parallele

4,50 Stern(e) 6 Bewertungen

Mimi

Mitglied
das bett ist noch warm von deinem körper
ich weiß dass du gegangen bist
ohne deine schritte gehört zu haben
noch liegt dein geschmack auf meinen lippen
wie eine heilige salbung

durch die gardinen dringt
das erste licht der morgensonne ins zimmer
entzaubert stück für stück
das geheimnisvolle der letzten nacht

wann haben wir angefangen
parallel zueinander zu existieren
ohne einen schnittpunkt
morgen werde ich dich nicht wiedersehen
und trotzdem wissen
dass du noch da bist
in meinen gedanken
werde ich mir die orte vorstellen
an denen du sein könntest
vielleicht irgendwo an einem strand
oder auf dem gipfel eines berges

ein fremder an einem fremden ort
dessen körper mir gleichzeitig so vertraut ist
dass ich ihn mit geschlossenen augen
zeichnen könnte
 

Perry

Mitglied
Hallo Mimi,
ja manche "Begegnungen" wirken länger nach, als man erwartet hat.
Vielleicht hilft der Spruch, man begegnet sich meistens zweimal im Leben, obwohl der eher nachtragend gemeint ist. ;)
Gern mitgefühlt und LG
Manfred
 

sufnus

Mitglied
Hey Mimi!
Deine äußerst schönen Zeilen regen mich gerade zu einer steilen, anthropologischen ad hoc-Hypothese an.
Der Homo sapiens wurde ja schon über alles mögliche definiert, Werkzeuggebrauch, aufrechter Gang, Sprache, Homo ludens, Homo faber usw. Eine ergänzende Möglichkeit wäre es doch, ihn als ein Wesen zu definieren, welches nach Ordnung strebt (gut... der Zustand der Küche, wenn ich ein Menü gezaubert habe, spricht etwas dagegen).
Jedenfalls betrachte man doch einmal die (mehr oder weniger) streng ausgerichtete, parallele Doppelbett-Anordnung eines nächtlichen, wohleingespielten, älteren Ehepaars und kontrastiere dies mit dem Kuschelgetümmel vierbeiniger Haustiere in ihrem Körbchen.
Offensichtlich gibt es aber ein Szenario, in welchem die Neigung des Homo sapiens zu feinsäuberlicher Geometrie über Bord geworfen wird, woraufhin sich zwei Menschen in bestürzender Unordnung verknäulen - ein Einbruch des altvorderen Chaos in den üblichen zivilisatorischen Kosmos. Eine humane Anomalie also?
Dein Gedicht, Mimi, ist durchaus weit entfernt von einer Einengung eines hochgeordneten Zustandes zu einem Gegenbegriff für das schöne Durcheinander der körperlichen Liebe. Ja, es geht hier eigentlich gar nicht (nur) um den physischen Aspekt der zwei besungenen Körper, die fortan in berührungsloser Parallelität Ko-Existieren. Es geht um das Trennende der Weltweite, die allzuviel Raum zur Entfaltung anbietet, als dass Nähe noch wirksam werden könnte. Von wegen globales Dorf!
Hier wird also die Thermodynamik auf den Kopf gestellt. Während die Physiker in ihrer Sucht nach vollständiger Beschreibbarkeit einen allgemeinen Drang des Weltgeschehens hin zu größtmöglicher Unordnung postulieren, beschreibst Du im (physikalisch betrachtet) Grenzfall des menschlichen Miteinanders die spontane Selbstassemblierung in parallelen Strukturen. Ein kaltes, kristallines Dasein.
Vielleicht zeichnet sich der Mensch ja doch nicht durch seine Ordnungsliebe aus?
Die Mathematiker jedenfalls (Menschen, denen man in Verkennung ihres Spieltriebs häufig eine hohe Ordnungsaffinität nachsagt) sahen gerade das Parallelenaxiom des Euklid immer als einen besonders anstößigen Teil seiner Geometrie an und konnten es doch nie ganz los werden, bis es schließlich gelang, völlig neue, nicht-euklidische Geometrien zu definieren, was aber wiederum den Beweis erbrachte, dass man innerhalb der vertrauten Geometrie des Euklid auf die vermaledeiten, auf ewig getrennt nebeneinander herlaufenden Parallelen dem Aussagegehalt nach nicht wirklich verzichten kann.
Um es also abschließend mit Kästner zu sagen: "Soll das ein Trost sein? So wars nicht gemeint."
Vielen Dank für dieses wirklich anregende Gedicht! :)
LG!
S.
 

Mimi

Mitglied
Hallo Perry,
das mit dem "Nachwirken" von "Begegnungen", kann ich, für mich jedenfalls, nur bestätigen ...

Dankeschön für Deinen Kommentar.

Gruß
Mimi
 

Mimi

Mitglied
Danke, lieber Sufnus, für Deine interessante Rückmeldung zu meinem Gedicht ...


Ja, Du hast es schon richtig erfasst, das Gedicht thematisiert, das innere emotionale Chaos, während gleichzeitig auch der Wunsch nach einer Ordnung, Symmetrie und auch Bestimmtheit, wie sie in der Geometrie vorzufinden sind, herauslesbar ist.
Nun ja, die gedankliche Verknüpfung einer umgekehrten Analogie, oder eigentlich eher Disanalogie, "menschliches Gedankenchaos" versus "klare geometrische Verhältnisse", finde ich hier schon recht passend.

Der Ausdruck aus der Alltagssprache "parallel zueinander existieren", ist hier natürlich gleichbedeutend mit "nebeneinander her leben", ohne eine tiefgreifende Interaktion oder Begegnung, die über eine rein physische Intimität und einer emotionalen Distanz hinausgeht, demzufolge ohne wirklich eine Verbindung zueinander zu haben oder gar zu spüren.
Womit wir wieder bei der Geometrie wären, in der "parallele Linien" lediglich bedeutet, dass sich zwei (oder mehrere) Linien in einer Ebene nie schneiden werden, selbst wenn sie ins Unendliche verlängert werden.

Ob das adaptiert auf zwischenmenschliche Beziehungen tröstlich ist ...? ... hmm ... wohl eher nicht.:)

Gruß
Mimi
 



 
Oben Unten