Platonische Liebe

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stellysee

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Platonische Liebe

Power on. Der Computer fährt hoch. Der Bildschirm flimmert. Sie ist noch immer aufgeregt. Ihr Herz pumpt rasend schnell, sie spürt ihren Puls bis zum Hals. Atemnot. So stellt sie sich Todesangst vor. Der Körper reagiert mit Panikattacken. Warum musste José auch immer ein solches Theater veranstalten. Ihr Blick bleibt auf dem Bild auf dem Tisch kleben. Sie und José. Was für ein schönes Paar. Bei einem Kubaurlaub hatte sie ihn vor vier Jahren in der Clubanlage „Havanna“ kennen gelernt und sich Hals über Kopf in den Cocktailmixer verknallt. Seine dunkelbraunen Augen, sein langes schwarzes Jahr und seine intensiven Blicke hatten sie damals völlig aus der Bahn geworfen. In diesem emotionalen Rauschzustand fiel es ihr nicht schwer, José davon zu überzeugen, ihr nach Frankfurt zu folgen. Der Altersunterschied von zwölf Jahren störte sie beide nicht. Sie hatte sogar den Eindruck, ihm gefielen ihre Reife und ihre sexuelle Selbstsicherheit.

„Sie können sich jetzt einloggen“ teilt der Computer mit und reißt sie aus den Gedanken, die in ihrem Kopf herumwirbeln. Sie klickt mit der Maus geübt auf die Returntaste, tippt Name und Passwort ein. Es dauert nur wenige Sekunden und sie ist direkt im Live-Chat „Liebe im 21. Jahrhundert“. Dringend will sie mit Jochen sprechen. Sie braucht jetzt seinen Intellekt und seine Wärme, die sich bei ihm in eine wunderschöne Sprache hüllt. Insgeheim betet sie, dass er sie nicht hängen lässt. Sie sind zwar für heute Nachmittag im Privatforum verabredet, aber in den vergangenen Wochen kam ihm immer wieder mal etwas dazwischen. Dann hat sie lange vor dem Rechner auf ihren virtuellen Flirtpartner gewartet.
Diesmal jedoch ist Jochen bereits da.
„Hallo Schatz, ich habe schon sehnsüchtig auf dich gewartet“.
Ihr Herz klopft schon wieder im Technobeat.
„Du bist da. Ich bin so froh“.
„Klar mein Engel, wo soll ich denn sonst sein“, liest sie wortlos seinen Text und bewegt dabei nur ihre Lippen.
„Jochen, ich möchte dich jetzt endlich einmal persönlich treffen“.
Ihr ist klar, dass dieser Wunsch etwas überraschend für ihn sein würde, aber das ist ihr in diesem Moment völlig egal. Noch nie zuvor hatten sie darüber mit ihm „gesprochen“.

Die Tür des Arbeitszimmers geht auf. José kommt herein. Er ist sichtlich verunsichert, die Schultern hängen tief, seinen Kopf hat er eingezogen wie ein reumütiger Hund. Er hat ihr einen Matetee gekocht und stellt ihn auf dem Schreibtisch direkt neben das gemeinsame Urlaubsfoto.
„Podemus hablar?
Errötet guckt sie ihn an. Sie wechselt mit einem Griff auf die Alt- und Tabtaste rasch in das Textverarbeitungsprogramm.
„Yo trabajando actualmente, José“, ihre Stimme klingt hart und abweisend.
„Du musst nicht glauben, ich nicht wüsste von deinem Verhältnis mit einem anderen Mann“.
„Das stimmt nicht, José, ich habe kein Verhältnis, das bildest du dir nur ein“, herrscht sie ihn an.
„Du lügst Chica und dabei liebe ich dich so sehr“.
„Lass mich weiter arbeiten, wir reden später“.
Ihre Stimme lässt diesmal keinen Zweifel. Das ist ein glatter Rauswurf.

