Christopher Müller
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Promiskuität oder die fehlende Seite der Schneekönigin
Für Kim
Von
Christopher Müller
How to fight loneliness ... Smile all the time ... Shine you teeth til meaningless ... Sharpen them with lies ...
- Wilco
Kapitel II
Promiskuitiv war das, was die Ärzte sagten. Ich sagte ganz anderes. Zum Beispiel: Ich trage ein Feuerzeug mit mir rum, obwohl ich nicht rauche. Ich hielt meine Hand darüber, manchmal. Ich esse nur das Rote, in grünen Oliven. Ich puste gerne Kartenhäuser um. Ich verbrenne Zeugnisse. Ich schreibe keine Gedichte und klemme sie unter Scheibenwischer von Autos. Ich lutsche Eiszapfen und höre Kurzwelle. Fremden zünde ich gerne Kippen an. Ich hab meins immer schneller zur Hand, vor allem in dunklen Räumen wie Diskotheken oder leer stehenden Grüften. Ich lispele, meine Eltern hatten nicht das Geld für eine teure Zahnkorrektur. Ich bin nicht einmal krankenversichert. Wohne in einem kleinen Dorf, relativ weit weg von der Stadt. Daher trampe ich oft. Nicht aus Geldmangel, ich könnte auch den Bus nehmen. Die Wahrheit ist, ich hege Kleinmädchenträume, dass irgendwann ein Mann kommt, mich mit nimmt, ein Entführer, der mich womöglich in Plastikfolie einwickelt und in einem See versenkt oder meinen Kopf in einem Attache-Koffer mit sich trägt wie einen Talisman. Ich habe keine Mutter – von der ich weiß. Mein Vater antwortete immer auf die Frage nach ihr, mit den Worten, mich habe der Storch gebracht. Ob er mich adoptiert hatte, eine Wunschfantasie, oder gefunden … wer weiß woher ich kam. Von Gott weiß wo, wo nicht mal Pfeffer nicht wächst, wo man rückwärts spricht und Katzen als höher angesehen werden, als Menschen, womöglich, eher dann doch nicht, sondern ein Produkt aus dem Sperma meines Vaters und einer traurigen, namenlosen Fremden. Das war ein Geheimnis.
Es waren dauernd Männer bei uns im Haus. Besuch meines Vaters. Mit den meisten von ihnen hatte er auf die eine oder andere Art zu tun, wie ich später lernen sollte, herrschte reger Verkehr – Verkehr, verkehrt – für mich. Manchmal auch nicht. Manche brachten Geschenke mit, Schnaps für meinen Vater, Süßigkeiten oder selten Kuscheltiere für mich. Weiß nicht, welche Gaben verheerender waren. Das meiste davon schmiss ich einfach weg, machte mir nie viel aus Lebensmitteln, gönnte mir keinen Genuss. Essen wird doch meist viel zu hoch bewertet. Völlerei ist wohl das einzige, was die Menschen um mich herum so richtig können. Ich könnte kotzen, wenn ich die neuste Mac Fress Reklame höre. Ich ernähr mich bewusst, ich fresse bei Mac Fress. Ich habe jetzt mal sinngemäß zitiert. Genauso geheuchelt finde ich auch diese Spardosen am Tresen, überboten wird der Horror nur durch diesen debilen Clown, der überall zu sehen ist und mich schon als Kind in meinen Träumen verfolgt hat. Ronald ist sein Name und er liebt es, auf Kindergeburtstagen für rheinischen Irrsinn zu sorgen. Mich hat dann irgendwann die Neugierde gepackt und ich bin dem Ronald Fren-Scheiß-Filialen-Clown dann irgendwann nach seiner Schicht gefolgt, um ihn demaskiert zu sehen, aber dazu später mehr. Womöglich.
Ein Kuscheltier behielt ich. Mittlerweile ist es grau, an vielen Stellen aufgerissen, wie meine alte Kleidung, die keiner flickt. Ein Einhorn, das ich Honky getauft habe. Denn unten drauf stand was von made in Hongkong. Von der Herstellerfirma Rainbow Brite, habe ich lange nichts gehört. Es gab mal eine Zeit, da wusste jedes Kind, was Sternwichte sind, die vom Regenbogen kullern, in Plastikkugeln ausgeliefert werden. Bin ich schon so alt?
Ich habe meinen Vater immer angebettelt, dass ich ein Haustier haben möchte. Aber er hat sich nie erweichen lassen. Er sagte immer, ich würde ja nach kurzer Zeit nicht mehr mit dem Hund ausgehen, und dann müsse er mit der Rotztöle Gassi gehen oder was wahrscheinlicher war, wie er es nonchalant formulierte, den Köter irgendwo aussetzen, respektive anbinden. Manchmal war Daddy richtiggehend ehrlich. Erschreckend ehrlich. Oder er sagte so was wie, Katzen machen nur Dreck. Oder Hamster sterben so früh, dann muss ich mir dein verkacktes Gejaule anhören, wie das Gejaule der Katzen.
Irgendwann hat er dann doch ein wenig Herz gezeigt, wie ich anfangs vermutete. Er kaufte ein Aquarium. Ich glaube zu meinem Geburtstag. Aber die Fische starben nach kurzer Zeit auf geheimnisvolle Art und Weise. Nun steht das Aquarium seit Jahren in unserem Haus, dreckig, modernd und faulend. Ohne Fische, trotzdem reich an Leben, voller Bakterien. Ich trank einmal als kleines Mädchen ein ganzes Glas dieser Bracke, ein hilfloser Versuch, Aufmerksamkeit von meinem Vater zu erlangen, die ich erhielt, aber in Form von Gelächter, als ich nachtlang kotzte. Und die Leuchtstoffröhre ging irgendwann schrott, wurde selbstredend nicht ersetzt.
Einmal kam ein Mann, der nicht mit meinem Vater schlafen wollte. Ich will dazu vorher aber einen Satz loswerden. Ich fand es nie schlimm, dass mein Vater schwul war, was ich von meinen Kindergarten-Mitinsassen erfahren musste. Nein. Ich fand schlimm, dass er nur dem Trieb folgte, nie einen Partner emotional an sich ran ließ. Das war der grausame Teil. Und sein wir mal ehrlich, es war das Natürlichste von der Welt für mich, was mein Vater tat, ich kannte nichts anderes, konnte auch vieles lange nicht vermissen. Eine Bekannte von mir hat eine Beinprothese, solange sie sich erinnern kann, sie vermisst ihr echtes Bein nicht. Viele Männer, die ich später kennen lernen sollte, lebten jahrelang relativ zufrieden mit aufblasbaren Partnern, weil sie nichts anderes kannten.
Zurück zu dem Mann, der keine sexuellen Praktiken mit meinem Vater teilte, wenn man mal gemeinsames Fußballspielschauen nicht mitzählt. (Hörte erst neulich einen Kerl in einer Kneipe sagen: Der Stürmer ist aber auch ein süßer Typ. Das fand ich niedlich und ich kicherte in meinen Wein hinein, als wäre ich ein kleines Mädchen, das ich womöglich niemals war)
Ich habe nie eine weibliche Bezugsperson gehabt. Vieles meiner Wesenzüge, habe ich unbewusst von meinem Vater und seinen Arbeitskollegen übernommen. Ich spielte Fußball mit den Kerlen, kloppte mich mit ihnen und habe nie eine Puppe besessen. Natürlich habe ich auch eine starke weibliche Seite. Eins ist klar, man ist mehr als die Summe von Erziehung und Erfahrungen. Viel mehr! Trotzdem hatte ich nie eine beste Freundin oder so was. Ich konnte mit Weibern nichts anfangen. Dieses Rumgezicke und all der Wahnsinn. Make Up fand ich zum kotzen und so weiter. Als junges Mädchen, war meine maskuline Seite noch nicht sehr ausgeprägt, erst mit den Jahren überschattete sie alles. Wie ein unreiner Samen, der in meiner Seele erst wartete und dann immer mehr reifte. Die meisten Freunde meines Vaters waren weich und zart auf eine Art. Einfühlsam und verletzlich, letztlich, verletzlich. Denn mein Dad war knallhart zu ihnen, vielleicht brauchten sie das, wer weiß das schon. Ja, auch Männer brauchen so was! Wieso gehen sie sonst zum Militär oder lassen sich in Boxringen zusammenschlagen. Mein Dad las Krimis. Ich hasste solchen trivialen Schund. Einmal kaufte er einen, der ihm nicht zusagte, er schenkte ihn mir. Total verdreckt sah das Buch aus. Es war in Englisch und ich kannte die Sprache damals noch nicht. Es war total zerfleddert und manche Seiten ließen sich nicht öffnen, er las immer in der Badewanne oder auf dem Klo, an anderen Orten nicht. Womöglich hatte der Wasserdampf die Seiten aufgebläht und versiegelt wie einen Scheidungsbrief. Jahre später sollte ich das Buch lesen, verstehen und lieben. Denn es war eine göttliche Gabe. Es war der Grund, warum ich früher als andere Englisch lernen sollte. Ich schlug jedes Wort nach, manisch, besessen. Ich wollte es verstehen, ich wollte es lieben, denn mein Vater hatte es gehasst, sonst hätte er es nie abgetreten. Ich wollte verstehen, was ihn daran gelangweilt oder geschockt hatte. Bücher. Einmal hatte mich mein Dad eine kleine miese Diebin genannt, weil er eins seiner Schundbücher nicht gefunden hatte. Ich hatte es natürlich nicht gestohlen. Dafür klaute ich ihm ein anderes Buch. Weil ich wusste, er würde sich nie trauen, danach zu fragen. Er hätte sich damit entblößt vor mir. Ich war sicher, dass ihm das Buch fehlte. Ich genoss es, diesen Schatz zu hüten. Es hieß Jason und war ein furchtbar versauter Roman. Aber trotzdem war das Buch gut. Erstaunlich gut. Nicht wegen der Sexschilderungen, nein die langweilten mich eher (der verklemmte Autor traute sich nicht einmal derbe Ausdrücke zu verwenden und wiederholte sich in gehemmten Wiederholungen, a la „sie liebten sich“, trieben „es“ oder am schlimmsten „schliefen miteinander“ … Selbst Wilde war deutlicher gewesen, ja, auch ohne versaute Ausdrücke. Was mich ankotzte: Der Autor schrieb nicht von Liebe. Es war eindeutig ordinäres Ficken, was er beschreiben wollte. Aber seine Art zu schreiben war die eines Schmeichlers, eines Mannes, der zu lieben wusste. Der Zärtlich war. Trotzdem wagte er sich an dieses Thema heran. Am Anfang des Buches hatte man noch den Eindruck, er habe nie mit einer Frau geschlafen oder mit einem Mann. Im Verlauf des Romans änderte sich das. Aber auch wenn er übers Ficken schrieb, wusste er nicht wirklich was das war. Er kannte nur die Kombination von Liebe und Geschlechtsverkehr. Das war zwischen jeder Zeile zu erkennen. Das Buch wird dann gegen Ende richtig unwirklich. Eine Frau namens Dawn kommt ins Spiel und verwandelt Jason ausgerechnet in eine Katze. Aber Dawn hatte einen eklatanten Denkfehler begangen. Sie wollte Jason mit der Tat bestrafen, erhöhte ihn aber im Endeffekt (mein Lieblingsbegriff, den ich mir hab patentieren lassen). Eine Katze war ein Wesen von Anmut und Stolz, etwas das Jason als Mensch nie gezeigt hat. Doch ich schweife ab. Auch wenn man das gar nicht gemerkt hat, was ein gutes Zeichen ist, ich liebe es, Menschen mit mir abschweifen zu lassen. Sie mit zu ziehen. Das geht ganz leicht, wenn man es erstmal gelernt hat. Und keiner merkt, dass man das unliebsame Thema längst umschifft hat. Vergessen ist es bald. Schade eigentlich.
