Blumenberg
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Pott-Geschichte
Wie ein Anachronismus frisst sich, Schaufel für Schaufel, Stück für Stück, der haushohe Bagger in die dunkle Erde. Er tut das, was seine heute schweigenden und rostenden Brüder und Schwestern mehr als einhundert Jahre lang, Tag für Tag und Woche für Woche, getan haben. Ein Auslaufmodell, ebenso wie die winzigen menschlichen Punkte, die ihn in hektischer Betriebsamkeit umschwirren.
Früher war man gemeinhin stolz auf die tiefen Wunden, die er, gleich Stigmata, in die Erde geschlagen hat. Was in seinem Weg lag, hatte unter dem Jubel der Massen zu weichen, egal ob Grashalm, Baum, Haus oder Kirche. Die Öffnung des Bodens war heiliger als der geweihte Boden selbst. Neue Glaubenssymbole waren an die Stelle von Altar und Kirche getreten, auch wenn man diese artig nach der Umsiedlung wieder aufbaute, um wenigstens den Schein zu wahren. Rauchende Schlote waren die neuen Brandopfer, Industriehallen die neuen Kirchen. Das heilige Buch nicht länger Bibel, sondern Produktionsstatistik.
Das war der Höhepunkt seiner Macht, der aber, kaum erreicht, als Scheitelpunkt zugleich den beginnenden Niedergang markierte, auch wenn diesen zunächst niemand sehen konnte und wollte. Später war es vereinzeltes Flüstern, das die Allmacht der stählernen Zukunft wieder und wieder infrage stellte. Die Suche nach den Flüsternden begann. „Herr P. soll abgefallen sein. Es heißt, er glaube nicht mehr an die stählerne Erlösung!“ Häufig mehr Gerücht als Wissen; dennoch genug. Zu Anfang immer gefolgt von einem öffentlichen Glaubensbekenntnis des Betroffenen, der zuvor leugnete oder reumütig widerrief und um Wiederaufnahme in die Gemeinschaft der Gläubigen bettelte. Der Ausspruch „Asche auf mein Haupt“ wurde am Ausgang der Zeche Zollverein – „der schönsten Zeche der Welt“ – niemals plastischer präsentiert! Welch ein Aufschrei aber war zu vernehmen, wenn einer der gewählten Prediger tatsächlich hartnäckig die stählerne Zukunft leugnete, sich von den erbosten Genossen einfach nicht zum Widerruf bewegen ließ. Dort blieb nur der politische Scheiterhaufen, die Tilgung des Namens von der Liste, die die Welt bedeutete, danach Verbannung ins Private, in schlimmeren Fällen über die Landesgrenze. Wenigstens ab und zu gewährte Bonn, später Berlin den Exilanten Asyl.
Es war allerdings erstaunlich, wie schnell sich der Glaube an eine solche Heilserwartung verselbstständigte, in dem Moment, da er ein erstes Mal infrage gestellt worden war. Es ließen sich zwei umeinander tanzende Momente beobachten, deren Bewegung als Paar jene Bahn zog, die man gemeinhin als Teufelskreis bezeichnet. Die Verfolgung der Ketzer wurde im Zuge des als notwendig empfundenen Selbstreinigungs- und Selbstvergewisserungsprozesses immer verbissener, die Zurschaustellung immer obszöner und die Strafen gnadenloser. Gleichzeitig, und das ist das Kreuz mit heiligen Büchern, die in Form volkswirtschaftlicher Bilanzen geschrieben sind und so ständig aktualisiert werden müssen, kostete es immer mehr Anstrengung, dafür zu sorgen, dass die versprochene Heilsbilanz wie das Paradies auf Erden aussieht. Vor allem, da diese sich im Lichte des heraufziehenden Wandels immer mehr wie eine unschöne Einöde präsentierte, deren Anblick nur noch mehr Abfaller vom Glauben produzierte, die es mundtot zu machen galt.
Die folgende dreißigjährige Sisyphusarbeit, die so manchen, anfangs enthusiastischen, Priester verschliss, stellte sich letztlich als vergebens heraus. Nach kinoreifen Zuckungen war die kritische Masse an Ketzern erreicht; Gott unweigerlich tot. Die Ruinen seiner zahlreichen Tempel stehen heute noch als Mahnmale einer strukturschwachen Region. Einige davon sind, ähnlich wie Pompeji, das Kolosseum oder die Akropolis, ein beliebtes Ziel von ausländischen Touristen.