Neun tuffige Rosen, die mir mit breiten Mündern schallend entgegen lachen.
„Tuffig“ verstehe ich nicht. Es sei denn, das Wort leite sich her vom Tuffstein. Was sein könnte, da später im Text Tropfsteinhöhlen vorkommen, welche ebenfalls etwas zu tun haben mit stetem Wasseraufkommen und Kalk, ebenfalls sozusagen vor den Augen des Menschen entstehenden „Stein“ bezeichnen. Natürlich handelt es sich hier um Metaphern, aber Metaphern brauchen ein gemeinsames Drittes, was sowohl dem „Bild“ wie dem „Gemeinten“ eignet. Ich habe reichlich Mühe, mir eine Gemeinsamkeit von Rosen in einer Vase und Tuffstein auszudenken. Natürlich ist der Text poetisch, und natürlich setzt er in seiner Poesie zu einem guten Teil auf sprachliche Metaphern. Allerdings erlaubt „das Poetische“ nun nicht, nach Belieben einfach alles zur Metapher für alles Mögliche zu erklären. Rote Rosen sehen aus wie rote Münder, okay. Meinetwegen auch wie „breite“ Münder. Rosen lachen wie Münder, okay. Rosen lachen jemanden an oder ihm entgegen – wie breite Münder, meinetwegen. Aber so allmählich streifen wir die Grenze zum Metaphern-Overkill. Nämlich: Neun Rosen lachen mir entgegen wie breite Münder – und zwar: „schallend“. Dieses „schallend“ empfinde ich als Overkill; der Satz wäre ohne dieses Wort besser. Warum? Weil bei „schallendem Lachen“ oft eine Komponente von Übermut, Hysterie oder aber Hohn und Spott mitschwingt. „Lachende Rosen“ sind malerisch, friedlich, schön. Rosen, die „mir“ schallend „entgegen“ lachen, scheinen entweder etwas unreif oder aber mir gegenüber etwas feindlich eingestellt. Die Metapher bekommt einen Twist, der wohl kaum beabsichtigt war.
Zumal sofort danach steht, dass die Rosen eine freudige Stimmung im Zimmer verbreiten. (Ist das nicht ein wenig banal?) Und dass sie „völlig schutzlos“ strahlen. Völlig schutzlos, wenn sie schallend lachen können? Lachen tötet.
Aus dem Fluss die Tropfsteinhöhle des Bleibenden abperlen lassen.
Der Fluss ist wieder eine Metapher. Nämlich für die vergehende Zeit, die Geschichte der Welt, bzw. für unsere eigene Geschichte, unser Leben. Gut, okay, aber Flüsse schaffen keine Tropfsteinhöhlen. Weil sie nämlich viel zu schnell und viel zu gewaltig sind. Flüsse lassen dem Calcium keine Chance, sich mit dem Gas der Luft zu verbinden. Das geht nur auf der Basis von Tropfen. Und Tropfen sind nun mal keine Flüsse. Tropfen andererseits könnten irgendwo abperlen, ganz im Gegensatz zu Flüssen. Aber niemand und nichts kann einen Tropfstein (oder eine ganze Höhle davon) an irgendwas abperlen lassen! (Übrigens gibt es selbstverständlich allenthalben Tropfsteinhöhlen, in denen Bäche oder Flüsse fließen. Weil Wasser nun mal nach unten läuft und sich sammelt, wo im Erdreich oder Fels Hohlräume sind. Aber, wichtig: Die Tropfsteine, die über ihnen hangen, haben diese Bäche oder Flüsse nicht geschaffen.)
