procesión

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Mimi

Mitglied
procesión

ich will mit bloßen händen
die erde aufgraben
ihr die wurzeln ausreißen
schicht um schicht
graben und pflügen
die brust gefüllt
mit rasenden bestien

bis ich dich finde
und den schädel küsse
wie einst deinen mund
aus dem ich den frühling schmeckte
um dich heimzutragen

in erde die deine spuren trägt
die du nährtest
mit dem schweiß deiner stirn
blütenwogen aus salbei und lavendel
mispel und feigenbäume
werden deine früchte tragen
und nichts schmeckt so süß
 
Zuletzt bearbeitet:

Franke

Foren-Redakteur
Teammitglied
Oh Mimi,

was soll ich sagen außer Danke für einen dieser ganz besonderen Momente in der Leselupe.

Liebe Grüße und empfohlen
Manfred
 
G

Gelöschtes Mitglied 28334

Gast
Hallo Mimi.

Für mich entspannen die "rasenden Bestien" die aufgebaute Spannung aus Strophe eins. Stilistisch lässt diese Zeile Strophe eins versagen.

Strophe zwei hingegen finde ich sehr gut, und Strophe drei möchte, für meinen subjektiven lyrischen Geschmack, zu viel. "Wogen" beispielsweise ist kein Wort mit einer einfachen Semantik. Zwar kann "wogen" metaphorisch ohne Zweifel starke Gefühle transportieren, dazu benötigt es aber mMn eine komplexere Syntax, die die "Blüten" nicht auflösen kann. Denn das "Wogen" will eigentlich im Zusammenhang mit einer Flüssigkeit verwendet werden, da es einen wellenförmige Ausbreitung beschreibt. N
Auch wenn ich weiß, dass das Bild ein sanftes Hin- und Herschaukeln der Blüten in einer Brise/Wind bedeuten soll und somit für eine Bewegung und Verortung der Gefühle steht, trotzdem werde ich damit nicht richtig warm.

Das sind typische Stolpersteine der Sprache, mit denen auch ich regelmäßig zu kämpfen habe. Um dem entgegenzuwirken, reduziere ich das Sprachbild, schreibe in einfachen, nicht lyrischen Worten auf, was ich aussagen möchte, und beginne dann neuzuformulieren und filtere am Ende heraus, ob für mich etwas verbraucht wirkt oder nicht, ob es in sich stimmig ist und ob es wirklich das transportieren kann, was ich sagen will und falls ja, prüfe ich immer noch weitere Möglichkeiten.

Strophe zwei hingegen finde ich wirklich stark und die ersten vier Zeilen von Strophe eins ebenfalls. Doch bedauere ich es, dass diese Stärke für mich nicht im gesamten Gedicht zu finden ist.

Das ist aber nur mein Eindruck und der möchte dem Werk keinen Mantel der Allgemeingültigkeit drüber stülpen.

Logi
 

fee_reloaded

Mitglied
Immer wieder spannend, WIE unterschiedlich wir Menschen doch lesen, Worte und Bedeutungen verorten und interpretieren!
Gerade die mit rasenden Bestien gefüllte Brust macht Strophe eins erst zu dem, was sie ist - nämlich für mein Empfinden eine wirklich gut gemachte, weil sich steigernde Einstimmung auf das, was folgt.

Du gräbst nicht mit bloßen Händen, wenn du nicht musst. Wirklich musst! So empfinde ich das.
Und Blütenwogen gibt es wie es auch Blütenmeere gibt. Das haut für mich eins A hin. Da geht's eben nicht um sanftes Hin- und Herschaukeln.

Das unterschiedliche Echo hier ist ein schönes, weil überdeutliches Beispiel, wie sehr unsere offensichtlich unterschiedlichen Wahrnehmungen der Welt und Erfahrungshorizonte dazu beitragen, uns Texte zu erschließen. Was für den einen einwandfrei und schön funktioniert, muss es nicht für alle anderen.
Ich wollte das hier nur ansprechen, weil ich es schon lange nicht mehr in so deutlicher Ausprägung wahrgenommen habe.
 