Rasch wechselt sie wieder auf die Internetseite zu Jochen, der ihr in der Zwischenzeit geantwortet hat.
„Schatz, wir haben doch verabredet, dass wir uns nicht persönlich im Leben kennen lernen. Wir haben gemeinsam Spaß. Aber nur im Internet“.
…da sie nicht gleich geantwortet hat, fügte er hinzu…
„Mensch, Eva, bitte sei nicht beleidigt, aber in dieser virtuellen Distanz liegt allein unsere Chance“.
(…)
„Ich bin nicht beleidigt, Jochen. Mein Mann war nur gerade hier. Er ahnt zwar etwas, aber nicht das hier. Nicht ein derart antiseptisches Verhältnis“.
Sie ist in der Tat nicht beleidigt, aber enttäuscht ist sie dennoch. Wie gern würde sie diesen Mann treffen, sich von seiner Sprache betören, von seinem Charme verwöhnen und von seinen Händen berühren lassen. Das virtuelle und heimliche Briefeschreiben reicht ihr ganz einfach nicht mehr.
„Liebe Eva, wir überbrücken die Ferne durch Schreiben und schaffen damit eine ungeheuerliche Nähe. Liebe ist für mich Kommunikation. Stimmst du mir zu, es gibt keine schöneren Briefe als die von Goethe an Christiane Vulpius, des Dichters Paul Eluard an seine Frau Gala oder die Briefwechsel von Jean-Paul Sartré und Simone de Beauvoir. Ich bin sicher, diese Menschen wären alle ohne diese Liebe gestorben. Sie haben die meiste Zeit per Brief ihre Gefühle mitgeteilt.“
Wieder einmal war sie von dem Geist des Schreibers verzaubert. Auch sie liebt die Briefe von Eluard. Doch im Unterschied zu ihr und Jochen, waren sich diese Menschen im wirklichen Leben begegnet. Sie kannten die einzelnen Körperteile, den Klang der Stimme und den Geruch des geliebten Menschen.
„Diese Lektüren gefallen mir auch, Jochen. Aber wie riechst du, wie schmeckst du, wie fühlst du dich an?“
Das ist es doch, was einen Menschen so einzigartig macht. Im Moment riecht sie nur Matetee. Und José selbst hasst Düfte. Er benutzt nie ein Aftershave. Aber sie weiß genau, wie er sich bewegt, wie er rhythmisch die Hüften beim Salsa schwingt und sich hin und wieder sein langes schwarzes Haar mit der linken Hand hinter das Ohr streicht. Sie kennt jeden einzelnen Zentimeter seines Körpers.
„Liebe Eva, ich habe gerade eine Textpassage von Eluard rausgesucht, die ich dir nicht vorenthalten möchte. Er schreibt 1933 an Gala die folgenden Zeilen:
Gebrochener Morgen in schlummernden Armen
Roter Widerschein der nicht zurückkehren wird
Mit spitzen Brüsten liebreichen Händen
Unter Peitschenhieben Selbstangebot
Umgewälzter Schaum
Verkürzt den Spruch der schon auf die Lippen steigt
Der zu Herzen geht
Der zurückstürzt mit urtümlichen Lachen
Einem Lachen das blind macht.
Zwischen den nackten Bäumen die verzweifelt rudern
Dem Frühling zu
In Erwartung einer Liebkosung ein Leib mit dem Blitz
Das Schnitterlächeln stolzer Häupter erhobener Blicke
Der Duft des Klanges
Die Explosion der Zeit Früchte immer reif die Erinnerung
Selbst wenn wir fern sind einer dem anderen
Eint uns doch alles.“**
(** aus: P. Eluard „Liebesbriefe an Gala, Seite 193)
Sie saugt die Zeilen auf, so als würde sie Limonade mit dem Strohhalm aus einem Glas schlürfen wollen.
„Das ist wunderschön, Jochen“.
Sie spürt der Wirkung der Worte in ihrem Körper nach. Sie empfindet plötzlich großes Verlangen nach körperlicher Nähe, nach Wärme und nackter Haut.
„Auch ich habe neulich etwas geschrieben, Jochen.
Ich liebe einen Mann,
mit dem ich keinen Sex habe,
habe Sex mit Männern,
die ich nicht liebe,
und schlafe nur selten mit Männern,
die ich auch liebe.
Wie gefällt dir das, Jochen?“

Die Tür des Arbeitszimmers öffnet sich in diesem Moment erneut. José steht im Raum. Er guckt sie liebevoll an, während er langsam auf sie zuläuft. Er umarmt sie, küsst sie zärtlich auf die Wange und vermeidet dabei, einen Blick auf den Bildschirm zu werfen.
„Ich habe solche Lust auf dich, Chica“.
Sie dreht sich zu ihm um. Küsst ihn leidenschaftlich auf den Mund, knöpft unterdessen sein Hemd auf und riecht an seiner Haut. Sie lieben sich wortlos eine Zeit lang auf dem Teppichboden ihres Büros.
„Ich mach uns was zu Essen, Eva“.
„Ich komm gleich nach José, ich muss nur noch den Rechner abschalten“.
Sie wirft sich rasch eine Decke um.