„Seelenbahn“ ist eine Metapher. Die richtige Bahn kann was transportieren, also die Seelenbahn wohl auch. Und mir scheint, die Autorin findet, ihre Worte, lyrischer Text, Gedichte seien eine „Seelenbahn“. Was irgendwie ja stimmig ist: Sie transportieren etwas. Dennoch mag ich auch dieses Metaphernknäuel nicht. Ich verstehe nicht, woher sich das Wort „Seelenbahn“ erklären könnte. Was verbindet „Bahn“ mit „Seele“? Möglicherweise vertue ich mich – und die (Eisen-)Bahn ist gar nicht gemeint. Dann vielleicht die Eisbahn. Die vom Curling oder Bobfahren oder Schlittschuhlaufen. Aber, immer noch: Was haben die mit „Seele“ zu schaffen. Und wo stimmt diese Bildlichkeit mit „geschlossen“ zusammen? Die Seelenbahn ist nämlich „geschlossen“. Hm... Oder ist es die Blutbahn. Seelenbahn und Blutbahn, das scheint einander nahe. Aber was ist eine geschlossene Seelenbahn dann? Und in demselben kleinen Satz sind die poetischen Hervorbringungen sowohl ein Transportwesen wie auch ein Blumenstrauß von Worten... Metaphern-Overkill, sage ich.
Reisen ist Träumen
Das Grau verlassen, Utopien haschen...
Dagegen ist sprachlich oder stilistisch überhaupt nichts zu sagen. Allerdings, nachdem wir soeben in Regionen unentdeckter Sprachverbiegung vorgestoßen waren, - Flüsse des Existierenden kalbten Stalaktiten des Bleibenden wie Gletscher Eisberge -, steht hier etwas, was so offensichtlich auf der Hand liegt und wohl so millionenfach so oder ähnlich schon gesagt oder gedacht wurde, dass, nun ja, dass es ein wenig banal ist, nicht wahr?
Nur die Wirklichkeit verleiht Flügel, die tragen.
Das zu vernehmen, überraschte mich. Nach dem bisher Gelesenen hätte ich eher so einen Satz erwartet: „Nur die Fantasie verleiht Flügel, die tragen.“ Oder auch: „Nur der Traum verleiht Flügel, die tragen.“ Scheint jedenfalls beides nicht gerade falsch in einem Text, der auszudrücken versucht, was poetisches Schreiben leisten kann. Wenn aber beide Aussagen irgendwie wahr sein könnten, 1. Nur die Wirklichkeit verleiht Flügel, die tragen, 2. Nur der Traum verleiht Flügel, die tragen, - dann fragt sich, wie viel an Gehalt so eine Aussage letztendlich hat, die genauso wahr ist wie ihr Gegenteil.
Die Wirklichkeit betrachtet von Angesicht zu Angesicht, so wie sie ist.
Die Wirklichkeit betrachtet? Ich staune. Was wohl heißt, die Wirklichkeit sieht irgendwas oder irgendwen an. Was oder wen auch immer. Nun gut, vielleicht... Mein Wunsch stellt mir eine Aufgabe. Der Tod sieht mich kommen. Die Einsamkeit umzingelt meine Wege. Das Dichten sieht mich fliegen. Die Realität starrt mir forschend ins Auge und spricht: „Ich bin nicht, wie dein Wunsch dir gesagt hat.“ Gut, gut. Aber: „Ich betrachte den Wald von Angesicht zu Angesicht.“ Das steuert die Metapher wieder aus der Kurve. Dagegen ginge: „Wir betrachten uns von Angesicht zu Angesicht.“ Was aber heißt: Die Wirklichkeit hat ein Gesicht und ist irgendwie ein Mensch wie du und ich. Hm. Und weil außer „die Wirklichkeit“ in dem Satz kein einziges feminines Wort vorkommt, muss das „sie“ am Ende sich auf „Wirklichkeit“ beziehen. Nämlich wie? Die Wirklichkeit betrachtet so wie sie ist. (?) Das verstehe ich nicht. Eher wohl: „Die Wirklichkeit, so wie sie ist, betrachtet... (was auch immer).“ Die Wirklichkeit ist so, wie sie ist und das, was so ist, wie es wirklich ist. Banal.
Die äußersten Spitzen der Blütenblätter kräuseln sich schwärzend wie Papier.
