Perspektive

F Fuller

Mitglied
Hallo,

es gibt Romane, die werden in der ICH-form erzählt. Dann gibt es andere, die werden aus der Perspektive des Protagonisten oder einer anderen, am Geschehen beteiligten Person erzählt. Und dann gibt es jene, bei denen der Erzähler so eine Art Alleswisser ist, der sich aus allem raushält. Hierbei finde ich persönlich es sehr verwirrend, wenn gleichzeitig aus zwei Perspektiven erzählt wird bzw. die Perspektive innerhalb einer Szene wechselt.

Über einen Text, bei dem eben das der Fall ist, hatte ich gestern eine Diskussion mit einem Bekannten, und da ich außer ihm niemanden kenne, der sich mit so einer Frage befassen möchte, stelle ich meine diesbezüglichen Fragen mal in dieses Forum:

Ist es leserfreundlich, wenn man im Laufe der Geschichte die Perspektiven wechselt?
Wie schreibt man am besten einen Text, bei dem man sich nicht auf eine einzige Perspektive fixieren möchte, etwa um verschiedene Ansichten über das, was in der Handlung passiert, darszustellen?

Gruss
Fuller
 

Bernd

Foren-Redakteur
Teammitglied
Ich möchte vorsichtig sagen: es kommt darauf an.

Leserfreundlich ist, wenn das Werk interessant ist, wenn der Leser es mag, wenn es dem Leser Freude oder Lust am Lesen bereitet, wenn es (genügend) verständlich ist, wenn es gesuchte Informationen bietet, das Gefühl anspricht, spannend ist - es gibt noch mehr Eigenschaften, die zusammenwirken können, nicht immer müssen alle vorhanden sein.

Die Erzählperspektive ist keine solche Eigenschaft. Sie ist ein Mittel zur Erzielung solcher Eigenschaften.

Meist wird sie innerhalb eines herkömmlichen Werkes nicht geändert.

Und doch kann auch die Änderung der Erzählperspektive dem Werk gut tun, wenn sie gut gemacht ist.

Ein klassischer Krimi wird aus der Perspektive des Detektivs (manchmal) oder des Beobachters (Beispiel: Dr. Watson), oder des alleswissenden Erzählers erzählt. Später wurde auch aus Sicht des Opfers erzählt.

Wechsel der Ebenen bzw. Perspektive kann es interessanter machen, wenn es gelingt.

Zu viel Wechsel kann verwirren.

Meist wird der Wechsel angezeigt. Das geschieht aber nicht immer.

Heute werden auch oft Rückblenden verwendet. Episoden werden ineinander geschachtelt, zum Beispiel Verfolgter - Verfolger.

Der Handlungsablauf wird entlinearisiert, die Zeitlinie liegt nicht mehr chronologisch geordnet vor.

Alles das kann die Handlung interessant machen, dynamisch, oder es kann verwirren.

In "Die neuen Leiden des jungen W" von Plenzdorf beginnt die Handlung nach dem Tod des Protagonisten, er erzählt sein Leben aus der Sicht des Toden und taucht also in die Vergangenheit ab (Rückblende). War eine interessante, aber eher seltene Erzählperspektive.

Techniken der Rückblende sind schon älter, kamen aber verstärkt mit dem Film auf.

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Wie eben gesagt, es kommt darauf an.
 

Bernd

Foren-Redakteur
Teammitglied
"Wie schreibt man am besten einen Text, bei dem man sich nicht auf eine einzige Perspektive fixieren möchte, etwa um verschiedene Ansichten über das, was in der Handlung passiert, darzustellen? "

Es gibt keine allgemeingültigen Rezepte.

Eine Möglichkeit wäre zum Beispiel ein Dialog in Briefen (oder in E-mails)

Eine andere wäre ein Ineinanderschachteln.

Noch eine wäre das nacheinander-Erzählen der gleichen Geschichte durch verschiedene Personen. (Dazu muss es ein Motiv geben. Zum Beispiel könnte das ein Verhör sein.)

Es gibt sehr viele Möglichkeiten.

Ein russischer Autor (hab leider den Namen vergessen) ließ seinen Protagonisten sich der Reihe nach in verschiedene Personen oder Gegenstände schlüpfen, wobei er deren Charakter annahm, wenn ich mich richtig erinnere - aber das Wissen behielt.

Wichtig ist das genaue Gefühl für die Rhythmik, für die Zeiteinteilung, für das Gewicht der jeweiligen Szene.
 

F Fuller

Mitglied
etwas spät...

Hallo Bernd,

zunächst vielen Dank für Deine Vorschläge.

Ich habe inzwischen versucht, die eine oder andere Möglichkeit umzusetzen. Leider klappte das mit der Brief-Variante überhaupt nicht, aber bei dem Gedanken, die Handlung in ein "Verhör" zu verpacken flogen die Finger nur so über die Tasten ;). Diese Variante öffnet sehr viele Möglichkeiten, da Personen und Geschehnisse sowohl objektiv aus der sicht des Verhörers (muss ja nicht immer Polizei sein) oder subjektiv aus der Sich derer, die verhört werden.

Gruss

Fuller
 
M

Melusine

Gast
Hallo Fuller,

Perspektivenwechsel mitten in der Szene finde ich meist irritierend, aber Romane, die aus verschiedenen Perspektiven erzählt werden, las ich schon öfter. Ein klassisches Beispiel ist wohl Julian Barnes, Darüber reden: Da gibt es drei Ich-Erzähler. Erst unlängst las ich einen Roman von Ken Follett (Nacht über den Wassern), in dem ich die Perspektivenwechsel sehr gelungen fand; alles in der dritten Person.
Ich denke, eindeutige "Trennlinien" zwischen veschiedenen Erzählperspektiven (etwa in Form einer Leerzeile) sind für den Leser hilfreich.

LG Mel
 



 
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