Positiv

nemo

Mitglied
Das ist die erste KG, die ich (vor gut 10 Jahren) geschrieben habe. Zum Jubiläum wollte ich sie mal hier veröffentlichen.

POSITIV

1*

"Es gibt nichts schlimmeres, als aufzuwachen und der Kopf droht jeden Augenblick zu explodieren", dachte er sich und zwang sein rechtes Augenlid, sich zu öffnen. Er blickte sich kurz um und bemerkte, dass er glücklicherweise in seinem eigenen Bett lag. Nach einigen Minuten, die er dazu brauchte seine Gedanken zu ordnen, stand er auf. Er ging ins Bad und sah sich im Spiegel an. "Guten Morgen, wer auch immer du sein magst", murmelte er und schüttelte die Packung Aspirin in der Hoffnung, es sei noch eine Tablette drin; er hatte Glück. Nachdem er den Schmerzkiller zu sich genommen hatte, kochte er sich einen Kaffee und versuchte sich an den gestrigen Abend zu erinnern.
Er wusste noch von der Party bei Lucas und dem vielen Alkohol, den er zu sich genommen hatte. Aber dann ließ sein Gedächtnis ihn im Stich.
Nach der Koffein-Zufuhr ging es ihm schon etwas besser und er entschied sich, seinen Kumpel Mike anzurufen, um ihn zu fragen, was gestern alles passiert war.

Er nahm den Hörer zwischen Kopf und Schulter und wählte. Auf der anderen Seite der Leitung sprang der Anrufbeantworter an.
"Hier ist der persönliche Telefonsklave von Mike. Entweder bin ich nicht zu Hause oder ich hab' kein Bock zu telefonieren. Piep."
"Hi hier ist Tom, geh dran, oder bist du noch im Koma?"
Keine Sekunde später meldete sich Mike mit einer Stimme, die davon zeugte, dass auch er den Alkohol noch nicht überwunden hatte.
"Was ist los? Hast du Sehnsucht nach mir oder weshalb störst du?", fragte er.
"Klar doch. Wie fandest du die Party gestern?"
"Ganz nett aber dir hat'se wahrscheinlich besser gefallen, stimmt's?". Mike hatte einen amüsierten Ton in der Stimme, den Tom nicht mochte.
"Hab' ich irgendwelchen Blödsinn verzapft?"
"Warum fragst du, du solltest es doch besser wissen." Mike klang überrascht.
"Ich kann mich nicht erinnern."
Aus der Leitung kam ein lautes Lachen.
"An gar Nichts mehr?" Das Lachen wurde lauter.
"Krieg dich ein Mike, was habe ich gemacht?" Langsam wurde er nervös.

Es war nicht das erste Mal, dass Tom ein Blackout hatte. Aber zum Glück hatte er währenddessen nie etwas Schlimmeres angestellt, abgesehen davon, dass er sich mal an einem Polizeiwagen erleichtert hatte.

Mike beruhigte sich allmählich. "Du hast gestern die beste Nummer deines Lebens geschoben und du kannst dich nicht mehr daran erinnern!" er musste wieder lachen und diesmal entwickelte es sich zu einem lauten Grölen.
"Was hast du gerade gesagt?", fragte Tom erschrocken.
"Also, ganz langsam, weil ich weiß, dass du nicht der schnellste bist. Nachdem du dich gestern mit Alkohol dermaßen zugeschüttet hast, dass du kaum noch gehen konntest, ist diese Perle auf der Party aufgetaucht. Super Weib, blond, lange Beine, klasse Figur und so weiter. Du warst so derbe drauf, dass du dich tierisch an sie rangemacht hast. Dann hab ich dich aus den Augen verloren."
"Ja und weiter?" Tom konnte es einfach nicht glauben.
"Wie gesagt, dann hab ich dich eine Zeit lang nicht gesehen. Als ich dann auf die Toilette wollte, bin ich an Lucas Zimmer vorbei und gerade in dem Moment kam dieses Weib raus und du lagst schlafend mit einem Lächeln im Gesicht, auf dem Bett."
"Ich und diese Frau haben also...."
"Du warst nackt!"
"Weißt du vielleicht wer sie war? Hast du Sie schon mal vorher gesehen?"
"Keine Ahnung."


2*

Er saß schlapp am Küchentisch und konnte immer noch nicht glauben, was Mike ihm gerade erzählt hatte. " Das ist wieder typisch für dich, Tom Arnold. Du vögelst die beste Frau, die du je hattest und kannst dich an Nichts erinnern.", dachte er und zwang sein Gehirn, kleine Fetzen der letzten Nacht zusammenzutreiben. Aber es half nichts, da war nur dieses große schwarze Loch, aber ohne Haare.

Wenn er es sich recht überlegte, war sein ganzes Leben bis jetzt ein Loch gewesen.
Er war fünfundzwanzig, sah nicht besonders gut aus, kroch mehr schlecht als recht durch sein Jura Studium. Er hatte kein eigenes Einkommen, schnorrte sich bei seinen Alten durch, und eine feste Freundin hatte er auch nicht.
Er hatte im Moment keine Lust über die Zukunft nachzudenken und widmete sich wieder der angeblichen Schönheit von gestern. Vielleicht war es ja nur ein Scherz von Mike, er hatte von Zeit zu Zeit die schlechte Angewohnheit, höchst pubertäre Witze zu reißen aber diesmal war es nicht sein Stil. Er hätte zu gerne gewusst, wer diese Frau gewesen war und vor allem, wie sie aussah. Vor seinem geistigen Auge tummelten sich Playboy-Models, die eine schärfer als die andere. Doch langsam wandten sich seine Gedanken praktischeren Dingen zu. Er durchsuchte den Kleiderhaufen vom letzten Abend. Eine Geruchswolke aus Alkohol und Zigarettenqualm kam ihm entgegen. Er hatte einen üblen Verdacht und als er das gefunden hatte, was er suchte - sein Portemonnaie - wurde dieser bestätigt. Das Kondom, das er für alle Fälle immer bei sich hatte, war noch da. Er hatte also entweder ohne Schutz mit der unbekannten Dame geschlafen oder sie hatte ein Kondom dabei gehabt. Fifty-Fifty. Langsam wurde ihm mulmig zu Mute. Er dachte an Vaterschaftsklagen, oder, was noch schlimmer wäre, an AIDS.
Ein leises "Scheiße" entglitt ihm. Er musste sich erst mal setzen.
"Nur keine Panik, du gehst morgen zu Dr. Klein, machst einen Bluttest und in vier Tagen lachst du darüber. Und wenn sie schwanger wird hat sie halt Pech gehabt; sie kennt mich genau so wenig, wie ich sie."

Nachdem er dies getan hatte setzte er sich in die Küche und schrieb ein paar Zeilen in sein Tagebuch.

3*
Am nächsten Tag ging Tom zum Arzt und erklärte ihm sein Anliegen. Dr. Klein hörte interessiert zu.
"Das ist gut, dass du den Mut hast den Test zu machen, doch im Moment hat dieser noch keine Wirkung. Lass es mich dir erklären: Der Virus braucht einige Zeit, um sich bemerkbar zu machen. Ein sicheres Ergebnis ist dann nur in ungefähr 3 Monaten zu erwarten.", sagte Dr. Klein und sah Tom in den Augen.
"Bis jetzt hatten wir noch keinen positiven Test, wenn dir das Hoffnung macht. Aber ich würde dich trotzdem bitten, dich bei deinen nächsten sexuellen Kontakten zu schützen. Man kann nie sicher genug sein. Für dich und für die anderen."
Diese Worte waren überflüssig. Tom war die Lust am Sex vergangen und er ging den Frauen während der drei darauffolgenden Monate aus dem Weg.

4*

16. März 95

Ich war heute beim Arzt um die Ergebnisse abzuholen. Ich kann es nicht glauben: Positiv!. Dr. Klein hat mir noch mal Blut abgenommen, für einen Bestätigungstest, den sogenannten Western-Blot. Was mache ich jetzt nur? Als ich nach Hause gekommen bin, hab ich mich erst mal betrunken. Es hat nicht geholfen.


