Parkett-Mitte-Links...

4,00 Stern(e) 5 Bewertungen

HajoBe

Mitglied
Parkett-Mitte-Links-Zweite Reihe.
Jetzt noch die Platznummer...Stuhl Nummer 36. Ich sitze.
"Verzeihung, gestatten Sie?"
Diskreter Parfümodeur, herb-süßlich. Erhebe mich, ziehe den Bauch ein.
"Ja, bitte, gerne!"
Ihr Lächeln unverbindlich, perlweiße Zahnkronen blitzen kurz auf.
"Wir müssen Sie leider stören...", lässt sich ein Pärchen vernehmen.
Jeans und Pulli in der Oper? Stillos! Eigentlich 3. Rang. Ziehe meine Krawatte fester. Schließe das Sakko.
"Keine Ursache!"
"Ich glaube, dies ist mein Platz...", säuselt eine goldbehängte Dame. Ich lupfe erneut das Gesäß, deute auf die Nummer.
"Nein, schauen Sie...!"
"Ach ja, ohne Brille..., Sie verstehen, ja?"
Ich verstehe.

Der Stuhlgang nimmt ab, versiegt schließlich. Rechts von mir quetschen sich die letzten Hinterteile zwischen Armlehnen, man zupft ordnungsbeflissen an Kleidersäumen und Hosenbeinen. Wenigstens kein Popcorngeknister. Ich lasse mich endgültig in die abgewetzte Delle im Rotsamt gleiten.

Im Orchestergraben chaotisches Getöse kunterbunt schrillender Klangfarben. Das A der Oboe tönt gebieterisch. Man stimmt sich ein. Ich mich auch.
Ach, ja! Was wird gegeben? Ich hatte doch ein Programmheft?
"Nabucco - G.Verdi" steht drauf. Bin sehr gespannt.
Klingelzeichen verhallen, Lichter verdimmen, Stillschweigen bis auf übliches Gehüstel und Geschnäuze. Ich suche den Durchblick zwischen einer Glatze und einer Hochfrisur nach Erprobung diverser Sitzpositionen. So könnte es gehen...

Verhaltenes Klatschen belebt das weite Rund. Ein blässlicher, hagerer Mann in Schwarz betritt, gleichsam dem Untergrund entstiegen, die Szene, optisch stark reduziert auf das Wenige, was von ihm sichtbar wird hinter der Ballustrade zum Orchestergraben und zwischen Glatze und Hochfrisur. Er hat offenbar eine Pult erklommen.
Ein angegrauter Haarschopf zeigt sich oberhalb der Holzwand, darunter die blasse Stirnpartie eines Generalmusikdirektorenschädels, welche sich kaudal in buschige Augenbrauen verliert. Mehr ist nicht von ihm zu sehen. Mir kommt Kilroy in den Sinn.
Der kraushaarige Halbschädel beugt sich leicht nach vorne, entzieht sich dem Betrachter für einen Moment hinter die Wand, taucht unmittelbar danach wieder auf, jetzt jedoch nackensichtig, worauf Stirn- und Augenbrauenlosigkeit hindeuten, und verfällt in Bewegungsstarre. Kilroy von hinten, fällt mir jetzt ein.

Das Klatschen verhallt abrupt. Rechts neben Haarbüscheln schießt ein weißer Stab senkrecht aufwärts und beginnt ins Publikum zu winken, sich zu wiegen im Rhythmus einsetzender Orchestermusik. Und sie bestimmt fortan den Tanz des silbrigen Halbschädels mit dem Weißstock, der einem wild gewordenen Derwisch gleich sich der Lockenpracht entschlossen nähert, wieder entfernt, sich beugt und streckt und mit seiner Spitze unsichtbare Zirkel und Ovale in den Raum schreibt. Je lauter und schneller die Melodienfolge, umso ekstatischer der Reigen oberhalb der Holzwandkante, Rand eines Kraters mit unsichtbarer Tonquelle in der Tiefe. Das Wirbeln der Kraushaare mit dem Stab, die sich hektisch einander nähern, aber niemals sich miteinander vereinigend zueinander finden, ist faszinierend. Hieraus erschließt sich mir die strenge Dramaturgie und verhaltene Tragik der gesamten Aufführung, die schließlich in einem gewaltigen Schlussakkord ihren finalen Höhepunkt erlebt.
Der heldenhafte Tanzstock scheint abgestürzt, liegt dem siegreichen Haarschopf zu Füßen. Dem Betrachter wird die Auflösung des tänzerisch dargestellten Konfliktes überlassen. Applaus und Bravorufe. Der Grauschädel bietet erneut die Halbstirn, neigt sich diesmal mehrfach saalwärts, verschwindet kurzfristig, sodann wieder der rückseitige Halbnacken. Zwei beidseits nach oben geworfene Teilhände - nur die Langfinger treten neben dem Wuschelhalbrund in Erscheinung - zwingen die Musiker in eine für die Zuhörer nicht wahrnehmbare stehende Position und offenbar zu gleichartigen Verbeugungen gegen die Wand, hinter der sie das Publikum vermuten.