Gespannt schaut sie auf den Monitor. Schließlich ist ihr Jochen noch eine Antwort schuldig. Sicher hat er in der Zwischenzeit ganze Romane an sie verfasst.
„Liebe Eva. Du triffst mit deinen Zeilen ganz genau meine Lebenssituation.
Genauso verläuft mein Leben. Du musst wissen, ich bin nämlich nicht der, für den du mich hältst. In Wirklichkeit bin ich eine Frau. Ich lebe von der Verbalerotik. Während ich auf meine Kunden warte, treibe ich mich hin und wieder im Internet rum. Wir haben uns ja auch dort kennen gelernt. Meist gebe ich mich als Mann aus. Das ist meiner Erfahrung nach besser, da Frauen einen Mann nicht derb anmachen. Ich habe die Kommunikation mit dir in den letzten Wochen sehr genossen. Aber ich denke, wir sind an einer Stelle angekommen, wo ich reinen Wein einschenken muss. Ich will dich nicht verletzen, dir nicht länger etwas vorgaukeln und dich anschließend enttäuschen. Ich will ehrlich sein, da du mir ein sehr wertvoller Mensch bist. Ich hoffe, Du nimmst mir es nicht böse. Wir hatten eine sehr schöne Zeit zusammen. Ich wünsche dir weiterhin alles Gute. In Liebe J.

Verwirrt start sie auf den Monitor, lacht kurz auf und schaltet anschließend den Rechner aus. Von weiten ruft José.
„Kommst du?“
„Ich bin schon auf dem Weg Chico mio“.

ENDE.
 

Rainer

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hallo stellysee,

leider weiß ich nicht ganz, welche intention du mit deinem text verfolgst.
deine prot kommt bei mir ungefähr so an:
dumm und exotisch fi... gut, aber zum reden brauche ich jemand anderen. wenn mein redepartner dann nicht meiner sexuellen ausrichtung angehört, rede ich nicht mehr mit ihm, sondern lass` mich von meinem exoten lieber weiter verwöhnen.

als gleichnis auf die männer mit katalog- oder urlaubsmitbringselfrauen ist der text deshalb nicht schlecht, wolltest du das erreichen? dann würde ich dir vorschlagen, einen anderen titel zu nehmen.


viele grüße

rainer
 

stellysee

Mitglied
für reiner

lieber reiner, na was haben wir denn da für stereotype im kopp. aber es scheint sie wohl doch zu geben. kämst du sonst drauf? habe ich ein bisschen die männerwelt gespiegelt? könnte wohl sein, lieber reiner. meine latinolover hatten jedenfalls bislang alle was in der birne. allerdings.... die latinofrauen habe ich noch nicht ausprobiert. hast du erfahrungen?
 

Rainer

Mitglied
hallo stellysee,

reden wir aneinander vorbei? :)

deine prot scheint sich ja doch nach geistigem austausch mit einem anderen menschen zu sehnen; eventuell, weil dieser in ihrer muttersprache bewanderter ist - kennt goethe und so.

"Sie braucht jetzt seinen Intellekt und seine Wärme, die sich bei ihm in eine wunderschöne Sprache hüllt."

kann ihr das ihr latinlover nicht geben? ich lese nichts von neruda. den kennt aber mit sicherheit jeder kubaner. interessiert die gute aber nicht so, oder?

dass deine latinlover alle was in der birne haben freut mich. bei deiner prot scheint es dagegen anders zu sein. entweder ich übersehe etwas, aber seine beschreibung konzenteriert sich doch auf sein aussehen, seinen hüftschwung, und seine untergebenheit:
"Seine dunkelbraunen Augen, sein langes schwarzes Jahr und seine intensiven Blicke hatten sie damals völlig aus der Bahn geworfen."

"Er ist sichtlich verunsichert, die Schultern hängen tief, seinen Kopf hat er eingezogen wie ein reumütiger Hund."