17. März 95

Ich konnte gestern Abend nicht schlafen. Ich habe über den Tod nachgedacht. Was kommt bloß danach? Ich fing an zu schwitzen und Panik überkam mich, ich musste durch mein Zimmer laufen und mir immer wieder selber sagen: "Du lebst noch, du stirbst nicht!". Ich bin mir bewusst, dass es jeden mal erwischt, aber so früh?
Ich habe versucht zu lesen oder fern zu sehen, aber ich konnte mich auf nichts konzentrieren. Der Gedanke, dass es nach dem Tod Nichts geben könnte, macht mir Angst. Wie sehr man in solch einer Situation das Leben, sei es noch so schlecht, zu schätzen weiß. Ich habe es dann doch noch geschafft einige Stunden zu schlafen und als ich aufgestanden bin, hab ich sogar für einen Moment die Krankheit vergessen und hab’ mich über den Zustand meines Zimmers aufgeregt und aufgeräumt.

18. März 95

Der zweite Test war auch positiv! Ich bin HIV infiziert!
Diese drei verdammten Buchstaben. Der Arzt hat mir die Adresse und Telefonnummer der Aids-Hilfe gegeben. Er möchte, dass ich dort anrufe und mich beraten lasse. Beraten? Wofür? Vielleicht, damit die mir erklären, wie man am besten krepiert! Ich glaube es nicht, ich werde sterben. Na klar, es ist doch noch gar nicht sicher, wann sich der Virus bei mir bemerkbar macht. Ich könnte Glück haben und noch fünf Jahre leben, bevor es losgeht. Scheiße!

20. März 95

Ich habe heute Mike angerufen. Ich wollte es ihm sagen, doch mir fehlte letztendlich der Mut. Ich habe ihm dann nur gesagt, dass ich krank bin und Ruhe brauche. Ich frage mich, wie er reagiert hätte. Habe mir ein Buch über Aids gekauft, interessant, aber auch deprimierend. Darin waren Bilder von an Aids erkrankten Menschen. Ich musste mir vorstellen, wie ich aussehen würde (oder werde), so ausgemergelt und mit diesen Flecken überall auf dem Körper. Ich habe heute das erste Mal seit Tagen wieder gelacht; Mr. Bean war im TV.

22. März 95

Hab' gestern nichts geschrieben; es ging mir beschissen und ich musste unaufhörlich an den Tod denken. Heute ging es besser. Bin einfach zu müde, um zu denken. Mutter hat angerufen, ich habe ihr das Gleiche erzählt wie Mike. Ich will nicht, dass sie sich Sorgen macht. Ich weiß nicht, wie es weitergehen soll. Ich bin heute zwei Stunden neben meinem Telefon sitzen geblieben und habe mir fest vorgenommen, bei der Aids-Hilfe anzurufen, aber ich konnte es nicht.

23. März 95

Nichts mehr zu Essen im Haus. Habe Pizza bestellt, keine Lust raus zu gehen. Ich habe meinen ganzen Körper nach Flecken untersucht. Keine zu finden. Alle Fenster zugemacht, damit von draußen nichts rein kann. Ich weiß immer noch nicht was, ich tun soll. Ich habe mir überlegt, dieses Mädchen zu suchen. Doch was soll ich ihr sagen ?
Dass sie mich angesteckt hat und wie ich sie dafür hasse? Ja toll! Ihr hast du es aber gegeben! Vielleicht weiß sie selber nichts von dem Virus. Wer weiß.

Im Fernsehen lief eine Sendung, in der erklärt wurde, wie sehr an Aids erkrankte Menschen in unserer Gesellschaft diskriminiert werden. Sie kriegen keine Arbeit, man umgeht und ignoriert sie. Die Menschen haben Angst sich selber anzustecken. Ein Mann, der interviewt wurde, sagte Aids wäre "Gottes Strafe an die Schwulen." Was für ein Arsch!

24. März 95

Ich habe heute bei Lucas angerufen und ihn gefragt, wer dieses Mädchen war. Ich würde sie gerne wiedersehen, hab' ich gesagt. Er wusste es nicht, hat mir aber versprochen, dass er sich umhören würde. Das ist ja schon was! Der Arzt war bei mir, er wollte wissen, ob es mir gut ginge. Ich habe ihm gesagt, den Umständen entsprechend und, dass ich Zeit für mich brauche, um mit meiner Situation klar zu werden. Er gab mir einen Termin für eine Untersuchung. Ich habe ihm auch gesagt, dass ich mit der Aids-Hilfe Kontakt aufgenommen habe. Ich bin ein elender Lügner. Ein elender, feiger Lügner.

25. März 95

Nichts mehr zu Essen und kein Geld mehr da gehabt. Musste leider raus. Ich werde das Gefühl nicht los, dass die Leute es gemerkt haben. Sie haben mich alle ganz eigenartig angesehen. Ich war froh, als ich wieder zu Hause war. Ich habe genug eingekauft, damit ich die nächsten Tage nicht raus muss. Heute auch keine Flecken. Gott sei dank. Es ist verwirrend, ich habe nie an Gott geglaubt, doch langsam frage ich mich, ob es ihn vielleicht doch gibt. Na ja, ich werde es bald herausfinden. Lucas hat sich noch nicht gemeldet.

27. März

Sie hat es bestimmt extra gemacht. Sie wollte nur nicht alleine sterben. Ich kenne dieses Gefühl inzwischen. Vielleicht sollte ich doch mal einen Streifzug durch die Nacht machen und den Virus ein bisschen verteilen. Wäre doch spaßig. Sie hat bestimmt bewusst gehandelt. Ich würde so gerne mit ihr reden, sie fragen warum. Lucas hat noch nicht angerufen. Aber ich kann noch warten. Nicht lange, aber noch geht es mir gut. Ich habe heute einen Fleck entdeckt, ich bin durch meine Wohnung gelaufen und habe hysterisch geweint. Erst später bemerkte ich, dass es sich nur um ein Muttermahl handelte, das ich von Geburt an habe. Ich weinte wieder, diesmal aus Wut über meine eigene Angst.

28. März

Als ich heute morgen aufgewacht bin, fühlte ich ein eigenartiges Kribbeln in meinem Körper. Das ist bestimmt der Virus. Ich spüre, wie er sich langsam verbreitet wie ein Fegefeuer. Er wird mich ganz langsam auffressen, wie ein Tier, das in mir lebt und sich von meinen Innereien ernährt. Nachmittags habe ich mich mit Schlaftabletten vollgepumpt, damit ich endlich wieder vernünftig schlafen kann. Nachdem ich wieder auf den Beinen war, habe ich fern gesehen und versucht mich abzulenken.

29. März

Ich weiß jetzt, wer sie ist. Lucas hat angerufen. Er sagte, es sei eine Bekannte seines Bruders gewesen. Sie heißt Moira Lent und ist Kunststudentin. Ich habe ihn gefragt, ob er weiß wo sie wohnt. Nein, meinte er und sein Bruder sei in Urlaub in Schottland. Ich hab mich bedankt. Anschließend habe ich im Telefonbuch nachgeschaut, konnte sie aber nicht finden. Ich werde sie schon aufstöbern.
Später habe ich gelesen. Plötzlich bekam ich keine Luft mehr und fühlte mich eingeengt. Ich habe alle Fenster weit aufgerissen und die kühle Brise genossen. Hoffentlich habe ich mir dabei nichts gefangen.

30. März

Heute war der Termin bei Dr. Klein, ich bin nicht hingegangen. Ich will nicht raus. Ich habe den ganzen Tag nichts gegessen, keinen Hunger. Als ich mich heute morgen im Spiegel angesehen habe, war ich erschrocken über mein Zustand. Ich habe ein dünnes Gesicht und der Mangel an Schlaf hat sich mit tiefen dunklen Augenrändern bemerkbar gemacht. Warum ich? Womit habe ich das verdient?

31. März

Diese Schlampe. Sie ist schuld. Wenn ich nur wüßsse, wo sie wohnt. Das Telefon hat heute mehrmals geläutet, aber ich hatte keine Lust mit jemanden zu reden. Ich habe geduscht, ich konnte diesen Gestank von Tod an mir nicht mehr ertragen. Ich habe mich entschieden, ich werde sie suchen. Ich habe den ganzen Nachmittag damit verbracht, zu überlegen, wie ich sie finden könnte. Mir ist Nichts eingefallen.
Ich habe Lucas angerufen, aber er war nicht zu Hause.