Daher kehre ich zunächst zu dem kongenialen Krimi zurück. Er war reich an Anspielungen, die mein Vater nie verstehen würde. Wie sollte er auch in einen Lachkrampf verfallen wie ich, als der Autor den fetten, tollpatschigen Bösewicht mit Winnie Puh vergleicht, ihn so all seiner Infernalität beraubt. Aber einen Satz werde ich wohl nie vergessen, den ich so nirgends sonst gehört, gesehen oder gelesen habe. Der Held schlägt einen Mann KO und der Autor beschreibt genau, wie der ansonsten eins a heterosexuelle Kerl, in dem Moment eine Latte hat und es, überraschend wie es auch gekommen ist, zu genießen weiß. Bamm! Das ist große Literatur die einen Knilch wie Bukowski vor Neid hätte erblassen lassen und etwas, das sich womöglich Henry Miller nie eingestanden hätte.
Ich schweife weiter zurück zu dem Kerl, der nicht mit meinem Vater schlafen wollte. Er roch nach Tabak und billigem Penny-Whiskey. Er war einer dieser Jeansträger. Jeder kennt sie. Männer, die nur Jeans tragen, ausschließlich. Er bekam sporadisch, aber unaufhörlich Hustenanfälle, vom vielen Rauchen oder womöglich durch die Arbeit in der Fabrik. Wohl aber im Endeffekt (ich wiederhole das Wort so gerne) durch beides. Mein Vater hatte es nie weiter als zu einem Handlanger gebracht. Er machte das, was sonst keiner machen wollte in der Waffen, äh, Waffelfabrik. Wir brauchen Waffeln, viele Waffeln! Paletten stapeln, Kisten packen, Kisten auspacken, Paletten verschweißen, LKWs füllen oder leeren.
Der Tabak-Malzwhiskey-Mann kam öfter. Das war selten. Verstand sich gut mit meinem Vater. Ich werde das mal erläutern: Wenn sich zwei Männer gut verstehen, heißt das eigentlich im Klartext: Er braucht einen zum Volllabern, der andere hört zu. So ist es meistens unter Männern. Meist ist der Labersack das Arschloch, der Zuhörer der Sympathische. Zwei Labersäcke in einem Raum endet meist im Streit. Und Zuhörer halten nicht so viel von anderen männlichen Zuhörern. Entweder werden sie selbst zum Labersack und texten ihr Opfer zu oder sie haben halt nichts zu sagen beide und langweilen sich. Ein anderes ungeschriebenes Naturgesetz lautet: Schwache rennen vermeintlich Starken immer hinterher. Sie wollen sich das Starksein abkucken, reden sie sich ein. Demütigen sich dabei aber komplett, denn sie werden ausgebeutet und verspottet vom starken Part. Wenn Männer eins gelernt haben: Niemals schwäche zeigen, und wehe ein anderer Mann will sich das Kuchenrezept abkucken! Wettkampf, Rudelkampf und so weiter. Der Schwache hält die Kehle hin. Selbst zum Biss kommen darf er auch nicht. Aber warum will der Starke den Schwachen nicht stärker werden sehen? Ganz einfach. Das hieße, er würde eine Gefahr. Er könnte Frauen aufreißen lernen. Denn der Mann weiß. Es gibt nur zirka Millionen Frauen in der Stadt. Da will er keine an seinen „Kumpel“ verschwendet wissen. Er will seinen Kuchen ganz allein genießen und dann den nächsten, bis er dann verreckt. So ist das. So und nicht anders.
Es soll auch andere Männer geben? Toller Witz. Entweder sind sie schon vergeben oder, böses Foul, sie bekommen es irgendwann mit, wie gut sie sind. Dann wächst Eitelkeit und Selbstverliebtheit ins Bodenlose. Sie werden plötzlich Künstler oder noch schlimmer Autoren. Und mit wachsendem Erfolg werden sie Stück für Stück korrumpiert. Bis sie so erbärmlich geworden sind, dass nicht einmal ich sie mit einem Schuss von ihrem Elend erlösen würde. Man neigt dazu, bei begrenzter Kugelanzahl im Dschungel (also in der Stadt), nicht den angeschlagenen Bären von der Pein zu erlösen. Mitleid hin oder her. Denn man weiß. Lieber Menschlichkeit einbüßen, dafür aber Mensch bleiben, statt tot zu sein.
Sie saßen im Wohnzimmer. Und lachten. Tranken Alkohol. Zwei verschiedene Lachen, das Gegröle meines Vaters und das gespielte, immer müder werdende Zwangslachen des Gastes. Warum tat der sich das an? Man weiß es nicht. Vielleicht fand er die Stories meines Daddies wirklich gut. Es gab auch Leute, die etwas für eine Mischung aus Bier und Alkohol übrig hatten, die nebenbei ansonsten stilistisch gefestigt waren, also keine Knallköppe waren. So sagt man jedenfalls. Ich habe sogar gehört, Männer seien aus freien Stücken zum Mond geflogen. Frauen wären da nie drauf gekommen. Die dachten. Der ist schön da im Himmel, auch wenn er meinen Zyklus mitbestimmt, was sie ansonsten keinem gestatteten. Sie mussten da nicht hochfliegen. Denn sie wussten, da ist weder Luft zum atmen, noch ein Schuhgeschäft. Ja, der war Flach. Aber ich muss ja auch mal einen für die Männer lassen. Sonst gehen die mir hier nachher alle aus dem Raum und ich will ja mindestens einen mit für Zuhause. Und der Typ, der da oben auf dem Mond für Seuchenverbreitung (ist den Menschen denn nichts heilig? Müssen die auch noch das All verpesten) und das als erster, war wohl der größte Versager der Menschheit. Jahrelang ein pickliger Physikstudent, der Frauen nur aus Zeitschriften kannte mit weißen Hasen drauf, der wohl nur von dem Drang getrieben wurde, endlich ein Held zu sein. Deprimierend, immer Recht zu haben. Ich warte seit Jahrzehnten auf ein Wesen, dass mir Parolo bieten kann. Dass mir endlich sagt, ich habe Unrecht! Ein Wesen, das mir sagt, die Welt sei süß. Ein Wesen, das mich, die Schneekönigin, aus meinem Eispalast befreit. Aber dieses Wesen wird erst der Tod sein, nein, ich habe gelogen, selbst der Tod wird mich nicht überzeugen wollen. Traurig. Fast so traurig, wie die Frauen, die Neil Fuckin´ Armstrong (wenn das man kein Pseudonym ist) gefickt hat. Trauriger noch, dass er auch mich rumgekriecht hätte. Am traurigsten, was seit der Gelächter-Nacht in meinem Leben begann:
Warum ich nicht schlafen konnte, mein Kuscheleinhorn zwischen den Kleinmädchenhänden? Die Hustenkrämpfe. Jedes Mal dachte ich, diesmal würde er die Lunge mit Aushusten und daran verrecken. Ich hatte Mitleid mit ihm, denn er musste meinen Vater ertragen, alkoholisiert und gut drauf. Er brachte zudem immer Geschenke mit. Etwas, das jede Oma weiß. So unerträglich Omis auch sein können, jedes Kind erniedrigt sich, wenn die Omma den Geldbeutel aufklappt und Münzen für Eis oder Lakritze rüber wachsen lässt. Ich habe dieses Geräusch schon von weit her gehört. Auch wenn ich einsam und allein mit dem Tieren im Wald spazieren ging, riss mich das Aufklappen der Ledergeldbörse aus meiner selbst gewählten Isolation und trieb mich in die Hände des Satans, der in Gestalt einer scheinbar lieben Omi auftrat. Korrumpierbar sind wir alle. Ohne Ausnahme! Okay. Es gibt, nein, gab, Ausnahmen. Denn sie haben sich umgebracht und damit der ewigen Verführerei des Bösen entzogen. So wie das Mädchen Zoe, von dem jeder Mal gehört hat in der Presse. Die aus dem Fenster sprang mit Karacho! Und jetzt kommt das Perverse. All diese verwichsten Christen glauben, Selbstmördern sei die Hölle gewiss. Aber waren es nicht sie, die edelmütig waren? Die endlich einsahen, ohne sie, wäre die Welt besser? Die so aufhörten zu lügen, verführen, bescheißen, täuschen, heucheln und missbrauchen, alles Verben, ohne die menschliches Leben nicht möglich ist? Und wehe ich erwische einen dieser Feiglinge an Zoes Grab, wo sie gerne Grablichter stehlen, um damit Diskotheken oder noch abartiger Wohnräume zu verschandeln. Ich verspreche, diesem miesen Dieb, ob er nun gekommen war, um das schmucklose Licht zu klauen, oder ebenso fragwürdig, sich in billigen Lack und Leder auf ihrem Grab zu räkeln, was in ganz schlimmen Fällen sogar noch fotografisch festgehalten wird. Aber keine schlimme Tat in dieser Welt existiert, die nicht noch überboten würde. Ja, Neil schielt schon auf den Mars! Und in diesem Falle rede ich nicht von GV auf Zoes Grab, nein, ich rede davon, dass es Menschen gibt, die solche Fotos drucken und sogar verkaufen. Was aber noch schlimmer ist, bei solchen Schnappschüssen von Kunst zu reden. Pause. Denkpause.
Okay, ich will mich genauer festlegen, wenn ich mir schon Feinde mache. Ich habe nichts dagegen, wenn man so was auf Gräbern macht von Heuchlern oder Christen, wobei beides meist dasselbe ist, ganz und gar nicht. Ob das dann Kunst ist, Porno oder Jucks und Dollerei, sollen andere entscheiden. Ich maße mir nicht an, zu entscheiden, was Kunst ist. Aber ich weiß, was Stil ist und was Zoe für ein Mensch war. Auch wenn ich sie nie getroffen habe. Also passt auf Eure Eier auf, wenn ihr fremde und unbekannte Gräber besteigt. Vielleicht verbirgt sich unter dem Moos versteckt Zoes Name und dann … Bamm!
Die Schneekönigin erlaubt sich eine weitere Anmerkung. Ein Stück Selbstkritik, ein gänzlich unmännlicher Part meiner Selbst. Prinzipien sind selten. Ich will mich da nicht ausnehmen. Ich bin weiß Gott keine Heilige, dann schon eher eine sündige Schlange, die ihr Gift verspritzt wo sie nur kann. Aber Menschen, denen nichts, ich wiederhole, nichts! Heilig ist, die verabscheue ich ebenso sehr wie mich selbst!
