Papa kommt in die Klappse und löst die spanische Finanzkrise

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Heute konnten wir Papa das erste Mal besuchen. Das Taxi hielt vor einem beigefarbenen Hochhaus. Giebel und Fensterfassungen zitierten den maurischen Baustil Andalusiens. Ein heller, freundlicher Bau, das psychiatrische Krankenhaus in Jerez de la Frontera. Pedro, der Tapaswirt von nebenan begleitete uns. Er spricht etwas englisch und sollte übersetzen. Der Hotelchef, der fließend deutsch sprach, weigerte sich seit dem Vorfall vom Sonntag, uns auch nur anzuschauen.
Es war mir sowieso ein Rätsel, warum er uns nicht sofort rausgeworfen hatte, immerhin wurde das Hotel seit Sonntag von Kamerateams belagert. Vielleicht hatte er einen Rest Mitleid. Jetzt, in der Semana Santa, der heiligen Woche vor Ostern, wäre es einem Sechser im spanischen Lotto gleichgekommen, noch ein Bett zu ergattern. Ich glaube, Mama gefiel ihm auch ganz gut.

Pedro wechselte am Empfang einige Worte mit der Rezeptionistin, dann fuhren wir mit dem Fahrstuhl in den sechsten Stock. „Psicologia III“ stand auf dem Schild vor der vergitterten Tür. Mama und ich schauten uns an. „Iste reine Vorsichtsmaßnahme“, versuchte Pedro uns zu beruhigen und drückte auf den Klingelknopf. Ich war etwas aufgeregt, denn das letzte, was ich von Papa gesehen hatte, war ein schreiender nackter Mann auf dem Balkon. Hinten ein grobschlächtiger Glatzkopf in Sanitäteruniform, der seine Beine in der Luft festhielt, vorne ein zweiter, der versuchte Papas Hände vom Balkongitter zu lösen, an das er sich klammerte.

Wir wurden in ein Zimmer gebracht. Da lag Papa. Ganz blass in einem weißen Schlafanzug, zum Glück nicht in einer Zwangsjacke oder ans Bett gefesselt oder was ich mir sonst so vorgestellt hatte. Papa hatte die Augen geschlossen und atmete flach. Mama ging zum Bett und streichelte seine Wange. Pedro und ich schauten zu. Papa öffnete die Augen. „Rita“, sagte er müde. Er drehte seinen Kopf und sah mich an, hob seine Hand vom Bett. Ich nahm seine Hand, die sich schlaff und weich anfühlte. Noch nie hatte ich ihn so hilflos gesehen, meinen lustigen, energischen Papa. „Wie geht es Dir?“, fragte Mama. „Was sagen die Ärzte?“. „Ich bin so müde“, antwortete Papa. „Sie haben mir irgendwas gegeben. Heute Morgen war der Arzt da. Ich habe aber nicht verstanden, was er gesagt hat, das die verdammt noch mal keine Fremdsprachen sprechen.“ „Jetzt wird alles gut“, beruhigte Mama. Pedro ist mitgekommen, er wird übersetzen.“ Papa schien Pedro erst jetzt zu bemerken. „Ola Hans“, grüßte Pedro. “Ola“, lächelte Papa zurück. „Du weißt warum Du hier bist?“, fragte Mama. „Natürlich, ich bin doch nicht bekloppt.“ Den Blick, den Mama und Pedro wechselten, schien er nicht zu bemerken. „Herrgott, mh, bisschen unpassend, meine Güte, es war eigentlich doch eine Performance, ein großer Spaß.“ Diese Art von Humor teilte Mama durchaus nicht und demonstrierte es durch ihre steil hochgezogene Braue. „Was ist denn schon passiert?“ Papa kehrte zu alter Angriffslust zurück.

