ArneSjoeberg
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Playlist
Es ist Samstagmorgen, die Sonne kitzelt dich wach und du weißt, es ist eigentlich Zeit für schwarzes Leder. Aber der Kühlschrank mault „Du musst einkaufen!“, und deine Wohnung meckert „Mach mich gefälligst sauber!“ Doch draußen wartet die Maschine, also die Beats in die Ohren und die Klamotten an. „Du bist undiszipliniert!“, schreit dir jemand hinterher und diesmal ist es die Stimme einer Frau.
Früher nannten wir das „spontan.“ Aber das ist lange her. Das muss ein anderes Leben gewesen sein. Liegt es wirklich schon so weit zurück? Du beißt die Zähne zusammen, damit du nicht auch schreien musst. Weil du weißt, wie eklig es dann wird. Wieder einmal.
Du zeigst den Finger, allen dreien, und schmeißt noch in der Tür die Playlist an, Zufallsmode. Das erste Lied, „Und dann stehst du im Regen“, Wolfgang Ziegler, und aus deinem Grinsen wird eine Grimasse. Klar, immer dahin, wo es weh tut.
Handschuhe an. Fällt schwer, die Hände sind voller Narben von den Scherben, die du in den letzten Monaten aufgesammelt hast, auf deinen Knien kriechend, immer wieder, bis es nicht mehr ging, du aufgestanden bist und endlich den Rücken gerade gemacht hast.
Ab geht es in die City. Sie ist wie leergefegt, wo sonst Fußgänger und Touristen sich drängeln. Alle eingesperrt, keiner traut sich raus und Icona Pop singen „I crushed my car into a Bridge.“ Wenn es mal so einfach wäre ...
Die ganze Woche hast du geschuftet und in den Nächten die beste Geschichte geschrieben, die dir jemals eingefallen ist. Nein, nicht geschrieben, herausgeblutet ist sie aus dir. Jemand war da, der mit dem Finger auf deine Flügel aus Fantasie gezeigt und geflüstert hat: „Warum fliegst Du nicht mehr?“ Weil du wusstest, dass sie nicht stark genug für zwei waren. Aber das hättest du nie zugegeben, nicht einmal vor dir selbst.
Diese alten, eingestaubten Dinger, ganz hinten in der Schrankecke haben sie vor sich hingemodert. Du hattest sie abgelegt, eingetauscht gegen die Krücken Disziplin und Berechenbarkeit und dir auch noch das Korsett Verlässlichkeit angezogen, bis du dich keinen Millimeter mehr bewegen konntest außer in der vorgezeichneten Richtung, in der sich auch alle anderen bewegen. Du hattest dich angepasst. Jetzt bist du angepisst.
Schwerin ist immer noch leer. Die erste Kurzgeschichte nach langer so langer Zeit war ein Flugtest. Ob sie noch trugen, die eingestaubten Dinger. Größer und schwerer waren sie geworden und es hatte viel mehr Kraft gekostet als früher, sie zu bewegen. Doch sie trugen dich so wie seine Schwingen den „Albatros“ über das endlose Meer schweben lassen. Aber Karat hast du nicht auf deiner Playlist, solltest du vielleicht ändern. Oder „Eagle“ von Abba.
Damit kannst du sogar so dreckig fliegen, wie du dich jetzt fühlst. Natürlich hast du geduscht, sogar gebadet jeden Abend, was du sonst nur am Wochenende gemacht hast. Doch der Dreck ging nicht ab. Weil er innen sitzt, da, wo kein Wasser hinkommt. Weil du gelächelt hast, wo du hättest die Zähne zeigen müssen; die Hand gereicht hast, wo du sie hättest ballen müssen und Dich an der Tischplatte festgekrallt hast, als du hättest zuschlagen müssen. Du hast dich so brav angepasst; hast zugelassen, dass sie dich mit ihren Krakenarmen in ihr fantasieloses, angepasstes, kleines Leben gezerrt haben, und deswegen fühlst du dich so dreckig. Dein Leben ist nicht besser, nicht schlechter, nur anders ist es ...