1. April

Ich weiß endlich wo sie wohnt. Ich habe mit Lucas gesprochen und er hat mir die Telefonnummer der Jugendherberge gegeben, in der sein Bruder Urlaub macht.
Ich hasse diese Frau!
Was sie mir angetan hat, ist unbeschreiblich.
Ich werde es ihr heimzahlen.
Ich werde es ihr doppelt heimzahlen.
Sie hat aus mir diesen Zombie gemacht, den ich jedes mal erblicke, wenn ich in den Spiegel sehe.
Ich habe inzwischen sogar Angst zu atmen.
In dem Buch stand, dass sogar eine Grippe tödliche Folgen haben kann.
Ich sehe die Bakterien um mich herum fliegen, ich weiß sie warten auf den richtigen Moment. Ich versuche sie mit der Hand weg zu schlagen aber sie kommen immer wieder. Ich habe jetzt seit vier Tagen kein Auge mehr zugedrückt. Ich fühle mich schwach, aber ich werde kämpfen.
Ich werde sie kriegen.
Ich zittere.
Ich kann nicht weiterschreiben.

2. April

Es hat heute an der Tür geklingelt.
War nicht da.
Trinke Unmengen von Kaffee.
Kein Hunger.
Ich möchte sie besuchen, zu ihr gehen.
Aber ich bin zu schwach. Ich werde mich hinlegen, muss versuchen, Kraft zu sammeln. Bin so erschöpft. Jede Bewegung ist eine Qual.
Ich muss schlafen, auch wenn ich das nicht will. Ich hoffe, dass mir nichts passiert. Habe ein Ziel vor Augen. Muss es schaffen.
Muss schlafen.

3. April

Ich habe einundzwanzig Stunden geschlafen. Fühle mich etwas besser. Mein Magen schmerzt vor Hunger. Ich will aber Nichts essen, will nicht an einer Lebensmittelvergiftung draufgehen. Mein Frühstück besteht aus Kaffe und Aspirin.
Morgen ist es soweit, ich werde sie besuchen. Ich muss raus und wenn es das Letzte ist, was ich tue.

4. April

Ich habe sie gesehen. Sie ist wirklich schön. War bestimmt eine tolle Nummer.
Sie sieht aus wie diese Models im Fernsehen. Aber hinter der schönen Fassade steckt eine Mörderin. Ich weiß es, sie hat mich umgebracht. Ich hatte kein Glück. Sie war nicht alleine, hatte eine Freundin dabei. Ich muss schon wieder warten.
Oh baby, freu dich schon mal auf mich. Wir haben uns so viel zu sagen.


5*

Es war ein wunderschöner Mittwoch morgen, als Tom seine Wohnung verließ. Er war dünn geworden und sah ungepflegt aus. Sein Gesicht sah, mit diesen Augenrändern und dem Stoppelbart, um einiges älter aus, als er tatsächlich war.
Seine Augen strahlten eine Mischung aus Wut und Wahnsinn aus. Das schöne Wetter, die spielenden Kinder und die aufblühende Frühlingsnatur ließen ihn kalt. Alle seine Gedanken waren bei einer Person. Er bewegte die Lippen, doch kein Laut war zu hören. Er sprach zu sich selber.

Eine alte Dame, die den schönen Tag nutzte, um mit ihrem Hund spazieren zu gehen, kam ihm entgegen. Sie sah das Gesicht des junges Mannes und wechselte die Straßenseite, aber auch das bemerkte Tom nicht. Er setzte sich in Bewegung.
Er war nicht weit bis zu der Wohnung von Moira Lent und er brauchte nur eine Viertelstunde, bis er angekommen war. Als er vor der Haustür stand, lächelte er. Es war ein böses Lächeln, das den Eindruck des Wahnsinns noch verstärkte. Er hob die Hand und drückte auf die Schelle. Er schien schon wieder Pech gehabt zu haben. Er wollte sich gerade umdrehen und gehen, als er ein Summen hörte. Er stemmte sich gegen die Tür und sie öffnete sich. Er wusste, dass sie im zweiten Stock wohnte. Er hatte sie gestern Abend beobachtet, wie sie mit einer Freundin nach Hause kam; kurz darauf ging in der zweiten Etage das Licht an. Er ging langsam die Treppe hoch. "Jetzt bloß nichts überhasten", dachte er sich.
Er sah im Flur, dass die Wohnungstür einen Spalt geöffnet war. Zehn Stufen nur noch. Er streckte die Hand aus und schob die Tür auf. Es war niemand zu sehen.

Der Adrenalinspiegel von Tom schoss in die Höhe, er bemerkte, wie seine Hand zu zittern begann, sein Herz schlug schneller.
Plötzlich eine Stimme, er erschrak und zuckte zusammen.
Sie kam von rechts.
"Hallo, Betty. Ich bin noch im Bad. Du bist zu früh dran. Setzt dich ins Wohnzimmer, ich bin gleich soweit", sagte eine weibliche Stimme.
Tom erholte sich schnell von seinem Schock. "Und wie du gleich soweit bist", dachte er und lächelte wieder. Er hörte das Plätschern von Wasser.
Er zog sich die Schuhe aus und bemerkte, dass er keine Socken trug. Er ging langsam dem Geräusch des Wassers nach.
Auf die Badezimmertür war ein Poster von Alfred Hitchcocks "Psycho" geklebt.
Unter der Klinke war eine kleine Anzeige, wie auf einer öffentlichen Toilette. Sie stand auf "Frei".

Er drückte vorsichtig die Tür auf.
Moira stand im Bad und wusch sich den Kopf unter dem Wasserhahn. Sie konnte ihn nicht hören. Tom sah sich um und bemerkte einen Fön, es war ein altes Modell, groß und schwer, er nahm ihn. Er näherte sich dem Mädchen. Erst jetzt sah er, dass sie nackt war, doch das war ihm egal. Er hob den Arm und schlug mit dem Fön zu. Der Fön zerbrach. Plastikstücke flogen durch die Luft. Er hatte auf ihren Nacken gezielt und getroffen. Moira schrie. Er schlug noch einmal zu. Schon nach dem zweiten Schlag war sie bewusstlos geworden und ihr Körper sank zusammen und rutschte auf den Boden. Tom ließ den zerstörten Fön fallen. Blut klebte an seiner Hand. Er ging auf die Knie und fühlte nach ihrem Puls. Sie lebte noch. Die Wunde an ihrem Kopf blutete stark und Tom legte ihr einen Verband an, den er im Schrank fand. Er wollte noch nicht, dass sie starb, er wollte sich Zeit lassen. Sie sollte langsam sterben, wie er es tat.
Tom hatte sich einen Plan zurechtgelegt; sie sollte dem Tod in die Augen schauen können. Er zog ihr einen Bademantel an. Ihr schlaffer Körper war leicht, es war kein Problem gewesen, sie in die Badewanne zu tragen. Danach durchsuchte er ihre Wohnung und fand schnell, wonach er suchte: ein paar Kabel und eine kleine Halogenlampe.
Mit den Kabeln fesselte er ihre Hände und Füße an den Wasserhahn der Wanne, dann knebelte er sie. Gerade als er damit fertig wurde, klingelte es an der Tür.
"Scheiße!", fluchte er. Er hatte vergessen, dass Moira jemanden erwartete, das musste Betty sein. Er hatte einen Fehler gemacht und das Licht im Wohnzimmer angelassen. Es klingelte noch einmal, diesmal mehrmals nacheinander. Tom versuchte es zu ignorieren. Er nahm die Lampe und schloss sie an, er legte sie dann in die Badewanne. Das Stromkabel war gerade so lang, dass die Lampe nicht ganz in der Wanne lag, sondern auf halbem Weg hing. Sein Plan würde funktionieren. Er lächelte. Er machte die Lampe an. Er versuchte Moira zu wecken. Er schüttelte sie an den Schultern. Langsam gingen ihre Augen auf. Sie brauchte einige Sekunden, um sich mit ihrer Lage vertraut zu machen, dann versuchte sie sich zu befreien und zu schreien. Tom fand, sie sehe aus, wie ein Fisch der versuche sich aus den Maschen eines Netzes zu winden. Er sah die Angst in ihren Augen und ein leichtes wohliges Zittern stieg in seiner Wirbelsäule auf. Er fühlte sich gut.
"Warum hast du das getan? Siehst du jetzt was du davon hast?", sagte er.
Moira bewegte sich ruckartig zur Seite und versuchte die Fesseln zu lockern, doch er hatte sie sehr fest gebunden.
"Du hast mich angesteckt und jetzt stecke ich dich auf meine Weise an.", sagte er und fragte sich, ob sie ihn erkannt hatte.
Er streckte den Arm aus und drehte das kalte Wasser gerade genug auf, so dass nur ein kleines Rinnsal laufen konnte.
"In ein paar Stunden wird der Wasserpegel die Lampe erreichen und was dann geschieht, kannst du dir bestimmt vorstellen."
Er lachte. Das Kribbeln in seiner Wirbelsäule verstärkte sich und er kam.
Er fühlte den warmen Samen seine Beine runterlaufen. Ein tödlicher Samen.