Was passiert war? Es war alles schief gegangen. Eigentlich hatte es schon zu Hause begonnen, als wir unseren Osterurlaub planten. Mama wollte wieder in den Robinsonclub nach Spanien. Yoga, Massage, all inclusive. Eine Woche nichts tun. Papa hatte ungewohnten Widerstand gezeigt. „Rita wir fahren ständig in diese Clubs. Wir werden animiert, wir sind von bekloppten Touristen umgeben, die Schnitzel mit Pommes essen und abends RTL gucken, wenn sie nicht gerade am Volleyballturnier oder Karaokewettbewerb teilnehmen oder sich touristifizierten Flamencoscheiß ansehen. Denk mal an früher, da haben wir uns die Rucksäcke geschnappt und sind los gezogen. Diesmal kein Cluburlaub. Punkt. Aus. Endegelände.“
Mamas Mund verzog sich in alle Richtungen. „Damals waren wir im Studium. Jetzt haben wir stressige Jobs. Ich muss mich erholen und da muss ich morgens wissen, wo ich abends schlafe.“
Interessanterweise schien sich niemand für meine Meinung zu interessieren. „Interessiert sich eigentlich jemand für meine Meinung?“, warf ich in den Ring. Zwei Augenpaare musterten mich neugierig, wie man ein exotisches Tier mustert. „So, was ist denn Deine Meinung? Hast Du etwas wieder Lust auf diesen Cluburlaub?“ Er blinzelte mich genauso verschwörerisch wie Mama. Ich saß mal wieder zwischen den Stühlen. „Ich habe Lust auf Meer, Club muss nicht sein, aber Hotel wäre schön.“ Schweigen, Pause, Nachdenken. „Schön, suchen wir uns ein Hotel am Meer, aber Frühstück muss sein“, lenkte Mama sein. „Aber kein Betonbunker, irgendwas Authentisches in einem ruhigen Ort“. Authentisch war so eins von Papas Lieblingsworten.

Und so landeten wir Gründonnerstag in einem beschaulichen Ort, Sanlucar de Barrameda, tief im Süden Andalusiens. Flug von Düsseldorf-Weeze mit Ryanair nach Jerez de la Frontera. Dieses Ryanair ist eine Geschichte für sich. Wer seinen Sitz nicht verstellen möchte, gewarnt wird, auch nur ein Gramm Gepäck zu viel mit sich zu nehmen und mal sehen will, wie Stewardessen wirken, die im Flieger Lotterielose! verkaufen! müssen!, dem sei Ryanair empfohlen.
Hätte mir jemand gesagt, dass ich eine Woche später meinen Vater in einem psychiatrischen Krankenhaus besuchen würde, dem hätte ich das eher nicht abgenommen.

Die Tür öffnete sich und ein großer, schlanker, grauhaariger Arzt trat in Papas Zimmer, im Schlepptau ein jüngerer Arzt. Er grüßte auf Spanisch, Pedro antwortete und erklärte wohl, dass wir eher der deutschen Sprache, als des spanischen Idioms mächtig seien. Der Arzt strahlte: „Ah, gutten Tag. Wie geht? Bayern München. Super. Ich Dr.Xavier Pozo“, radebrechte der Chefarzt. Der junge Arzt, der, der Papa wohl aufgenommen hatte, fing an Hintergründe zu erläutern. Dr. Pozo hörte zu, nickte, lächelte, runzelte die Stirn, lachte. Lachte laut, nickte Papa zu. Papa lächelte auch. Es schien gut zu laufen.

Endlich mal einer der Kante zeigt, dachte der Chefarzt. Dieser Deutsche hatte den Ultrakatholiken gezeigt, wo der Hammer hängt. Vielleicht etwas überzogen, aber im Prinzip richtig. Wenn nur mehr soviel Mut zeigen würden, im Angesicht dieser nervigen Rituale, wo die Massen verrückt spielten. Er seufzte unvermittelt. Alle schauten ihn an. Dr. Pozo wandte sich an den jungen Arzt, der wandte sich an Pedro, der wandte sich an Papa. „He want know, what happened. In your opinion“, übersetzte der Tapaswirt.

Ja, was war passiert? Als wir ankamen am Hotel, direkt in der Fußgängerzone, mussten wir an Metallgittern vorbei, die rechts und links so aufgestellt waren, dass ein Mittelgang frei blieb. Hinter den Metallabsperrungen standen Unmengen von Holzklappstühlen aufgereiht. Papa war natürlich begeistert. „Bestimmt irgendeine Prozession wegen Ostern. Herrlich diese Bräuche, authentisch und ursprünglich.“ Er fragte gleich an der Rezeption, ob schon alles vorbei sei. „Nein, versicherte der Besitzer, das geht erst richtig los“. „Toll“, freute sich Papa, „da kommen wir ja genau richtig.“ Das war am Donnerstag. Am Sonntag lösten zwei Sanitäter unter Aufsicht der Polizei Papa vom Balkon.