Mir ist auch ehrlich gesagt egal ob der King of Pop (plopp!) pädophil ist oder naiv wie ein Kind. Ich wusste immer, das seine Musik Scheiße ist. Aber er ist ein echtes Original, was selten geworden ist in diesen Zeiten. Auch wenn er sich über die Jahre solange selbst verkauft und damit verraten hat, dass nichts Originelles mehr geblieben ist und selbst der Verdacht der Kindesmisshandlung nur eine Kopie ist für eine neue Generation von Sensationslustigen. Ich bin selbst missbraucht worden, nicht von einem König. Bin ich gebraucht oder missbraucht worden. Eine Frage, die ich selbst nicht beantworten will, den anderen überlasse. Gebraucht werden ist etwas zutiefst Menschliches. Männer bekommen für Geld oft etwas, das ihnen die Gesellschaft nicht geben kann, die Ehefrau nicht will. Ich zähle mich zu den Menschen, die Glück oder Unglück, vom Aussehen her, dem derzeitigen Ideal sehr nahe kommt. Vielen war das nicht vergönnt. Zoes Lieblingssänger AleX hatte eine Schiefe Nase, angeborene Unsportlichkeit und eine Stimme, die in einer Fernsehsendung lange vor der ersten Mottoshow verrissen worden wäre. Von einem milchbärtigen Schwanzeinklämmer und Bestsellerautor. Womöglich hätte er Pages Stimme als die eines Kastraten bezeichnet. 1000 und 13 Zuschauer hätten am Schirm einmal kurz gelacht, dann hätten sie ihn schon wieder vergessen. Er aber machte trotz seiner Stimme weiter Musik. Für Leute, die auf Texte achteten. Für Leute, die seine Sprache kannten, seine Worte. Er machte Musik für Selbstmörder wie Zoe, die wegen ihrer Magersucht und kleinem Wuchs, überall gehänselt worden waren. Seine Schallplattencover verschandelten keine Lack und Leder-Hülsen, die den Verkauf angetrieben hätten. Die Cover wurden von ihm selbst gezeichnet, wobei er nicht mal Talent dazu gehabt hatte. Krickeleien und Bilder, die (Achtung Seitenhieb) sogar manche Kinder besser und ich lache bei diesen Worten, anatomisch korrekter hinbekommen hätten. Der gewaltige Unterschied, 99% hätten sich so was nie getraut, da liegt der tote Hase im Korn. Der Pudels Kern ist ein atomarer! Atomar wie Zoe, die immer mit einem Button aus den 80ern rumlief, lange bevor das vor kurzem wieder in Mode kam und jeder das machte. Darauf stand: Atomkraft, ja bitte! Selbstgebastelt. Da liegt der Unterschied. Zoe hatte eigene Gedanken, keine geliehenen. Keine geklauten. Keine Ideen, die man sich ansteckte, weil sie in Magazinen beworben wurden. Zoes AleX Page-T-Shirt war selbst gemacht. Nicht, dass es jemals AleX Page-Merchandising gegeben hatte, noch geben würde. Daher kennt die Band auch keiner von Euch. Daher gibt es keine Nachpressungen oder noch schlimmer (ich wiederhole mich. Schlimmer geht´s immer), CDs. Selbst MP3s habe ich von AleX Page noch nirgends gefunden.
Der Mann bei meinem Vater im Wohnzimmer (ich war ein junges Mädchen damals) trug lange Haare, lange bevor das Mode war. Vielleicht daher meine spätere Vorliebe für solche Männer, wobei mir das in den letzten Jahren auch nicht mehr als Erkennungszeichen für einen netten Mann durchgeht, da die wenigsten dies heute noch bewusst machen, im alten Sinne. Heute macht ein Mann das oft, um Frauen zu gefallen, um sich äußerlich feminin zu geben, wobei die feminine Maske meist in dem Moment fällt, wo er sie rumgekriegt hat, mit oder ohne Alkohol, mit oder ohne Kitschmusik, mit oder ohne Kondom. In dem Moment, wo er den Hosenschlitz aufstreift, oder in letzten Jahren den Rock hochzieht, was zum Ficken noch praktischer ist, daher haben ja auch Männer im Mittelalter Röcke getragen, eine verklärte Zeit, die in meinen Augen aber um einiges ehrlicher war als die heutige. Dann streift er die Haare lässig hinter die Ohren, bindet sie weg, um ungestört pimpern zu können, bar jeglicher Liebe. Er würde sich in diesem Moment, wo er die Hose der Frau aufknöpfen kann, nicht darf, die Haare abschneiden, wenn er nicht wüsste, dass sein Testosteron bedingter Drang, nie enden wird, er wieder weiter ziehen müsste durch Bars und Diskotheken (ganz schlimm Jugendzentren), die Musik spielten, die der glichen, die er nur hörte, um seine lang gehegte und gut kaschierte Planung in die dreckige und eben auch natürliche (!) Realität (welche auch immer) umzusetzen. Würde man unter Perücken nicht so schwitzen, er würde sie tragen und eben in dem Moment von sich werfen, wo der Schweiß an Kopf und Körper sprießt und das Tier in ihm erwacht. Ich liebe diesen Moment, weil er einer der ehrlichsten ist. Genießen kann ich ihn trotzdem fast nie. Ein Fick nach dem anderen. Und die Geilheit davor, verpufft spätestens mit seinem Eindringen … (eine verklemmte Formulierung, die ich dem Autor von Jason entlehnt habe)
Da will man sein Zopfgummi zerschneiden. Ich tat das einmal. Rutsche gekonnt von ihm, wie auf einer verregneten Kinderrutsche, halb gebremst, halb im Rausch, der nur ein Gefühl wecken kann, dem Abgrund näher zu kommen, dem Kippen übersäten Grund der Rutsche. Ich überraschte den Langhaarigen mit der geraden Nase, die man so sonst nur dank Steinmetzen zu sehen bekommt. Eine gerade Nase, die man krummschlagen will, abbrechen. Da erwacht das Kind in mir. Diese Sache mit dem Daumen, wo man vorgaukelt, die Nase gemopst zu haben, die man dann, eh der Zauber auffliegen kann, natürlich wieder anzaubert. Die erwachsene Variante ist, die Nase mit einem Messer flink (das erfordert viel Übung, aber Männer finden sich immer, ich scherze, nur zur Info) zu kappen.
Schnips war das Zopfgummi ab und die langen schönen Haare wehen wie ein Segel um das langweilige Gesicht, glattrasiert und teuer parfümiert. Als hätte ich mit dieser Tat die Luft aus seinem Segel gezaubert. Herrlich. Dann mache ich manchmal etwas, das die meisten Männer eh nicht leiden können, da ich im Rausch des Überraschungsmoments fast alles machen kann. Ich spiele mit meiner Zunge gekonnt mit seiner Brustwarze, wenn ich gemein bin, sauge ich sogar daran. Ich habe nur wenige Männer gekannt, die das nicht furchtbar unangenehm fanden, wenn ich es auf meine Art machte. Andere Gemeinheiten erfordern meist Hilfsmittel und ich schweige mich aus. Noch.
Kapitel I
Daddy sagte immer, das Geld würde nur für Essen und die Miete reichen. Ich aber wusste, dass das meiste Geld in Bars landete. Oder in Spielkasinos, in Einarmigenbanditinnen oder ganz gewöhnlich in Geldschlitzen für Pornokanäle, in Hotelzimmern so verbreitet, wie die Bibel im Nachtschrank. Ich habe lange Jahre recherchiert, um dieses Rätsel zu Lüften. Ich habe es von einem Kerl erfahren, der mir die Information für eine andere eintauschte. Er wollte wissen, warum Frauen immer gemeinsam in WCs verschwanden, eine billige, aber gleichzeitig leicht zu beantwortende Frage – für mich. Seine Erklärung verwunderte mich dann. Sie zeigte mir, dass er Verstand hatte, dass gekoppelt mit einem Y-Chromosom. Es gibt halt noch Zeichen und Wunder, so sicher wie Adam im Garten Eden das Masturbieren erfunden hat, um AleX Page zu zitieren. Nirgends auf der Welt ist man einsamer als in Hotelzimmern. Daher die Pornokanäle. Gerade Rock Stars wissen das, die eine hohe Sterblichkeitsrate und damit Grabentweihungsrate haben. Nirgends sterben so viele Menschen, wie in Hotelzimmern. Im Angesicht des Todes kommt die Frage nach dem danach und dem Glauben. Dann greift man in die angestaubte Schublade, während die Pillen im Magen ihre gewollte Wirkung tun…
So sagte er. Ich hätte ihn am liebsten auf der Stelle gleich in selbigen Hotelbett besprungen. Aber er war leider schwul. Zudem Fetischist. Und seinen geheimen Fetisch würde ich nie befriedigen können. Wir zwei lachten und betranken uns. Er wehrte mein Gebagger den ganzen Abend gekonnt ab. Wir spielten bekifft Malefiz und brachten das elektronische Bett zum Beben. Bestellten uns einen Roomservice-Jungen und ließen ihn mitspielen, denn das Brettspiel machte zu zweit keine Laune. Erst als die zwei sich näher kamen, ging ich und sah den Schwulen leider nie wieder.
Daddy verprasste das Geld, ohne mir Geschenke zu machen, wenn man von dem Aquarium einmal absah, dass ich eh nie groß beachtete, von dem Trinkversuch einmal abgesehen, den ich vorhin erwähnte. Als kleines Mädchen folgte ich meinem Vater einmal. Um zu sehen wo das Geld landet. Ich folgte ihm zu den Jungen, die dort anschafften, was ich erst später kapieren sollte. Sie waren teils sogar noch jünger als ich.
Der Tabak und Malz-Mann brachte mir einmal einen alten Kassettenrekorder mit, der schon halb kaputt war. Vielleicht hatte er ihn vom Sperrmüll oder dem Flohmarkt, lange bevor es Ebay gab, musste man noch selbst raus am Sonntag, um seltenen Mist zu suchen. Die Suche nach der Schallplattenspielernadel im Heuhaufenkonglomerat. Man konnte das Kassettenfach nicht öffnen. Und das Radio war schrott. Es war ein Tape darin. Die Schneekönigin. Ein altes Hörspiel, nicht von Karusell oder Europa. Es war eine billige Produktion. Fast Laienhaft. Die Musik zwischen den Textpassagen, war so minimalistisch und elektronisch, dass ich später einmal einen Musiker traf, der das ganze sampelte und damit einen Zähne-Hit erlangte, etwas, das nach Rache schrie. Doch ich konnte den gemeinen Scheißkerl nicht ausfindig machen bisher, die Plattenfirmenpolitik lautete schon damals, keine Adressen von Rockstars rausgeben. Die Groupies würden ja sonst nicht auf die überteuerten und bekackten Gigs gehen, sondern gleich ins Hotel oder wo auch immer die Backstage-Party, sprich Sex-Party, stattfand. Ich konnte immer nur die erste Seite hören, um dann zurückzuspulen. Umdrehen konnte ich die Kassette nie. Nur einmal versuchte ich mit einem Schraubenzieher das Fach aufzuhebeln, aber damit hätte ich den Rekorder zerstört. Also ließ ich es dabei bewenden. Leben all die Jahre, ohne Wenden. Ich rätselte immer als Kind, wie das Märchen enden würde. Abends, wenn ich mal wieder nicht einschlafen konnte, wegen Hustenkrämpfen aus dem Wohnzimmer, abgewechselt von Gelächter, malte ich mir verschiedene Enden aus, mit den Jahren wurden es tausend und dreizehn Varianten. Ich schrieb sie nicht auf, vergaß sie mit den Jahren, weil mir nie ein Mensch begegnete, der mir zum Aufschreiben riet, mich dazu ermutigte. Ich wurde von meinem Vater gebremst, der meinen Block fand, ich wurde von meinem Deutschlehrer gebremst, der mir Siebenden gab (so eine nonkonforme Marotte von ihm, die er sich extra vom Schulrat erlauben ließ, um mich korrekt benoten zu können) und dann zum Schluss von meinem ersten Freund, der heimlich mein Tagebuch las, weil er geträumt hatte, wie ich ihn mit einer anderen betrog, was damals nicht stimmte, erst in die Tat umgesetzt wurde, nachdem er das Tagebuch las, was ich danach verbrannte und seitdem nie wieder etwas geschrieben habe…
Im Endeffekt war es gut so. Mein Geschreibsel um die Schneekönigin hatte eh keinen Wert. Das Originalmärchen verkaufte sich ja prima.
