos mit grimmem Bellen".

Insgesamt ein Text, dem man nicht nur wegen seiner Länge die Arbeit ansieht. Was aber die Länge angeht, so liegt es nahe, dass du noch ein wenig verdichten könntest, die Story ufert ein bisschen aus. Und vielleicht solltest du dir auch überlegen, die Geschichte von Orpheus und Eurydike im Ganzen zu erzählen. Man hat jetzt das Gefühl, als ob du willkürlich die Story abbrichst. Ob du dich damit an das Fragmentarische Schillers halten willst, weiß ich nicht, aber es ist dein eigenes Gedicht, und dem würde eben die Geschichte bis zum bitteren Ende ganz gut stehen.

Liebe Grüße, Fettauge
 

Thomasius

Mitglied
Hallo Label,

danke für den Willkommensgruß und für's Lesen.

Liebes Fettauge,

Ich habe das Fragment von Schiller unten angeführt. Wenn du meinst, das sei ein Gedicht, das "schon geschrieben" sei, ok. Ich denke das nicht, und der ganze Spaß bestand darin, es so zu gestalten, wie es hätte werden können. Schiller "verbessern" will ich natürlich nicht, ich wollte mich aber auch nicht in die Reihe der Parodisten einreihen, welche meistens die parodierten Werke Schillers gar nicht recht verstanden haben.

Den "endgültigen Verlust der Eurydike spare ich aus", und zwar absichtlich. Der Grund ist ein poetischer und ein inhaltlicher, der mit der Frage zusammenhängt, warum Schiller das Fragment nicht verwirklicht hat.

Die Gesänge des Orpheus sind nicht im Daktylus geschrieben, sondern sie entfalten ganz gesetzmäßig verschiedene Formen, da du das nicht erkannt hast, kritisierst du dass "mal Jambus, mal Trochäus" vorkommt. Das wesentlichste ist jedoch die metrische Veränderung, die das in Hades Redeweise bewirkt. Vielleicht schaust du dir das nochmals in Ruhe an und erfreust dich daran.

Wenn du sagst, dass die Sprache tatsächlich ein bisschen "schillert" freut mich das, denn das hoffte ich zu erreichen.

Danke für den Tippfehler "grimmem". Die kritisierte Inversion möchte ich stehen lassen.

Viele Grüße euch beiden
Thomasius
 

Thomasius

Mitglied
Orpheus in der Unterwelt
nach einem Fragment Schillers

\"Charon, lenke deine Fähre
durch des Totenflusses Schlund;
deinen Dienst mir nicht verwehre,
nimm den Lohn aus meinem Mund.
In den Hades muß ich gehen,
muß Euridyke dort sehen.\"

\"Orpheus, dort im Schattenreiche
kennt man nicht die Kraft der Lieder.
Vor der Todesschwelle weiche!
Keiner kehrt vom Hades wieder
in des Lebens Licht zurück –
Nicht durch Taten, nicht durch Glück.\"

Orpheus schlug die goldne Leier,
schilderte mit Trauerklange,
wie sie, fliehend vor dem Freier,
trat auf jene giftge Schlange.
\"Ach, sie mußte grausam sterben,
durch des lüstren Gottes Werben!\"

Charon bindet los den Nachen,
rudert schweigend durch die Wellen,
rudert in der Hölle Rachen.
Kerberos mit grimmem Bellen
tobt und geifert, fletscht und springt.
Orpheus geht vorbei und singt.

Und es klingt sein helles Singen
vorwärts in die graue Leere,
ohne Wirkung zu vollbringen,
ohne Echo, wie am Meere
kraftlos jeder Ton verweht
und im Rauschen untergeht.

Lauter schlägt er nur die Seiten,
schöner malt er Melodien,
noch entschlossner wird sein Schreiten
zu dem stygschen Throne hin.
Ernst, mit hocherhobnem Blick
füllt den Raum er mit Musik.

Aus den Winkeln, aus den Ecken
lugen Larven scheu hervor,
staunend, zweifelnd, mit Erschrecken.
Welcher Klang durchdringt das Ohr?
Bringt zurück vergessne Zeit,
weckt was, ach, so weit, so weit! -

Überall entsteht Bewegung,
Schatten seufzen, flattern, schwirren,
bald ist überall Erregung,
kaltes Schnarren, Zischen, Klirren:
\"Er will uns die Ruhe stören!\"
\"Ha, er wagt, uns zu betören!\"

Orpheus mutig weiterschreitet.
Geister drohend ihn umringen;
doch von Zauberhand geteilet,
weichen sie vor seinem Singen,
bilden eine freie Bahn
bis zu Hades\' Thron hinan.