6*

Kommissar Phillip A. Gardner hatte schon viel gesehen, aber wenn das hier kein vorsätzlicher Mord war, dann wusste er es nicht. Die Spurensicherung war gerade fertig geworden und man entfernte die Leiche aus der Badewanne.
Er ging zu Fergusson von der Sicherung.
"Und, was gefunden?", fragte er ihn.
"Jede Menge Fingerabdrücke. Und das!" er zeigte ihm ein Reagenzglas mit ein paar Tropfen einer weißen Flüssigkeit.
"Sperma", sagte Fergusson und lächelte.
"Lecker", bemerkte Gardner, "wird wohl kein Profi gewesen sein."
"Ja, das stimmt. Aber einen Führerschein oder Bibliotheksausweis hat er uns leider nicht da gelassen. Trotzdem dürfte es kein Problem sein, ihn zu identifizieren."
Das hoffte Gardner auch. Er hatte Kopfschmerzen. Er hatte die Nacht nicht schlafen können. Der Stress mit seiner Frau war daran schuld. Seit einiger Zeit konnten sie sich nicht unterhalten, ohne dass es in einem Streit ausartete.
"Passend, nicht wahr?" sagte Fergusson.
"Eh, was?" Gardner war in seinen Gedanken versunken.
"Hier, das Poster auf der Tür", sagte Fergusson und zeigte auf die Badezimmertür.
"Ja, ja!" sagte er, er mochte den schwarzen Humor von Fergusson nicht besonders.
Die Tote wurde in den Leichenwagen gebracht.
"Sie ist vergewaltigt worden. Sehe ich das richtig?" fragte er Fergusson.
"Ich bin kein Gerichtsmediziner, keine Ahnung." antwortete Gardner.
"Aber sie haben doch Sperma ..." Fergusson unterbrach ihn.
"Auf dem Boden."
"Nett!" bemerkte der Inspektor und verließ die Wohnung.

7*

Wie Fergusson es vorausgesagt hatte, war es kein Problem gewesen, den Täter zu finden. Nach mehreren Ermittlungen im Bekanntenkreis von Moira Lent, hatte man herausgefunden, dass ein gewisser Tom Arnold versucht hatte, diese ausfindig zu machen. Inspektor Gardner hatte mehrmals versucht ihn zu erreichen, aber ohne Erfolg. Er hatte beim Staatsanwalt einen Durchsuchungsbefehl beantragt und saß in seinem muffigen Büro und wartete.
Er hatte eigentlich schon längst Feierabend, doch er wollte nicht nach Hause. Zwischen ihm und seiner Frau wurde alles nur noch schlimmer und das letzte, was er jetzt brauchte, war Streit. Seine Uhr verriet ihm, dass es kurz vor drei war und er hoffte, bis vier Uhr von der Staatsanwaltschaft grünes Licht bekommen zu haben. Er lehnte sich in seinem Stuhl zurück, um sich ein bisschen zu erholen. Er hatte die letzten Tage wenig geschlafen. Als er gerade die Augen schloss, klingelte sein Telefon.
"Inspektor Gardner", meldete er sich.
"Hallo Inspektor.", Gardner erkannte Fergussons Stimme sofort. "Sie hören sich müde an, Phil. Zuviel Arbeit ist nicht gut für ihre Gesundheit, glauben sie mir das."
"Sie rufen doch nicht nur an, um mir das zu sagen, Fergusson. Also legen sie los. Haben sie was neues rausgefunden?" Gardner klang leicht genervt.

"Ja, das kann man wohl sagen. Wir haben an der Wohnungstür von diesem Mister Arnold nach Fingerabdrücken gesucht und welche gefunden", sagte Fergusson fröhlich und machte eine kurze Pause.
"Es sind die gleichen."
"Danke", sagte Gardner knapp und legte auf.

8*

Die Festnahme verlief reibungslos. Gardner fand Tom Arnold in seinem Schlafzimmer. Er kauerte in einer Ecke und brabbelte zusammenhanglos vor sich hin. Es war nur noch der Schatten eines Menschen. Er war dünn, unrasiert und roch nach Urin und Kot. Ständig wiederholte er, sie hätte ihn umgebracht. Speichel lief ihm dabei aus dem Mund. Gardner wusste nicht so recht was er fühlen sollte, einerseits war er mit Ekel erfüllt, aber er hatte auch Mitleid mit dem, was einmal ein junger Mann gewesen war. Er fragte einen jungen Polizisten nach einer Zigarette. Er hatte vor drei Jahren mit dem Rauchen aufgehört, doch jetzt verspürte er den Drang nach Nikotin. Die Fenster waren alle geschlossen und der Gestank lag bewegungslos wie Nebel in der Wohnung. Gardner öffnete ein Fenster und atmete tief die frische Frühlingsluft ein. In seinem Magen spürte er ein flaues Gefühl.

9*

Er legte das Tagebuch von Tom Arnold zur Seite und zündete sich eine Gauloise an. Er hatte wieder richtig angefangen zu rauchen und verfluchte sich selber dafür. Es war drei Uhr morgens und er genoss die Ruhe. Er schaute zu seinem Faxgerät und sah das Fax, das er angefordert hatte, in der Ablage liegen. Auf dem Blatt stand in großen Buchstaben "Bluttest: Tom Arnold.". Doch seine Aufmerksamkeit gehörte dem letzten Satz.
HIV: Negativ.
 

Roni

Mitglied
hallo nemo,

na, dann gratuliere ich mal zum jubilaeum.
ich weiss nun allerdings nicht genau, was mit deiner geschichte zu tun ...
hast du nach so langer zeit noch lust, an ihr zu feilen oder amuesiert dich eher der rueckblick?

grundsaetzlich find ich sie recht gut gemacht. der aufbau, der wechsel von der beschreibung zum tagebuch, wollt mir erst nicht so ganz gefallen, sagte mir am ende dann aber doch wieder zu.
wenn du noch dran arbeiten willst, gibt es ein paar schlamperl auszumerzen, z.b. auch in der anrede oder in so einigen formulierungen im ersten teil.
das wesentliche des textes ist, dass er sich mit dem motiv eines taeters auseinandersetzt und da ist dir die entwicklung in den tagebucheintragungen gelungen.
zur ausgangslage lassen sich allerdings schon noch einige fragen stellen: dein held sieht nach eigener aussage nicht gut aus, hat nix besonderes, ist besoffen bis zum umfallen ... fragt sich z.b., was die superfrau ueberhaupt so attraktiv an ihm fand? oder war die auch betrunken? ;-)
mir persoenlich reicht der schluss, auch wenn ich ihn vorhergesehen habe, da fuer mich der tagebuch-teil der interessante ist, fragt sich aber doch, ob er sich nicht etwas spannender gestalten liesse.
und die persoenlichen probleme des ermittlers waeren in einem buch sicher sinnig, hier in diesem kurzkrimi aber eigentlich nur interessant, wenn sie parallel oder kontraer mit dem problem des helden zu tun haetten, oder?

lg
roni
 

nemo

Mitglied
Hallo Roni,

erst mal Danke für deine Kritik.

