Heinrich VII
Mitglied
Die Regale der Weinabteilung waren prallgefüllt, lange Reihen mit Rot- und Weißwein, auf die sich Florian freute. Nachdem er ein Stück des ersten Ganges durchmessen hatte, rückte er näher an die Regale. Schließlich riss er mit einem Ruck die Ecke des Haltebügels nach rechts und hielt sie so, während er geradeaus weiterging. Die angestoßenen Flaschen kippten, schlugen auf den Boden und zerbarsten wie kleine Bomben. Florian jubelte wie ein Schuljunge; so einen Heidenspaß hatte er seit seiner Kindheit nicht mehr gehabt. Ein Kunde, der gerade die Weinabteilung betrat, blieb stehen und starrte ihn mit offenem Mund an. Florian sah, wie der Mann sich rasch entfernte – vermutlich, um nicht in Zusammenhang gebracht zu werden. Die gesamte rechten Seite des ersten Ganges war bereits wegrasiert, als zwei Supermarktangestellte in die Weinabteilung stürmten.
„Ja, sind Sie denn völlig verrückt geworden?“, schrie einer. Beide starrten ihn ungläubig an. Florian ignorierte sie und machte auf der linken Seite weiter - er war noch nicht fertig. Einen Moment dachte er darüber nach, ob er tatsächlich verrückt sei. Aber nein - es gab andere Gründe. Die Flaschen fielen und zerbarsten weiterhin so wohltuend, dass Florian sich daran ergötzte. Einer der Angestellten schritt nun zur Tat und packte ihn am Arm. „Sie hören jetzt sofort damit auf!“
Der zweite Angestellte, eine Frau, ergriff seinen anderen Arm.
„Sie kommen mit zum Marktleiter!“
Im nächsten Moment zerrten die Angestellten Florian, der den Einkaufswagen losgelassen hatte, mit sich. Mist, dachte er. Links steht noch eine halbe Reihe und es gibt noch zwei weitere Gänge mit Flaschen.
„Wissen Sie eigentlich, wie viel Schaden Sie hier angerichtet haben?“, polterte der Marktleiter, vor dem Florian nun stand. Die beiden Angestellten hielten Florian fest, während der Marktleiter sich die Sauerei in der Weinabteilung ansah. Er winkte zwei Mitarbeiterinnen heran und befahl: „Schreiben Sie auf wie viele und welche Flaschen zu Bruch gegangen sind - aber räumen Sie erstmal nichts weg.“
Dann marschierte der Marktleiter schnurstracks in sein Büro zurück, um sich ein Bild von diesem Menschen zu machen, der so etwas anrichtet. Er nahm die viel zu langen Hosen wahr, deren Säume beim Gehen über den Boden schleiften. Er sah die Spitzen verschlissener Turnschuhe, die vorne unter der Hose hervorblitzten, registrierte den viel zu langen, schäbigen Mantel. Das Hemd war löchrig, die Haare lang, strähnig und ungekämmt, der Bart ungepflegt. Und schließlich grinste Florian auch noch – zur augenscheinlichen „Freude“ des Markleiters, der sein kariöses Gebiss bewundern durfte.
„Das Grinsen wird Ihnen noch vergehen!“
Florian nickte und dachte an die Reihe mit Whisky-, Metaxa-, Baileys- und Kognakflaschen, die er im gegenüberliegenden Gang gesehen hatte. Die würden sicher noch spektakulärer explodieren als Weinflaschen, dachte er – schade.
„Zeigen Sie mal ihren Ausweis!“
Florian zuckte entschuldigend mit den Schultern. Der Marktleiter sah ihn finster an.
„Sagen Sie mir jetzt nicht, Sie haben keinen.“
Florian unternahm keine Anstalten zu antworten oder ein Ausweisdokument vorzuzeigen.
„Wie heißen Sie?“
„Florian.“
„Und der Nachname?“
„Geschenkt - sagen Sie einfach Flori.“
Der Markleiter riss erstaunt die Augen auf.
„Und wo wohnen Sie?“
„Mal unter der, mal unter ´ner andern Brücke.“
Der Marktleiter musterte ihn jetzt einigermaßen ratlos. Wie sollte man jemanden zur Verantwortung ziehen, der keinen Ausweis hat, geschweige denn einen Wohnsitz? Er zog sein Handy aus der Hosentasche und wählte 110. „Wir haben hier jemanden, der randaliert und mächtig Schaden angerichtet hat. Hat keinen Ausweis. Heißt angeblich nur Florian und ist unter den Brücken der Stadt zuhause.“
Zehn Minuten später tauchten zwei Polizisten auf. Der Marktleiter zeigte ihnen den angerichteten Schaden in der Weinabteilung.