Hades sieht auf Orpheus nieder,
spricht mit kalten Herrscheraugen:
\"Spare deine Klagelieder,
die im Schattenreich nichts taugen!
Kannst den Tod nicht übertönen,
Wie am Meer einst die Sirenen.

Meiner höchsten Macht muß weichen,
was dem Erdenschoß entspringt,
Tiere, Menschen, deinesgleichen,
alles vor mir niedersinkt!
Orpheus! Höre mein Gebot:
Preise meine Macht - den Tod!\"

\"Nicht dem Tode sing ich Lieder,
singen will ich nur dem Leben.
Meine Gattin gib mir wieder,
Meiner Gattin gib das Leben!\"
Orpheus schließt die Augen, singt,
was ihm in der Seele klingt.

\"Singen will ich nur dem Leben,
nur der Sonne will ich singen,
will zum Licht das Auge heben
will mich über Wolken schwingen,
will in buntem Farbgewimmel
mich im Tau der Blüten brechen,
blitzen will ich hoch im Himmel,
mächtig wie der Donner sprechen;
will lebendig überschauen
Tal und Berge, Fluß und Auen,
Will umschließen um mich her
allumfassend, wie ein Meer.\"

Staunend stehen alle Manen,
sie verspüren das Bedeuten,
sie ergreift ein fernes Ahnen
längst vergess‘ner Lebensfreuden.
Orpheus schließt die Augen, singt,
was ihm in der Seele klingt.

\"Ich preise dich, du schöner Schall,
das Echo, das der Berg mir bringt,
den Jubel, den die Lerche singt,
das sanfte Rauschen überall.

Ich preis die heilge Melodie,
die aus dem reinen Busen quillt,
das Herz erregt, die Sinne stillt,
dich Seelenknospe Phantasie!

Oh Melodie! Oh süßer Schall!
Wie macht ihr diese Welt so reich,
lebendig klingend, niemals gleich,
im Kleinsten stets ein ganzes All.\" -

Alle Geister sinnend stehen,
fühlen trauernd mit dem Gatten.
Selbst die Furien vergehen
nur zur ahnungsvollen Schatten.
Orpheus schließt die Augen, singt,
was ihm in der Seele klingt.

\"Des Frühlings tändelnde, spielende Triebe
umtummeln die Blüte in trunkener Lust.
Des Sommers Erwärmen bekräftigt die Liebe,
den Samen erziehend in fühlender Brust,
um bald in des Herbstes farbigem Reigen
der Liebe lebendige Früchte zu zeigen.

Oh, laßt meine Gattin, die liebliche Blüte,
im Frühling gerissen zum Hades hinab,
Oh lasse, wie sommerlich wärmende Güte,
sie huldreich entsteigen dem finsteren Grab,
laß wachsen und reifen uns Früchte und Glück,
dann kommen wir gerne gemeinsam zurück.\" -

Seht, Persephone, sie weint,
fleht zu ihrem finstern Gatten,
daß die beiden er vereint
freigibt, aus dem Reich der Schatten!
Orpheus schließt die Augen, singt,
was ihm in der Seele klingt.

\"Die Hoffnung durchweht selbst Wüste und Stein
sie findet den glimmenden Kern
und haucht ihm neues Leben ein,
und weist auf den schönsten Stern allein,
damit der glimmende Funken erkennt,
wie groß das kleinste Licht doch brennt.

In Schönheit erzeugt die Liebe ein Lied,
eröffnet die ehrliche Brust,
bewirkt, daß ohne Unterschied
bald alles nach Herzenslust erblüht,
und selbst zu Schatten in ewiger Nacht
hat Rührung sie und Freude gebracht.\"

Verwundert spricht der Herr der Schatten:
\"Du wagst es, solch ein Lied zu singen,
von Liebe zu dem treuen Gatten!
Du wagst des Todes Macht zu zwingen!\" -
Dann schickt er schnell den Sänger fort
und spricht das düstre Richterwort:

\"Selbst Schatten rührten deine Lieder.
Es sei gewährt die kühne Bitte.
Ich gebe dir die Gattin wieder.
Sie folge schweigend deinem Schritte;
doch wendest du dich um nach ihr,
bleibt sie für alle Zeiten hier!\"




Orpheus in der Unterwelt – Das Fragment von Friedrich Schiller.

