Portrait
In meiner Wohnstube hängt ein Portrait an der Wand, eine Federzeichnung. Sie heißt: „Am Ende der Kindheit“ und stellt meinen Sohn dar. Ein Freund der Familie hatte sie zu seinem fünfzehnten Geburtstag angefertigt und zeigt meinen Sohn im Profil.
Der Bengel war damals heftigst in der Pubertät und ließ uns nur einen sehr kurzen Blick auf das Geschenk werfen, dann verschwand es in seinem Schrank.
Ich ging nur dann an diesen Schrank, wenn ich frische Wäsche hinein zu legen hatte. Aber diesmal zog ich das geschmähte Werk hervor, besorgte einen passenden Rahmen und hing es im Wohnzimmer auf.
Als Söhnlein aus der Schule kam, staunte er. Noch bevor er etwas sagen konnte, herrschte ich ihn an: „Das ist ein Unikat! Kein Mensch auf der Welt hat so eine Zeichnung, wo du drauf bist! Der Burkhart hat bestimmt einige Stunden daran gemalt, das gehört nicht in den Schrank geknautscht, das gehört an die Wand!“
Die Wahrheit aber behielt ich für mich: der Grafiker hatte meinen Sohn so gezeichnet, wie ich ihn gern gesehen hätte. Mit erhobenem Kopf forschend und aufmerksam in die Welt blickend, ernst und besonnen. Ich kannte ihn nur aufbrausend, widerspenstig und störrisch. Darum hatten wir oft Streit miteinander. Und noch etwas trat auf diesem Bild zu Tage: ich hatte immer nur gesehen, wie ähnlich mein Sohn seinem Vater war, der uns damals so schmählich verlassen hatte. Nun aber musste ich erkennen, dass der Junge ebenso große Ähnlichkeit mit mir hatte, namentlich um die Mundpartie.
Von Stund an verringerten sich unsere Streitereien. Ich ging völlig neue Wege in der Erziehung, weil ich immer erst überlegte, ob ich vielleicht den selben Fehler, für den ich den Bengel gerade rügen wollte, nicht auch gemacht hätte. es war, als wäre mir mit dieser Zeichnung mein Sohn aufs neue geboren worden.
So ist mir dieses Portrait überaus wertvoll und mit keinem Geld der Welt zu bezahlen.
In meiner Wohnstube hängt ein Portrait an der Wand, eine Federzeichnung. Sie heißt: „Am Ende der Kindheit“ und stellt meinen Sohn dar. Ein Freund der Familie hatte sie zu seinem fünfzehnten Geburtstag angefertigt und zeigt meinen Sohn im Profil.
Der Bengel war damals heftigst in der Pubertät und ließ uns nur einen sehr kurzen Blick auf das Geschenk werfen, dann verschwand es in seinem Schrank.
Ich ging nur dann an diesen Schrank, wenn ich frische Wäsche hinein zu legen hatte. Aber diesmal zog ich das geschmähte Werk hervor, besorgte einen passenden Rahmen und hing es im Wohnzimmer auf.
Als Söhnlein aus der Schule kam, staunte er. Noch bevor er etwas sagen konnte, herrschte ich ihn an: „Das ist ein Unikat! Kein Mensch auf der Welt hat so eine Zeichnung, wo du drauf bist! Der Burkhart hat bestimmt einige Stunden daran gemalt, das gehört nicht in den Schrank geknautscht, das gehört an die Wand!“
Die Wahrheit aber behielt ich für mich: der Grafiker hatte meinen Sohn so gezeichnet, wie ich ihn gern gesehen hätte. Mit erhobenem Kopf forschend und aufmerksam in die Welt blickend, ernst und besonnen. Ich kannte ihn nur aufbrausend, widerspenstig und störrisch. Darum hatten wir oft Streit miteinander. Und noch etwas trat auf diesem Bild zu Tage: ich hatte immer nur gesehen, wie ähnlich mein Sohn seinem Vater war, der uns damals so schmählich verlassen hatte. Nun aber musste ich erkennen, dass der Junge ebenso große Ähnlichkeit mit mir hatte, namentlich um die Mundpartie.
Von Stund an verringerten sich unsere Streitereien. Ich ging völlig neue Wege in der Erziehung, weil ich immer erst überlegte, ob ich vielleicht den selben Fehler, für den ich den Bengel gerade rügen wollte, nicht auch gemacht hätte. es war, als wäre mir mit dieser Zeichnung mein Sohn aufs neue geboren worden.
So ist mir dieses Portrait überaus wertvoll und mit keinem Geld der Welt zu bezahlen.