Mit den Jahren war das Band so abgenudelt, kein Wunder, wenn man es 1013 Mal abspielte, dass man kaum noch was verstand außer Rauschen. Das Magnetband war so glatt geworden, wie mein Hintern damals noch war…
Irgendwann nach langer Zeit war der Kerl dann wieder da. Und er hatte sich wohl gestritten mit meinem Vater. Ich saß in meinem Zimmer und war dem Heulkrampf nah. Denn die Kassette hatte schlussendlich Bandsalat. Etwas, das heutige Kinder nicht mehr kennen. Also übersetze ich, der Rohling zerbrach, beim Einführen (ich zitiere wieder Jason) in das CD-Fach. Ich bekam sie nicht einmal mehr aus dem Rekorder heraus. Ich überlegte nun, den Rekorder aufzubrechen, was konnte ich denn noch damit anfangen so? Tief in Gedanken merkte ich nicht, wie die Tür sich öffnete. Und als ich mich plötzlich umdrehte, stand er plötzlich hinter mir. In einer fleckigen Jeans, in versifften Adidas-Turnschuhen, die damals nur Versager trugen, erst heute plötzlich als hip und cool galten. In einem Holzfällerhemd, das auch schon einmal bessere Tage gesehen hatte, wie es in dem britischen Sketch um die Holzfäller heißt.
Ich ahnte in diesem Moment noch nicht, dass er einen Grundstein legen würde … Ich ahnte in diesem Moment noch gar nichts. Ich war Tränen verschmiert über den Rekorder gebeugt und die herunter kullernden Salzkugeln zischten, als sie die Elektronik umarmten, wie mich kein Mensch in meinem gesamten Leben.
Märchen verlaufen ja alle gleich. 99% aller Geschichten verlaufen gleich. Es beginnt mit einem Abenteuer und endet damit, dass etwas Kitschiges, Gutes eintritt. Daher verkauft sich so was auch so gut, weil es den Menschen dreckig geht und sie nach einer Heilsbotschaft gieren, wie der Selbstmörder im Hotelzimmer nach der Bibel greift, erst im Angesicht des Todes, kann er die Bibel in die Hand nehmen. Vorher hat er halt auch lieber andere Märchen gelesen und konsumiert.
Es endet damit, dass etwas Gutes passiert: Die Hexe landet im Backofen (ich hatte immer Mitleid mit der alten Frau, vielleicht weil ich das Geräusch ihrer Lederbörse so schätzte), die elektronischen Zwerge mit den Heliumstimmen wurden endlich das Schnee-Flittchen los …
Und mein Lieblingsmärchen: Rumpelstilzchen zerreißt sich in der Mitte.
Wobei an dieser Stelle mal etwas einflechten möchte: Ich hatte schon früh ein Faible, für osteuropäische Märchenfilme. Aber ich habe noch nie gesehen, dass dieses Märchen werkgetreu umgesetzt wurde. In keinem der Filme (ich kenne sie alle!) sah man diese, blutige Splattersequenz. Und würde sie auch nie zu sehen bekommen, weil Peter Jackson jetzt selbst Märchen für Erwachsene produzierte.
Der Mann sagte nichts.
Und ich brach die Stille. Ich brach meistens die Stille. Erst brach ich die Stille, dann später Herzen. Aber das ist es doch, was von Totgeburten einmal abgesehen, Babies als erstes lernen: Stille brechen! Ich habe das perfektioniert und darauf bin ich Stolz.
Ich brach Herzen. Und im Endeffekt brach ich mich selbst, es ging ganz leicht und schleppend. Man fasst sich an der Wirbelsäule an, da wo uns Frauen die herrliche Taille verpasst worden ist, die so schön ist, wie weniges in der Welt (man findet es bei stechenden Wespen und Streich(el)instrumenten), und wenn man genug Kraft hat, die mir gegeben worden ist, kann man sich selbst mit der eigenen Hand … knack!
„Der Kassettenrekorder, den du mir mal geschenkt hast…“, brach ich die Stille.
„Habe ich das?“, sagte er und ich sah ihm an, dass er sich tatsächlich nicht mehr erinnerte. So wie ich mich nicht daran erinnerte, dem Schwulen im Hotelzimmer zum Abschied ein selbstgemixtes Tape und ein Foto geschenkt zu haben. Tja, vieles ist einseitig im Leben. All der Sex in meinem Leben war einseitig gewesen, die A-Seite war der Mann, die B-Seite war ich. Es ist halt nicht möglich, zwei Seiten auf einmal zu hören. Wenn es doch möglich wäre (wieder die Sache mit dem prove me wrong), würde ich womöglich nicht meine kräftigen Hände um meine eigene Wirbelsäule legen und drücken, bis es bricht.
Sex ist eine B-Seite! Masturbieren ist natürlich A-Seite, aber nur für mich. Die meisten sehen es genau anders herum. Die meisten verwechseln Ficken auch mit Selbstbefriedigung.
„Du hast dich ganz schön verändert.“, stammelte er und ließ seine Blicke auf meinem Äußeren Grasen, wie eine Horde manischer BSE-Rinder.
Ich verstand das nicht. Ich war zu jung. Kann es erst heute kapieren. Mann, der Typ war dauernd da, genauso gut konnte man dem Gras nicht beim Wachsen zuschauen, das über jedes Grab wuchert. So schnell veränderte ich mich nun auch wieder nicht … Zeitraffer-Gaffer! Elender (?)
Oder wollte er womöglich auf etwas anderes hinaus … Ich sah, wie sich etwas an seiner Miene, seiner Kohlmine, veränderte. Man hörte die Plastikrädchen, die eingerostet gewesen waren (Hä? Plastik kann nicht rosten … Sprach der Mann aus dem Osten. Und enttarnte sich damit als Vollpfosten) und die Synapsen knackten ( hä? Sprach die Biologin mit der Gemeinschaftscola in der Linken, das geht geräuschlos, Marit ihr Name, verzogen, die Dame), man sah förmlich, wie die eine Gehirnhälfte sich aufblähte zu einem Gedanken, wie ein Luftballon, der irgendwann platzen würde im Kopf, worauf der Furz durch den Mund, verbalisiert, an meine kleinen Kinderohren dringen würde.
„Du, ich kann dir einen Neuen schenken. Einen richtig Schönen. Teuer!“
Ich roch das Leder der Hexe. Ich, die Schneekönigin, erwachte aus meinem Kinderalptraum.
„Doch dafür musst du lieb zu mir sein!“, sagte er.
„Ja?“
Er setzte sich unerlaubt auf mein Bett. Es bog sich durch. Die metallischen Spiralen knackten wie zertretenes Playmobil. Und mein Kuscheltier fiel vom Bett auf den Boden. Das Kuscheltier, Symbol meiner Kindheit … Ich hätte den Satz nicht schreiben müssen, aber ich will diesmal verstanden werden. Also ausformulieren, auch wenn ich manche damit langweilen sollte.
Beflügelt von dem Wunsch, einen neuen Kassettenrekorder zu bekommen, setzte ich mich neben ihn. Er nahm meine Hand in seine riesige Pranke, die größer war als die Hand Gottes (die verletzt), riesiger, weil existent, nicht bloße Metapher. Es waren schmutzige Wurstfinger-artige Extremitäten, Wernerfinger, wie man sie in manchen Restaurants mit Ketchup und Curry serviert bekam, mein kleines Händchen verschwand in dieser Hand. Mir fielen gelbe Fingernägel auf, eklige Postfarbe. Pissfarbe. Derzeit Modefarbe.
So saßen wir da für eine Ewigkeit. In diesem Moment weiß man, sie AleX sich sein Leben lang fühlt. Gefangen zwischen Gestern, respektive eben und gleich, beziehungsunfähigerweise morgen. Für eine Ewigkeit. Dies ist das, was man Gegenwart nennt, ein seltener zustand, den die wenigsten kennen. Die meisten kennen nur gestern oder morgen oder beides. „Jetzt“ kennen vielleicht Vergewaltigungsopfer, Selbstmörder, Autounfallüberlebende oder auch (Lebens-)Künstler.
„Ich möchte, dass du meine Hand, auf meine Jeans legst.“, sagte er, in einem Ton, den man nicht erwartet hatte. Es war nicht die Stimme eines Erwachsenen, selbst meine Kinderstimme klang nun älter. Und die folgende Tat machte mich auf eine gewisse Art zu einer Hure. Aber ich tat es. In meinem kindlichen Verstand war es nichts Schlimmes. Es fühlte sich weder schmutzig an, noch fühlte ich mich missbraucht. Erst Jahre später, als ich mich daran zurückerinnerte … ich hatte diesen Abend lange Jahre vergessen … er war irgendwann später, als der neue Kassettenrekorder in meinen Händen war, überschattet worden, verdrängt worden. Ich wusste nicht, was ich da tat, ich machte es einfach, das ist Gegenwart, machen, dabei bleibt keine Zeit, um an gestern oder morgen zu denken, man ist mit dem Machen beschäftigt.
Ich saß mit dem neuen blinkenden und blitzenden Kassettenrekorder (inklusive CD-Fach) in meinem Zimmer. Den Alten hatte ich aufgebrochen. Das Tape hatte ich mit einem Bleistift, den ich in das rostige Rädchen stopfte (wo das Magnetband drum gewickelt wurde), wieder aufgerollt. Ganz sachte und vorsichtig, wie ein liebevoller Mann beim ersten Mal, und den Riss hatte ich mit Tesaband geklebt.
Und nun war es mir möglich, die andere Seite der Schneekönigin zu hören. All die tausend und dreizehn Enden, die damals noch in meinem Kopf waren, nicht wie heute, wo sie verschollen, wo ich sie doch niemals aufschrieb, waren magischer gewesen, als das triviale Ende der Kassette auf der fehlenden Seite der Schneekönigin. Dies war eine Allegorie für das traurige Ende meiner traurigen Kindheit. Die schrecklich dumme B-Seite läutete für mich die Hölle ein, in der ich seither irre.