Ich weiss selber noch nicht so ganz, ob ich den Text nochmal überarbeiten soll. Ich schwanke noch zwischen nostalgischen Gefühlen, die mir sagen ich solle den Text so lassen, wie er damals geschrieben wurde und dem Wunsch, die Geschichte in ein neues Gewand zu verpacken.

Was die persönlichen Probleme des Kommisars angeht, so gebe ich dir recht, dass sie nicht wirklich von Interesse sind.
Ich hatte wohl damals schon den Hang alles ein wenig zuviel auszuschmücken. ;)

Schönen Gruss / nemo
 

MDSpinoza

Mitglied
hmmm, eine Rechtschreibprüfung lohnt sich alle Male - besonders dann, wenn Word mal wieder nicht gemerkt hat, daß ein Wortteil falsch ist: Muttermal muß es heißen und nicht Muttermahl. Ansonsten, eine recht gute Geschichte.
 
Hallo Nemo

die Tagebuchpassage hat mir gut gefallen.
Dass sein körperlicher Verfall so unwarhscheinlich schnell geht, erklärt sich mit der Pointe.
Die Polizeiarbeit finde ich etwas misslungen. Das Sperma wäre nicht mehr flüssig. Und wenn sie einen Verdächtigen haben, würden sie ihn erst einmal aufsuchen oder vorladen, aber einen Beschluss der Staatsanwaltschaft zur Abnahme von Fingerabdrücken an der Haustür?

Gruß
Susanne
 

nemo

Mitglied
POSITIV

1*

"Es gibt nichts schlimmeres, als aufzuwachen und der Kopf droht jeden Augenblick zu explodieren", dachte er sich und zwang sein rechtes Augenlid, sich zu öffnen. Er blickte sich kurz um und bemerkte, dass er glücklicherweise in seinem eigenen Bett lag. Nach einigen Minuten, die er dazu brauchte seine Gedanken zu ordnen, stand er auf. Er ging ins Bad und sah sich im Spiegel an. "Guten Morgen, wer auch immer du sein magst", murmelte er und schüttelte die Packung Aspirin in der Hoffnung, es sei noch eine Tablette drin; er hatte Glück. Nachdem er den Schmerzkiller zu sich genommen hatte, kochte er sich einen Kaffee und versuchte sich an den gestrigen Abend zu erinnern.
Er wusste noch von der Party bei Lucas und dem vielen Alkohol, den er zu sich genommen hatte. Aber dann ließ sein Gedächtnis ihn im Stich.
Nach der Koffein-Zufuhr ging es ihm schon etwas besser und er entschied sich, seinen Kumpel Mike anzurufen, um ihn zu fragen, was gestern alles passiert war.

Er nahm den Hörer zwischen Kopf und Schulter und wählte. Auf der anderen Seite der Leitung sprang der Anrufbeantworter an.
"Hier ist der persönliche Telefonsklave von Mike. Entweder bin ich nicht zu Hause oder ich hab' kein Bock zu telefonieren. Piep."
"Hi hier ist Tom, geh dran, oder bist du noch im Koma?"
Keine Sekunde später meldete sich Mike mit einer Stimme, die davon zeugte, dass auch er den Alkohol noch nicht überwunden hatte.
"Was ist los? Hast du Sehnsucht nach mir oder weshalb störst du?", fragte er.
"Klar doch. Wie fandest du die Party gestern?"
"Ganz nett aber dir hat'se wahrscheinlich besser gefallen, stimmt's?". Mike hatte einen amüsierten Ton in der Stimme, den Tom nicht mochte.
"Hab' ich irgendwelchen Blödsinn verzapft?"
"Warum fragst du, du solltest es doch besser wissen." Mike klang überrascht.
"Ich kann mich nicht erinnern."
Aus der Leitung kam ein lautes Lachen.
"An gar Nichts mehr?" Das Lachen wurde lauter.
"Krieg dich ein Mike, was habe ich gemacht?" Langsam wurde er nervös.

Es war nicht das erste Mal, dass Tom ein Blackout hatte. Aber zum Glück hatte er währenddessen nie etwas Schlimmeres angestellt, abgesehen davon, dass er sich mal an einem Polizeiwagen erleichtert hatte.

Mike beruhigte sich allmählich. "Du hast gestern die beste Nummer deines Lebens geschoben und du kannst dich nicht mehr daran erinnern!" er musste wieder lachen und diesmal entwickelte es sich zu einem lauten Grölen.
"Was hast du gerade gesagt?", fragte Tom erschrocken.
"Also, ganz langsam, weil ich weiß, dass du nicht der schnellste bist. Nachdem du dich gestern mit Alkohol dermaßen zugeschüttet hast, dass du kaum noch gehen konntest, ist diese Perle auf der Party aufgetaucht. Super Weib, blond, lange Beine, klasse Figur und so weiter. Du warst so derbe drauf, dass du dich tierisch an sie rangemacht hast. Dann hab ich dich aus den Augen verloren."
"Ja und weiter?" Tom konnte es einfach nicht glauben.
"Wie gesagt, dann hab ich dich eine Zeit lang nicht gesehen. Als ich dann auf die Toilette wollte, bin ich an Lucas Zimmer vorbei und gerade in dem Moment kam dieses Weib raus und du lagst schlafend mit einem Lächeln im Gesicht, auf dem Bett."
"Ich und diese Frau haben also...."
"Du warst nackt!"
"Weißt du vielleicht wer sie war? Hast du Sie schon mal vorher gesehen?"
"Keine Ahnung."


2*

Er saß schlapp am Küchentisch und konnte immer noch nicht glauben, was Mike ihm gerade erzählt hatte. " Das ist wieder typisch für dich, Tom Arnold. Du vögelst die beste Frau, die du je hattest und kannst dich an Nichts erinnern.", dachte er und zwang sein Gehirn, kleine Fetzen der letzten Nacht zusammenzutreiben. Aber es half nichts, da war nur dieses große schwarze Loch, aber ohne Haare.

Wenn er es sich recht überlegte, war sein ganzes Leben bis jetzt ein Loch gewesen.
Er war fünfundzwanzig, sah nicht besonders gut aus, kroch mehr schlecht als recht durch sein Jura Studium. Er hatte kein eigenes Einkommen, schnorrte sich bei seinen Alten durch, und eine feste Freundin hatte er auch nicht.
Er hatte im Moment keine Lust über die Zukunft nachzudenken und widmete sich wieder der angeblichen Schönheit von gestern. Vielleicht war es ja nur ein Scherz von Mike, er hatte von Zeit zu Zeit die schlechte Angewohnheit, höchst pubertäre Witze zu reißen aber diesmal war es nicht sein Stil. Er hätte zu gerne gewusst, wer diese Frau gewesen war und vor allem, wie sie aussah. Vor seinem geistigen Auge tummelten sich Playboy-Models, die eine schärfer als die andere. Doch langsam wandten sich seine Gedanken praktischeren Dingen zu. Er durchsuchte den Kleiderhaufen vom letzten Abend. Eine Geruchswolke aus Alkohol und Zigarettenqualm kam ihm entgegen. Er hatte einen üblen Verdacht und als er das gefunden hatte, was er suchte - sein Portemonnaie - wurde dieser bestätigt. Das Kondom, das er für alle Fälle immer bei sich hatte, war noch da. Er hatte also entweder ohne Schutz mit der unbekannten Dame geschlafen oder sie hatte ein Kondom dabei gehabt. Fifty-Fifty. Langsam wurde ihm mulmig zu Mute. Er dachte an Vaterschaftsklagen, oder, was noch schlimmer wäre, an AIDS.
Ein leises "Scheiße" entglitt ihm. Er musste sich erst mal setzen.
"Nur keine Panik, du gehst morgen zu Dr. Klein, machst einen Bluttest und in vier Tagen lachst du darüber. Und wenn sie schwanger wird hat sie halt Pech gehabt; sie kennt mich genau so wenig, wie ich sie."