Also, ich fand die Aufführung gut. Vornehmlich die zwei Protagonisten. Bin auf die Kritiken gespannt. Nur, warum Verdi das "Nabucco" genannt hat? Muss zuhause mal im Programmheft stöbern...

Die Leute haben sich erhoben. Standing ovations? Nein, Endspurt zur Garderobe.
"Gestatten Sie?"
Ich gestatte wieder, den Bauch eingezogen.
Die Parfümierte wendet mir jetzt seitwärts tänzelnd den Rücken zu. Das Stück lebt in ihr weiter?
Strickpulli und Jeans folgen, diskret Schweißgeruch verbreitend.

Der große Vorhang ist herabgelassen, wie auch zu Beginn der Vorstellung...oder wieder?? Ich weiß es nicht, hatte mich durch nichts ablenken lassen von der hervorragenden Choreografie. Das Ticket war schließlich auch nicht billig...
Parkett-Mitte-Links.
 

HajoBe

Mitglied
Parkett-Mitte-Links-Zweite Reihe.
Jetzt noch die Platznummer...Stuhl Nummer 36. Ich sitze.
"Verzeihung, gestatten Sie?"
Diskreter Parfümodeur, herb-süßlich. Erhebe mich, ziehe den Bauch ein.
"Ja, bitte, gerne!"
Ihr Lächeln unverbindlich, perlweiße Zahnkronen blitzen kurz auf.
"Wir müssen Sie leider stören...", lässt sich ein Pärchen vernehmen.
Jeans und Pulli in der Oper? Stillos! Eigentlich 3. Rang. Ziehe meine Krawatte fester. Schließe das Sakko.
"Keine Ursache!"
"Ich glaube, dies ist mein Platz...", säuselt eine goldbehängte Dame. Ich lupfe erneut das Gesäß, deute auf die Nummer.
"Nein, schauen Sie...!"
"Ach ja, ohne Brille..., Sie verstehen, ja?"
Ich verstehe.

Der Stuhlgang nimmt ab, versiegt schließlich. Rechts von mir quetschen sich die letzten Hinterteile zwischen Armlehnen, man zupft ordnungsbeflissen an Kleidersäumen und Hosenbeinen. Wenigstens kein Popcorngeknister. Ich lasse mich endgültig in die abgewetzte Delle in Rotsamt gleiten.

Im Orchestergraben chaotisches Getöse kunterbunt schrillender Klangfarben. Das A der Oboe tönt gebieterisch. Man stimmt sich ein. Ich mich auch.
Ach, ja! Was wird gegeben? Ich hatte doch ein Programmheft?
"Nabucco - G.Verdi" steht drauf. Bin sehr gespannt.
Klingelzeichen verhallen, Lichter verdimmen, Stillschweigen bis auf übliches Gehüstel und Geschnäuze. Ich suche den Durchblick zwischen einer Glatze und einer Hochfrisur nach Erprobung diverser Sitzpositionen. So könnte es gehen...

Verhaltenes Klatschen belebt das weite Rund. Ein blässlicher, hagerer Mann in Schwarz betritt, gleichsam dem Untergrund entstiegen, die Szene, optisch stark reduziert auf das Wenige, was von ihm sichtbar wird hinter der Ballustrade zum Orchestergraben und zwischen Glatze und Hochfrisur. Er hat offenbar eine Pult erklommen.
Ein angegrauter Haarschopf zeigt sich oberhalb der Holzwand, darunter die blasse Stirnpartie eines Generalmusikdirektorenschädels, welche sich kaudal in buschige Augenbrauen verliert. Mehr ist nicht von ihm zu sehen. Mir kommt Kilroy in den Sinn.
Der kraushaarige Halbschädel beugt sich leicht nach vorne, entzieht sich dem Betrachter für einen Moment hinter die Wand, taucht unmittelbar danach wieder auf, jetzt jedoch nackensichtig, worauf Stirn- und Augenbrauenlosigkeit hindeuten, und verfällt in Bewegungsstarre. Kilroy von hinten, fällt mir jetzt ein.

