Paris

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Eiffelturm
Eisernes Gebet im Dunst.
Früh morgens: Leere, Stille.
Ein erster Wurm, eine erste Grille.
In den Cafés schon überall Kunst.
Männer mit Tintenhänden,
die Blicke fern und
wund.

Ein Mädchen tritt ins Licht,
wie eine offene Frage.
Jemand rezitiert ein Gedicht,
und es klingt wie eine Völkersage.
Ein Blinder überquert die Straße –
Taktgeber des
Unsichtbaren.

Die Nacht hat echte Leben verzehrt.
Der Morgen kommt schnell und hart.
Und in der Rue Mouffetard
wurde ein Ochse von hinten entleert.
Sein Fleisch ist so viel wert –
die Häute über dem Hoden
sind warm und zart.

Wer braucht schon einen Namen
in dieser Stadt,
die so viele dunkle Fenster hat.
Und jedes dunkle Fenster hat
einen hellen Rahmen.
Wir gehen anders,
als wir kamen.

Der Himmel hängt tief,
als wollte er hören, was wir verbergen.
Und wieder hängt ein Liebesbrief
an die Schlawiner und ihre Schergen –
im Café de Deux Magots,
in einem Türspalt, schief,
auf einer Tür vor einem
Stricherklo.

Die Nacht hier
ist ein Briefumschlag für dich.
Leer. Jemand spielt auf einem
Schifferklavier
Brel für die Huren und Diebe.
Man sagt, die Freiheit triebe
noch immer durch diese Stadt.
Und es stimmt:
In mir treibt alles, was Liebe
hat,
an.

Text DvE
Musik ki

 

wirena

Mitglied
tja, was ki so alles kann - Staunen und Hören - ki hatte aber mit dem Text auch eine gute Grundlage für die schöne Musik - und der Autor musste ja erst einmal die Technik beherrschen und alles zusammen bringen - die Maschine mit seinen Gedanken füttern - m.E. ein gelungenes Werk - merci and: bonne nuit et bonne journée et thanks for cette idee, cette presentation - LG wirena
 

sufnus

Mitglied
Hey Dio!
Ich hab mal wieder gespielt ;) und mir nur die jeweils ersten Zeilen Deiner Strophen geklaut (mit einer kleinen Wortumstellung im Sinne eines deutlicher heraushörbaren Finalakkords). Und dann hab ich noch die Zeichensetzung weggelassen und auf konsequente Erstzeilengroßschreibung umgestellt, um die einzelnen Fragmente etwas stärker zu verbinden.
Das kam dabei heraus (jetzt isses natürlich kein Reimgedicht mehr - aber immer noch Original-Dio-Wortlaut ;) ):
LG!
S.


Paris

Eiffelturm
Eisernes Gebet im Dunst

Ein Mädchen tritt ins Licht
Wie eine offene Frage

Die Nacht hat echte Leben verzehrt
Der Morgen kommt schnell und hart

Wer braucht schon einen Namen
In dieser Stadt

Der Himmel hängt tief
Als wollte er hören was wir verbergen

Die Nacht
Hier ist ein Briefumschlag für dich
 

sufnus

Mitglied
Hey Dio!
Ja... also diese "Verdichtung", die ich Dir da angetan habe, ist natürlich das Gegenteil von einem Dio-Gedicht insofern war mein obiges "Original Dio-Wortlaut" natürlich die reine Provokation (aber eine der neckend-freundlichen Art :) ).
Was man beim Überblenden meiner Etüde mit Deinen schönen Zeilen diskutieren kann (finde ich), das ist ob bei den von Dir verwendeten Reimen nicht in ein paar Fällen eine etwas zu erzwungene Reimpaarbildung erfolgt ist, die dem Text zwar natürlich dennoch in Sachen "Klang" dienlich ist, aber nicht immer in Sachen "Poesie".
Wobei: So sehr man in Sachen "Poesie" womöglich ins Zweifeln geraten mag - am Ende überwindet Dein Sound (fast) alle Zweifel.
Dass darf hier ruhig mal nochmal unterstrichen werden: So sehr eine ganz "eigene" Stimme zu besitzen, wie Dir das beschieden ist, das ist schon einen Pastis wert! :)
LG!
S.
 