Hi Mimi,

ein unheimlich starkes Gedicht, das wundervoll harmonisch die hier ausgebreitete Prozession zum Ziel führt ( und zumAnfang). Ganz tolle, leidenschaftliche, lebendige Bilder in einem Fest von Vergänglichkeit, Erdfrüchten und dem grenzenlosen Himmel des Herzens. Das bebt aufregend nach in mir. Bravo !

mes compliments

Dio

PS: Die "Blütenwogen" passen vom Flüssigkeitsbild zwar grundsätzlich zum Schweiß (im Sinne von Meerwellen, bei Windwogen an die man wegen des Duftes auch denken könnte wird es schon schwieriger), heben sich aber doch etwas unschön ab, sind vielleicht etwas zu verspielt, zu poesiehaft für die Ersntahftigkeit des Schweißes der Stirn (und der Erdarbeit). Mispel und FeigenBÄUME werden deine Blüten tragen - wunderbar ! nichts schmeckt so "süß" hmm - das ha tmir zu wenig ambivalenz, zu wenig "Himmel UND Erde", wenn du verstehst was ich meine. Das fühlt sich so an, als wären wir bei der Prozession am Ende falsch abgebogen und kämen anstatt zur einer arhaischen Metropole zu einem Kanarienvogelfriedhof. Das sind aber natürlich ganz individuelle und sehr spontante Eindrücke eines sehr starken und wunderschön komponierten Werkes !
 

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Mitglied
Und es bleibt spannend.
Vielleicht ist es auch eine unterschiedliche Männlein-Weiblein-Wahrnehmung der Blütenwogen.
Für mich sind sie etwas sehr Kraftvolles und in dem Kontext hier weit entfernt von "verspielt".
 

Mimi

Mitglied
Ihr Lieben, ein Dankeschön für die interessanten Kommentare, guten Bewertungen und an @Franke für die Empfehlung.
Freut mich!

Wer mich kennt, weiß dass ich meine Gedichte nur sehr ungern in ihre kleinsten Einzelteile seziere oder ihnen gar eine monologartige Leseanleitung mit samt Interpretation anhefte ...
Sie sollten für sich stehen und den Leser erreichen, oder eben auch nicht.

Das sind typische Stolpersteine der Sprache, mit denen auch ich regelmäßig zu kämpfen habe.
"Stolpersteine der Sprache"; eine interessante Formulierung.
Nun, ich bin werden beim Schreiben noch beim Lesen an irgendeiner Stelle gestolpert.

ein unheimlich starkes Gedicht, das wundervoll harmonisch die hier ausgebreitete Prozession zum Ziel führt ( und zumAnfang). Ganz tolle, leidenschaftliche, lebendige Bilder in einem Fest von Vergänglichkeit, Erdfrüchten und dem grenzenlosen Himmel des Herzens. Das bebt aufregend nach in mir. Bravo !
Dankeschön, Dionysos, für Deine Eindrücke.
Das mit den "blütenwogen" sehe ich allerdings etwas abweichend ...

Apropos "blütenwogen":

Für mich sind sie etwas sehr Kraftvolles und in dem Kontext hier weit entfernt von "verspielt
Das trifft es!
Ich hätte es nicht besser oder deutlicher ausdrücken können, liebe Fee.
Nichts in diesen "blütenwogen", will als "verspielt" oder als "sanftes Hin- und Herschaukeln" gelesen werden ...

Auch ein herzliches Dankeschön an @Arcos und @revilo .

Gruß
Mimi

PS
Vielleicht ist es auch eine unterschiedliche Männlein-Weiblein-Wahrnehmung der Blütenwogen
Nein, liebe Fee, das hat eher etwas mit Deiner speziellen und feinsinnigen Wahrnehmung, oder präziser ausgedrückt, Deiner bemerkenswerten Art des Hineinfühlens in (nicht nur) dieses Gedicht zu tun, die ich übrigens sehr schätze ...
 

Tonmaler

Mitglied
Ich bin kein Lyrik-Kenner, insofern spreche ich nur über mein Lese-Erlebnis.
Die hier viel erwähnten 'Blütenwogen' stören mich nicht, weil ich da ein Bild im Kopf habe, das passt.
Insgesamt halte ich das Gedicht für ausgezeichnet, bewegend. Umso ärgerlicher, dass es genau 1 Stelle gibt, die mich hinausgekickt hat. Genauer: 1 Wort.
Keine Ahnung, welche Relevanz so was in Lyrik hat, in Prosa nenne ich es n Fehler/ne Unklarheit beim Bezug. Umso sonderbarer, dass ich jetzt mit dem komme, als Einziger.
Nun, ich bin werden beim Schreiben noch beim Lesen an irgendeiner Stelle gestolpert.
Ich leider schon:
ich will mit bloßen händen
die erde aufgraben
ihre wurzeln ausreißen
Vielleicht bekomme ich Gegenwind, aber wessen Wurzeln sind das? "Ihre" ist ein Possessivpronomen, braucht also einen klaren Bezug.
Sind es die Wurzeln der Erde? Erde hat keine Wurzeln, Pflanzen haben Wurzeln in der Erde. Das erscheint mir gemeint zu sein.
In der Erde sind Wurzeln, aber das sind nicht ihre.
Das ist schade, weil ich tatsächlich den ganzen Teil wundervoll finde.