Der Mann kam nicht mehr. Er war nur noch das eine Mal gekommen, um sein Versprechen einzuhalten, das machte ihn auch auf eine Art edel, womöglich edler, als mein Vater je war, der noch immer Männer nach der Arbeit mit nach Hause brachte, die seine Witze nicht hören wollten, nur sein Bett teilten. Ich tat es ihm nun gleich. Mein Aussehen machte es kinderleicht. Ich treib durch die Betten wie das Mädchen im Lied von AleX Page durch die Luft wirbelte. AleX sang darin von einem Mädchen, das angestachelt von Werbespots, Filmen und dem gängigen Ideal, aufhörte zu essen. Es ging ganz leicht. Sie musste nun nicht einmal mehr kotzen. Und sie wurde immer leichter, unscheinbarer. Sie wurde so dünn wie Papier, fast zweidimensional. Und eines Tages wurde sie vom Winde erfasst, wie eine Feder… Sie schwebte endlich durch die Luft, nichts kommt dem Gefühl von Fliegen gleich. Wie ein Drachen flog sie gefährlich nah an Strommasten vorbei, sang AleX, aber ohne Schnurr, daher verfing sie sich auch nicht. Über den kaputten Antennen und Satellitenschüsseln schwebte sie, die Zoes zurückgebliebener Freund Nox so gerne demolierte auf dem Dach. Sie schwebte aus der Stadt und hinein in die Wälder, wo keine Menschen lebten.
Dann ging es irgendwann wie auf einer steilen Rutsche los (steil reimt sich auf geil), tausend und dreizehn Männer. Alles mischte sich in Erinnerungen, nichts blieb erhalten. Ich griff jeden Abend um meine Taille und war versucht zuzudrücken. Nie würde ich A und B Seite gleichzeitig hören können … Ich beschloss den finalen Schritt zu tun, ohne die Schublade mit der Bibel anzurühren. Dann kam der Roomservice-Kerl hinein. Ich erkannte ihn nicht. Er erkannte mich. Und lächelte … (lange Haare, aus dem Grund, damit sein schüchternes, respektive hässliches Gesicht zu kaschieren, wie durch einen Vorhang)
„Nie kann man geben und erhalten in selben Augenblick! Nie kann man ein und ausatmen im selben Moment“, faselte ich im Wahn, ohne ihn anzuschauen.
„Pah. Blödsinn!“, lachte er mich schnippisch, ja, lasziv und irgendwie feminin an und zog an seiner Kippe und atmete gleichzeitig aus und vice versa.
„Habe ich von einem Typen gelernt, der so ein komisches Blasrohr-Instrument spielte. Ist ganz leicht, wenn man es erstmal gelernt hat. So leicht wie sagen wir mal Malefiz zu spielen…“
Ich riss die Schublade raus und beschmiss den Typ mit der roten Mütze mit der Bibel.
„Er hat dir nie danken können, für deine Musik und dein Foto. Das hat er lange mit sich rumgeschleppt und irgendwann hat er dann Schluss gemacht mit mir. Es brach mir das Herz. Er sagte mir einen Satz, den ich dir sagen wollte, falls du jemals in dieses Hotel zurückkommen solltest. Nun ist der Moment dafür.“
Ich brachte keinen Ton mehr raus.
„Es ist möglich A und B Seite gleichzeitig zu hören. Kinderleicht wie Malefiz-Spielen, Man dupliziert das Tape und spielt beides zur selben Zeit ab!“
Dann erhob der Portier sich und verließ grinsend den Raum, schloss die Tür hinter sich und ließ mich mit meinen Gedanken allein. Das sollte es nun also sein! Na – fein …
feedback erwünscht.
Für Kim
Von
Christopher Müller
How to fight loneliness ... Smile all the time ... Shine you teeth til meaningless ... Sharpen them with lies ...
- Wilco
Kapitel II
Promiskuitiv war das, was die Ärzte sagten. Ich sagte ganz anderes. Zum Beispiel: Ich trage ein Feuerzeug mit mir rum, obwohl ich nicht rauche. Ich hielt meine Hand darüber, manchmal. Ich esse nur das Rote, in grünen Oliven. Ich puste gerne Kartenhäuser um. Ich verbrenne Zeugnisse. Ich schreibe keine Gedichte und klemme sie unter Scheibenwischer von Autos. Ich lutsche Eiszapfen und höre Kurzwelle. Fremden zünde ich gerne Kippen an. Ich hab meins immer schneller zur Hand, vor allem in dunklen Räumen wie Diskotheken oder leer stehenden Grüften. Ich lispele, meine Eltern hatten nicht das Geld für eine teure Zahnkorrektur. Ich bin nicht einmal krankenversichert. Wohne in einem kleinen Dorf, relativ weit weg von der Stadt. Daher trampe ich oft. Nicht aus Geldmangel, ich könnte auch den Bus nehmen. Die Wahrheit ist, ich hege Kleinmädchenträume, dass irgendwann ein Mann kommt, mich mit nimmt, ein Entführer, der mich womöglich in Plastikfolie einwickelt und in einem See versenkt oder meinen Kopf in einem Attache-Koffer mit sich trägt wie einen Talisman. Ich habe keine Mutter – von der ich weiß. Mein Vater antwortete immer auf die Frage nach ihr, mit den Worten, mich habe der Storch gebracht. Ob er mich adoptiert hatte, eine Wunschfantasie, oder gefunden … wer weiß woher ich kam. Von Gott weiß wo, wo nicht mal Pfeffer nicht wächst, wo man rückwärts spricht und Katzen als höher angesehen werden, als Menschen, womöglich, eher dann doch nicht, sondern ein Produkt aus dem Sperma meines Vaters und einer traurigen, namenlosen Fremden. Das war ein Geheimnis.
Es waren dauernd Männer bei uns im Haus. Besuch meines Vaters. Mit den meisten von ihnen hatte er auf die eine oder andere Art zu tun, wie ich später lernen sollte, herrschte reger Verkehr – Verkehr, verkehrt – für mich. Manchmal auch nicht. Manche brachten Geschenke mit, Schnaps für meinen Vater, Süßigkeiten oder selten Kuscheltiere für mich. Weiß nicht, welche Gaben verheerender waren. Das meiste davon schmiss ich einfach weg, machte mir nie viel aus Lebensmitteln, gönnte mir keinen Genuss. Essen wird doch meist viel zu hoch bewertet. Völlerei ist wohl das einzige, was die Menschen um mich herum so richtig können. Ich könnte kotzen, wenn ich die neuste Mac Fress Reklame höre. Ich ernähr mich bewusst, ich fresse bei Mac Fress. Ich habe jetzt mal sinngemäß zitiert. Genauso geheuchelt finde ich auch diese Spardosen am Tresen, überboten wird der Horror nur durch diesen debilen Clown, der überall zu sehen ist und mich schon als Kind in meinen Träumen verfolgt hat. Ronald ist sein Name und er liebt es, auf Kindergeburtstagen für rheinischen Irrsinn zu sorgen. Mich hat dann irgendwann die Neugierde gepackt und ich bin dem Ronald Fren-Scheiß-Filialen-Clown dann irgendwann nach seiner Schicht gefolgt, um ihn demaskiert zu sehen, aber dazu später mehr. Womöglich.
Ein Kuscheltier behielt ich. Mittlerweile ist es grau, an vielen Stellen aufgerissen, wie meine alte Kleidung, die keiner flickt. Ein Einhorn, das ich Honky getauft habe. Denn unten drauf stand was von made in Hongkong. Von der Herstellerfirma Rainbow Brite, habe ich lange nichts gehört. Es gab mal eine Zeit, da wusste jedes Kind, was Sternwichte sind, die vom Regenbogen kullern, in Plastikkugeln ausgeliefert werden. Bin ich schon so alt?
Ich habe meinen Vater immer angebettelt, dass ich ein Haustier haben möchte. Aber er hat sich nie erweichen lassen. Er sagte immer, ich würde ja nach kurzer Zeit nicht mehr mit dem Hund ausgehen, und dann müsse er mit der Rotztöle Gassi gehen oder was wahrscheinlicher war, wie er es nonchalant formulierte, den Köter irgendwo aussetzen, respektive anbinden. Manchmal war Daddy richtiggehend ehrlich. Erschreckend ehrlich. Oder er sagte so was wie, Katzen machen nur Dreck. Oder Hamster sterben so früh, dann muss ich mir dein verkacktes Gejaule anhören, wie das Gejaule der Katzen.
Irgendwann hat er dann doch ein wenig Herz gezeigt, wie ich anfangs vermutete. Er kaufte ein Aquarium. Ich glaube zu meinem Geburtstag. Aber die Fische starben nach kurzer Zeit auf geheimnisvolle Art und Weise. Nun steht das Aquarium seit Jahren in unserem Haus, dreckig, modernd und faulend. Ohne Fische, trotzdem reich an Leben, voller Bakterien. Ich trank einmal als kleines Mädchen ein ganzes Glas dieser Bracke, ein hilfloser Versuch, Aufmerksamkeit von meinem Vater zu erlangen, die ich erhielt, aber in Form von Gelächter, als ich nachtlang kotzte. Und die Leuchtstoffröhre ging irgendwann schrott, wurde selbstredend nicht ersetzt.
Einmal kam ein Mann, der nicht mit meinem Vater schlafen wollte. Ich will dazu vorher aber einen Satz loswerden. Ich fand es nie schlimm, dass mein Vater schwul war, was ich von meinen Kindergarten-Mitinsassen erfahren musste. Nein. Ich fand schlimm, dass er nur dem Trieb folgte, nie einen Partner emotional an sich ran ließ. Das war der grausame Teil. Und sein wir mal ehrlich, es war das Natürlichste von der Welt für mich, was mein Vater tat, ich kannte nichts anderes, konnte auch vieles lange nicht vermissen. Eine Bekannte von mir hat eine Beinprothese, solange sie sich erinnern kann, sie vermisst ihr echtes Bein nicht. Viele Männer, die ich später kennen lernen sollte, lebten jahrelang relativ zufrieden mit aufblasbaren Partnern, weil sie nichts anderes kannten.