Nachdem er dies getan hatte setzte er sich in die Küche und schrieb ein paar Zeilen in sein Tagebuch.

3*
Am nächsten Tag ging Tom zum Arzt und erklärte ihm sein Anliegen. Dr. Klein hörte interessiert zu.
"Das ist gut, dass du den Mut hast den Test zu machen, doch im Moment hat dieser noch keine Wirkung. Lass es mich dir erklären: Der Virus braucht einige Zeit, um sich bemerkbar zu machen. Ein sicheres Ergebnis ist dann nur in ungefähr 3 Monaten zu erwarten.", sagte Dr. Klein und sah Tom in den Augen.
"Bis jetzt hatten wir noch keinen positiven Test, wenn dir das Hoffnung macht. Aber ich würde dich trotzdem bitten, dich bei deinen nächsten sexuellen Kontakten zu schützen. Man kann nie sicher genug sein. Für dich und für die anderen."
Diese Worte waren überflüssig. Tom war die Lust am Sex vergangen und er ging den Frauen während der drei darauffolgenden Monate aus dem Weg.

4*

16. März 95

Ich war heute beim Arzt um die Ergebnisse abzuholen. Ich kann es nicht glauben: Positiv!. Dr. Klein hat mir noch mal Blut abgenommen, für einen Bestätigungstest, den sogenannten Western-Blot. Was mache ich jetzt nur? Als ich nach Hause gekommen bin, hab ich mich erst mal betrunken. Es hat nicht geholfen.


17. März 95

Ich konnte gestern Abend nicht schlafen. Ich habe über den Tod nachgedacht. Was kommt bloß danach? Ich fing an zu schwitzen und Panik überkam mich, ich musste durch mein Zimmer laufen und mir immer wieder selber sagen: "Du lebst noch, du stirbst nicht!". Ich bin mir bewusst, dass es jeden mal erwischt, aber so früh?
Ich habe versucht zu lesen oder fern zu sehen, aber ich konnte mich auf nichts konzentrieren. Der Gedanke, dass es nach dem Tod Nichts geben könnte, macht mir Angst. Wie sehr man in solch einer Situation das Leben, sei es noch so schlecht, zu schätzen weiß. Ich habe es dann doch noch geschafft einige Stunden zu schlafen und als ich aufgestanden bin, hab ich sogar für einen Moment die Krankheit vergessen und hab’ mich über den Zustand meines Zimmers aufgeregt und aufgeräumt.

18. März 95

Der zweite Test war auch positiv! Ich bin HIV infiziert!
Diese drei verdammten Buchstaben. Der Arzt hat mir die Adresse und Telefonnummer der Aids-Hilfe gegeben. Er möchte, dass ich dort anrufe und mich beraten lasse. Beraten? Wofür? Vielleicht, damit die mir erklären, wie man am besten krepiert! Ich glaube es nicht, ich werde sterben. Na klar, es ist doch noch gar nicht sicher, wann sich der Virus bei mir bemerkbar macht. Ich könnte Glück haben und noch fünf Jahre leben, bevor es losgeht. Scheiße!

20. März 95

Ich habe heute Mike angerufen. Ich wollte es ihm sagen, doch mir fehlte letztendlich der Mut. Ich habe ihm dann nur gesagt, dass ich krank bin und Ruhe brauche. Ich frage mich, wie er reagiert hätte. Habe mir ein Buch über Aids gekauft, interessant, aber auch deprimierend. Darin waren Bilder von an Aids erkrankten Menschen. Ich musste mir vorstellen, wie ich aussehen würde (oder werde), so ausgemergelt und mit diesen Flecken überall auf dem Körper. Ich habe heute das erste Mal seit Tagen wieder gelacht; Mr. Bean war im TV.

22. März 95

Hab' gestern nichts geschrieben; es ging mir beschissen und ich musste unaufhörlich an den Tod denken. Heute ging es besser. Bin einfach zu müde, um zu denken. Mutter hat angerufen, ich habe ihr das Gleiche erzählt wie Mike. Ich will nicht, dass sie sich Sorgen macht. Ich weiß nicht, wie es weitergehen soll. Ich bin heute zwei Stunden neben meinem Telefon sitzen geblieben und habe mir fest vorgenommen, bei der Aids-Hilfe anzurufen, aber ich konnte es nicht.

23. März 95

Nichts mehr zu Essen im Haus. Habe Pizza bestellt, keine Lust raus zu gehen. Ich habe meinen ganzen Körper nach Flecken untersucht. Keine zu finden. Alle Fenster zugemacht, damit von draußen nichts rein kann. Ich weiß immer noch nicht was, ich tun soll. Ich habe mir überlegt, dieses Mädchen zu suchen. Doch was soll ich ihr sagen ?
Dass sie mich angesteckt hat und wie ich sie dafür hasse? Ja toll! Ihr hast du es aber gegeben! Vielleicht weiß sie selber nichts von dem Virus. Wer weiß.

Im Fernsehen lief eine Sendung, in der erklärt wurde, wie sehr an Aids erkrankte Menschen in unserer Gesellschaft diskriminiert werden. Sie kriegen keine Arbeit, man umgeht und ignoriert sie. Die Menschen haben Angst sich selber anzustecken. Ein Mann, der interviewt wurde, sagte Aids wäre "Gottes Strafe an die Schwulen." Was für ein Arsch!

24. März 95

Ich habe heute bei Lucas angerufen und ihn gefragt, wer dieses Mädchen war. Ich würde sie gerne wiedersehen, hab' ich gesagt. Er wusste es nicht, hat mir aber versprochen, dass er sich umhören würde. Das ist ja schon was! Der Arzt war bei mir, er wollte wissen, ob es mir gut ginge. Ich habe ihm gesagt, den Umständen entsprechend und, dass ich Zeit für mich brauche, um mit meiner Situation klar zu werden. Er gab mir einen Termin für eine Untersuchung. Ich habe ihm auch gesagt, dass ich mit der Aids-Hilfe Kontakt aufgenommen habe. Ich bin ein elender Lügner. Ein elender, feiger Lügner.

25. März 95

Nichts mehr zu Essen und kein Geld mehr da gehabt. Musste leider raus. Ich werde das Gefühl nicht los, dass die Leute es gemerkt haben. Sie haben mich alle ganz eigenartig angesehen. Ich war froh, als ich wieder zu Hause war. Ich habe genug eingekauft, damit ich die nächsten Tage nicht raus muss. Heute auch keine Flecken. Gott sei dank. Es ist verwirrend, ich habe nie an Gott geglaubt, doch langsam frage ich mich, ob es ihn vielleicht doch gibt. Na ja, ich werde es bald herausfinden. Lucas hat sich noch nicht gemeldet.

27. März

Sie hat es bestimmt extra gemacht. Sie wollte nur nicht alleine sterben. Ich kenne dieses Gefühl inzwischen. Vielleicht sollte ich doch mal einen Streifzug durch die Nacht machen und den Virus ein bisschen verteilen. Wäre doch spaßig. Sie hat bestimmt bewusst gehandelt. Ich würde so gerne mit ihr reden, sie fragen warum. Lucas hat noch nicht angerufen. Aber ich kann noch warten. Nicht lange, aber noch geht es mir gut. Ich habe heute einen Fleck entdeckt, ich bin durch meine Wohnung gelaufen und habe hysterisch geweint. Erst später bemerkte ich, dass es sich nur um ein Muttermahl handelte, das ich von Geburt an habe. Ich weinte wieder, diesmal aus Wut über meine eigene Angst.

28. März

Als ich heute morgen aufgewacht bin, fühlte ich ein eigenartiges Kribbeln in meinem Körper. Das ist bestimmt der Virus. Ich spüre, wie er sich langsam verbreitet wie ein Fegefeuer. Er wird mich ganz langsam auffressen, wie ein Tier, das in mir lebt und sich von meinen Innereien ernährt. Nachmittags habe ich mich mit Schlaftabletten vollgepumpt, damit ich endlich wieder vernünftig schlafen kann. Nachdem ich wieder auf den Beinen war, habe ich fern gesehen und versucht mich abzulenken.