„Sie besitzen also keinerlei Ausweispapiere?“
„Nein!“, antwortete Florian dem Polizisten.
„Und das mit den Weinflaschen - warum haben Sie das gemacht?“
Florian zuckte erneut mit den Schultern.
„Sind Sie betrunken oder stehen Sie unter Drogen?“
„Nein - nüchtern wie der Morgen.“
Die Polizisten nahmen Florian mit aufs Revier. Zur Personenfeststellung und für einen Bericht musste er befragt werden. Unterwegs im Polizeiauto äüßerte der eine Polizist jedoch Zweifel daran, ob das bei diesem Penner überhaupt einen Sinn habe. „Der wohnt doch nirgendwo und für den Schaden kann er auch nicht aufkommen.“
„Ist doch egal“, erwiderte der andere, „er muss eine Aussage machen und dann nehmen wir Fingerabdrücke.“
„Mensch überleg´ doch mal - welchen Sinn soll das haben? Einem nackten Mann kannst du nicht in die Tasche greifen.“
„Wir müssen einen Bericht schreiben und brauchen die Aussage dieses Kerls. Es gibt schließlich Vorschriften, schon vergessen?“
„Den Bericht können wir auch ohne ihn schreiben, der sagt uns eh nicht die Wahrheit. Und den Schaden übernimmt die Versicherung.“
Die beiden Polizisten einigten sich schließlich. Der Fahrer hielt an und sagte zu Florian: „Wenn wir dich nochmal bei so was erwischen, bist du ein Fall für den Knast!“
Florian nickte. Der Polizist machte ihm ein Zeichen, er solle verschwinden. Florian war erleichtert, stieg aus dem Wagen und trottete in die andere Richtung davon.
Als der Polizeiwagen aus seinem Blickfeld verschwunden war, zog Florian sein Handy aus der Hostentasche und rief jemanden an: „Kannst jetzt kommen", sagte er, "die Sache ist gelaufen.“ Danach gab er noch seinen Standort durch und blieb einfach stehen.
Minuten später hielt eine S-Klasse-Limousine am Straßenrand, wendete und nahm Florian auf. Er setzte sich auf die Rückbank, und der Fahrer fuhr sogleich weiter. Unterwegs riss Florian sich den Bart herunter, nahm das Ekelgebiss heraus und setzte die Perücke ab. Den Mantel und das löcherige Hemd zog er ebenfalls aus, auch die Schuhe, und stopfte alles in eine Plastiktüte, die auf der Rückblank bereit lag. Danach zog er sich eine tadellose Hose, ein frisches Hemd und blankgeputzte Schuhe an, die ebenfalls im Auto bereit lagen. Er strich sich mit einem Kamm durch die Haare und lehnte sich zufrieden zurück.
„Und, wie ist es gelaufen?“, fragte der Fahrer und grinste verschwörerisch.
Florian verzog das Gesicht: „Nicht so, wie es hätte sein können. Diese Blödmänner kamen zu früh und haben mir den restlichen Spaß verdorben.
Aber die Polizisten haben mir die Penner-Nummer voll abgenommen.“
Der Fahrer nickte. Als sie ein gutes Stück außerhalb der Stadt waren, hielt er ungefragt an. Florian stieg aus, hatte den Spaten in der Hand, den er sich ebenfalls zurecht gelegt hatte und marschierte hinaus. Der Fahrer parkte das Auto am Straßenrand, stellte den Motor ab und folgte ihm. Florian grub ein Loch in die Erde, als sie ein gutes Stück von der Straße entfernt waren, warf die Plastiktüte hinein und bedeckte sie mit der aufgeworfenen Erde. Dann verwischte er die Spuren, und die beiden setzten sich für einen Moment daneben ins Gras. Florian zog zwei Zigaretten aus der Packung und gab seinem Fahrer eine. Sie rauchten und schwiegen. Nach einer Weile sagte Florian: „Es hat wieder so geprickelt im Bauch - so wie damals.“
Sein Fahrer nahm noch einen Zug, entließ den Rauch und antwortete: „Bedeutet Ihnen das Flaschenumwerfen so viel, Herr Direktor?“
Florian König grinste in sich hinein und nickte. "Weißt du", sagte er nach einer Weile, "es gibt nichts Schöneres, als etwas mit der gleichen Inbrunst zu tun, wie man es in der Kindheit getan hat."