Das Klatschen verhallt abrupt. Rechts neben Haarbüscheln schießt ein weißer Stab senkrecht aufwärts und beginnt ins Publikum zu winken, sich zu wiegen im Rhythmus einsetzender Orchestermusik. Und sie bestimmt fortan den Tanz des silbrigen Halbschädels mit dem Weißstock, der einem wild gewordenen Derwisch gleich sich der Lockenpracht entschlossen nähert, wieder entfernt, sich beugt und streckt und mit seiner Spitze unsichtbare Zirkel und Ovale in den Raum schreibt. Je lauter und schneller die Melodienfolge, umso ekstatischer der Reigen oberhalb der Holzwandkante, Rand eines Kraters mit unsichtbarer Tonquelle in der Tiefe. Das Wirbeln der Kraushaare mit dem Stab, die sich hektisch einander nähern, aber niemals sich miteinander vereinigend zueinander finden, ist faszinierend. Hieraus erschließt sich mir die strenge Dramaturgie und verhaltene Tragik der gesamten Aufführung, die schließlich in einem gewaltigen Schlussakkord ihren finalen Höhepunkt erlebt.
Der heldenhafte Tanzstock scheint abgestürzt, liegt dem siegreichen Haarschopf zu Füßen. Dem Betrachter wird die Auflösung des tänzerisch dargestellten Konfliktes überlassen. Applaus und Bravorufe. Der Grauschädel bietet erneut die Halbstirn, neigt sich diesmal mehrfach saalwärts, verschwindet kurzfristig, sodann wieder der rückseitige Halbnacken. Zwei beidseits nach oben geworfene Teilhände - nur die Langfinger treten neben dem Wuschelhalbrund in Erscheinung - zwingen die Musiker in eine für die Zuhörer nicht wahrnehmbare stehende Position und offenbar zu gleichartigen Verbeugungen gegen die Wand, hinter der sie das Publikum vermuten.

Also, ich fand die Aufführung gut. Vornehmlich die zwei Protagonisten. Bin auf die Kritiken gespannt. Nur, warum Verdi das "Nabucco" genannt hat? Muss zuhause mal im Programmheft stöbern...

Die Leute haben sich erhoben. Standing ovations? Nein, Endspurt zur Garderobe.
"Gestatten Sie?"
Ich gestatte wieder, den Bauch eingezogen.
Die Parfümierte wendet mir jetzt seitwärts tänzelnd den Rücken zu. Das Stück lebt in ihr weiter?
Strickpulli und Jeans folgen, diskret Schweißgeruch verbreitend.

Der große Vorhang ist herabgelassen, wie auch zu Beginn der Vorstellung...oder wieder?? Ich weiß es nicht, hatte mich durch nichts ablenken lassen von der hervorragenden Choreografie. Das Ticket war schließlich auch nicht billig...
Parkett-Mitte-Links.
 

HajoBe

Mitglied
Parkett-Mitte-Links-Zweite Reihe.
Jetzt noch die Platznummer...Stuhl Nummer 36. Ich sitze.
"Verzeihung, gestatten Sie?"
Diskreter Parfümodeur, herb-süßlich. Erhebe mich, ziehe den Bauch ein.
"Ja, bitte, gerne!"
Ihr Lächeln unverbindlich, perlweiße Zahnkronen blitzen kurz auf.
"Wir müssen Sie leider stören...", lässt sich ein Pärchen vernehmen.
Jeans und Pulli in der Oper? Stillos! Eigentlich 3. Rang. Ziehe meine Krawatte fester. Schließe das Sakko.
"Keine Ursache!"
"Ich glaube, dies ist mein Platz...", säuselt eine goldbehängte Dame. Ich lupfe erneut das Gesäß, deute auf die Nummer.
"Nein, schauen Sie...!"
"Ach ja, ohne Brille..., Sie verstehen, ja?"
Ich verstehe.

