Papa

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Hans Dotterich

Mitglied
Papa

„Mama, ist es schlimm, wenn ich an Papa denken muss?“

„Nein, mein Kleines, das ist es nicht. Es ist ganz normal. Es ist ganz lieb, dass du das tust.“

„Mama, hast du mich lieb?“

„Aber ja, mein Kleines, ich hab dich ganz doll lieb, so lieb wie sonst nichts auf der Welt.“

„Mama, hat Papa mich auch lieb?“

„Ja, auch Papa hat dich lieb, ganz lieb, auf seine Weise.“

„Aber warum ist Papa dann so stumm, warum sagt er nicht, dass er mich lieb hat?“

„Das kann er nicht, mein Kleines, obwohl er es bestimmt möchte. Weil Papa jetzt woanders ist.“

„Mama, ich bin so müde und kann nicht mehr auf dem Boden knien.“

„Noch einen kleines Weilchen, Liebes, nur noch einen kurzen Augenblick, bis Mama hier fertig ist. Dann bringe ich dich ins Bett, und erzähle Dir eine Geschichte. Siehst du, mehr als die Hälfte ist jetzt schon drin. Ich kann dir ein Kissen geben, für unter dein Knie.“

„Tut das weh, Mama?“

„Nein, nein, jetzt tut es gar nicht mehr weh. Du siehst doch, wie ruhig Papa jetzt ist. Noch ein bisschen musst du Mama helfen und Papas Arm schön gerade halten helfen, dass Papa da nicht noch einen Krampf kriegt. Stell jetzt das andere Knie drauf. Du machst das sehr gut.“

„Mama, was ist das da in der Spritze?“

„Das ist gut für Papa. Es macht, dass er ruhig ist und nicht mehr dauernd so ärgerlich und laut wird. Sieh doch, wie sanft jetzt sein Gesicht geworden ist, wie klar und weit seine Augen sind. Guck, er sieht dich an, ganz lange, er wendet den Blick von seinem kleinen lieben Mädchen nicht mehr ab. So ist es gut.“

„Oh, wie Putzel, mein kleines Eselchen, das über meinem Bett hängt und mich anlächelt, wenn ich morgens die Augen aufmache! Dauert es noch lange? Ich bin so müde.“

„So, mein Liebes, das wäre geschafft. Du kannst loslassen. Geh und wasche dir die Hände, ganz gründlich mit Seife. Und nimm die Bürste. Dann bringst du auch mir die Seife und das Handtuch mit, damit ich Papa noch für die Abfahrt fertig machen kann.“

„Ja, Mama! Erzählst du mir nachher noch eine Gute-Nacht-Geschichte?“

„Ja, aber wir wollen jetzt noch beten bevor du schlafen gehst. Zu Jesus, dass er Papa und dich und mich beschützen soll, wenn Papa unterwegs ist. Du weißt doch das Gebet.“

„Du mein liebes Jesulein,
siehest in mein Herz hinein,
mach durch deinen Gnadenschein
mich von allen Sünden rein.“

„Sehr schön hast du das gesagt. Und jetzt mach noch das Kreuz! Ja, ganz lieb ist mein Kleines. Und jetzt kannst du mir das Seifenstück und das Handtuch hierher bringen ...“

„Mama, warum rubbelst du Papas Finger so stark mit der Seife ab? Das gibt ja ganz viel Schaum! Ist Papas Finger schmutzig?“

„Ja, mein Liebes, ein wenig. Das ist wegen des Rings. Mit der Seife geht er besser herunter. Sollte er jedenfalls, dachte ich. Das ist gar nicht so leicht, ohje, geht der aber schwer runter. Der Finger wird schon ganz dick … Das gibt es doch gar nicht, meine Güte, ach! Aber mein Kleines, du musst nicht weinen, es ist gleich vorbei. Papa tut das nicht weh. Ummmpffftzzz…. Nee, so geht‘s nicht …
Aber Kleines! Komm, ich nehme dich in meine Arme. Ich will nicht, dass mein Kleines Angst hat und weint und denkt, dass Papa leiden muss. Nein, nein. Du bist ja so lieb, und so tapfer, und du hilfst mir so viel. Ich wüsste gar nicht, was ich ohne dich machen sollte. Weiß du was? Wir machen das ganz anders, und dann sind wir schnell fertig und müssen dann Papa nur noch seine Handschuhe anziehen. Holst du mir sie bitte?
Du weißt ja, sie liegen immer in der Garderobenschublade im Flur. Und ich muss mal in die Küche gehen und ein Glas Wasser trinken. Auch mir tun die Knie jetzt weh. Ich muss einmal aufstehen und ein paar Schritte gehen.“