Zurück zu dem Mann, der keine sexuellen Praktiken mit meinem Vater teilte, wenn man mal gemeinsames Fußballspielschauen nicht mitzählt. (Hörte erst neulich einen Kerl in einer Kneipe sagen: Der Stürmer ist aber auch ein süßer Typ. Das fand ich niedlich und ich kicherte in meinen Wein hinein, als wäre ich ein kleines Mädchen, das ich womöglich niemals war)
Ich habe nie eine weibliche Bezugsperson gehabt. Vieles meiner Wesenzüge, habe ich unbewusst von meinem Vater und seinen Arbeitskollegen übernommen. Ich spielte Fußball mit den Kerlen, kloppte mich mit ihnen und habe nie eine Puppe besessen. Natürlich habe ich auch eine starke weibliche Seite. Eins ist klar, man ist mehr als die Summe von Erziehung und Erfahrungen. Viel mehr! Trotzdem hatte ich nie eine beste Freundin oder so was. Ich konnte mit Weibern nichts anfangen. Dieses Rumgezicke und all der Wahnsinn. Make Up fand ich zum kotzen und so weiter. Als junges Mädchen, war meine maskuline Seite noch nicht sehr ausgeprägt, erst mit den Jahren überschattete sie alles. Wie ein unreiner Samen, der in meiner Seele erst wartete und dann immer mehr reifte. Die meisten Freunde meines Vaters waren weich und zart auf eine Art. Einfühlsam und verletzlich, letztlich, verletzlich. Denn mein Dad war knallhart zu ihnen, vielleicht brauchten sie das, wer weiß das schon. Ja, auch Männer brauchen so was! Wieso gehen sie sonst zum Militär oder lassen sich in Boxringen zusammenschlagen. Mein Dad las Krimis. Ich hasste solchen trivialen Schund. Einmal kaufte er einen, der ihm nicht zusagte, er schenkte ihn mir. Total verdreckt sah das Buch aus. Es war in Englisch und ich kannte die Sprache damals noch nicht. Es war total zerfleddert und manche Seiten ließen sich nicht öffnen, er las immer in der Badewanne oder auf dem Klo, an anderen Orten nicht. Womöglich hatte der Wasserdampf die Seiten aufgebläht und versiegelt wie einen Scheidungsbrief. Jahre später sollte ich das Buch lesen, verstehen und lieben. Denn es war eine göttliche Gabe. Es war der Grund, warum ich früher als andere Englisch lernen sollte. Ich schlug jedes Wort nach, manisch, besessen. Ich wollte es verstehen, ich wollte es lieben, denn mein Vater hatte es gehasst, sonst hätte er es nie abgetreten. Ich wollte verstehen, was ihn daran gelangweilt oder geschockt hatte. Bücher. Einmal hatte mich mein Dad eine kleine miese Diebin genannt, weil er eins seiner Schundbücher nicht gefunden hatte. Ich hatte es natürlich nicht gestohlen. Dafür klaute ich ihm ein anderes Buch. Weil ich wusste, er würde sich nie trauen, danach zu fragen. Er hätte sich damit entblößt vor mir. Ich war sicher, dass ihm das Buch fehlte. Ich genoss es, diesen Schatz zu hüten. Es hieß Jason und war ein furchtbar versauter Roman. Aber trotzdem war das Buch gut. Erstaunlich gut. Nicht wegen der Sexschilderungen, nein die langweilten mich eher (der verklemmte Autor traute sich nicht einmal derbe Ausdrücke zu verwenden und wiederholte sich in gehemmten Wiederholungen, a la „sie liebten sich“, trieben „es“ oder am schlimmsten „schliefen miteinander“ … Selbst Wilde war deutlicher gewesen, ja, auch ohne versaute Ausdrücke. Was mich ankotzte: Der Autor schrieb nicht von Liebe. Es war eindeutig ordinäres Ficken, was er beschreiben wollte. Aber seine Art zu schreiben war die eines Schmeichlers, eines Mannes, der zu lieben wusste. Der Zärtlich war. Trotzdem wagte er sich an dieses Thema heran. Am Anfang des Buches hatte man noch den Eindruck, er habe nie mit einer Frau geschlafen oder mit einem Mann. Im Verlauf des Romans änderte sich das. Aber auch wenn er übers Ficken schrieb, wusste er nicht wirklich was das war. Er kannte nur die Kombination von Liebe und Geschlechtsverkehr. Das war zwischen jeder Zeile zu erkennen. Das Buch wird dann gegen Ende richtig unwirklich. Eine Frau namens Dawn kommt ins Spiel und verwandelt Jason ausgerechnet in eine Katze. Aber Dawn hatte einen eklatanten Denkfehler begangen. Sie wollte Jason mit der Tat bestrafen, erhöhte ihn aber im Endeffekt (mein Lieblingsbegriff, den ich mir hab patentieren lassen). Eine Katze war ein Wesen von Anmut und Stolz, etwas das Jason als Mensch nie gezeigt hat. Doch ich schweife ab. Auch wenn man das gar nicht gemerkt hat, was ein gutes Zeichen ist, ich liebe es, Menschen mit mir abschweifen zu lassen. Sie mit zu ziehen. Das geht ganz leicht, wenn man es erstmal gelernt hat. Und keiner merkt, dass man das unliebsame Thema längst umschifft hat. Vergessen ist es bald. Schade eigentlich.
Daher kehre ich zunächst zu dem kongenialen Krimi zurück. Er war reich an Anspielungen, die mein Vater nie verstehen würde. Wie sollte er auch in einen Lachkrampf verfallen wie ich, als der Autor den fetten, tollpatschigen Bösewicht mit Winnie Puh vergleicht, ihn so all seiner Infernalität beraubt. Aber einen Satz werde ich wohl nie vergessen, den ich so nirgends sonst gehört, gesehen oder gelesen habe. Der Held schlägt einen Mann KO und der Autor beschreibt genau, wie der ansonsten eins a heterosexuelle Kerl, in dem Moment eine Latte hat und es, überraschend wie es auch gekommen ist, zu genießen weiß. Bamm! Das ist große Literatur die einen Knilch wie Bukowski vor Neid hätte erblassen lassen und etwas, das sich womöglich Henry Miller nie eingestanden hätte.
Ich schweife weiter zurück zu dem Kerl, der nicht mit meinem Vater schlafen wollte. Er roch nach Tabak und billigem Penny-Whiskey. Er war einer dieser Jeansträger. Jeder kennt sie. Männer, die nur Jeans tragen, ausschließlich. Er bekam sporadisch, aber unaufhörlich Hustenanfälle, vom vielen Rauchen oder womöglich durch die Arbeit in der Fabrik. Wohl aber im Endeffekt (ich wiederhole das Wort so gerne) durch beides. Mein Vater hatte es nie weiter als zu einem Handlanger gebracht. Er machte das, was sonst keiner machen wollte in der Waffen, äh, Waffelfabrik. Wir brauchen Waffeln, viele Waffeln! Paletten stapeln, Kisten packen, Kisten auspacken, Paletten verschweißen, LKWs füllen oder leeren.
Der Tabak-Malzwhiskey-Mann kam öfter. Das war selten. Verstand sich gut mit meinem Vater. Ich werde das mal erläutern: Wenn sich zwei Männer gut verstehen, heißt das eigentlich im Klartext: Er braucht einen zum Volllabern, der andere hört zu. So ist es meistens unter Männern. Meist ist der Labersack das Arschloch, der Zuhörer der Sympathische. Zwei Labersäcke in einem Raum endet meist im Streit. Und Zuhörer halten nicht so viel von anderen männlichen Zuhörern. Entweder werden sie selbst zum Labersack und texten ihr Opfer zu oder sie haben halt nichts zu sagen beide und langweilen sich. Ein anderes ungeschriebenes Naturgesetz lautet: Schwache rennen vermeintlich Starken immer hinterher. Sie wollen sich das Starksein abkucken, reden sie sich ein. Demütigen sich dabei aber komplett, denn sie werden ausgebeutet und verspottet vom starken Part. Wenn Männer eins gelernt haben: Niemals schwäche zeigen, und wehe ein anderer Mann will sich das Kuchenrezept abkucken! Wettkampf, Rudelkampf und so weiter. Der Schwache hält die Kehle hin. Selbst zum Biss kommen darf er auch nicht. Aber warum will der Starke den Schwachen nicht stärker werden sehen? Ganz einfach. Das hieße, er würde eine Gefahr. Er könnte Frauen aufreißen lernen. Denn der Mann weiß. Es gibt nur zirka Millionen Frauen in der Stadt. Da will er keine an seinen „Kumpel“ verschwendet wissen. Er will seinen Kuchen ganz allein genießen und dann den nächsten, bis er dann verreckt. So ist das. So und nicht anders.
Es soll auch andere Männer geben? Toller Witz. Entweder sind sie schon vergeben oder, böses Foul, sie bekommen es irgendwann mit, wie gut sie sind. Dann wächst Eitelkeit und Selbstverliebtheit ins Bodenlose. Sie werden plötzlich Künstler oder noch schlimmer Autoren. Und mit wachsendem Erfolg werden sie Stück für Stück korrumpiert. Bis sie so erbärmlich geworden sind, dass nicht einmal ich sie mit einem Schuss von ihrem Elend erlösen würde. Man neigt dazu, bei begrenzter Kugelanzahl im Dschungel (also in der Stadt), nicht den angeschlagenen Bären von der Pein zu erlösen. Mitleid hin oder her. Denn man weiß. Lieber Menschlichkeit einbüßen, dafür aber Mensch bleiben, statt tot zu sein.
Sie saßen im Wohnzimmer. Und lachten. Tranken Alkohol. Zwei verschiedene Lachen, das Gegröle meines Vaters und das gespielte, immer müder werdende Zwangslachen des Gastes. Warum tat der sich das an? Man weiß es nicht. Vielleicht fand er die Stories meines Daddies wirklich gut. Es gab auch Leute, die etwas für eine Mischung aus Bier und Alkohol übrig hatten, die nebenbei ansonsten stilistisch gefestigt waren, also keine Knallköppe waren. So sagt man jedenfalls. Ich habe sogar gehört, Männer seien aus freien Stücken zum Mond geflogen. Frauen wären da nie drauf gekommen. Die dachten. Der ist schön da im Himmel, auch wenn er meinen Zyklus mitbestimmt, was sie ansonsten keinem gestatteten. Sie mussten da nicht hochfliegen. Denn sie wussten, da ist weder Luft zum atmen, noch ein Schuhgeschäft. Ja, der war Flach. Aber ich muss ja auch mal einen für die Männer lassen. Sonst gehen die mir hier nachher alle aus dem Raum und ich will ja mindestens einen mit für Zuhause. Und der Typ, der da oben auf dem Mond für Seuchenverbreitung (ist den Menschen denn nichts heilig? Müssen die auch noch das All verpesten) und das als erster, war wohl der größte Versager der Menschheit. Jahrelang ein pickliger Physikstudent, der Frauen nur aus Zeitschriften kannte mit weißen Hasen drauf, der wohl nur von dem Drang getrieben wurde, endlich ein Held zu sein. Deprimierend, immer Recht zu haben. Ich warte seit Jahrzehnten auf ein Wesen, dass mir Parolo bieten kann. Dass mir endlich sagt, ich habe Unrecht! Ein Wesen, das mir sagt, die Welt sei süß. Ein Wesen, das mich, die Schneekönigin, aus meinem Eispalast befreit. Aber dieses Wesen wird erst der Tod sein, nein, ich habe gelogen, selbst der Tod wird mich nicht überzeugen wollen. Traurig. Fast so traurig, wie die Frauen, die Neil Fuckin´ Armstrong (wenn das man kein Pseudonym ist) gefickt hat. Trauriger noch, dass er auch mich rumgekriecht hätte. Am traurigsten, was seit der Gelächter-Nacht in meinem Leben begann:
Warum ich nicht schlafen konnte, mein Kuscheleinhorn zwischen den Kleinmädchenhänden? Die Hustenkrämpfe. Jedes Mal dachte ich, diesmal würde er die Lunge mit Aushusten und daran verrecken. Ich hatte Mitleid mit ihm, denn er musste meinen Vater ertragen, alkoholisiert und gut drauf. Er brachte zudem immer Geschenke mit. Etwas, das jede Oma weiß. So unerträglich Omis auch sein können, jedes Kind erniedrigt sich, wenn die Omma den Geldbeutel aufklappt und Münzen für Eis oder Lakritze rüber wachsen lässt. Ich habe dieses Geräusch schon von weit her gehört. Auch wenn ich einsam und allein mit dem Tieren im Wald spazieren ging, riss mich das Aufklappen der Ledergeldbörse aus meiner selbst gewählten Isolation und trieb mich in die Hände des Satans, der in Gestalt einer scheinbar lieben Omi auftrat. Korrumpierbar sind wir alle. Ohne Ausnahme! Okay. Es gibt, nein, gab, Ausnahmen. Denn sie haben sich umgebracht und damit der ewigen Verführerei des Bösen entzogen. So wie das Mädchen Zoe, von dem jeder Mal gehört hat in der Presse. Die aus dem Fenster sprang mit Karacho! Und jetzt kommt das Perverse. All diese verwichsten Christen glauben, Selbstmördern sei die Hölle gewiss. Aber waren es nicht sie, die edelmütig waren? Die endlich einsahen, ohne sie, wäre die Welt besser? Die so aufhörten zu lügen, verführen, bescheißen, täuschen, heucheln und missbrauchen, alles Verben, ohne die menschliches Leben nicht möglich ist? Und wehe ich erwische einen dieser Feiglinge an Zoes Grab, wo sie gerne Grablichter stehlen, um damit Diskotheken oder noch abartiger Wohnräume zu verschandeln. Ich verspreche, diesem miesen Dieb, ob er nun gekommen war, um das schmucklose Licht zu klauen, oder ebenso fragwürdig, sich in billigen Lack und Leder auf ihrem Grab zu räkeln, was in ganz schlimmen Fällen sogar noch fotografisch festgehalten wird. Aber keine schlimme Tat in dieser Welt existiert, die nicht noch überboten würde. Ja, Neil schielt schon auf den Mars! Und in diesem Falle rede ich nicht von GV auf Zoes Grab, nein, ich rede davon, dass es Menschen gibt, die solche Fotos drucken und sogar verkaufen. Was aber noch schlimmer ist, bei solchen Schnappschüssen von Kunst zu reden. Pause. Denkpause.