Der Stuhlgang nimmt ab, versiegt schließlich. Rechts von mir quetschen sich die letzten Hinterteile zwischen Armlehnen, man zupft ordnungsbeflissen an Kleidersäumen und Hosenbeinen. Wenigstens kein Popcorngeknister. Ich lasse mich endgültig in die abgewetzte Delle in Rotsamt gleiten.

Im Orchestergraben chaotisches Getöse kunterbunt schrillender Klangfarben. Das A der Oboe tönt gebieterisch. Man stimmt sich ein. Ich mich auch.
Ach, ja! Was wird gegeben? Ich hatte doch ein Programmheft?
"Nabucco - G.Verdi" steht drauf. Bin sehr gespannt.
Klingelzeichen verhallen, Lichter verdimmen, Stillschweigen bis auf übliches Gehüstel und Geschnäuze. Ich suche den Durchblick zwischen einer Glatze und einer Hochfrisur nach Erprobung diverser Sitzpositionen. So könnte es gehen...

Verhaltenes Klatschen belebt das weite Rund. Ein blässlicher, hagerer Mann in Schwarz betritt, gleichsam dem Untergrund entstiegen, die Szene, optisch stark reduziert auf das Wenige, was von ihm sichtbar wird hinter der Ballustrade zum Orchestergraben und zwischen Glatze und Hochfrisur. Er hat offenbar ein Pult erklommen.
Ein angegrauter Haarschopf zeigt sich oberhalb der Holzwand, darunter die blasse Stirnpartie eines Generalmusikdirektorenschädels, welche sich kaudal in buschige Augenbrauen verliert. Mehr ist nicht von ihm zu sehen. Mir kommt Kilroy in den Sinn.
Der kraushaarige Halbschädel beugt sich leicht nach vorne, entzieht sich dem Betrachter für einen Moment hinter die Wand, taucht unmittelbar danach wieder auf, jetzt jedoch nackensichtig, worauf Stirn- und Augenbrauenlosigkeit hindeuten, und verfällt in Bewegungsstarre. Kilroy von hinten, fällt mir jetzt ein.

Das Klatschen verhallt abrupt. Rechts neben Haarbüscheln schießt ein weißer Stab senkrecht aufwärts und beginnt ins Publikum zu winken, sich zu wiegen im Rhythmus einsetzender Orchestermusik. Und sie bestimmt fortan den Tanz des silbrigen Halbschädels mit dem Weißstock, der einem wild gewordenen Derwisch gleich sich der Lockenpracht entschlossen nähert, wieder entfernt, sich beugt und streckt und mit seiner Spitze unsichtbare Zirkel und Ovale in den Raum schreibt. Je lauter und schneller die Melodienfolge, umso ekstatischer der Reigen oberhalb der Holzwandkante, Rand eines Kraters mit unsichtbarer Tonquelle in der Tiefe. Das Wirbeln der Kraushaare mit dem Stab, die sich hektisch einander nähern, aber niemals sich miteinander vereinigend zueinander finden, ist faszinierend. Hieraus erschließt sich mir die strenge Dramaturgie und verhaltene Tragik der gesamten Aufführung, die schließlich in einem gewaltigen Schlussakkord ihren finalen Höhepunkt erlebt.
Der heldenhafte Tanzstock scheint abgestürzt, liegt dem siegreichen Haarschopf zu Füßen. Dem Betrachter wird die Auflösung des tänzerisch dargestellten Konfliktes überlassen. Applaus und Bravorufe. Der Grauschädel bietet erneut die Halbstirn, neigt sich diesmal mehrfach saalwärts, verschwindet kurzfristig, sodann wieder der rückseitige Halbnacken. Zwei beidseits nach oben geworfene Teilhände - nur die Langfinger treten neben dem Wuschelhalbrund in Erscheinung - zwingen die Musiker in eine für die Zuhörer nicht wahrnehmbare stehende Position und offenbar zu gleichartigen Verbeugungen gegen die Wand, hinter der sie das Publikum vermuten.

Also, ich fand die Aufführung gut. Vornehmlich die zwei Protagonisten. Bin auf die Kritiken gespannt. Nur, warum Verdi das "Nabucco" genannt hat? Muss zuhause mal im Programmheft stöbern...