Dazwischen lagen rund 20 Prozessionen. Tag und Nacht. Authentisch und ursprünglich. Immer die gleiche Abfolge. 50 bis 80 Büßer in Ku-Klux-Klan-ähnlichen Verkleidungen gingen voran. Dann folgte eine Maria oder ein Jesus auf einem vergoldeten Schrein, groß wie ein großer Wohnwagen, getragen von rund 40 Männern. Den Abschluss bildete eine Blaskapelle in Batallionsstärke. Sie marschierten durch die schmale Gasse vor dem Hotel, bestaunt von tausenden, sonnenblumkernessenden und handyfilmenden Zuschauern. Der Lärm im Zimmer war ohrenbetäubend. Aber nur wenn das Fenster geschlossen war. Öffnete wir die Balkontür steigerte er sich zum Inferno. Die ersten Prozessionen hatte Papa noch gefilmt und fotografiert. Am Freitag fragte er, wann denn das Ganze mal ein Ende habe und fing an Prozessionen, Kirche und Zuschauer zu verfluchen. Am Sonntag war es dann soweit. Die letzte Prozession war gegen halb drei morgens zu Ende gegangen. Papa schnappte sich wutentbrannt das Bettlaken und Mamas neuen Chanellippenstift, Farbton Rouge Allure. Das weiß ich, weil ich ihn ihre zum Geburtstag geschenkt hatte. Aller Protest brachte nichts. Papa schnappte sich das Wörterbuch und schrieb: „Dios ha muerto (Nietzsche) y tú eres estúpida oveja“. Laut seinem Wörterbuch hieß das „Gott ist tot und Ihr seid dumme Schafe“. „Was hast Du vor“? fragte Mama. Papa hatte diesen komischen Glanz in den Augen, den er immer bekam, wenn er sich mit unserem Nachbarn über die Äste stritt, die in dessen Garten reinragten. „Hans, mach kein´Scheiß“. Mama erinnerte Papa, dass er uns immer predigte, Sitten und Gebräuche in fremden Ländern zu respektieren. „If you are in Rome, do as the Romans do“, lautete sein Appell an die Toleranz. Mit der war es bei ihm um Punkt halb sieben vorbei, als der nächste Prozessionszug vorbei marschierte. Papa sprang aus dem Bett, nackt wie er war, schnappte sich das Laken, riss die Balkontür auf und sprang ans Gitter. Er ließ das Tuch herab und schrie: „Seid Ihr wahnsinnig, hier so ein Remmidemmi zu veranstalten“! Sein Geschrei ging im Lärm der Musik und Massen unter.