Gedräng im Orkus, Bewegung, Saitenklang durch das stille Reich.

Orpheus mit der Leier, auf ihn eindrängende Larven, Er immer vorwärts schreitend und mit dem Klang der Saiten sie von sich wehrend. Die Töne der Leier bilden einen Lebenskreis um ihn her, daß er, ein Lebendiger, jugendlich Blühender, ungefährdet durch die Schatten geht, obgleich immer von neuen Scheusalen bedroht. So gelangt er, unter Begleitung zahlloser Schatten, ein mächtig Schreitender, bis zum Thron des stygischen Königs. Erstaunlich, allgemeines über das Abenteuer.

Beschreibung des Lokals; alles geisterhaft, gierig, farb- und gestaltlos.

Er redet den Schattenbeherrscher an und fordert seine Gattin zurück: \"Nimm das Alter, aber schone die Jugend\" etc. Eindruck seiner Rede, Gebärdung der Schatten, Macht der Leier.

Antwort des Schattenbeherrschers, daß Orpheus seine Macht besingen soll.

Orpheus weigert sich, den Tod zu singen, aber dem Leben stimmt er jetzt ein Lied an. - Der Hymnus auf das Leben, in der Hölle gesungen, vor Toten und Geistern: 1. Das Licht, die Farbe, die Wärme, die Gestalt, die Fülle, die Schönheit. Meer und Land. - Erstaunen der Manen. 2. Der Schall, die Stimme, die Melodie, die Leidenschaft. Refrain. 3. Der Genuß: Leben, Lieben, Beleben! - - -
 
G

Gelöschtes Mitglied 15780

Gast
Es ist ja arg lang, aber ich habe mich noch einmal ans Lesen gewagt (was sonst ja kein Wagnis ist ...)
In sich harmonisch und deutlich, - ich erwartete beim Lesen, daß die Lebenslust im Lied des Orpheus die Todesgötter "belebt"; das ist ja wohl auch so angelegt, im Unterschied zur antiken Gestalt dieses Grundmythos der Orphiker, in deren Initiations-Schulung die Überwindung des Todes, aber auch das dionysische Zerrissenwerden des apollinischen Todüberwinders eine zentrale Rolle gespielt haben muß.

Nur ein wenig zu den letzten Versen des Epyllions:
und selbst zu Schatten in ewiger Nacht
hat Rührung sie und Freude gebracht.\"
Der Dativ genügt: "und selbst [red]den [/red]Schatten in ewiger Nacht"
Verwundert spricht der Herr der Schatten:
\"Du wagst es, solch ein Lied zu singen,
von Liebe zu dem treuen Gatten!
Du wagst des Todes Macht zu zwingen!\" -
Dann schickt er schnell den Sänger fort
und spricht das düstre Richterwort:

\"Selbst Schatten rührten deine Lieder.
Es sei gewährt die kühne Bitte.
Wenn er verwundert ist, also ein wenig bezaubert vom Gesang, dann klingen seine Worte zu bedrohlich. Und zugleich mit Frage-Wortstellung, obwohl kein Fragezeichen, sondern ein Ausrufezeichen die Frage als bloß rhetorisch - eben als Drohung - aufbaut. Verstärkt durch die Anapher "Du wagst ...", und schließlich überhaupt nicht "verwundert", sondern jetzt dreifach bedrohlich "und spricht das düstre Richterwort" - ja, das ist ganz gegen die antike Version (in Vergils Georgica und in Ovids Metamorphosen, aber es ist etwas länger her, daß ich es gelesen habe, und nun sind meine Lateinbücher in den Umzugskisten), wo die Besonderheit darin besteht, daß der Sänger sogar die versteinerten Herzen der Todesgötter erweicht, die Erynnien besänftigt und alle, auch die beiden gnadenlosen Herrscher, zum Weinen bringt. Aber das ist doch der Reiz dieses mythischen Motivs: Wie Poesie, Melodie und Verliebtheit den Tod selbst bezaubern, bewältigen und zu Tränen rühren.
 

Thomasius

Mitglied
Lieber Mondnein,

entschuldige, dass meine Antwort auf deinen guten und interessanten Kommentar so lange auf sich warten ließ.

