Ostzone

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Hera Klit

Mitglied
Ostzone

Nach dem Krieg und sechs Jahren
Kriegsgefangenschaft
blieb er, der Onkel Willi,
der Liebe wegen im schönen Thüringen
und wollte nicht mehr zurück in unser herrliches Hessen.
Er war der Halbbruder meiner Mutter
und wir hätten ihn wohl bald fast vergessen,
wenn sie ihn nicht einmal im Jahr über die Grenze rübergelassen
hätten, samt seiner thüringischen Ehefrau
und an unserem Esstisch sang er dann regelmäßig das Loblied,
auf seine wunderbare DDR.

Ich war ein Knabe noch, aber ich wusste instinktiv,
da läuft was schief,
hier wird das Recht mit Füßen getreten.
Und so wagte ich zu verkünden, ich
erkenne die DDR niemals an, für mich sei und
bliebe dies die Ostzone, die so schnell
als möglich wieder gesamtdeutsch werden muss.
Ein Donnerwetter brach auf mich durch ihn herein
und meine Eltern schwiegen betreten darüber, wie dumm und vorlaut ihr
Balg doch war.

Aber ich blieb trotzig und beharrte auf meiner Meinung, die ich Gott weiß woher nahm,
vielleicht war es nur ein Gefühl oder Intuition.
Für mich konnte ein Land mit Stachelzäunen, einfach kein ordentliches Land sein.
Ein Land, das seine Bürger schikaniert und festhält und der Freiheit beraubt,
das kam mir schlimmer vor als der Tod.

Und er wurde laut und erzählte vom Krieg und wie er sich listig durchschlug
und als ich ungläubig schaute, sagte die Tante zu mir:

„Ja, da schaust du, gell, der Onkel Willi kriegt immer den Arsch an die Wand“.

Ich sollte fühlen, wie klein ich war und dass ich den Willi niemals einholen kann.

Jedes Jahr kam dann regelmäßig der Willi über mich,
und ich blieb bei meiner Meinung und er beharrte auf seinem Recht
und er führte große Reden, über die Errungenschaften der DDR
und meine Familie lauschte mit offenem Mund und
man gebot mir zu schweigen, um des lieben Friedens willen.

Irgendwann zog ich dann fort, aus dem Elternhaus und mir blieben fortan,
die Willibesuche erspart.

Neunzehnhundertneunzig im Frühjahr, ereilte den Willi dann
leider, exakt an seinem sechzigsten Geburtstag ein Herzinfarkt.
Gründe dafür, mag jeder andere finden.
Darauf schrieb ich jene unbeholfenen Zeilen, für einen geplanten Song in a-Moll:

Hab Dank, Onkel Willi

Oh, der Onkel Willi ist tot,
er starb am frühen Morgen.
Oh im hellen Morgenrot,
erlag er wohl seinen Sorgen
und seiner Angst vor der Freiheit
und dem, was dem Menschen einfällt,
der ohne Mauern in Einheit,
sich zeigen darf der ganzen Welt.
Wenn plötzlich Recht, Recht bleibt
und Unrecht einen Namen erhält.
Dann recken sich viel zu kleine Hände
und leise Stimmen werden laut,
dann schmieren sie Fragen an die Wände,
den Mitläufern ist der Rückzug verbaut.

Doch jeder, der ein Stück hat gelebt,
hat hoffentlich zu verzeihen gelernt,
und weiß, wenn der Mensch strebt,
wohin auch immer, weit entfernt,
es bleibt doch ein Streben in Ahnungen
und Gewissheiten werden selten errungen.
Auch ich bin nicht mehr jener Knabe,
der so sicher scheinbar besaß die Gabe,
Recht von Unrecht zu trennen,
und Täter nebst Oper zu nennen.
So bleibt uns doch stets die Hoffnung
und mag sein, wir leben nur darum,
an einem neuen Tag vielleicht genau,
ins Zentrum des Guten zu schaun,
das man daran bestimmt letztlich erkennt,
dass das Herz es uns in Gewissheit nennt.
 

petrasmiles

Mitglied
Liebe Hera,

danke für diese sehr persönliche Perspektive auf ein historisches Ereignis, das wir bis heute nicht vernünftig ' verdaut' haben, das Du aber sehr anschaulich auf die Momente reduzierst, über die wir nur aus persönlicher Erfahrung uns unsere Meinung bilden können.
Wenn man jung ist, können die Dinge nur Schwarzweiß sein; es fällt so leicht, aus dem Wenigen, was man weiß, eine starke Position einzunehmen - und das ist eines der Dinge, die sich immer gleich bleiben. (Warum ich den Jugendwahn nicht wirklich verstehen kann, aber das ist eine andere Geschichte).
Während der Ereignisse scheinen die Farben so klar und intensiv und wenn man dann genauer schaut - aus zeitlicher oder emotionaler Distanz - sieht man auf einmal all die Nuancen und man muss es so nehmen, wie es ist: Weit weniger eindeutig, als empfunden und damit auch die Schlussfolgerungen nicht mehr stimmig. Die Vielfalt der wahren Aussagen zu akzeptieren, ist das eine, aber dann auch herzugehen und die Schlussfolgerungen in Frage zu stellen, eine ganz andere Leistung. Das hier aufgezeigt zu haben, weist Deinen Text weit über die angesprochene Thematik hinaus auf das zu allen Zeiten gleich bleibende Menschliche.

Liebe Grüße
Petra
 

John Wein

Mitglied
Werte Hera Klit,
Auch ich hatte die eine Hälfte der Familie in der Sowjetzone, im schönen Anhalt und oh Wunder, auch ich wuchs in dem herrlichen Hessenlande auf. Ich hatte allerdings auch "drüwwe" niemand in der Familie, der auf den Arbeiter und Bauernstaat sein Loblied gesungen hätte. Besuche bei der Oma war nur in ganz jungen Jahren möglich, denn die Familie wohnte fünfhundert Meter hinter dem Stacheldraht in der Sperrzone.
Ich habe die ganze Entwicklung unseres Landes von Anfang an beiderseits des antifaschistischen Schutzwalls bis heute erlebt und bilde mir deshalb ein, mir ein ganz spezielles Urteil über den Verlauf unserer Geschichte nach der Vereinigung bilden zu können. Der Stacheldrahtzaun ist in meiner Wahrnehmung heute optisch nur noch in den Museen und auf weihrauchgeschwängerten Gedenkfeiern präsent, dafür aber hat man einen anderen Stacheldraht in die Köpfe gepflanzt und eine Sperrzone um die Meinungen herum. Ich frage mich deshalb mehr und eindringlicher, hat der Onkel Willi nicht etwa doch einen Teil seiner schönen Argumente, Anregungen und Leitgedanken den Nachkommen vererbt? Merken jene das überhaupt!?
Thomas Münzer und die Bauern, wie präsent ist das heute wieder. Damals scheiterten die Bauern noch .......
LG, John Wein
 



 
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