„Mama, ich kann Papas Handschuhe nicht finden!“

„Mach dir Licht.“

„Ich finde die Handschuhe nicht.“

„Sieh in Papas Mantel nach. Dann stecken sie bestimmt in den Taschen.“

„Da sind sie nicht.“

„Dann gehe bitte hoch in Papas Schlafzimmer und sieh dort nach. In der Komode. In einer der Schubladen werden sie sein. Und pass auf der Treppe auf. Mach dir dort Licht und falle nicht über die Stufen. Mach immer nur einen Schritt nach dem nächsten und halte dich am Geländer fest. Nicht, dass du mir auf der Treppe stürzst, Liebes ...“

„Mama, ich habe sie gefunden! Da liegen sie, Papas Handschuhe.“

„Ich wusste doch, dass ich mich auf mein Kleines verlassen kann! Uff, ahje, verflixt! Wenn du runter kommst, vergiss nicht, das Licht wieder aus zu machen.“

„Da bin ich. Oh, das Licht ist ja auch bei dir und Papa aus ...“

„Ja, bin an den Lichtschalter gekommen. Aber gib mir zuerst die Handschuhe herüber... Danke.“

„Ui, Mam, ich habe Angst! Da läuft etwas über den Boden, irgendein widerliches Getier!“

„Wo?“

„Jetzt ist‘s unter den Stuhl gerollt, ein dicker Wurm, igitt!“

„Habe es nicht gesehen. Da?“

„Nein, da, dahinten, iiih!“

„Aua! Verdammt! Ah, tut das weh … ufff … blödes Ding ... Drecksvieh, wo biste, Kerl, ha ... kriegste halt noch eins mit dem Feuereisen oben drauf! ... Ah! Jetzt biste fällig!“

„Mama!! Was ist passiert? Was hat denn da gekracht? Papa soll Mama nicht schlagen! Ich habe soviel Angst!“

„Mein Kleines, hab keine Angst. Ist schon gut. Ich bin nur mit dem Kopf gegen die Tischkante gestoßen. Das gibt bestimmt eine Beule. Nicht so schlimm. Komm her, mein Kleines. Ich habe dich ja so lieb. Und es tun schon gar nicht mehr weh. Gehst du für mich in die Küche und bringst mir das Küchentuch vom Spülstein. Mache es am Wasserhahn etwas nass! Mach auch das Licht wieder an ...“

„Da bin ich, Mama! Hier ...“

„Ich geb dir einen Kuss, mein Kleines, komm, ich geb dir einen Kuss. So, ich richte Papa jetzt noch schön her. Die Arme an den Körper, die Beine gerade. Sehr schön. Ach, bin ich froh!“

„Den rechten Handschuh hat Papa ja schon an, aha...“

„Ach ja, den linken habe ich ganz vergessen … kein Problem ... So, fertig. Mein Kleines, wie sollte ich je ohne dich zurechtkommen. Du bist mir so lieb, das aller, aller Liebste auf der ganzen Welt! Jetzt kannst du hoch gehen, dich waschen und schon mal ins Bett legen. Ich räume hier unten noch ein wenig auf und komme gleich zu dir hoch. Und dann erzähle ich dir eine schöne Gute-Nacht-Geschichte.“

„Ja, Mama. Soll ich die Geflügelschere gleich wieder in die Küchenschublade legen?“

„Nein, nein, das brauchst du nicht. Ich räume alles auf und wasche noch ab. Und den alten fleckigen Wohnzimmerteppich muss ich noch zusammenrollen. Da hat Papa Flecken drauf gemacht. Morgen kommt ganz früh ein Mann mit einem Lastauto, der holt ihn ab, und da fährt auch Papa gleich mit. Aber da schläfst du noch.“
 
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aliceg

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armes Kind, wäre sogar besser bei Pflegeeltern aufgehoben!
Oder geht es weniger um Horror als um Satire?

lg aliceg
 
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Aufschreiber

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Hallo Hans,

sehr schön beschrieben, wie die Mutter alles umgeht, was dem Kind seltsam vorkommt. Traurig eben, dass dabei das tiefe Vertrauen desselben so missbraucht wird.