29. März

Ich weiß jetzt, wer sie ist. Lucas hat angerufen. Er sagte, es sei eine Bekannte seines Bruders gewesen. Sie heißt Moira Lent und ist Kunststudentin. Ich habe ihn gefragt, ob er weiß wo sie wohnt. Nein, meinte er und sein Bruder sei in Urlaub in Schottland. Ich hab mich bedankt. Anschließend habe ich im Telefonbuch nachgeschaut, konnte sie aber nicht finden. Ich werde sie schon aufstöbern.
Später habe ich gelesen. Plötzlich bekam ich keine Luft mehr und fühlte mich eingeengt. Ich habe alle Fenster weit aufgerissen und die kühle Brise genossen. Hoffentlich habe ich mir dabei nichts gefangen.

30. März

Heute war der Termin bei Dr. Klein, ich bin nicht hingegangen. Ich will nicht raus. Ich habe den ganzen Tag nichts gegessen, keinen Hunger. Als ich mich heute morgen im Spiegel angesehen habe, war ich erschrocken über mein Zustand. Ich habe ein dünnes Gesicht und der Mangel an Schlaf hat sich mit tiefen dunklen Augenrändern bemerkbar gemacht. Warum ich? Womit habe ich das verdient?

31. März

Diese Schlampe. Sie ist schuld. Wenn ich nur wüßsse, wo sie wohnt. Das Telefon hat heute mehrmals geläutet, aber ich hatte keine Lust mit jemanden zu reden. Ich habe geduscht, ich konnte diesen Gestank von Tod an mir nicht mehr ertragen. Ich habe mich entschieden, ich werde sie suchen. Ich habe den ganzen Nachmittag damit verbracht, zu überlegen, wie ich sie finden könnte. Mir ist Nichts eingefallen.
Ich habe Lucas angerufen, aber er war nicht zu Hause.


1. April

Ich weiß endlich wo sie wohnt. Ich habe mit Lucas gesprochen und er hat mir die Telefonnummer der Jugendherberge gegeben, in der sein Bruder Urlaub macht.
Ich hasse diese Frau!
Was sie mir angetan hat, ist unbeschreiblich.
Ich werde es ihr heimzahlen.
Ich werde es ihr doppelt heimzahlen.
Sie hat aus mir diesen Zombie gemacht, den ich jedes mal erblicke, wenn ich in den Spiegel sehe.
Ich habe inzwischen sogar Angst zu atmen.
In dem Buch stand, dass sogar eine Grippe tödliche Folgen haben kann.
Ich sehe die Bakterien um mich herum fliegen, ich weiß sie warten auf den richtigen Moment. Ich versuche sie mit der Hand weg zu schlagen aber sie kommen immer wieder. Ich habe jetzt seit vier Tagen kein Auge mehr zugedrückt. Ich fühle mich schwach, aber ich werde kämpfen.
Ich werde sie kriegen.
Ich zittere.
Ich kann nicht weiterschreiben.

2. April

Es hat heute an der Tür geklingelt.
War nicht da.
Trinke Unmengen von Kaffee.
Kein Hunger.
Ich möchte sie besuchen, zu ihr gehen.
Aber ich bin zu schwach. Ich werde mich hinlegen, muss versuchen, Kraft zu sammeln. Bin so erschöpft. Jede Bewegung ist eine Qual.
Ich muss schlafen, auch wenn ich das nicht will. Ich hoffe, dass mir nichts passiert. Habe ein Ziel vor Augen. Muss es schaffen.
Muss schlafen.

3. April

Ich habe einundzwanzig Stunden geschlafen. Fühle mich etwas besser. Mein Magen schmerzt vor Hunger. Ich will aber Nichts essen, will nicht an einer Lebensmittelvergiftung draufgehen. Mein Frühstück besteht aus Kaffe und Aspirin.
Morgen ist es soweit, ich werde sie besuchen. Ich muss raus und wenn es das Letzte ist, was ich tue.

4. April

Ich habe sie gesehen. Sie ist wirklich schön. War bestimmt eine tolle Nummer.
Sie sieht aus wie diese Models im Fernsehen. Aber hinter der schönen Fassade steckt eine Mörderin. Ich weiß es, sie hat mich umgebracht. Ich hatte kein Glück. Sie war nicht alleine, hatte eine Freundin dabei. Ich muss schon wieder warten.
Oh baby, freu dich schon mal auf mich. Wir haben uns so viel zu sagen.


5*

Es war ein wunderschöner Mittwoch morgen, als Tom seine Wohnung verließ. Er war dünn geworden und sah ungepflegt aus. Sein Gesicht sah, mit diesen Augenrändern und dem Stoppelbart, um einiges älter aus, als er tatsächlich war.
Seine Augen strahlten eine Mischung aus Wut und Wahnsinn aus. Das schöne Wetter, die spielenden Kinder und die aufblühende Frühlingsnatur ließen ihn kalt. Alle seine Gedanken waren bei einer Person. Er bewegte die Lippen, doch kein Laut war zu hören. Er sprach zu sich selber.

Eine alte Dame, die den schönen Tag nutzte, um mit ihrem Hund spazieren zu gehen, kam ihm entgegen. Sie sah das Gesicht des junges Mannes und wechselte die Straßenseite, aber auch das bemerkte Tom nicht. Er setzte sich in Bewegung.
Er war nicht weit bis zu der Wohnung von Moira Lent und er brauchte nur eine Viertelstunde, bis er angekommen war. Als er vor der Haustür stand, lächelte er. Es war ein böses Lächeln, das den Eindruck des Wahnsinns noch verstärkte. Er hob die Hand und drückte auf die Schelle. Er schien schon wieder Pech gehabt zu haben. Er wollte sich gerade umdrehen und gehen, als er ein Summen hörte. Er stemmte sich gegen die Tür und sie öffnete sich. Er wusste, dass sie im zweiten Stock wohnte. Er hatte sie gestern Abend beobachtet, wie sie mit einer Freundin nach Hause kam; kurz darauf ging in der zweiten Etage das Licht an. Er ging langsam die Treppe hoch. "Jetzt bloß nichts überhasten", dachte er sich.
Er sah im Flur, dass die Wohnungstür einen Spalt geöffnet war. Zehn Stufen nur noch. Er streckte die Hand aus und schob die Tür auf. Es war niemand zu sehen.

Der Adrenalinspiegel von Tom schoss in die Höhe, er bemerkte, wie seine Hand zu zittern begann, sein Herz schlug schneller.
Plötzlich eine Stimme, er erschrak und zuckte zusammen.
Sie kam von rechts.
"Hallo, Betty. Ich bin noch im Bad. Du bist zu früh dran. Setzt dich ins Wohnzimmer, ich bin gleich soweit", sagte eine weibliche Stimme.
Tom erholte sich schnell von seinem Schock. "Und wie du gleich soweit bist", dachte er und lächelte wieder. Er hörte das Plätschern von Wasser.
Er zog sich die Schuhe aus und bemerkte, dass er keine Socken trug. Er ging langsam dem Geräusch des Wassers nach.
Auf die Badezimmertür war ein Poster von Alfred Hitchcocks "Psycho" geklebt.
Unter der Klinke war eine kleine Anzeige, wie auf einer öffentlichen Toilette. Sie stand auf "Frei".