wirena

Mitglied
also diese "Verdichtung", die ich Dir da angetan habe, ist natürlich das Gegenteil von einem Dio-Gedicht insofern war mein obiges "Original Dio-Wortlaut" natürlich die reine Provokation
Hey sufnus - kann nichts Provokierendes finden - m.E. ist der Briefumschlag perfekt passend. Deine Variante gefällt mir persönlich sogar klar besser.
LG wirena
 
Hi @sufnus

so wie @wirena empfand ich deine Verdichtung nicht als Provokation und das liegt nicht an deiner doch immer zugewandten Mitmenschlichkeit, die bei jeder Kritik immer auch nach dem Verbindenden, dem "Menschelnden" sucht, sondern eben auch an der aufrichtigen Auseinandersetzung mit einem Text, über den m.M.n. der Dichter die Einschätzungsprärogative mit der Veröffentlichung verliert. Er entlässt in meinem Verständnis den Text freiwillig in die Sphäre des Öffentlichen und macht ihn (Kunst ist für alle da!) auch zu Allgemeingut, zumal sich derartige Gedichte im Leser neu ordnen, neue Artefakte anziehen, neues Material sich konstelliert, das dann wieder mehr mit der Leserin als mit dem Autor zu tun hat. Insofern ist jede aufrichtige und nicht zynische oder spöttische Kritik (die eine gewisse Form pathologischen Überlegenheitsgefühls und Menschenverachtung erkennen lassen würde), Umformung und Spielerei mit meinen Texten eine Bereicherung und eine große Freude, zeigt es doch, dass Leserinnen etwas in dem Text finden an dem sie "andocken" können, in welche Richtung auch immer. Und natürlich schreibe ich auch für den Rapport, für die Gemeinschaft der sich "blind erkennenden dionysischen Waldwesen" unter uns.

Ich fühle mich in der Tradition der sehr persönlichen Fortentwicklung einer Form des sprachlichen Minnegesangs zur Zeit sehr wohl und empfinde meine momentanen Gedichte auch eher als traumhafte Lieder, denn als "strenge Poesie" mit geordneten Metren und Formen etc. Insofern sich zu meiner Freude an aufgeladenen und frappierenden Bildern immer auch etwas manieristisch geschwätziges mischt, ist für ein kühleres Bachmann-Publikum eine sehr starke Ausgeizung und strengere Verdichtung (und Einfädelung eines einfacher nachvollziehbaren roten Fadens) für mich total nachvollziehbar.

Dein Versuch geht für mich mehr in diese Richtung.

Nun, was genau "Poesie" ist und was nicht, darüber kann ich nicht urteilen und ich habe auch keine Motivation darüber zu streiten. Ich habe für mich diese Frage längst abgehakt und sie in der persönlichen Deutungshoheit jedes einzelnen verortet, zumal die Germanistik keine Wissenschaft ist. Als Einstiegsszenario für eine Hinentwicklung zu einer tieferen Bedeutung eines konkreten Textes ist eine Diskussion darüber zwar möglich aber meist so narzisstisch aufgeladen, dass man sich schnell als Spielball eines Anderen wiederfindet und nicht als gleichwertig ernstgekommener Partner im gemeinschaftlichen Spielfeld im Spiel um Erkenntnis, tiefere Einsicht etc. Da bin ich dann also raus.

