Chrischbus
Mitglied
Paradies
Im Bus sitzt jeden Morgen dasselbe Mädchen neben mir. Einmal spreche ich mit ihr und da sagt sie, dass sie ihre Muttermale zählt. Denn mit jedem Jahr, das vergeht, entstehen neue Muttermale auf der Haut und aus den Schrammen, die der Sommer auf unseren Beinen hinterlässt, werden kleine helle Narben, die manchmal für immer bleiben.
Am nächsten Tag erzählt sie mir, dass sie in ihrem Haar Strähnen bemerkt hat, die so hell sind, dass sie sich nicht mehr sicher ist, ob es nur von der Sonne gebleichte, oder ob es schon graue Haare sind. Deswegen reißt sie diese hellen Haare aus, um sie dann draußen auf der Wiese in das Gras unter ihren Beinen und Armen zu mischen. Bis das Gras im Sommer so ausgedörrt ist, dass die Haare aussehen wie das Gras und das Gras wie die Haare.
Das Mädchen wird meine Freundin, aber sie ist morgens nur noch selten in dem gleichen Bus wie ich. Sie schreibt mir eine e-mail, in der steht, dass sie an manchen Tagen früh nicht aufsteht, weil sie Angst davor bekommt, dass der Tag zu schnell vergehen wird. Dass sie stattdessen im Bett liegen bleibt und auf das Ticken der Sekunden, die verstreichen, hört. Und dass sie dann versucht nach jedem Moment der Stille, der zwischen dem Vergehen der einzelnen Sekunden liegt, zu greifen und ihn fest zu halten. Doch jeder dieser Momente entwindet sich ihr und seine Stille wird von dem nächsten lauten Vorwärtsticken der Uhr zerrissen.
Dann schickt sie mir eine Sms. Ich erhalte sie am Abend eines heißen Sommertages, als ich auf der ausgedörrten Wiese in der Sonne liege, die Muttermale auf meiner Haut und die fast weiß gebleichten Härchen auf meinen Armen betrachte. Sie schreibt, dass sie von einer Brücke springe, um nach der Stille zwischen dem Ticken der Sekunden zu greifen und sie festzuhalten. Denn in dem Moment, in dem sie landete, würde ein Moment der Stille erklingen, der endlich ewig bliebe.
Meine Freundin ist tot und an meinen Händen sind zehn Finger. Jeden Tag zähle ich einen Finger ab. Nach zehn Tagen sind alle Finger abgezählt, und ich gehe zu der Brücke und springe meiner Freundin hinterher. Als ich aufkomme, umfängt mich die Stille, von der sie erzählt hat, und ich bin im Paradies.
Ich sehe vom Paradies auf die Menschen hinunter, die lesen, was ich schreibe. Die mit suchenden Blicken zu mir nach oben gucken, um zu sehen, wo ich sitze und weine. Denn ich weine jeden Tag im Paradies und wünschte mir, ich wäre meiner Freundin nie gefolgt. Hier erfasst jeden eine unendliche Traurigkeit, weil jeder Tag so unglaublich schön ist und wir Angst haben, dass diese schönen Tage vergehen, obwohl wir alle wissen, dass das Paradies unendlich ist. Aber die Sekunden ticken und die Engel stehen zwischen uns und halten in ihren Händen riesige Uhren, deren Zeiger um die Mitte schnellen. Und meine Freundin zählt immer weiter ihre Muttermale, die sich vermehren und ihre Haare, die grau werden.
Im Bus sitzt jeden Morgen dasselbe Mädchen neben mir. Einmal spreche ich mit ihr und da sagt sie, dass sie ihre Muttermale zählt. Denn mit jedem Jahr, das vergeht, entstehen neue Muttermale auf der Haut und aus den Schrammen, die der Sommer auf unseren Beinen hinterlässt, werden kleine helle Narben, die manchmal für immer bleiben.
Am nächsten Tag erzählt sie mir, dass sie in ihrem Haar Strähnen bemerkt hat, die so hell sind, dass sie sich nicht mehr sicher ist, ob es nur von der Sonne gebleichte, oder ob es schon graue Haare sind. Deswegen reißt sie diese hellen Haare aus, um sie dann draußen auf der Wiese in das Gras unter ihren Beinen und Armen zu mischen. Bis das Gras im Sommer so ausgedörrt ist, dass die Haare aussehen wie das Gras und das Gras wie die Haare.
Das Mädchen wird meine Freundin, aber sie ist morgens nur noch selten in dem gleichen Bus wie ich. Sie schreibt mir eine e-mail, in der steht, dass sie an manchen Tagen früh nicht aufsteht, weil sie Angst davor bekommt, dass der Tag zu schnell vergehen wird. Dass sie stattdessen im Bett liegen bleibt und auf das Ticken der Sekunden, die verstreichen, hört. Und dass sie dann versucht nach jedem Moment der Stille, der zwischen dem Vergehen der einzelnen Sekunden liegt, zu greifen und ihn fest zu halten. Doch jeder dieser Momente entwindet sich ihr und seine Stille wird von dem nächsten lauten Vorwärtsticken der Uhr zerrissen.
Dann schickt sie mir eine Sms. Ich erhalte sie am Abend eines heißen Sommertages, als ich auf der ausgedörrten Wiese in der Sonne liege, die Muttermale auf meiner Haut und die fast weiß gebleichten Härchen auf meinen Armen betrachte. Sie schreibt, dass sie von einer Brücke springe, um nach der Stille zwischen dem Ticken der Sekunden zu greifen und sie festzuhalten. Denn in dem Moment, in dem sie landete, würde ein Moment der Stille erklingen, der endlich ewig bliebe.
Meine Freundin ist tot und an meinen Händen sind zehn Finger. Jeden Tag zähle ich einen Finger ab. Nach zehn Tagen sind alle Finger abgezählt, und ich gehe zu der Brücke und springe meiner Freundin hinterher. Als ich aufkomme, umfängt mich die Stille, von der sie erzählt hat, und ich bin im Paradies.
Ich sehe vom Paradies auf die Menschen hinunter, die lesen, was ich schreibe. Die mit suchenden Blicken zu mir nach oben gucken, um zu sehen, wo ich sitze und weine. Denn ich weine jeden Tag im Paradies und wünschte mir, ich wäre meiner Freundin nie gefolgt. Hier erfasst jeden eine unendliche Traurigkeit, weil jeder Tag so unglaublich schön ist und wir Angst haben, dass diese schönen Tage vergehen, obwohl wir alle wissen, dass das Paradies unendlich ist. Aber die Sekunden ticken und die Engel stehen zwischen uns und halten in ihren Händen riesige Uhren, deren Zeiger um die Mitte schnellen. Und meine Freundin zählt immer weiter ihre Muttermale, die sich vermehren und ihre Haare, die grau werden.