Der Fahrer nickte und gab ihm die fünfzig Euro, die er bei der Wette verloren hatte.
Florian König nahm sie grinsend an und sagte: „Hättest du nicht gedacht, dass ich das tun kann und ungeschoren davonkomme?“
Der Fahrer sah ihn an und schüttelte bewundernd den Kopf.
Florian gab ihm den Fünfziger zurück und tätschelte seine Schulter.
„Ich brauche das Geld nicht, wie du weißt.“
„Ja, sind Sie denn völlig verrückt geworden?“, schrie einer. Beide starrten ihn ungläubig an. Florian ignorierte sie und machte auf der linken Seite weiter - er war noch nicht fertig. Einen Moment dachte er darüber nach, ob er tatsächlich verrückt sei. Aber nein - es gab andere Gründe. Die Flaschen fielen und zerbarsten weiterhin so wohltuend, dass Florian sich daran ergötzte. Einer der Angestellten schritt nun zur Tat und packte ihn am Arm. „Sie hören jetzt sofort damit auf!“
Der zweite Angestellte, eine Frau, ergriff seinen anderen Arm.
„Sie kommen mit zum Marktleiter!“
Im nächsten Moment zerrten die Angestellten Florian, der den Einkaufswagen losgelassen hatte, mit sich. Mist, dachte er. Links steht noch eine halbe Reihe und es gibt noch zwei weitere Gänge mit Flaschen.
„Wissen Sie eigentlich, wie viel Schaden Sie hier angerichtet haben?“, polterte der Marktleiter, vor dem Florian nun stand. Die beiden Angestellten hielten Florian fest, während der Marktleiter sich die Sauerei in der Weinabteilung ansah. Er winkte zwei Mitarbeiterinnen heran und befahl: „Schreiben Sie auf wie viele und welche Flaschen zu Bruch gegangen sind - aber räumen Sie erstmal nichts weg.“
Dann marschierte der Marktleiter schnurstracks in sein Büro zurück, um sich ein Bild von diesem Menschen zu machen, der so etwas anrichtet. Er nahm die viel zu langen Hosen wahr, deren Säume beim Gehen über den Boden schleiften. Er sah die Spitzen verschlissener Turnschuhe, die vorne unter der Hose hervorblitzten, registrierte den viel zu langen, schäbigen Mantel. Das Hemd war löchrig, die Haare lang, strähnig und ungekämmt, der Bart ungepflegt. Und schließlich grinste Florian auch noch – zur augenscheinlichen „Freude“ des Markleiters, der sein kariöses Gebiss bewundern durfte.
„Das Grinsen wird Ihnen noch vergehen!“
Florian nickte und dachte an die Reihe mit Whisky-, Metaxa-, Baileys- und Kognakflaschen, die er im gegenüberliegenden Gang gesehen hatte. Die würden sicher noch spektakulärer explodieren als Weinflaschen, dachte er – schade.
„Zeigen Sie mal ihren Ausweis!“
Florian zuckte entschuldigend mit den Schultern. Der Marktleiter sah ihn finster an.
„Sagen Sie mir jetzt nicht, Sie haben keinen.“
Florian unternahm keine Anstalten zu antworten oder ein Ausweisdokument vorzuzeigen.
„Wie heißen Sie?“
„Florian.“
„Und der Nachname?“
„Geschenkt - sagen Sie einfach Flori.“
Der Markleiter riss erstaunt die Augen auf.
„Und wo wohnen Sie?“
„Mal unter der, mal unter ´ner andern Brücke.“
Der Marktleiter musterte ihn jetzt einigermaßen ratlos. Wie sollte man jemanden zur Verantwortung ziehen, der keinen Ausweis hat, geschweige denn einen Wohnsitz? Er zog sein Handy aus der Hosentasche und wählte 110. „Wir haben hier jemanden, der randaliert und mächtig Schaden angerichtet hat. Hat keinen Ausweis. Heißt angeblich nur Florian und ist unter den Brücken der Stadt zuhause.“
Zehn Minuten später tauchten zwei Polizisten auf. Der Marktleiter zeigte ihnen den angerichteten Schaden in der Weinabteilung.
„Sie besitzen also keinerlei Ausweispapiere?“
„Nein!“, antwortete Florian dem Polizisten.
„Und das mit den Weinflaschen - warum haben Sie das gemacht?“
Florian zuckte erneut mit den Schultern.