" Im Moment riecht sie nur Matetee. Und José selbst hasst Düfte. Er benutzt nie ein Aftershave. Aber sie weiß genau, wie er sich bewegt, wie er rhythmisch die Hüften beim Salsa schwingt und sich hin und wieder sein langes schwarzes Haar mit der linken Hand hinter das Ohr streicht. Sie kennt jeden einzelnen Zentimeter seines Körpers. "

"„Ich habe solche Lust auf dich, Chica“.
Sie dreht sich zu ihm um. Küsst ihn leidenschaftlich auf den Mund, knöpft unterdessen sein Hemd auf und riecht an seiner Haut. Sie lieben sich wortlos eine Zeit lang auf dem Teppichboden ihres Büros.
„Ich mach uns was zu Essen, Eva“."

ich habe die textstellen nur herausgesucht, um zu zeigen, wie ich zu meinem eindruck gelangt bin.


viele grüße

rainer
 

stellysee

Mitglied
stereotypes denken

ganz richtig, es geht um das aufzeigen von stereotypen und stereotypen denken. das tun männer und frauen gleichermaßen. also warum nicht mal aus der sicht des anderen geschlechts beleuchtet. das entlastet männer aber nicht. und frauen sind eben nicht die besseren menschen auf diesem planeten.

und die prot hat wohl im laufe ihrer beziehung herausgefunden, dass körperliche liebe und geistige liebe nicht nur von ein und desselben person befriedigt werden können. schau dich in deiner umgebung um und du stellst fest, die menschen brauchen verschiedene partner in ihrem leben gleichzeitig. doch leider funktioniert das oft nicht, wegen eifersucht, neid, moralkorsett, geld, fehlendem mut.... auch sie versucht ihre internetbeziehung zu vertuschen, weckt allerdings nur misstrauen bei ihm und beleidigt ihn mit ihrem unehrlichen verhalten.

ich persönlich bin der ansicht, wir sollten lernen offen über unsere gefühle mit den menschen, die uns wichtig sind, zu reden. we are one family. und wenn sich diese familie gegenseitig unterstützt und gut tut, dann werden wir diesen planeten sicher auch retten.

frauen lieben männer
männer lieben frauen
frauen lieben frauen
männer lieben männer

liebe ist ein wunderbares gefühl - unabhängig von geschlecht, herkunft und intellekt.

und selbst wenn ich nicht die sprache des anderen 100 Prozent verstehe, so gefällt mir vielleicht seine körpersprache bzw. seine bewegungen. sie zeugen von enormer emotionaler intelligenz, von menschlicher wärme.

ich kenne solche menschen und ích liebe sie dafür, dass sie sind wie sie sind. nicht mehr und nicht weniger.
 

Rainer

Mitglied
Ursprünglich veröffentlicht von stellysee
...
ich persönlich bin der ansicht, wir sollten lernen offen über unsere gefühle mit den menschen, die uns wichtig sind, zu reden. we are one family. und wenn sich diese familie gegenseitig unterstützt und gut tut, dann werden wir diesen planeten sicher auch retten.

frauen lieben männer
männer lieben frauen
frauen lieben frauen
männer lieben männer

liebe ist ein wunderbares gefühl - unabhängig von geschlecht, herkunft und intellekt.

und selbst wenn ich nicht die sprache des anderen 100 Prozent verstehe, so gefällt mir vielleicht seine körpersprache bzw. seine bewegungen. sie zeugen von enormer emotionaler intelligenz, von menschlicher wärme.

ich kenne solche menschen und ích liebe sie dafür, dass sie sind wie sie sind. nicht mehr und nicht weniger.
hallo stellysee,

alles was ich aus deiner antwort gestrichen habe, finde ich im text. nach dem rest habe ich aber vergeblich gesucht.

zustimmung findet deine antwort in ihrer ganzen breite bei mir :).
vielleicht meldet sich noch ein anderer leser/eine andere leserin - dass ich deine meinung im text nicht wiederfinde, ist ja nur meine persönliche ansicht.

viele grüße

rainer
 

stellysee

Mitglied
nachdenken

auch wenn du es nicht findest, immerhin könntest du jetzt darüber nachdenken über stereotypes denken, über frauen und über männer. ich hoffe, dich geistig befruchtet zu haben.
 



 
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