Doch dann sah ihn der erste Zuschauer, sah den nackten Mann, der wie ein Derwisch auf dem Balkon herum sprang, sah das Laken, las den Text. Finger zeigten zum Balkon, Handys wurden gezückt, der Prozessionszug kam zum Stillstand. Die Büßer zogen ihre spitzen Mützen mit den Augenschlitzen aus, um besser sehen zu können, der Marienschrein schwankte, wurde abgesetzt, die Blasmusik verstummte. Dann waren da wie aus dem Nichts die ersten Fernsehkameras und richteten ihre Objektive auf den Balkon. Auf der Straße war es jetzt gespenstisch still, nur Papas Geschrei tönte vom Balkon. Mama schaute wie gelähmt zu, blankes Entsetzen im Gesicht. Dann brach auf der Straße der Tumult los. Beschimpfungen, Dosen, Regenschirme flogen Richtung Balkon. Papa schien das gar nicht mitzubekommen. „Gott ist tot, Dios ha muerte, tot, dead, Ende, aus.“ Er bekam sich gar nicht mehr ein, war knallrot im Gesicht. Plötzlich hörte man Sirenenlärm. Ein langsam vorrückendes Polizeimotorrad teilte die Menschenmenge, wie einst Mose das Rote Meer. Freiwillige räumten die Barrieren zur Seite, denn hinter dem Motorrad folgten ein Mannschaftswagen und ein Krankenwagen. Sie hielten vor dem Hotel. Noch mal schrie Mama Papa an: „Hans, Du kommst jetzt sofort rein, sonst war´s das mit uns. Die Polizei steht schon vor der Tür“. „Mir doch egal“. Schon donnerte es an die Tür. Vier Polizisten stürmten mit gezogener Waffe rein, im Schlepptau die Sanitäter. Einer an die Beine, einer an die Hände. Papa heulte und schrie, die Menge schrie und jubelte.
Papa schwieg, Pedro schwieg, der Chefarzt schwieg. Pedro hatte Papas, Mamas und meine Einlassungen übersetzt.
Dr. Pozo schaute zufrieden, wechselte einige Worte mit dem Assistenzarzt und wandte sich dann an Pedro. Wenn ich alles richtig verstand, war alles in Ordnung. Papa hatte etwas gehabt, was ich mir mit stressinduzierter Übersprungshandlung übersetzte. Der Tag in der Klinik hatte gereicht, um ihn wieder ins Gleichgewicht zu bringen. „Morgen zu Hause“, zeigte Dr. Pozo auf Papa, ging zu ihm und haute ihm auf die Schulter. Mama schluchzte erleichtert auf, so sentimental kannte ich sie gar nicht. Dr. Pozo verließ das Zimmer. Ein Pfundskerl dachte er bei sich. Das muss ihm erstmal jemand nachmachen. „So, zurück an die Arbeit“, sagte er zum Assistenzarzt und verschwand in seinem Chefarztzimmer.
Dort saß ein dicker Mann auf seinem Stuhl. Wie war der hier reingekommen? Der Mann schien seine Gedanken zu erraten. „Eine Schwester war so freundlich. Entschuldigen Sie, dass ich hier so reinplatze, aber ungewöhnliche Ereignisse erfordern unbürokratisches Handeln. Mein Name ist Jorge Barbiano, ich bin der Bürgermeister von Sanlucar.“ Dieser Besuch bedeutete nichts Gutes, gar nichts Gutes. Das wusste Dr. Pozo in diesem Moment sofort.

Mama saß auf Papas Bett und streichelte sein schütteres Haar. „Du verrückter Kerl, aber jetzt ist ja alles wieder gut.“ „Siehste, was ich immer sage, ein bisschen Zivilcourage hat noch nie geschadet. Merk Dir das Markus“, belehrte er mich gleich mal wieder. „Morgen geht´s zurück ins Hotel und dann nichts wie weg aus diesem religionsverrückten Land. Und nächstes Mal, versprochen, wieder ein ruhiger Cluburlaub. Wir verabschiedeten uns und versprachen Papa, ihn morgen mit dem Taxi abzuholen.
Wir wussten ja nicht, was sich in Dr. Pozos Zimmer im gleichen Moment abspielte.

„Ganz normal. Etwas überspannt, aber ganz normal?“ Bürgermeister Barbiano war auf 180. Er schien seinen Blutdruck nicht ganz unter Kontrolle zu haben. „Das ganze Land lacht über uns, die Prozessionsvereine sitzen mir im Nacken, die Kirche droht die Prozessionen ganz aus Sanlucar abzuziehen. Wissen Sie was das bedeutet? Nein, nein, sie können den Verrückten nicht einfach laufen lassen, wie stehen wir denn dann da?“
Pozo blieb ruhig, er konnte den dicken, schwitzenden Bürgermeister irgendwie auch verstehen. Durch die Fernsehnachrichten und Youtubefilmchen über einen verrückten Nackten auf dem Balkon in Sanlucar hatte die Stadt, gleichsam über Nacht, zweifelhafte Berühmtheit erhalten. „Was soll ich denn Ihrer Meinung nach machen? Ich kann den Mann nicht einfach wegsperren. Vielleicht bekommt er eine Anzeige wegen Beleidigung, aber aus medizinischer Sicht gibt es keinen Grund, den Mann länger hierzubehalten.“ „Das werden wir ja sehen“, schnappte der Bürgermeister. Ich habe meine Kontakte, Sie hören von mir. Sprach es und rauschte ab.