Die/diese Wurzeln ausreißen? Ihr die Wurzeln ausreißen -> Alternativen zum vorliegenden Text?



Gruß
T.

edit: doch noch 1 Stelle, das Wort 'gefüllt' ist auch nicht ganz stimmig für mich -- da täte es das einfache 'voll' mit Bestien, denn wer füllt schon Bestien irgendwo ein? 'gefüllt mit Bestien'?? -- so das war''s aber!
 
Zuletzt bearbeitet:

Mimi

Mitglied
Ich bin kein Lyrik-Kenner, insofern spreche ich nur über mein Lese-Erlebnis.
Hallo @Tonmaler,
vielen Dank erstmal für Deine Leseeindrücke und Rückmeldung zu meinem Gedicht.

Ich verstehe Lyrik als die Unmittelbarkeit des geformten, ästhetischen Ausdrucks von Bewusstsein. Lyrik vermag Worte stilistisch zu "nutzen", um Bilder auf die imaginäre Netzhaut des Lesers zu projizieren.
Natürlich spielen auch Klang und Rhythmus eine große Rolle, in dem Sinne lässt sich Lyrik auch als die Vertonung des Wortes beschreiben.



Vielleicht bekomme ich Gegenwind, aber wessen Wurzeln sind das? "Ihre" ist ein Possessivpronomen, braucht also einen klaren Bezug.
Sind es die Wurzeln der Erde? Erde hat keine Wurzeln, Pflanzen haben Wurzeln in der Erde. Das erscheint mir gemeint zu sein.
In der Erde sind Wurzeln, aber das sind nicht ihre.
Das ist schade, weil ich tatsächlich den ganzen Teil wundervoll finde.
Ich glaube, hier kann ich Dir gut folgen, mein Blick war da möglicherweise weniger wissenschaftlich.
Erde kann Wurzeln beinhalten, (von Pflanzen). In diesem Punkt hast Du völlig recht, aber ich sehe die Wurzeln in der Erde eher als eine Art Verbindung oder Verschmelzung oder vielleicht Symbiose.
Mein Anliegen war es an der Stelle, nicht alles sozusagen 'auszubuchstabieren', denn der Sinn oder die Logik bezüglich "ihre wurzeln ausreißen", dürfte für den Leser auch so erschließbar sein.

Die/diese Wurzeln ausreißen? Ihr die Wurzeln ausreißen -> Alternativen zum vorliegenden Text?
Bei der Formulierung "ihr die wurzeln ausreißen", wäre eine logische, beziehungsweise sinnhafte Zuordnung leichter.
Ich denke, das ist durchaus eine für mein Gefühl adäquate Alternative, dementsprechend habe ich den Vers angepasst.
Danke für die Anregung!

edit: doch noch 1 Stelle, das Wort 'gefüllt' ist auch nicht ganz stimmig für mich -- da täte es das einfache 'voll' mit Bestien, denn wer füllt schon Bestien irgendwo ein? 'gefüllt mit Bestien'?? -- so das war''s aber!
Hier lese ich es völlig anders ...
Aber vielleicht erwarte ich von einem Gedicht auch eher eine andere Form des Inhalts, als beispielsweise von prosaischen Texten.
Es ist aus meiner Sicht ein großer Unterschied, ob etwas "voll" oder "gefüllt" ist. Der Bergiff "gefüllt" hat in diesem Kontext gelesen, eine stärkere und dominantere Wirkung.
Das Subjekt "die brust" im Vers kann hier auch, im metaphorischen Sinne, als eine Art organisches Gefäß gelesen werden. Damit hat es eine zusätzlich aufgeladene Bedeutungsebene.

Nun, nicht umsonst gilt die Lyrik als die subjektivste aller literarischen Gattungen.

Danke nochmals, für die konstruktive Textarbeit.

Gruß
Mimi
 



 
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