Paradiesischer Dialog

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aliceg

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Zwei Freundinnen, Hedi und Lisa sinnierten über eine sehr ferne Zukunft.

"Bei dieser Hitze kann ich nicht schlafen", stöhnte Lisa, " und ich denke über alles Mögliche nach. Würdest du dich freuen, einmal im Paradies zu landen?"

"Wollen wir das nicht alle?", meinte Hedi und hätte das Gespräch am liebsten schnell wieder beendet.

"Vielleicht nicht alle, die nicht, die sich gerade sauwohl fühlen auf Erden", meinte sie, "die würden wahrscheinlich lieber ihren gegenwärtigen Zustand auf ewig beibehalten."

"So wie du, Hedi. Du bist glücklich verheiratet, hast liebe Kinder. Es könnte nicht besser laufen! Aber ich habe meinen Geliebten verloren. Ist er im Himmel? Dann will ich auch dorthin. Aber ein Himmel ohne ihn ist kein Paradies für mich."

"Das versteh ich Lisa, dass du ihn wiedersehen willst. Aber jetzt überleg einmal, ich kenne auch etliche Personen, die ich nicht wiedersehen will. Denk einmal nur an die bekanntesten Böslinge in der Welt. Und dann alle privaten Unsympathler. Hab nicht die geringste Lust nach einem Zusammentreffen mit denen."

"Ich auch nicht, Hedi. Aber wenn es dort keine Rachegedanken mehr gibt, haben alle ein Recht aufs Jenseits, sogar jene, die nicht daran glaubten."

"Da denkst du päpstlicher als der Papst, liebe Lisa. Ich glaube, das Paradies wird für jeden genau so sein, wie sie oder er es sich erträumt hat und vorstellt. So durchgeistigt oder so materialistisch. Die gerne völlern, werden sich wohl weiterhin anfressen bis zur Übelkeit. Jeder wird mit der Erfüllung eigener Wünsche solange konfrontiert werden, bis sie ihm zuwider sind. Oder er darf gleich wieder auf der Erde eine Dacapo-Runde drehen."

"Vielleicht finde ich meinen geliebten Harry nicht mehr, weil es gar keine Geschlechter mehr gibt. Vermehrung ist ja nicht mehr nötig. Wie langweilig eigentlich."

"Keine Männlein und Weiblein mehr im Himmel? Aber da fällt mir ein Lichtblick ein, dass alle biblischen Engel männliche Namen hatten: Michael, Gabriel, Uriel und so weiter. Und viele Heilige waren Männer: Moses, Abraham, David, Salomon, Joseph ... die werden doch nicht plötzlich alle geschlechtslos umherwandeln! Und Jesus, den gibts ja schließlich auch noch. Also, wenn weder der, noch Gottvater männlich sind, wäre dort das reinste Puppentheater inszeniert!"

"Und wie wäre das mit den anderen Sinnen? Brauchen wir noch Augen, wenn wir mit dem inneren Auge sehen könnten? Oder Ohren? Oder Münder? Es gäbe dann sicher keine Sprachenvielfalt mehr, wenn wir uns mit Gedankenübertragung verständigten. Nicht nur die Gedanken, auch unsere Gestalten könnten fliegen oder sich wie Captain Kirk zu anderen Orten beamen."

"Also diese Möglichkeit fände ich reizvoll, Hedi, aber alles andere ...? Nein, so nicht, in so einen Himmel wollte ich nicht."

"Dann lassen wir uns überraschen, wie es tatsächlich sein wird. Und hoffentlich sind die Hitzenächte bald überstanden, damit die Träume wieder lieblich werden! Schlaf so gut wie möglich, Lisa!"

"Danke, du auch. Bis morgen."
 

GerRey

Mitglied
Hallo aliceg!

Ein sehr schöner Dialog, aus dem Überlegungen hervorgehen, die ich so noch nie angestellt habe. Hedis Himmel erinnert ein wenig an Dantes Inferno. Nur dass dieser eine Reise durch die Hölle beschrieb. Ein Himmel ohne Münder - ohne die rosigen Lippen einer Frau, die man küsst, gefiele mir nicht. Ich nehme die ersten vier Höllenkreise bei Dante: Vorhölle, Lust, Völlerei und Gier.

Liebe Grüße
GerRey
 

aliceg

Mitglied
Hi GerRey ,

Gedanken zum Jenseits - wen hatten die noch nie beschäftigt?
Wo die Wissenschaft keine ausreichenden Erklärungen anbietet, machen es Religionen und Spekulationen.
Liegen Himmel und Hölle näher beisammen als man denkt? Es kann nicht vermessen sein, als Mensch eben menschlich zu denken, und so manche Freuden wie Dante Alighieri der Hölle (Vorhölle) eher zutrauen. Die Erfahrung lehrt uns aber auch, dass Extreme sich oft ins Gegenteil kehren können.

Trotzdem schönen Sommer noch (der uns auch schon ganz schön nervt)!
lg aliceg
 



 
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