Die Leute haben sich erhoben. Standing ovations? Nein, Endspurt zur Garderobe.
"Gestatten Sie?"
Ich gestatte wieder, den Bauch eingezogen.
Die Parfümierte wendet mir jetzt seitwärts tänzelnd den Rücken zu. Das Stück lebt in ihr weiter?
Strickpulli und Jeans folgen, diskret Schweißgeruch verbreitend.

Der große Vorhang ist herabgelassen, wie auch zu Beginn der Vorstellung...oder wieder?? Ich weiß es nicht, hatte mich durch nichts ablenken lassen von der hervorragenden Choreografie. Das Ticket war schließlich auch nicht billig...
Parkett-Mitte-Links.
 

HajoBe

Mitglied
Parkett-Mitte-Links-Zweite Reihe.
Jetzt noch die Platznummer...Stuhl 36. Ich sitze.
"Verzeihung, gestatten Sie?"
Diskreter Parfümodeur, herb-süßlich. Erhebe mich, ziehe den Bauch ein.
"Ja, bitte, gerne!"
Ihr Lächeln unverbindlich, perlweiße Zahnkronen blitzen kurz auf.
"Wir müssen Sie leider stören...", lässt sich ein Pärchen vernehmen.
Jeans und Pulli in der Oper? Stillos! Eigentlich 3. Rang. Ziehe meine neue Krawatte fester und schließe das Sakko.
"Keine Ursache!"
"Ich glaube, dies ist mein Platz...", säuselt eine goldbehängte Dame. Ich lupfe erneut das Gesäß, deute auf die Nummer.
"Nein, schauen Sie...!"
"Ach ja, ohne Brille..., Sie verstehen, ja?"
Ich verstehe.

Der Stuhlgang nimmt ab, versiegt schließlich. Rechts von mir quetschen sich die letzten Hinterteile zwischen Armlehnen, man zupft ordnungsbeflissen an Kleidersäumen und Hosenbeinen. Wenigstens kein Popcorngeknister. Ich lasse mich endgültig in die abgewetzte Delle ins Rotsamt gleiten.

Im Orchestergraben chaotisches Getöse kunterbunt schrillender Klangfarben. Das A der Oboe tönt gebieterisch. Man stimmt sich ein. Ich mich auch.
Ach, ja! Was wird gegeben? Ich hatte doch ein Programmheft?
"Nabucco - G.Verdi" steht drauf. Bin sehr gespannt.
Klingelzeichen verhallen, Lichter verdimmen, Stillschweigen bis auf übliches Gehüstel und Geschnäuze. Ich suche den Durchblick zwischen einer Glatze und einer Hochfrisur nach Erprobung diverser Sitzpositionen. So könnte es gehen...

Verhaltenes Klatschen belebt das weite Rund. Ein blässlicher, hagerer Mann in Schwarz betritt, gleichsam dem Untergrund entstiegen, die Szene, optisch stark reduziert auf das Wenige, was von ihm sichtbar wird hinter der Ballustrade zum Orchestergraben und zwischen Glatze und Hochfrisur. Er hat offenbar ein Pult erklommen.
Ein angegrauter Haarschopf zeigt sich oberhalb der Holzwand, darunter die blasse Stirnpartie eines Generalmusikdirektorenschädels, welche sich kaudal in buschige Augenbrauen verliert. Mehr ist nicht von ihm zu sehen. Mir kommt Kilroy in den Sinn.
Der kraushaarige Halbschädel beugt sich leicht nach vorne, entzieht sich dem Betrachter für einen Moment hinter die Wand, taucht unmittelbar danach wieder auf, jetzt jedoch nackensichtig, worauf Stirn- und Augenbrauenlosigkeit hindeuten, und verfällt in Bewegungsstarre. Kilroy von hinten,

