Plattenspieler
oder
Wie Black Sabbath meine Unschuld gerettet hat
Manch einer mag sagen, dass es eine verpasste Gelegenheit war, aber ich habe es weder damals so empfunden, noch tue ich es heute. Der Zauber von Dingen entsteht oft dadurch, dass man sie nicht erfahren hat.
Caro hatte ihren achtzehnten Geburtstag.
Sie war die Schwester meines besten Freundes und seit meinem zehnten Lebensjahr habe ich den Großteil meiner Jugend bei dieser Familie verbracht. Meine Eltern waren nicht begeistert von diesen Besuchen, meinten sie doch, dass es einen besseren Umgang für mich gegeben hätte.
Noch heute habe ich den Geschmack der dick mit Margarine bestrichenen Brote im Mund. Den Strohhaufen in der Scheune haben wir mit Geheimgängen durchlöchert, um uns vor ihrem jähzornigen Vater zu verstecken, vor dem wir, sie und ihre drei Brüder, einen gehörigen Respekt hatten. Wochenlang saßen wir über einem Monopolyspiel oder haben mit irrwitzigen technischen Konstruktionen zwei Radiorekorder aneinander gekoppelt, um „Ballroom Blitz“ von Sweet mit dem nötigen Schalldruck zu hören.
Caro war zwei Jahre älter als ich und hatte wenig Interesse an den wilden Spielen von uns vier Jungen. Geändert hat sich das, als ich vierzehn Jahre alt war und sich ein lebhaftes Interesse am anderen Geschlecht eingestellt hatte.
Wir gingen damals zum Baden immer an einen großen Fischweiher, der einem großen Hotel gehörte. Das war eigentlich verboten, aber was scheren einem in diesem Alter Verbote und schneller als der alte Mann, der den Weiher bewacht hat oder die herbeigerufene Polizei waren wir allemal. Blitzschnell war die ganze Meute im Wald verschwunden.
Ich habe damals peinlich genau darauf geachtet, dass mein Handtuch immer neben dem von Caro lag. Wie zufällig habe ich sie möglichst oft berührt oder sie mit Grashalmen gekitzelt, was sie mit geschlossenen Augen und lächelnd hingenommen hat.
Dann kam also dieser Geburtstag und ich war der Einzige, der eingeladen war. Ihr Freund war zu der Zeit bei der Bundeswehr und irgendwelche Feste oder fremde Männerbesuche hat ihr Vater auch nicht erlaubt. Was für ein Glück, dass ich praktisch ein Teil dieser Familie war.
Mein ganzer Stolz war damals ein tragbarer Plattenspieler, den ich mir mühsam von meinem ersparten Taschengeld gekauft habe und eine kleine Schachtel mit Singles. Ich habe also meine ganzen Schätze gepackt, zusammen mit einer Flasche Sekt und habe mit Herzrasen an ihrer Zimmertür geklopft.
Wir saßen zusammen auf dem Bett, haben Sekt getrunken und geredet. Sie hat viel geweint über ihre familiäre Situation und dass ihr Freund jetzt nicht bei ihr sein kann. Ihr Kopf lag auf meiner Schulter und ich habe ihre Hand gestreichelt. Nebenbei war ich sehr damit beschäftigt ständig neue Singles aufzulegen und sie hat es wieder lächelnd hingenommen, als ich ihr Vorträge über die Musiker gehalten habe.
„Hast du eine Freundin?“, fragte sie plötzlich, ihr Gesicht ganz nah an meinem.
„Nein“, sagte ich und habe ihr im nächsten Moment ohne groß zu überlegen meine Liebe gestanden. Auf dem Plattenteller drehte sich gerade „Smokie“, die Geheimwaffe in solchen Augenblicken.
Sie legte sich langsam im Bett zurück, knöpfte ihre Bluse auf und sagte: „Leg noch eine Platte auf und dann komm zu mir.“
Ich wühlte mit zitternden Händen in meiner Schachtel und die letzte verfügbare Schallplatte war „Electric funeral“ von Black Sabbath.
Caro hat dann kurz darauf geheiratet und ist mit ihrem Mann an einen anderen Ort gezogen. Ich sah sie noch einmal im Jahr darauf, als ich zu einem Urlaub mit der Familie eingeladen war, aber der Zauber war verflogen.
Ich hatte zu diesem Zeitpunkt auch eine Freundin, für die ich die ersten unbeholfenen Gedichte in meine Schulhefte geschrieben habe.
Und Black Sabbath? Die Single habe ich vor einigen Jahren für gutes Geld bei ebay versteigert.
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