Vom Bürgermeister hörte Pozo an diesem Tag nichts mehr, dafür aber von Monsignore Francesco de Llorca, Verwaltungschef der psychiatrischen Klink „Santa Maria de Andalucia“, in Trägerschaft des katholischen Ordens der „Heiligen Brüder der letzten Stunden des Herrn“. Monsignore gab Pozo die Dienstanweisung, den verrückten Deutschen vorerst nicht zu entlassen. Es gäbe noch einiges zu klären.

Nach einem ausgiebigen Frühstück machten wir uns am nächsten Morgen gut gelaunt auf den weg nach Jerez, um Papa abzuholen. Komischerweise hatte der nicht nur nicht seine Tasche gepackt, sondern lag im Bett und diesmal, ich traute meinen Augen nicht, die Arme rechts und links ans Gitter fixiert. „Papa, was ist los?“, fragte ich ihn, doch er schaute nur aus leeren Augen an die Decke. Die Krankenschwester erklärte Pedro, der uns glücklicherweise begleitete, Papa habe am Abend einen schizophrenen Schub erlitten und ruhig gestellt werden müssen. Mama verlangte sofort, Chefarzt Pozo zu sprechen. Das ginge nicht, sagte die Schwester, Dr. Pozo sei auf einer Tagung der psychiatrischen Gesellschaft in Madrid, aber der junge Arzt komme gleich. Der entschuldigte sich für die „Unannehmlichkeiten“. „Unannehmlichkeiten?“, schrie Mama. Papa sei auf Anweisung von Dr. Pozo ruhiggestellt worden, mehr könnte er im Moment nicht sagen. Der Chefarzt komme erst in drei Tagen aus Madrid zurück. Papa lag reglos auf dem Bett. Mama heulte vor Wut. „Das wird Konsequenzen haben“, schrie sie dem Arzt ins Gesicht. Sie streichelte Papa, „alles wird gut“, stieß den Arzt zur Seite und zog uns aus dem Zimmer. „Kriegsrat“, murmelte sie. Wir setzten uns in ein Café. Unter Druck konnte Mama extrem schnell denken und agieren. Ich weiß noch, wie ich zu Grundschulzeiten meinte, meine Lippen mitten im Winter auf ein Metallgeländer drücken zu müssen. Hätte Mama nicht sofort warmes Wasser geholt, wäre ich dort bis zum Frühling hängen geblieben.

„Das verstößt gegen alle ethischen und rechtlichen Regeln“, schnaubte Mama. „Wir rufen die Botschaft in Madrid an und die muss Papa da rausholen.“ Die Nummer hatten wir schnell übers Internet recherchiert und Mama sprach lange mit dem zuständigen Attache. Nach fünf Minuten legte sie auf. „Wir werden gleich zurückgerufen, alles wird gut haben die mir versichert“. Mama war zufrieden. Nach drei Stunden, unzähligen Kaffees und Colas, war Mama nicht mehr zufrieden. Endlich klingelte das Handy. Mama hörte zu, Mamas Gesicht wurde immer länger, blass. Dann legte sie auf.

„Wir haben eine Staatskrise“, sagte sie tonlos. Papa ist in den Außenministerien gelandet. Die spanische Nation ist beleidigt und fordert eine Entschuldigung – von Angela Merkel.“ Die nächsten Tage konnten wir nichts machen, als im Hotelzimmer zu sitzen und zu warten. Es war zum Heulen. Glücklicherweise hatten wir die Glotze mit deutschen Programmen. Immer wieder besuchten wir Papa. Der war erstaunlich gelassen: „Kann immerhin nicht jeder von sich behaupten, eine Staatskrise ausgelöst zu haben“, kalauerte er. Mama war nicht zu Späßen aufgelegt. Freitagabend sahen wir die Tagesthemen. Es ging mal wieder um die spanische Finanzkrise und die Hilfen der EU. Nach einer langen Sitzung trat Angela Merkel vor die Kameras: „…freuen wir uns, dass wir uns mit der spanischen Regierung auf neue Finanzhilfen einigen konnten. Diese fleißige Nation hat unsere Hilfe verdient.“ Mama schaltete ab. Sie war sauer: „Ja für die da oben gibt´s keine Schwierigkeiten. Aber uns kleinen Leute lässt man hier verrecken.“