Das Klatschen verhallt abrupt. Rechts neben Haarbüscheln schießt ein weißer Stab senkrecht aufwärts und beginnt ins Publikum zu winken, sich zu wiegen im Rhythmus einsetzender Orchestermusik. Und sie bestimmt fortan den Tanz des silbrigen Halbschädels mit dem Weißstock, der einem wild gewordenen Derwisch gleich sich der Lockenpracht entschlossen nähert, wieder entfernt, sich beugt und streckt und mit seiner Spitze unsichtbare Zirkel und Ovale in den Raum schreibt. Je lauter und schneller die Melodienfolge, umso ekstatischer der Reigen oberhalb der Holzwandkante, Rand eines Kraters mit unsichtbarer Tonquelle in der Tiefe. Das Wirbeln der Kraushaare mit dem Stab, die sich hektisch einander nähern, aber niemals sich miteinander vereinigend zueinander finden, ist faszinierend. Hieraus erschließt sich mir die strenge Dramaturgie und verhaltene Tragik der gesamten Aufführung, die schließlich in einem gewaltigen Schlussakkord ihren finalen Höhepunkt erlebt.
Der heldenhafte Tanzstock scheint abgestürzt, liegt dem siegreichen Haarschopf zu Füßen. Dem Betrachter wird die Auflösung des tänzerisch dargestellten Konfliktes anheimgestellt. Applaus und Bravorufe. Der Grauschädel bietet erneut die Halbstirn, neigt sich diesmal mehrfach saalwärts, verschwindet kurzfristig, sodann wieder der rückseitige Halbnacken. Zwei beidseits nach oben geworfene Teilhände - nur die Langfinger treten neben dem Wuschelhalbrund in Erscheinung - zwingen die Musiker in eine für die Zuhörer nicht wahrnehmbare stehende Position und offenbar zu gleichartigen Verbeugungen gegen die Wand, hinter der sie das Publikum vermuten.

Also, ich fand die Aufführung gut. Vornehmlich die zwei Protagonisten. Bin auf die Kritiken gespannt. Nur, warum Verdi das "Nabucco" genannt hat? Muss zuhause mal im Programmheft stöbern...

Die Leute haben sich erhoben. Standing ovations? Nein, Endspurt zur Garderobe.
"Gestatten Sie?"
Ich gestatte wieder, den Bauch eingezogen.
Die Parfümierte wendet mir jetzt seitwärts tänzelnd den Rücken zu. Das Stück lebt in ihr weiter?
Strickpulli und Jeans folgen, diskret Schweißgeruch verbreitend.

Der große Vorhang ist herabgelassen, wie auch zu Beginn der Vorstellung...oder wieder?? Ich weiß es nicht, hatte mich durch nichts ablenken lassen von der hervorragenden Choreografie. Das Ticket war schließlich auch nicht billig...
Parkett-Mitte-Links.
 
U

USch

Gast
Hallo HaJoBe,
bin gerade am Stöbern und da ist mir dieser amüsante Text untergekommen. Besonders schön:
[blue]Der Stuhlgang nimmt ab[/blue], versiegt schließlich. Rechts von mir quetschen sich die letzten Hinterteile zwischen Armlehnen, man zupft ordnungsbeflissen an Kleidersäumen und Hosenbeinen. Wenigstens kein Popcorngeknister. Ich lasse mich endgültig in die abgewetzte Delle ins Rotsamt gleiten.
[blue]Schön doppeldeutig[/blue]. Kommt vermutlich vom vielen im Theatersitzen :)
LG USch
 

HajoBe

Mitglied
Parkett-Mitte-Links-Zweite Reihe.
Jetzt noch die Platznummer...Stuhl 36. Ich sitze.
"Verzeihung, gestatten Sie?"
Diskreter Parfümodeur, herb-süßlich. Erhebe mich, ziehe den Bauch ein.
"Ja, bitte, gerne!"
Ihr Lächeln unverbindlich, perlweiße Zahnkronen blitzen kurz auf.
"Wir müssen Sie leider stören...", lässt sich ein Pärchen vernehmen.
Jeans und Pulli in der Oper? Stillos! Eigentlich 3. Rang. Ziehe meine neue Krawatte fester und schließe das Sakko.
"Keine Ursache!"
"Ich glaube, dies ist mein Platz...", säuselt eine goldbehängte Dame. Ich lupfe erneut das Gesäß, deute auf die Nummer.
"Nein, schauen Sie...!"
"Ach ja, ohne Brille..., Sie verstehen, ja?"
Ich verstehe.

Der Stuhlgang nimmt ab, versiegt schließlich. Rechts von mir quetschen sich die letzten Hinterteile zwischen Armlehnen, man zupft ordnungsbeflissen an Kleidersäumen und Hosenbeinen. Wenigstens kein Popcorngeknister. Ich lasse mich endgültig in die abgewetzte Delle ins Rotsamt gleiten.