Du hast Recht, "den Schatten" reicht.

Was du bezüglich des "Herrn der Schatten" sagst, freut mich sehr, denn genau das wollte ich. Seine Gattin weint. Alle Schatten sind gerührt. Aber in seiner Reaktion ist das Ende der Geschichte angedeutet, denn er weiß analytisch klar, was zwangsläufig aus Liebe geschehen wird. Aber ganz unberührt ist er nicht, was man daran erkennt, dass er das jambische Metrum übernimmt und nicht mehr in Trochäen spricht.

Liebe Grüße
Thomasius
 

Thomasius

Mitglied
Orpheus in der Unterwelt
nach einem Fragment Schillers

\"Charon, lenke deine Fähre
durch des Totenflusses Schlund;
deinen Dienst mir nicht verwehre,
nimm den Lohn aus meinem Mund.
In den Hades muß ich gehen,
muß Euridyke dort sehen.\"

\"Orpheus, dort im Schattenreiche
kennt man nicht die Kraft der Lieder.
Vor der Todesschwelle weiche!
Keiner kehrt vom Hades wieder
in des Lebens Licht zurück –
Nicht durch Taten, nicht durch Glück.\"

Orpheus schlug die goldne Leier,
schilderte mit Trauerklange,
wie sie, fliehend vor dem Freier,
trat auf jene giftge Schlange.
\"Ach, sie mußte grausam sterben,
durch des lüstren Gottes Werben!\"

Charon bindet los den Nachen,
rudert schweigend durch die Wellen,
rudert in der Hölle Rachen.
Kerberos mit grimmem Bellen
tobt und geifert, fletscht und springt.
Orpheus geht vorbei und singt.

Und es klingt sein helles Singen
vorwärts in die graue Leere,
ohne Wirkung zu vollbringen,
ohne Echo, wie am Meere
kraftlos jeder Ton verweht
und im Rauschen untergeht.

Lauter schlägt er nur die Seiten,
schöner malt er Melodien,
noch entschlossner wird sein Schreiten
zu dem stygschen Throne hin.
Ernst, mit hocherhobnem Blick
füllt den Raum er mit Musik.

Aus den Winkeln, aus den Ecken
lugen Larven scheu hervor,
staunend, zweifelnd, mit Erschrecken.
Welcher Klang durchdringt das Ohr?
Bringt zurück vergessne Zeit,
weckt was, ach, so weit, so weit! -

Überall entsteht Bewegung,
Schatten seufzen, flattern, schwirren,
bald ist überall Erregung,
kaltes Schnarren, Zischen, Klirren:
\"Er will uns die Ruhe stören!\"
\"Ha, er wagt, uns zu betören!\"

Orpheus mutig weiterschreitet.
Geister drohend ihn umringen;
doch von Zauberhand geteilet,
weichen sie vor seinem Singen,
bilden eine freie Bahn
bis zu Hades\' Thron hinan.

Hades sieht auf Orpheus nieder,
spricht mit kalten Herrscheraugen:
\"Spare deine Klagelieder,
die im Schattenreich nichts taugen!
Kannst den Tod nicht übertönen,
Wie am Meer einst die Sirenen.

Meiner höchsten Macht muß weichen,
was dem Erdenschoß entspringt,
Tiere, Menschen, deinesgleichen,
alles vor mir niedersinkt!
Orpheus! Höre mein Gebot:
Preise meine Macht - den Tod!\"

\"Nicht dem Tode sing ich Lieder,
singen will ich nur dem Leben.
Meine Gattin gib mir wieder,
Meiner Gattin gib das Leben!\"
Orpheus schließt die Augen, singt,
was ihm in der Seele klingt.

\"Singen will ich nur dem Leben,
nur der Sonne will ich singen,
will zum Licht das Auge heben
will mich über Wolken schwingen,
will in buntem Farbgewimmel
mich im Tau der Blüten brechen,
blitzen will ich hoch im Himmel,
mächtig wie der Donner sprechen;
will lebendig überschauen
Tal und Berge, Fluß und Auen,
Will umschließen um mich her
allumfassend, wie ein Meer.\"

Staunend stehen alle Manen,
sie verspüren das Bedeuten,
sie ergreift ein fernes Ahnen
längst vergess‘ner Lebensfreuden.
Orpheus schließt die Augen, singt,
was ihm in der Seele klingt.