Ich wünschte mir, dass in meinen gedichthaften Liedern und Tagträumereien vor allem etwas "Charakteristisches" auftaucht, etwas, das das "Schöne" vielleicht das "Archetypische" berührt. Etwas, das mit uns Menschen ganz direkt, ganz intim zu tun hat. Es geht mir also nicht unbedingt um logische Stringenz oder formelle Vollendung, sondern um Rapport mit dem, was Jung "seine zweite Welt" genannt hat. In meiner Welt habe ich festgestellt, dass ebensowenig, wie Ethik zur Tugend verhilft, Ästhetik zur Schaffung von Kunstwerken ausreicht.

"Mein Paris" oben ist für mich stimmig, hat keine erzwungenen Reime, für die ich nicht Alternativen erwogen hätte (und die es gegeben hätte) und es gibt für mich -ja klar- einen roten Faden. Aber das Gedicht hat in seiner Entlassung in die Welt eben auch viel mit meiner Sichtweise und den Situation, die hier aufgegriffen und bearbeitet werden zu tun. Insofern ist es auch ein unscharfes Blitzlicht durch die subjektive Linse. Das ist aber nur eine Wahrheit, die für mich gilt. Und nur darüber kann ich dir hier berichten.

Du hast "mein Paris" aufgegriffen und dich selber darin orientiert und es für dich geordnet und etwas neues, sehr schönes, sehr verdichtetes ist dabei herausgekommen, bei dem der Leserin die Nacht in Paris am Ende als Briefumschlag überreicht wird. Deine Version in ihrer Kürzung lässt der Leserin viel mehr Freiraum. Meine Lieder sind ja häufig sehr dicht und zwingen der Leserin bestimmte Bilder auf, die (wie man an diesem ebenfalls sieht) oft als unstimmig, nicht ästhetisch oder unzusammenhängend empfunden werden. Das ist eben der Preis, den ich zu zahlen habe.

Deine Verdichtung empfinde ich also nicht als Provokation, sondern im Gegenteil als ein Kompliment und eine sehr schöne Idee.

mes compliments

dio
 
Zuletzt bearbeitet:

wirena

Mitglied
Hallo dio

Was bedeutet: m.M.n.?

Des weiteren: du schreibst:

«In meiner Welt habe ich festgestellt, dass
Ästhetik zur Schaffung von Kunstwerken ausreicht. «


Ja, da bin ich ganz bei Dir, versuche dies ebenfalls – schön, dass sich Welten immer wieder begegnen :) LG wirena
 

Dimpfelmoser

Mitglied
Hallo Dio,

ich muss hier mal loswerden, dass ich die Vertonung Deines Gedichts, dass auch in der geschriebenen Form schon ein lebendiges, stimmungsvolles Bild einer Stadt zeichnet, die ich unbedingt mal wieder besuchen muss, für extrem gelungen halte. Ich fremdle zwar selber mit der Verschmelzung von KI und Kunst, aber Dein Werk, gerade diese Kombination von Text und Musik, ist wirklich toll.
Wenn Du mit "Deinem" Paris Deine Stadt und ihr Erleben skizzierst, triggerst Du zugleich Erlebnisse, Empfindungen derjenigen, die dieses Lied lesen oder hören und im besten Falle auch fühlen, vielleicht persönliche Erinnerungen, vielleicht auch irgendwann einmal wahrgenommene Geschichten und Bilder, die andere gezeichnet haben. So jedenfalls funktioniert das Gedicht für mich; die besondere Form des Textes mag dies sogar noch verstärken, ohne dass ich dies genauer begründen könnte.

LG Dimpfelmoser
 

Aniella

Mitglied
Hallo @Dionysos von Enno,

die Stadt der Liebe, wie man so schön sagt, Du hast sie mir in Erinnerung gebracht, obwohl es schon sehr lange her ist. Ich fand die Verdichtung von @sufnus auch nicht schlecht, aber hier sind noch mehr Eindrücke, die ich aufsauge. Sie lebt so intensiv, diese Stadt, steht selten still und Kunst, ja die trifft und sieht man dort überall. Selbst in der Metro, woran ich mich noch lebhaft erinnere.
Danke dafür.

VG Aniella
 



 
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