In diesem Moment klingelte das Handy. Es war die Botschaft. „Ob wir die Tagesthemen geschaut haben?“, fragte Mama verständnislos. „Ja Mensch, die Kuh ist vom Eis“, jubelte der Botschafter. „Die Kanzlerin kann sich doch nicht direkt zu so einem nichtigen Vorfall äußern. Sie sehen, wir haben das Problem auf andere Art und Weise elegant gelöst.“ Jetzt fiel bei Mama der Groschen. „Das ist ja großartig. Heißt das, mein Mann ist jetzt frei?“ „Fast“, dämpfte der Botschafter die Euphorie. „Kommen Sie bitte morgen um 11 Uhr in die Klinik. Ich werde auch da sein.“
Was dann folgte gehört zu dem Skurillsten, was ich je erlebt habe und wäre ich nicht selbst dabei gewesen, ich hätte es nicht geglaubt. Als wir am nächsten Tag in die Klinik kamen, standen schon dutzende von Kamerateams im Foyer. Wir gingen in Papas Zimmer, doch das Bett war leer. Ein kleiner dicklicher Mann stellte sich als Botschafter Schmidt vor. „Wo ist denn mein Mann?“, fragte Mama genervt. „Bleiben sie ruhig, wir haben es fast geschafft. Folgen Sie mir bitte in die Kapelle.“

Wir fuhren in die Klinikkapelle im dritten Stock. Ein kleiner Raum, ausgeschmückt mit goldenem und roten Samt. Überall Kerzen. Es roch stark nach Weihrauch. Vor dem Altar stand ein Bett. Und da lag mein Papa. In einem schwarzen Anzug. Er hatte noch nie einen Anzug getragen, außer bei der Hochzeit und den hatte er sich von seinem besten Freund, Hans-Günther, kurz Hagü, geliehen. In einer Ecke des Raums stand Dr. Pozo und schaute zu Boden. Neben ihm ein dicker, rotgesichtiger Mann, offensichtlich mit Blutdruckproblemen.

Eine Tür hinter dem Altar öffnete sich, ein Priester kam herein, ganz in Gold gekleidet. Ihr hielt Mama eine fleischige Hand mit dickem Ring vor die Brust, sie aber ignorierte den Mann. Ein kurzes Zischen des Botschafters belehrte sie mit Blick auf Papa eines besseren und sie küsste den Ring. „Das ist Monsignore Francesco Llorca. Er wird ihren Mann jetzt exorzieren“, flüsterte der Botschafter Mama ins Ohr. „Er wird was?“ „Na ja, auf internationaler Ebene haben wir das Problem mit ihrem Mann ja gelöst, wie Sie wissen, doch auch die Kirche fordert ihren Tribut. Sie kann nicht akzeptieren, dass eine leichte Entgleisung der Grund für das Verhalten Ihres Mannes gewesen sein soll. Sie hält ihn für besessen. Sie will ihre Würde zurück.“

„Und was ist mit der Würde meines Mannes?“ „Wollen Sie nach Hause oder nicht?“ Man merkte dem Botschafter an, dass ihn das Ganze auch mehr als nervte. Der Monsignore ging zu Papa. Alle Kameras richteten sich auf die Beiden. Der Gottesmann schwenkte das Weihrauchfass, murmelte Gebete, fasste Papa an den Schultern und riss ihn hoch. Papa öffnete die Augen und schaute mit klarem Blick auf den Priester. Dann stürzte er auf die Knie und küsste dem Monsignore den Ring. Ich meinte ein leichtes Zucken um seine Mundwinkel zu beobachten. Machte er sich lustig? Die Journalisten applaudierten, Dr. Pozo verließ rasch den Raum. Der Bürgermeister von Sanlucar grinste erleichtert.

Und wir? Wir fuhren nach Hause. Ein Jahr später waren wir übrigens in der Türkei. Alanya. Yoga, Massage, ultra all inklusive.
 



 
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