Prometheus (in dis-Moll)

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L'étranger

Mitglied
Karma - alles nur Karma, so denkt er
denn, angekettet ans Ende der Welt,
ist er weise geworden - da hängt er
und kann sich nicht lösen, und hält

die Hände zwangsläufig still, er hängt
schon so viele Epochen, ficht Kriege
und plant die Revolten, kurbelt und lenkt,
herrscht und erobert, doch all die Siege

helfen ihm nicht, ihm nicht und nie
der leidenden Welt - an silberner Kette,
die er sich einst als Siegespreis verlieh,
hängt er und ahnt nicht, was hätte

er anderes, als er es tat, denn begehren
sollen - und nun dämmert ihm, dass
aus Pandoras Gefäß im hehren
Athen doch nur die Welt - oder was

wohl - entwich!

(variabler Versfuß)
 
G

Gelöschtes Mitglied 16867

Gast
Was ist denn ein variabler Schweissfuss, werter Eddi?
 
Lieber Lé,

„dis-Moll“ kündigt es schon an, das wird anspruchsvoll.
„Karma“? Der olle Titan hat, wenn nicht die Upanishaden, so doch seinen Nietzsche und Schopenhauer gelesen – und seine Eulen auch gleich nach Athen getragen.
Akrobatisch auch, dass der Angekettete Kriege ficht. Oder lenkt er mithilfe von ZOOM? Und es entwich ihm aus Pandoras Gefäß nur die Welt? Oder doch die Welt? Aber dass das „wohl“ in die nächste Zeile gepackt wird, gibt ihm eine schillernde Doppelbedeutung.

Überhaupt, Lé, hat mich die Form hier mehr angesprochen als der Inhalt, auch wenn einen die Frage „Was hätte er anderes, als er es tat, denn begehren sollen“ natürlich berührt. Müssen sich denn auch die Götter mit solchen Zweifeln herumschlagen? Wenn, dann gebührt dem natürlich die pathetische Form, die Du gewählt hast, Götter haben Reime verdient.

Der überwiegend daktylische Versfuß erlaubt sich hier nicht mehr Variabilität, als er verträgt, der ist ja geschmeidig. Die Zeilenanfänge könnten problematisch sein; bei einem Vers den Anfang zu betonen, dann im nächsten die 2. und eins darauf die 3. Silbe könte leicht zum Stolpern führen, aber da das in Enjambements eingebettet ist, die durch die Strophen ziehen, ergibt sich ein zwingender, gleichwohl unaufdringlicher Rhythmus. Nur beim „Siegespreis“ in S3V3 hätte ich das „es“ weggelassen: Siegpreis.

Gerne gelesen

Michael
 

L'étranger

Mitglied
Hallo Michael,

vielen Dank fürs Feedback.

In der Tat hat der Text inhaltlich an den angesprochenen Stelle einen Bruch im Bild; das ist nicht schön.

Dass du die Versform so für machbar hältst, ist mir ein wichtiges Feedback, denn ähnliche Verse hatte ich vorher nie versucht.

Aus irgendeinem Grund hänge ich an dem Siegespreis ;-), aber wie gesagt, mir ging es hier mehr um das Experiment mit der Form.

LG von Lé.
 
G

Gelöschtes Mitglied 22653

Gast
Grüße.



Ging mir grade durch den Kopf:



Schade das es nur eine Mythologie ist. Sonst würden noch viel mehr angekettet rumdösen. Ob es der Welt helfen würde?

Doch wer solls entscheiden?
 

L'étranger

Mitglied
Hallo Gedankenspringer,

das ist ja das unglückliche/missglückte an dem Bild hier. Angekettet meinte ich eben gar nicht so sehr in Untätigkeit, sondern angekettet an die Folgen des Versuchs, die Welt zu managen und zu beherrschen.

Gruß Lé.
 
G

Gelöschtes Mitglied 15780

Gast
Gerade die Lockerheit in der Metrik, und mal drei, mal vier Hebungen pro Vers, mal eine (Iambus), mal zwei Unbetonte am Anfang (Anapäste) hält das Ganze flüssig.
 



 
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