Im Orchestergraben chaotisches Getöse kunterbunt schrillender Klangfarben. Das A der Oboe tönt gebieterisch. Man stimmt sich ein. Ich mich auch.
Ach, ja! Was wird gegeben? Ich hatte doch ein Programmheft?
"Nabucco - G.Verdi" steht drauf. Bin sehr gespannt.
Klingelzeichen verhallen, Lichter verdimmen, Stillschweigen bis auf übliches Gehüstel und Geschnäuze. Ich suche den Durchblick zwischen einer Glatze und einer Hochfrisur nach Erprobung diverser Sitzpositionen. So könnte es gehen...

Verhaltenes Klatschen belebt das weite Rund. Ein blässlicher, hagerer Mann in Schwarz betritt, gleichsam dem Untergrund entstiegen, die Szene, optisch stark reduziert auf das Wenige, was von ihm sichtbar wird hinter der Ballustrade zum Orchestergraben und zwischen Glatze und Hochfrisur. Er hat offenbar ein Pult erklommen.
Ein angegrauter Haarschopf zeigt sich oberhalb der Holzwand, darunter die blasse Stirnpartie eines Generalmusikdirektorenschädels, welche sich kaudal in buschige Augenbrauen verliert. Mehr ist nicht von ihm zu sehen. Mir kommt Kilroy in den Sinn.
Der kraushaarige Halbschädel beugt sich leicht nach vorne, entzieht sich dem Betrachter für einen Moment hinter die Wand, taucht unmittelbar danach wieder auf, jetzt jedoch nackensichtig, worauf Stirn- und Augenbrauenlosigkeit hindeuten, und verfällt in Bewegungsstarre. Kilroy von hinten.

Das Klatschen verhallt abrupt. Rechts neben Haarbüscheln schießt ein weißer Stab senkrecht aufwärts und beginnt ins Publikum zu winken, sich zu wiegen im Rhythmus einsetzender Orchestermusik. Und sie bestimmt fortan den Tanz des silbrigen Halbschädels mit dem Weißstock, der einem wild gewordenen Derwisch gleich sich der Lockenpracht entschlossen nähert, wieder entfernt, sich beugt und streckt und mit seiner Spitze unsichtbare Zirkel und Ovale in den Raum schreibt. Je lauter und schneller die Melodienfolge, umso ekstatischer der Reigen oberhalb der Holzwandkante, Rand eines Kraters mit unsichtbarer Tonquelle in der Tiefe. Das Wirbeln der Kraushaare mit dem Stab, die sich hektisch einander nähern, aber niemals sich miteinander vereinigend zueinander finden, ist faszinierend. Hieraus erschließt sich mir die strenge Dramaturgie und verhaltene Tragik der gesamten Aufführung, die schließlich in einem gewaltigen Schlussakkord ihren finalen Höhepunkt erlebt.
Der heldenhafte Tanzstock scheint abgestürzt, liegt dem siegreichen Haarschopf zu Füßen. Dem Betrachter wird die Auflösung des tänzerisch dargestellten Konfliktes anheimgestellt. Applaus und Bravorufe. Der Grauschädel bietet erneut die Halbstirn, neigt sich diesmal mehrfach saalwärts, verschwindet kurzfristig, sodann wieder der rückseitige Halbnacken. Zwei beidseits nach oben geworfene Teilhände - nur die Langfinger treten neben dem Wuschelhalbrund in Erscheinung - zwingen die Musiker in eine für die Zuhörer nicht wahrnehmbare stehende Position und offenbar zu gleichartigen Verbeugungen gegen die Wand, hinter der sie das Publikum vermuten.

Also, ich fand die Aufführung gut. Vornehmlich die zwei Protagonisten. Bin auf die Kritiken gespannt. Nur, warum Verdi das "Nabucco" genannt hat? Muss zuhause mal im Programmheft stöbern...

Die Leute haben sich erhoben. Standing ovations? Nein, Endspurt zur Garderobe.
"Gestatten Sie?"
Ich gestatte wieder, den Bauch eingezogen.
Die Parfümierte wendet mir jetzt seitwärts tänzelnd den Rücken zu. Das Stück lebt in ihr weiter?
Strickpulli und Jeans folgen, diskret Schweißgeruch verbreitend.

Der große Vorhang ist herabgelassen, wie auch zu Beginn der Vorstellung...oder wieder? Ich weiß es nicht, hatte mich durch nichts ablenken lassen von der hervorragenden Choreografie. Das Ticket war schließlich auch nicht billig...
Parkett-Mitte-Links.
 



 
Oben Unten