Er drückte vorsichtig die Tür auf.
Moira stand im Bad und wusch sich den Kopf unter dem Wasserhahn. Sie konnte ihn nicht hören. Tom sah sich um und bemerkte einen Fön, es war ein altes Modell, groß und schwer, er nahm ihn. Er näherte sich dem Mädchen. Erst jetzt sah er, dass sie nackt war, doch das war ihm egal. Er hob den Arm und schlug mit dem Fön zu. Der Fön zerbrach. Plastikstücke flogen durch die Luft. Er hatte auf ihren Nacken gezielt und getroffen. Moira schrie. Er schlug noch einmal zu. Schon nach dem zweiten Schlag war sie bewusstlos geworden und ihr Körper sank zusammen und rutschte auf den Boden. Tom ließ den zerstörten Fön fallen. Blut klebte an seiner Hand. Er ging auf die Knie und fühlte nach ihrem Puls. Sie lebte noch. Die Wunde an ihrem Kopf blutete stark und Tom legte ihr einen Verband an, den er im Schrank fand. Er wollte noch nicht, dass sie starb, er wollte sich Zeit lassen. Sie sollte langsam sterben, wie er es tat.
Tom hatte sich einen Plan zurechtgelegt; sie sollte dem Tod in die Augen schauen können. Er zog ihr einen Bademantel an. Ihr schlaffer Körper war leicht, es war kein Problem gewesen, sie in die Badewanne zu tragen. Danach durchsuchte er ihre Wohnung und fand schnell, wonach er suchte: ein paar Kabel und eine kleine Halogenlampe.
Mit den Kabeln fesselte er ihre Hände und Füße an den Wasserhahn der Wanne, dann knebelte er sie. Gerade als er damit fertig wurde, klingelte es an der Tür.
"Scheiße!", fluchte er. Er hatte vergessen, dass Moira jemanden erwartete, das musste Betty sein. Er hatte einen Fehler gemacht und das Licht im Wohnzimmer angelassen. Es klingelte noch einmal, diesmal mehrmals nacheinander. Tom versuchte es zu ignorieren. Er nahm die Lampe und schloss sie an, er legte sie dann in die Badewanne. Das Stromkabel war gerade so lang, dass die Lampe nicht ganz in der Wanne lag, sondern auf halbem Weg hing. Sein Plan würde funktionieren. Er lächelte. Er machte die Lampe an. Er versuchte Moira zu wecken. Er schüttelte sie an den Schultern. Langsam gingen ihre Augen auf. Sie brauchte einige Sekunden, um sich mit ihrer Lage vertraut zu machen, dann versuchte sie sich zu befreien und zu schreien. Tom fand, sie sehe aus, wie ein Fisch der versuche sich aus den Maschen eines Netzes zu winden. Er sah die Angst in ihren Augen und ein leichtes wohliges Zittern stieg in seiner Wirbelsäule auf. Er fühlte sich gut.
"Warum hast du das getan? Siehst du jetzt was du davon hast?", sagte er.
Moira bewegte sich ruckartig zur Seite und versuchte die Fesseln zu lockern, doch er hatte sie sehr fest gebunden.
"Du hast mich angesteckt und jetzt stecke ich dich auf meine Weise an.", sagte er und fragte sich, ob sie ihn erkannt hatte.
Er streckte den Arm aus und drehte das kalte Wasser gerade genug auf, so dass nur ein kleines Rinnsal laufen konnte.
"In ein paar Stunden wird der Wasserpegel die Lampe erreichen und was dann geschieht, kannst du dir bestimmt vorstellen."
Er lachte. Das Kribbeln in seiner Wirbelsäule verstärkte sich und er kam.
Er fühlte den warmen Samen seine Beine runterlaufen. Ein tödlicher Samen.

6*

Kommissar Phillip A. Gardner hatte schon viel gesehen, aber wenn das hier kein vorsätzlicher Mord war, dann wusste er es nicht. Die Spurensicherung war gerade fertig geworden und man entfernte die Leiche aus der Badewanne.
Er ging zu Fergusson von der Sicherung.
"Und, was gefunden?", fragte er ihn.
"Jede Menge Fingerabdrücke. Und das!" er zeigte ihm ein Reagenzglas mit ein paar Tropfen einer weißen Flüssigkeit.
"Sperma", sagte Fergusson und lächelte.
"Lecker", bemerkte Gardner, "wird wohl kein Profi gewesen sein."
"Ja, das stimmt. Aber einen Führerschein oder Bibliotheksausweis hat er uns leider nicht da gelassen. Trotzdem dürfte es kein Problem sein, ihn zu identifizieren."
Das hoffte Gardner auch. Er hatte Kopfschmerzen. Er hatte die Nacht nicht schlafen können. Der Stress mit seiner Frau war daran schuld. Seit einiger Zeit konnten sie sich nicht unterhalten, ohne dass es in einem Streit ausartete.
"Passend, nicht wahr?" sagte Fergusson.
"Eh, was?" Gardner war in seinen Gedanken versunken.
"Hier, das Poster auf der Tür", sagte Fergusson und zeigte auf die Badezimmertür.
"Ja, ja!" sagte er, er mochte den schwarzen Humor von Fergusson nicht besonders.
Die Tote wurde in den Leichenwagen gebracht.
"Sie ist vergewaltigt worden. Sehe ich das richtig?" fragte er Fergusson.
"Ich bin kein Gerichtsmediziner, keine Ahnung." antwortete Gardner.
"Aber sie haben doch Sperma ..." Fergusson unterbrach ihn.
"Auf dem Boden."
"Nett!" bemerkte der Inspektor und verließ die Wohnung.

7*

Wie Fergusson es vorausgesagt hatte, war es kein Problem gewesen, den Täter zu finden. Nach mehreren Ermittlungen im Bekanntenkreis von Moira Lent, hatte man herausgefunden, dass ein gewisser Tom Arnold versucht hatte, diese ausfindig zu machen. Inspektor Gardner hatte mehrmals versucht ihn zu erreichen, aber ohne Erfolg. Er hatte beim Staatsanwalt einen Durchsuchungsbefehl beantragt und saß in seinem muffigen Büro und wartete.
Er hatte eigentlich schon längst Feierabend, doch er wollte nicht nach Hause. Zwischen ihm und seiner Frau wurde alles nur noch schlimmer und das letzte, was er jetzt brauchte, war Streit. Seine Uhr verriet ihm, dass es kurz vor drei war und er hoffte, bis vier Uhr von der Staatsanwaltschaft grünes Licht bekommen zu haben. Er lehnte sich in seinem Stuhl zurück, um sich ein bisschen zu erholen. Er hatte die letzten Tage wenig geschlafen. Als er gerade die Augen schloss, klingelte sein Telefon.
"Inspektor Gardner", meldete er sich.
"Hallo Inspektor.", Gardner erkannte Fergussons Stimme sofort. "Sie hören sich müde an, Phil. Zuviel Arbeit ist nicht gut für ihre Gesundheit, glauben sie mir das."
"Sie rufen doch nicht nur an, um mir das zu sagen, Fergusson. Also legen sie los. Haben sie was neues rausgefunden?" Gardner klang leicht genervt.

"Ja, das kann man wohl sagen. Wir haben an der Wohnungstür von diesem Mister Arnold nach Fingerabdrücken gesucht und welche gefunden", sagte Fergusson fröhlich und machte eine kurze Pause.
"Es sind die gleichen."
"Danke", sagte Gardner knapp und legte auf.

8*

Die Festnahme verlief reibungslos. Gardner fand Tom Arnold in seinem Schlafzimmer. Er kauerte in einer Ecke und brabbelte zusammenhanglos vor sich hin. Es war nur noch der Schatten eines Menschen. Er war dünn, unrasiert und roch nach Urin und Kot. Ständig wiederholte er, sie hätte ihn umgebracht. Speichel lief ihm dabei aus dem Mund. Gardner wusste nicht so recht was er fühlen sollte, einerseits war er mit Ekel erfüllt, aber er hatte auch Mitleid mit dem, was einmal ein junger Mann gewesen war. Er fragte einen jungen Polizisten nach einer Zigarette. Er hatte vor drei Jahren mit dem Rauchen aufgehört, doch jetzt verspürte er den Drang nach Nikotin. Die Fenster waren alle geschlossen und der Gestank lag bewegungslos wie Nebel in der Wohnung. Gardner öffnete ein Fenster und atmete tief die frische Frühlingsluft ein. In seinem Magen spürte er ein flaues Gefühl.

9*

Er legte das Tagebuch von Tom Arnold zur Seite und zündete sich eine Gauloise an. Er hatte wieder richtig angefangen zu rauchen und verfluchte sich selber dafür. Es war drei Uhr morgens und er genoss die Ruhe. Er schaute zu seinem Faxgerät und sah das Fax, das er angefordert hatte, in der Ablage liegen. Auf dem Blatt stand in großen Buchstaben "Bluttest: Tom Arnold.". Doch seine Aufmerksamkeit gehörte dem letzten Satz.
HIV: Negativ.
 



 
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