Es ist die Straße nach Wismar, blühende Bäume rauschen vorbei, links und rechts leuchtet gelb der Raps und vor dir ist ein LKW. Links raus ... Lichthupe von vorne ... uups ... das wird knapp ... Gas! ... und sie ist da, die Maschine unter dir. Kurz lüftet sie das Vorderrad, zieht an, schert wieder ein und der Gegenverkehr rauscht vorbei. Sie ist immer da, wenn du sie brauchst, lässt dich nicht hängen, wenn es eng wird. Das hat sie noch nie getan. Sie ist kein Mensch.
Kai Tracid in den Beats und du fährst langsamer, damit du den Text verstehst. Life is too short, as precious as gold, its full of surprises, so i am told. Du bleibst langsam, ein See links der Straße, zwei Angler wollen den Fischen ein Schnippchen schlagen und irgendwie stiehlt sich ein Lächeln auf deine Lippen. Noch traut es sich nicht so richtig heraus, aber du weißt, wo es kommen wird, oder?
Der große Kreisverkehr in Wismar und „Faster“ von Within Tempation lässt nicht nur deine Helmschale dröhnen. Kein Auto drin? Geil! Zweiter Gang und Gas, noch mehr Gas, Anschlag! Eine volle Runde und dann noch eine; wie ein Westernreiter hängst du links neben der Maschine, die Fußraste schlägt Funken auf dem Asphalt, der Knieschoner fängt sich neue Schrammen ein und irgendetwas in dir schreit: „Mann, du bist sechzig!“
„Und was?!“, brüllst du zurück.
Wenig später sind sie da, die schönste Straße des Nordens und dein Lächeln; von Wismar nach Neubukow, am Salzhaff entlang, voller Kurven und sonnendurchfluteter Alleen. Malerische Dörfer fliegen nur so an dir vorbei, du erreichst das Meer und jetzt endlich kannst du atmen ... atmen ... atmen ...
Es ist dieser Platz, an dem den Helm abzunehmen schon fast eine so heilige Handlung ist wie das Bekreuzigen beim Gang durch ein Kirchenportal. Das hier ist deine Kirche. Die Handschuhe aus und die Beats aus den Ohren, die Musik, die du jetzt hören willst, ist eine andere. Es sind nur ein paar Schritte bis ans Wasser, der Sand knirscht unter deinen Füßen und du setzt dich in den Schneidersitz; legst die Hände auf die Knie, formst mit Mittelfinger und Daumen einen Kreis, schließt die Augen und lässt den Kopf nach vorne sinken. Nur noch du, der Wind, das Meer, seine Wellen und ihr leises Rauschen sind bei dir – ihr alle gehört zusammen: Erde, Wasser, Luft und das Feuer in dir.
Es ist schon finster, als du nach Hause zurückkehrst. Du steigst von der Maschine, nimmst den Helm ab und blickst nach oben. Ein paar Sterne leuchten, dazwischen ist viel Dunkelheit und du fragst dich, warum die Menschen immer nur in das viele Dunkel schauen, anstatt sich an den Sternen zu erfreuen, die überall für sie leuchten.
Du gehst hinein, ziehst dich langsam aus und klappst den Laptop auf. Du wirst diese Geschichte aufschreiben, für dich selbst und für die, die sie verstehen. Deine Flügel reichen nicht für zwei, das haben sie nie getan. Es endlich zu akzeptieren, tut dann doch wieder ein bisschen weh. Wenn du zu den Sternen willst, dann such dir jemanden, der so fliegen kann wie du, oder flieg alleine, wie es die Adler tun. Aber eines weißt du: Deine Flügel wirst du nie wieder abnehmen. Niemals mehr ...
Es ist Samstagmorgen, die Sonne kitzelt dich wach und du weißt, es ist eigentlich Zeit für schwarzes Leder. Aber der Kühlschrank mault „Du musst einkaufen!“, und deine Wohnung meckert „Mach mich gefälligst sauber!“ Doch draußen wartet die Maschine, also die Beats in die Ohren und die Klamotten an. „Du bist undiszipliniert!“, schreit dir jemand hinterher und diesmal ist es die Stimme einer Frau.
Es ist schon finster, als du nach Hause zurückkehrst. Du steigst von der Maschine, nimmst den Helm ab und blickst nach oben. Ein paar Sterne leuchten, dazwischen ist viel Dunkelheit und du fragst dich, warum die Menschen immer nur in das viele Dunkel schauen, anstatt sich an den Sternen zu erfreuen, die überall für sie leuchten.
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