„Sind Sie betrunken oder stehen Sie unter Drogen?“
„Nein - nüchtern wie der Morgen.“
Die Polizisten nahmen Florian mit aufs Revier. Zur Personenfeststellung und für einen Bericht musste er befragt werden. Unterwegs im Polizeiauto äüßerte der eine Polizist jedoch Zweifel daran, ob das bei diesem Penner überhaupt einen Sinn habe. „Der wohnt doch nirgendwo und für den Schaden kann er auch nicht aufkommen.“
„Ist doch egal“, erwiderte der andere, „er muss eine Aussage machen und dann nehmen wir Fingerabdrücke.“
„Mensch überleg´ doch mal - welchen Sinn soll das haben? Einem nackten Mann kannst du nicht in die Tasche greifen.“
„Wir müssen einen Bericht schreiben und brauchen die Aussage dieses Kerls. Es gibt schließlich Vorschriften, schon vergessen?“
„Den Bericht können wir auch ohne ihn schreiben, der sagt uns eh nicht die Wahrheit. Und den Schaden übernimmt die Versicherung.“
Die beiden Polizisten einigten sich schließlich. Der Fahrer hielt an und sagte zu Florian: „Wenn wir dich nochmal bei so was erwischen, bist du ein Fall für den Knast!“
Florian nickte. Der Polizist machte ihm ein Zeichen, er solle verschwinden. Florian war erleichtert, stieg aus dem Wagen und trottete in die andere Richtung davon.
Als der Polizeiwagen aus seinem Blickfeld verschwunden war, zog Florian sein Handy aus der Hostentasche und rief jemanden an: „Kannst jetzt kommen", sagte er, "die Sache ist gelaufen.“ Danach gab er noch seinen Standort durch und blieb einfach stehen.
Minuten später hielt eine S-Klasse-Limousine am Straßenrand, wendete und nahm Florian auf. Er setzte sich auf die Rückbank, und der Fahrer fuhr sogleich weiter. Unterwegs riss Florian sich den Bart herunter, nahm das Ekelgebiss heraus und setzte die Perücke ab. Den Mantel und das löcherige Hemd zog er ebenfalls aus, auch die Schuhe, und stopfte alles in eine Plastiktüte, die auf der Rückblank bereit lag. Danach zog er sich eine tadellose Hose, ein frisches Hemd und blankgeputzte Schuhe an, die ebenfalls im Auto bereit lagen. Er strich sich mit einem Kamm durch die Haare und lehnte sich zufrieden zurück.
„Und, wie ist es gelaufen?“, fragte der Fahrer und grinste verschwörerisch.
Florian verzog das Gesicht: „Nicht so, wie es hätte sein können. Diese Blödmänner kamen zu früh und haben mir den restlichen Spaß verdorben.
Aber die Polizisten haben mir die Penner-Nummer voll abgenommen.“
Der Fahrer nickte. Als sie ein gutes Stück außerhalb der Stadt waren, hielt er ungefragt an. Florian stieg aus, hatte den Spaten in der Hand, den er sich ebenfalls zurecht gelegt hatte und marschierte hinaus. Der Fahrer parkte das Auto am Straßenrand, stellte den Motor ab und folgte ihm. Florian grub ein Loch in die Erde, als sie ein gutes Stück von der Straße entfernt waren, warf die Plastiktüte hinein und bedeckte sie mit der aufgeworfenen Erde. Dann verwischte er die Spuren, und die beiden setzten sich für einen Moment daneben ins Gras. Florian zog zwei Zigaretten aus der Packung und gab seinem Fahrer eine. Sie rauchten und schwiegen. Nach einer Weile sagte Florian: „Es hat wieder so geprickelt im Bauch - so wie damals.“
Sein Fahrer nahm noch einen Zug, entließ den Rauch und antwortete: „Bedeutet Ihnen das Flaschenumwerfen so viel, Herr Direktor?“
Florian König grinste in sich hinein und nickte. "Weißt du", sagte er nach einer Weile, "es gibt nichts Schöneres, als etwas mit der gleichen Inbrunst zu tun, wie man es in der Kindheit getan hat."
Der Fahrer nickte und gab ihm die fünfzig Euro, die er bei der Wette verloren hatte.
Florian König nahm sie grinsend an und sagte: „Hättest du nicht gedacht, dass ich das tun kann und ungeschoren davonkomme?“
Der Fahrer sah ihn an und schüttelte bewundernd den Kopf.
Florian gab ihm den Fünfziger zurück und tätschelte seine Schulter.
„Ich brauche das Geld nicht, wie du weißt.“
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