Wäre jetzt mal keinerlei Metapher, sondern eine feine, interessante Bebachtung im Zuge einer Beschreibung eines Blumenstraußes, wir wären wieder zurück bei dem, was anfangs versprochen wurde: einen schlichten Gegenstand wie einen Strauß Rosen zu beschreiben. (Allerdings sind wir uns nicht mehr so sicher, ob die Autorin das je tatsächlich vorhatte, denn zwischendurch war aus dem Strauß ja schon mal eine Metapher für die Dichtung ganz allgemein geworden.) An den Spitzen werden die Blütenblätter dunkler, sie schwärzen sich. Und kräuseln sich wie Papier. Einverstanden. Aber „schwärzend“ kräuseln können sie sich dennoch nicht. Denn sonst würden sie etwas schwarz färben. Was wohl nicht stimmt. Fasse ich eine welkende oder gar vertrocknete Rose vorne an, bekomme ich keine schwarzen Finger... Oder irre ich mich? Schwärzend wie Papier kräuseln sich die Blätter der Blüte. Eigentlich gar keine Metapher, sondern ein Vergleich. Setzt aber voraus, das nicht von normalem Papier die Rede ist, sondern von altmodischem schwarzen Kohlepapier, ihr wisst schon, damals, als es noch keine Kopierer und Drucker in jedermanns Nähe gab.
„Je mehr ihr Ende sich nähert, desto weiter strecken die Rosen ihre Köpfe Richtung Fenster, als ob das Licht ihnen etwas zu sagen hätte, das sie immer weniger gut verstehen.“
Das Wort „gut“ am Ende kann man getrost streichen. Aber ansonsten ist das für mich die Passage im Text, die mir am besten gefällt und am meisten einleuchtet. Nämlich wird hier nicht mit Metaphern gewuchert. Nämlich ist hier alles verständlich. Nämlich ist das (sofern es zutrifft) eine interessante Beobachtung aus dem Leben eines Blumenstraußes. Eine insofern interessante, als sie von vielen Leuten vielleicht noch nie gemacht wurde. (Solchen, die sich nicht ganz sicher sind, ob sie zutrifft.) Nämlich zaubert die keineswegs poetisch aufgeputzte Sprache in wenigen Worten Vorstellungswelten in einander: Rosen am Fenster, Menschen, die altern. Licht wird zu einer Form von Zuwendung im Bereich des Kosmos. Oder aber menschliche Ansprache wird zur Zufuhr lebensnotwendiger Energie. Nämlich eine geistreiche Pointe über Altern und Sterben: Erleben, wie alle Versuche, das früher Selbstverständliche zu fassen immer endlicher und vergeblicher werden. Tja, hier klappt’s mit der Poesie: Schlicht Gesagtes und bedeutend Verweisendes erhellen sich gegenseitig und kommen sich dennoch nicht ins Gehege.
Aber gleich wieder der nächste Satz! „Der poetische Strauß gepflückt unter dem großen Gewölbe der Literatur?“ Der lyrische Text – ein Strauß Blumen, die Literatur – ein Gewölbe – und nicht irgendeins, sondern ein „großes“. Etwas banal, möchte ich meinen.
„Ein Mensch, der mit seinem Lächeln auf Reisen geht. Aufgeschrieben, inspiriert durch die Flamme einer Leidenschaft, sich entfaltend wie ein Vogel seine Flügel für die Utopie der Wirklichkeit.“
Klingt nett, sagt mehr oder weniger gar nichts. Ich würde aufpassen, von lächelnden Menschen zu reden, wenn ich vorher von schallend lachenden Rosen gesprochen habe. Ich würde zögern, einen Literaten seine Flügel wie ein Vogel entfalten zu lassen, wenn ich nur wenige Zeilen davor noch behauptet habe, tragende Flügel habe „nur“ die Wirklichkeit. Wenn nur die Wirklichkeit tragende Flügel hat, dann der Dichter solche wie Berblinger, der Schneider von Ulm.
„Keine Blumen heute in der Vase. Doch das Licht, das nur sie schenken können, ist trotzdem da.“ Bah! Mag ja sein, viele Leser mögen das... Ich hasse es. So à la: „Sie ist gestorben, aber sie ist nicht tot. Seht ihr denn nicht, sie ist mitten unter uns!“ Meinetwegen können andere Leute so etwas mögen, mögen diese Andern mich es dann aber auch Kunsthonig finden lassen können!