Okay, ich will mich genauer festlegen, wenn ich mir schon Feinde mache. Ich habe nichts dagegen, wenn man so was auf Gräbern macht von Heuchlern oder Christen, wobei beides meist dasselbe ist, ganz und gar nicht. Ob das dann Kunst ist, Porno oder Jucks und Dollerei, sollen andere entscheiden. Ich maße mir nicht an, zu entscheiden, was Kunst ist. Aber ich weiß, was Stil ist und was Zoe für ein Mensch war. Auch wenn ich sie nie getroffen habe. Also passt auf Eure Eier auf, wenn ihr fremde und unbekannte Gräber besteigt. Vielleicht verbirgt sich unter dem Moos versteckt Zoes Name und dann … Bamm!
Die Schneekönigin erlaubt sich eine weitere Anmerkung. Ein Stück Selbstkritik, ein gänzlich unmännlicher Part meiner Selbst. Prinzipien sind selten. Ich will mich da nicht ausnehmen. Ich bin weiß Gott keine Heilige, dann schon eher eine sündige Schlange, die ihr Gift verspritzt wo sie nur kann. Aber Menschen, denen nichts, ich wiederhole, nichts! Heilig ist, die verabscheue ich ebenso sehr wie mich selbst!
Mir ist auch ehrlich gesagt egal ob der King of Pop (plopp!) pädophil ist oder naiv wie ein Kind. Ich wusste immer, das seine Musik Scheiße ist. Aber er ist ein echtes Original, was selten geworden ist in diesen Zeiten. Auch wenn er sich über die Jahre solange selbst verkauft und damit verraten hat, dass nichts Originelles mehr geblieben ist und selbst der Verdacht der Kindesmisshandlung nur eine Kopie ist für eine neue Generation von Sensationslustigen. Ich bin selbst missbraucht worden, nicht von einem König. Bin ich gebraucht oder missbraucht worden. Eine Frage, die ich selbst nicht beantworten will, den anderen überlasse. Gebraucht werden ist etwas zutiefst Menschliches. Männer bekommen für Geld oft etwas, das ihnen die Gesellschaft nicht geben kann, die Ehefrau nicht will. Ich zähle mich zu den Menschen, die Glück oder Unglück, vom Aussehen her, dem derzeitigen Ideal sehr nahe kommt. Vielen war das nicht vergönnt. Zoes Lieblingssänger AleX hatte eine Schiefe Nase, angeborene Unsportlichkeit und eine Stimme, die in einer Fernsehsendung lange vor der ersten Mottoshow verrissen worden wäre. Von einem milchbärtigen Schwanzeinklämmer und Bestsellerautor. Womöglich hätte er Pages Stimme als die eines Kastraten bezeichnet. 1000 und 13 Zuschauer hätten am Schirm einmal kurz gelacht, dann hätten sie ihn schon wieder vergessen. Er aber machte trotz seiner Stimme weiter Musik. Für Leute, die auf Texte achteten. Für Leute, die seine Sprache kannten, seine Worte. Er machte Musik für Selbstmörder wie Zoe, die wegen ihrer Magersucht und kleinem Wuchs, überall gehänselt worden waren. Seine Schallplattencover verschandelten keine Lack und Leder-Hülsen, die den Verkauf angetrieben hätten. Die Cover wurden von ihm selbst gezeichnet, wobei er nicht mal Talent dazu gehabt hatte. Krickeleien und Bilder, die (Achtung Seitenhieb) sogar manche Kinder besser und ich lache bei diesen Worten, anatomisch korrekter hinbekommen hätten. Der gewaltige Unterschied, 99% hätten sich so was nie getraut, da liegt der tote Hase im Korn. Der Pudels Kern ist ein atomarer! Atomar wie Zoe, die immer mit einem Button aus den 80ern rumlief, lange bevor das vor kurzem wieder in Mode kam und jeder das machte. Darauf stand: Atomkraft, ja bitte! Selbstgebastelt. Da liegt der Unterschied. Zoe hatte eigene Gedanken, keine geliehenen. Keine geklauten. Keine Ideen, die man sich ansteckte, weil sie in Magazinen beworben wurden. Zoes AleX Page-T-Shirt war selbst gemacht. Nicht, dass es jemals AleX Page-Merchandising gegeben hatte, noch geben würde. Daher kennt die Band auch keiner von Euch. Daher gibt es keine Nachpressungen oder noch schlimmer (ich wiederhole mich. Schlimmer geht´s immer), CDs. Selbst MP3s habe ich von AleX Page noch nirgends gefunden.
Der Mann bei meinem Vater im Wohnzimmer (ich war ein junges Mädchen damals) trug lange Haare, lange bevor das Mode war. Vielleicht daher meine spätere Vorliebe für solche Männer, wobei mir das in den letzten Jahren auch nicht mehr als Erkennungszeichen für einen netten Mann durchgeht, da die wenigsten dies heute noch bewusst machen, im alten Sinne. Heute macht ein Mann das oft, um Frauen zu gefallen, um sich äußerlich feminin zu geben, wobei die feminine Maske meist in dem Moment fällt, wo er sie rumgekriegt hat, mit oder ohne Alkohol, mit oder ohne Kitschmusik, mit oder ohne Kondom. In dem Moment, wo er den Hosenschlitz aufstreift, oder in letzten Jahren den Rock hochzieht, was zum Ficken noch praktischer ist, daher haben ja auch Männer im Mittelalter Röcke getragen, eine verklärte Zeit, die in meinen Augen aber um einiges ehrlicher war als die heutige. Dann streift er die Haare lässig hinter die Ohren, bindet sie weg, um ungestört pimpern zu können, bar jeglicher Liebe. Er würde sich in diesem Moment, wo er die Hose der Frau aufknöpfen kann, nicht darf, die Haare abschneiden, wenn er nicht wüsste, dass sein Testosteron bedingter Drang, nie enden wird, er wieder weiter ziehen müsste durch Bars und Diskotheken (ganz schlimm Jugendzentren), die Musik spielten, die der glichen, die er nur hörte, um seine lang gehegte und gut kaschierte Planung in die dreckige und eben auch natürliche (!) Realität (welche auch immer) umzusetzen. Würde man unter Perücken nicht so schwitzen, er würde sie tragen und eben in dem Moment von sich werfen, wo der Schweiß an Kopf und Körper sprießt und das Tier in ihm erwacht. Ich liebe diesen Moment, weil er einer der ehrlichsten ist. Genießen kann ich ihn trotzdem fast nie. Ein Fick nach dem anderen. Und die Geilheit davor, verpufft spätestens mit seinem Eindringen … (eine verklemmte Formulierung, die ich dem Autor von Jason entlehnt habe)
Da will man sein Zopfgummi zerschneiden. Ich tat das einmal. Rutsche gekonnt von ihm, wie auf einer verregneten Kinderrutsche, halb gebremst, halb im Rausch, der nur ein Gefühl wecken kann, dem Abgrund näher zu kommen, dem Kippen übersäten Grund der Rutsche. Ich überraschte den Langhaarigen mit der geraden Nase, die man so sonst nur dank Steinmetzen zu sehen bekommt. Eine gerade Nase, die man krummschlagen will, abbrechen. Da erwacht das Kind in mir. Diese Sache mit dem Daumen, wo man vorgaukelt, die Nase gemopst zu haben, die man dann, eh der Zauber auffliegen kann, natürlich wieder anzaubert. Die erwachsene Variante ist, die Nase mit einem Messer flink (das erfordert viel Übung, aber Männer finden sich immer, ich scherze, nur zur Info) zu kappen.
Schnips war das Zopfgummi ab und die langen schönen Haare wehen wie ein Segel um das langweilige Gesicht, glattrasiert und teuer parfümiert. Als hätte ich mit dieser Tat die Luft aus seinem Segel gezaubert. Herrlich. Dann mache ich manchmal etwas, das die meisten Männer eh nicht leiden können, da ich im Rausch des Überraschungsmoments fast alles machen kann. Ich spiele mit meiner Zunge gekonnt mit seiner Brustwarze, wenn ich gemein bin, sauge ich sogar daran. Ich habe nur wenige Männer gekannt, die das nicht furchtbar unangenehm fanden, wenn ich es auf meine Art machte. Andere Gemeinheiten erfordern meist Hilfsmittel und ich schweige mich aus. Noch.
Kapitel I
Daddy sagte immer, das Geld würde nur für Essen und die Miete reichen. Ich aber wusste, dass das meiste Geld in Bars landete. Oder in Spielkasinos, in Einarmigenbanditinnen oder ganz gewöhnlich in Geldschlitzen für Pornokanäle, in Hotelzimmern so verbreitet, wie die Bibel im Nachtschrank. Ich habe lange Jahre recherchiert, um dieses Rätsel zu Lüften. Ich habe es von einem Kerl erfahren, der mir die Information für eine andere eintauschte. Er wollte wissen, warum Frauen immer gemeinsam in WCs verschwanden, eine billige, aber gleichzeitig leicht zu beantwortende Frage – für mich. Seine Erklärung verwunderte mich dann. Sie zeigte mir, dass er Verstand hatte, dass gekoppelt mit einem Y-Chromosom. Es gibt halt noch Zeichen und Wunder, so sicher wie Adam im Garten Eden das Masturbieren erfunden hat, um AleX Page zu zitieren. Nirgends auf der Welt ist man einsamer als in Hotelzimmern. Daher die Pornokanäle. Gerade Rock Stars wissen das, die eine hohe Sterblichkeitsrate und damit Grabentweihungsrate haben. Nirgends sterben so viele Menschen, wie in Hotelzimmern. Im Angesicht des Todes kommt die Frage nach dem danach und dem Glauben. Dann greift man in die angestaubte Schublade, während die Pillen im Magen ihre gewollte Wirkung tun…
So sagte er. Ich hätte ihn am liebsten auf der Stelle gleich in selbigen Hotelbett besprungen. Aber er war leider schwul. Zudem Fetischist. Und seinen geheimen Fetisch würde ich nie befriedigen können. Wir zwei lachten und betranken uns. Er wehrte mein Gebagger den ganzen Abend gekonnt ab. Wir spielten bekifft Malefiz und brachten das elektronische Bett zum Beben. Bestellten uns einen Roomservice-Jungen und ließen ihn mitspielen, denn das Brettspiel machte zu zweit keine Laune. Erst als die zwei sich näher kamen, ging ich und sah den Schwulen leider nie wieder.