Hat mir gut gefallen.

Beste Grüße,
Steffen
 

Hans Dotterich

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Hallo zusammen,

Danke für Eure netten Kommentare! Ich habe versucht, das Unschuldige und Böse möglichst dicht zusammenzurücken. Wobei ich das Böse gar nicht so sehr mit der Mutter identifiziere. Die handelt ja womöglich in einer prekären Notlage. Die Ausmalung der bösen kleinen Details habe ich der Phantasie des Lesers zu überlassen versucht.
Ich habe beim Schreiben an Hitchkock's "Frenzy" gedacht, den Krawattenmörder, und an die Szene mit der Leichenhand aus dem Kartoffelsack. Und auch ein bischen an den Erlkönig. Mit vertauschten Rollen. Mein erster Horror-Versuch.

Liebe Grüße

Hans
 
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d-m

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Hallo Hans

Hat mir gefallen, deine Geschichte. Obwohl sie rein aus Dialog besteht, normalerweise mag ich es lieber, wenn ich auch "das Drumherum" geschildert bekomme. Aber das funktioniert bei diesem Text gut ohne. Nur eine Stelle:

Oh, wie Putzel, mein kleines Eselchen, das über meinem Bett hängt und mich anlächelt, wenn ich morgens die Augen aufmache! Dauert es noch lange? Ich bin so müde.“
Klingt für mich nicht ganz natürlich, bzw. so, als würde sie das nur sagen, um die Infos an den Leser zu bringen ...

Ansonsten nix zu meckern. Danke für die Geschichte.

Liebe Grüsse,
d-m
 

Hans Dotterich

Mitglied
Hallo d-m,

Danke für Deinen Kommentar.

Es ist tatsächlich so, dass ich mit dem Eselchen Putzel lange gehadert habe. Ich brauchte aber für den Text ein harmloses Synonym für die weiten Pupillen eines hirntoten Mannes, eines Papas, der in den Augen seines Töchterchens eher eine abstrakte Figur geblieben ist, wie der Esel in der Geschichte von den Bremer Stadtmusikanten. Das Eselchen ist ein zentraler Begriff der Geschichte, die aber einen Antagonisten braucht. Ich folgte dem Konzept, dass für jede Figur oder Aussage über eine Person immer eine Gegenposition formuliert werden muss. Gerade wenn die Umstände beginnen hart zu werden.

Ich habe versucht, mit dem Satz "Papa soll Mama nicht schlagen" diese Gegenposition zu schaffen. Das ist vielleicht nur begrenzt gelungen. Umso wertvoller ist Deine Kritik. Ich habe vollkommen akzeptiert, dass alle meine Texte immer nur eine Annäherung an meine Intention sein können.

Grüße

Hans
 
Hallo Hans,

hatte mich ähnlich wie einer meiner Vorkommentaren auch gefragt, ob Horror in reiner Dialog-Form funktionieren kann.
Und ja, hat es meines Erachtens.

Etwas Textkram:

Und jetzt kannst Du mir das Seifenstück
Die ganzen "Du" und "Dein" im Text schreibt man klein.

Ummmpffftzzz…. Nee, so geht‘s nicht…
nicht ...
Leerzeichen, wenn das Wort komplett ist, ohne Leerzeichen, wenn das Wort unvollständig ist (wie bei dem Ummmm...)

Mach‘ auch das Licht wieder an...“
Wenn ein Verb auf e endet, ist kein Apostroph nötig.
mach, lauf, renn, ...

Am Ende hab ich auf die Säge gewartet. Und tatsächlich kam sie in Form einer Geflügelschere :)

Liebe Grüße,
Franklyn
 

Hans Dotterich

Mitglied
Hallo Franklyn,

Vielen Dank für Deinen Kommentar. Habe mich darüber sehr gefreut. Danke auch für die Korrekturhinweise.

Habe mich hier für die reine Dialogform entschieden, weil die "wichtigen" Dinge im Dunkeln passieren und es gewissermaßen nichts zu sehen gibt. Außerdem scheint es mir, dass diese Form Mutter und Kind in eine besondere Enge rücken hilft, in einen Tunnel, dem die beiden mit dem toten Papa um jeden Preis bis zum Ende folgen müssen.

Liebe Grüße

Hans
 



 
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