„Die Wahrheit ist kein in die Erde gebuddeltes Loch.“ Nicht? Dabei hab ich ganze Jahrzehnte hindurch wieder und wieder geschworen, dass die Wahrheit ein in die Erde gebuddeltes Loch sei. Man lernt nie aus, denn – die Wahrheit, sie... „Sie ist ein vierblättriges Kleeblatt.“ Metaphern über Metaphern – und es kommt offenbar drauf an, sie möglichst nicht ganz zu verstehen. Dann ist es Lyrik. Vierblättriges Kleeblatt, recht triviales Wissen, das sind (angeblich) eher seltene Sachen, Funde im Meer des Gewöhnlichen, Zeichen für Glück, das einem zu Teil wird (demnächst wahrscheinlich). Geht das denn an? Kann die Wahrheit etwas Außergewöhnliches, ein Glücksfall im Meer des Alltäglichen sein? Ja, mag sein, aber solche Wahrheiten sind wohl eher nicht gemeint: „Wieso kommst du so spät?“ „Au Mann, da war so ein Sonntagsfahrer vor mir.“ Solch Wahrheit ist gebuddelt Loch.
„In Wirklichkeit liefert dieses Wörterbuch aufgelöst im virtuellen Raum weiße Propagandatauben und mit abstrakter Inbrunst Klischees.“
Metaphern noch und noch. 1. Das Wörterbuch steht für das Schreiben des Poeten. 2. Der virtuelle Raum steht für unser aller normales Leben, so, wie es heutzutage ist. 3. Die weißen Tauben sind die Hervorbringungen des Poeten. 4. Die Tauben sind „Propagandatauben“. Weil sie nämlich nicht sagen, was und wie es wirklich ist, sondern wie es sein könnte, wenn es poetisch wäre. Im Wort „Propaganda“ schwingt stets mit: bodenlos und schamlos verlogen!
Nun gut, meinetwegen, ich mag’s zwar nicht, aber ich muss ja auch nicht alles mögen, was gut ist. Wie aber, bitte schön, geht das vor sich, wenn ein „Wörterbuch“ in einem Raum „aufgelöst“ wird wie Corega Tabs im Zahnputzglas? Nämlich in einem „virtuellen“. Und was ist denn „abstrakte“ Inbrunst, beispielsweise im Unterschied zur „naiven Inbrunst“. Da habe ich Erklärungsbedarf.
Während der Bildschirm die lebendige Wirklichkeit entmaterialisiert, befreit sie das Geschriebene vom Gewöhnlichen. Die Welt und das Alltägliche werden simultan entlassen.
Die Wirklichkeit, wir erinnern uns, hat tragfähige Flügel und betrachtet von Angesicht zu Angesicht und ist ein Kleeblatt mit vier schwärzenden Blättern. Halt, nein, Irrtum, Letzteres war ja die Wahr-, nicht die Wirklichkeit. Jedenfalls, diese Wirklichkeit hat auch Materie, die ihr genommen werden kann, nämlich vom „Bildschirm“; ich nehme an, man darf dafür auch einfach „Fernsehen“ sagen. Da in oben stehendem Satz nur ein einziges feminines Wort vorkommt, die Wirklichkeit, können wir davon ausgehen, dass auch sie es ist, die befreit. Nämlich macht sie das Geschriebene (das Wörterbuch, den Strauß) vom Gewöhnlichen frei. Wenn aber die Wirklichkeit irgendwas und irgendwen vom Gewöhnlichen frei macht, folgert, dass die Wirklichkeit das Gewöhnliche selbst nicht sein kann. Der Inhalt einer Altpapiertonne ist also wohl ziemlich unwirklich, weil überaus gewöhnlich im Allgemeinen. Und: Es besteht ein Gegensatz zwischen dem Fernsehen und der Wirklichkeit. Das Fernsehen killt die Wirklichkeit. Die Wirklichkeit erspart der Dichtung das Gewöhnliche. Das ist, wenn auch schwer zu kapieren, ein Gegensatz.
Wird aus dem ekstatischen JA der utopischen Muse ein kategorisches NEIN an die Ratio menschlichen Glücks?
Weiß nicht, aber gut, dass wir mal drüber geredet haben.