\"Ich preise dich, du schöner Schall,
das Echo, das der Berg mir bringt,
den Jubel, den die Lerche singt,
das sanfte Rauschen überall.

Ich preis die heilge Melodie,
die aus dem reinen Busen quillt,
das Herz erregt, die Sinne stillt,
dich Seelenknospe Phantasie!

Oh Melodie! Oh süßer Schall!
Wie macht ihr diese Welt so reich,
lebendig klingend, niemals gleich,
im Kleinsten stets ein ganzes All.\" -

Alle Geister sinnend stehen,
fühlen trauernd mit dem Gatten.
Selbst die Furien vergehen
nur zur ahnungsvollen Schatten.
Orpheus schließt die Augen, singt,
was ihm in der Seele klingt.

\"Des Frühlings tändelnde, spielende Triebe
umtummeln die Blüte in trunkener Lust.
Des Sommers Erwärmen bekräftigt die Liebe,
den Samen erziehend in fühlender Brust,
um bald in des Herbstes farbigem Reigen
der Liebe lebendige Früchte zu zeigen.

Oh, laßt meine Gattin, die liebliche Blüte,
im Frühling gerissen zum Hades hinab,
Oh lasse, wie sommerlich wärmende Güte,
sie huldreich entsteigen dem finsteren Grab,
laß wachsen und reifen uns Früchte und Glück,
dann kommen wir gerne gemeinsam zurück.\" -

Seht, Persephone, sie weint,
fleht zu ihrem finstern Gatten,
daß die beiden er vereint
freigibt, aus dem Reich der Schatten!
Orpheus schließt die Augen, singt,
was ihm in der Seele klingt.

\"Die Hoffnung durchweht selbst Wüste und Stein
sie findet den glimmenden Kern
und haucht ihm neues Leben ein,
und weist auf den schönsten Stern allein,
damit der glimmende Funken erkennt,
wie groß das kleinste Licht doch brennt.

In Schönheit erzeugt die Liebe ein Lied,
eröffnet die ehrliche Brust,
bewirkt, daß ohne Unterschied
bald alles nach Herzenslust erblüht,
und selbst den Schatten in ewiger Nacht
hat Rührung sie und Freude gebracht.\"

Verwundert spricht der Herr der Schatten:
\"Du wagst es, solch ein Lied zu singen,
von Liebe zu dem treuen Gatten!
Du wagst des Todes Macht zu zwingen!\" -
Dann schickt er schnell den Sänger fort
und spricht das düstre Richterwort:

\"Selbst Schatten rührten deine Lieder.
Es sei gewährt die kühne Bitte.
Ich gebe dir die Gattin wieder.
Sie folge schweigend deinem Schritte;
doch wendest du dich um nach ihr,
bleibt sie für alle Zeiten hier!\"




Orpheus in der Unterwelt – Das Fragment von Friedrich Schiller.

Gedräng im Orkus, Bewegung, Saitenklang durch das stille Reich.

Orpheus mit der Leier, auf ihn eindrängende Larven, Er immer vorwärts schreitend und mit dem Klang der Saiten sie von sich wehrend. Die Töne der Leier bilden einen Lebenskreis um ihn her, daß er, ein Lebendiger, jugendlich Blühender, ungefährdet durch die Schatten geht, obgleich immer von neuen Scheusalen bedroht. So gelangt er, unter Begleitung zahlloser Schatten, ein mächtig Schreitender, bis zum Thron des stygischen Königs. Erstaunlich, allgemeines über das Abenteuer.

Beschreibung des Lokals; alles geisterhaft, gierig, farb- und gestaltlos.

Er redet den Schattenbeherrscher an und fordert seine Gattin zurück: \"Nimm das Alter, aber schone die Jugend\" etc. Eindruck seiner Rede, Gebärdung der Schatten, Macht der Leier.

Antwort des Schattenbeherrschers, daß Orpheus seine Macht besingen soll.

Orpheus weigert sich, den Tod zu singen, aber dem Leben stimmt er jetzt ein Lied an. - Der Hymnus auf das Leben, in der Hölle gesungen, vor Toten und Geistern: 1. Das Licht, die Farbe, die Wärme, die Gestalt, die Fülle, die Schönheit. Meer und Land. - Erstaunen der Manen. 2. Der Schall, die Stimme, die Melodie, die Leidenschaft. Refrain. 3. Der Genuß: Leben, Lieben, Beleben! - - -
 



 
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