Daddy verprasste das Geld, ohne mir Geschenke zu machen, wenn man von dem Aquarium einmal absah, dass ich eh nie groß beachtete, von dem Trinkversuch einmal abgesehen, den ich vorhin erwähnte. Als kleines Mädchen folgte ich meinem Vater einmal. Um zu sehen wo das Geld landet. Ich folgte ihm zu den Jungen, die dort anschafften, was ich erst später kapieren sollte. Sie waren teils sogar noch jünger als ich.
Der Tabak und Malz-Mann brachte mir einmal einen alten Kassettenrekorder mit, der schon halb kaputt war. Vielleicht hatte er ihn vom Sperrmüll oder dem Flohmarkt, lange bevor es Ebay gab, musste man noch selbst raus am Sonntag, um seltenen Mist zu suchen. Die Suche nach der Schallplattenspielernadel im Heuhaufenkonglomerat. Man konnte das Kassettenfach nicht öffnen. Und das Radio war schrott. Es war ein Tape darin. Die Schneekönigin. Ein altes Hörspiel, nicht von Karusell oder Europa. Es war eine billige Produktion. Fast Laienhaft. Die Musik zwischen den Textpassagen, war so minimalistisch und elektronisch, dass ich später einmal einen Musiker traf, der das ganze sampelte und damit einen Zähne-Hit erlangte, etwas, das nach Rache schrie. Doch ich konnte den gemeinen Scheißkerl nicht ausfindig machen bisher, die Plattenfirmenpolitik lautete schon damals, keine Adressen von Rockstars rausgeben. Die Groupies würden ja sonst nicht auf die überteuerten und bekackten Gigs gehen, sondern gleich ins Hotel oder wo auch immer die Backstage-Party, sprich Sex-Party, stattfand. Ich konnte immer nur die erste Seite hören, um dann zurückzuspulen. Umdrehen konnte ich die Kassette nie. Nur einmal versuchte ich mit einem Schraubenzieher das Fach aufzuhebeln, aber damit hätte ich den Rekorder zerstört. Also ließ ich es dabei bewenden. Leben all die Jahre, ohne Wenden. Ich rätselte immer als Kind, wie das Märchen enden würde. Abends, wenn ich mal wieder nicht einschlafen konnte, wegen Hustenkrämpfen aus dem Wohnzimmer, abgewechselt von Gelächter, malte ich mir verschiedene Enden aus, mit den Jahren wurden es tausend und dreizehn Varianten. Ich schrieb sie nicht auf, vergaß sie mit den Jahren, weil mir nie ein Mensch begegnete, der mir zum Aufschreiben riet, mich dazu ermutigte. Ich wurde von meinem Vater gebremst, der meinen Block fand, ich wurde von meinem Deutschlehrer gebremst, der mir Siebenden gab (so eine nonkonforme Marotte von ihm, die er sich extra vom Schulrat erlauben ließ, um mich korrekt benoten zu können) und dann zum Schluss von meinem ersten Freund, der heimlich mein Tagebuch las, weil er geträumt hatte, wie ich ihn mit einer anderen betrog, was damals nicht stimmte, erst in die Tat umgesetzt wurde, nachdem er das Tagebuch las, was ich danach verbrannte und seitdem nie wieder etwas geschrieben habe…
Im Endeffekt war es gut so. Mein Geschreibsel um die Schneekönigin hatte eh keinen Wert. Das Originalmärchen verkaufte sich ja prima.
Mit den Jahren war das Band so abgenudelt, kein Wunder, wenn man es 1013 Mal abspielte, dass man kaum noch was verstand außer Rauschen. Das Magnetband war so glatt geworden, wie mein Hintern damals noch war…
Irgendwann nach langer Zeit war der Kerl dann wieder da. Und er hatte sich wohl gestritten mit meinem Vater. Ich saß in meinem Zimmer und war dem Heulkrampf nah. Denn die Kassette hatte schlussendlich Bandsalat. Etwas, das heutige Kinder nicht mehr kennen. Also übersetze ich, der Rohling zerbrach, beim Einführen (ich zitiere wieder Jason) in das CD-Fach. Ich bekam sie nicht einmal mehr aus dem Rekorder heraus. Ich überlegte nun, den Rekorder aufzubrechen, was konnte ich denn noch damit anfangen so? Tief in Gedanken merkte ich nicht, wie die Tür sich öffnete. Und als ich mich plötzlich umdrehte, stand er plötzlich hinter mir. In einer fleckigen Jeans, in versifften Adidas-Turnschuhen, die damals nur Versager trugen, erst heute plötzlich als hip und cool galten. In einem Holzfällerhemd, das auch schon einmal bessere Tage gesehen hatte, wie es in dem britischen Sketch um die Holzfäller heißt.
Ich ahnte in diesem Moment noch nicht, dass er einen Grundstein legen würde … Ich ahnte in diesem Moment noch gar nichts. Ich war Tränen verschmiert über den Rekorder gebeugt und die herunter kullernden Salzkugeln zischten, als sie die Elektronik umarmten, wie mich kein Mensch in meinem gesamten Leben.
Märchen verlaufen ja alle gleich. 99% aller Geschichten verlaufen gleich. Es beginnt mit einem Abenteuer und endet damit, dass etwas Kitschiges, Gutes eintritt. Daher verkauft sich so was auch so gut, weil es den Menschen dreckig geht und sie nach einer Heilsbotschaft gieren, wie der Selbstmörder im Hotelzimmer nach der Bibel greift, erst im Angesicht des Todes, kann er die Bibel in die Hand nehmen. Vorher hat er halt auch lieber andere Märchen gelesen und konsumiert.
Es endet damit, dass etwas Gutes passiert: Die Hexe landet im Backofen (ich hatte immer Mitleid mit der alten Frau, vielleicht weil ich das Geräusch ihrer Lederbörse so schätzte), die elektronischen Zwerge mit den Heliumstimmen wurden endlich das Schnee-Flittchen los …
Und mein Lieblingsmärchen: Rumpelstilzchen zerreißt sich in der Mitte.
Wobei an dieser Stelle mal etwas einflechten möchte: Ich hatte schon früh ein Faible, für osteuropäische Märchenfilme. Aber ich habe noch nie gesehen, dass dieses Märchen werkgetreu umgesetzt wurde. In keinem der Filme (ich kenne sie alle!) sah man diese, blutige Splattersequenz. Und würde sie auch nie zu sehen bekommen, weil Peter Jackson jetzt selbst Märchen für Erwachsene produzierte.
Der Mann sagte nichts.
Und ich brach die Stille. Ich brach meistens die Stille. Erst brach ich die Stille, dann später Herzen. Aber das ist es doch, was von Totgeburten einmal abgesehen, Babies als erstes lernen: Stille brechen! Ich habe das perfektioniert und darauf bin ich Stolz.
Ich brach Herzen. Und im Endeffekt brach ich mich selbst, es ging ganz leicht und schleppend. Man fasst sich an der Wirbelsäule an, da wo uns Frauen die herrliche Taille verpasst worden ist, die so schön ist, wie weniges in der Welt (man findet es bei stechenden Wespen und Streich(el)instrumenten), und wenn man genug Kraft hat, die mir gegeben worden ist, kann man sich selbst mit der eigenen Hand … knack!
„Der Kassettenrekorder, den du mir mal geschenkt hast…“, brach ich die Stille.
„Habe ich das?“, sagte er und ich sah ihm an, dass er sich tatsächlich nicht mehr erinnerte. So wie ich mich nicht daran erinnerte, dem Schwulen im Hotelzimmer zum Abschied ein selbstgemixtes Tape und ein Foto geschenkt zu haben. Tja, vieles ist einseitig im Leben. All der Sex in meinem Leben war einseitig gewesen, die A-Seite war der Mann, die B-Seite war ich. Es ist halt nicht möglich, zwei Seiten auf einmal zu hören. Wenn es doch möglich wäre (wieder die Sache mit dem prove me wrong), würde ich womöglich nicht meine kräftigen Hände um meine eigene Wirbelsäule legen und drücken, bis es bricht.
Sex ist eine B-Seite! Masturbieren ist natürlich A-Seite, aber nur für mich. Die meisten sehen es genau anders herum. Die meisten verwechseln Ficken auch mit Selbstbefriedigung.
„Du hast dich ganz schön verändert.“, stammelte er und ließ seine Blicke auf meinem Äußeren Grasen, wie eine Horde manischer BSE-Rinder.
Ich verstand das nicht. Ich war zu jung. Kann es erst heute kapieren. Mann, der Typ war dauernd da, genauso gut konnte man dem Gras nicht beim Wachsen zuschauen, das über jedes Grab wuchert. So schnell veränderte ich mich nun auch wieder nicht … Zeitraffer-Gaffer! Elender (?)
Oder wollte er womöglich auf etwas anderes hinaus … Ich sah, wie sich etwas an seiner Miene, seiner Kohlmine, veränderte. Man hörte die Plastikrädchen, die eingerostet gewesen waren (Hä? Plastik kann nicht rosten … Sprach der Mann aus dem Osten. Und enttarnte sich damit als Vollpfosten) und die Synapsen knackten ( hä? Sprach die Biologin mit der Gemeinschaftscola in der Linken, das geht geräuschlos, Marit ihr Name, verzogen, die Dame), man sah förmlich, wie die eine Gehirnhälfte sich aufblähte zu einem Gedanken, wie ein Luftballon, der irgendwann platzen würde im Kopf, worauf der Furz durch den Mund, verbalisiert, an meine kleinen Kinderohren dringen würde.
„Du, ich kann dir einen Neuen schenken. Einen richtig Schönen. Teuer!“
Ich roch das Leder der Hexe. Ich, die Schneekönigin, erwachte aus meinem Kinderalptraum.
„Doch dafür musst du lieb zu mir sein!“, sagte er.
„Ja?“
Er setzte sich unerlaubt auf mein Bett. Es bog sich durch. Die metallischen Spiralen knackten wie zertretenes Playmobil. Und mein Kuscheltier fiel vom Bett auf den Boden. Das Kuscheltier, Symbol meiner Kindheit … Ich hätte den Satz nicht schreiben müssen, aber ich will diesmal verstanden werden. Also ausformulieren, auch wenn ich manche damit langweilen sollte.
Beflügelt von dem Wunsch, einen neuen Kassettenrekorder zu bekommen, setzte ich mich neben ihn. Er nahm meine Hand in seine riesige Pranke, die größer war als die Hand Gottes (die verletzt), riesiger, weil existent, nicht bloße Metapher. Es waren schmutzige Wurstfinger-artige Extremitäten, Wernerfinger, wie man sie in manchen Restaurants mit Ketchup und Curry serviert bekam, mein kleines Händchen verschwand in dieser Hand. Mir fielen gelbe Fingernägel auf, eklige Postfarbe. Pissfarbe. Derzeit Modefarbe.
So saßen wir da für eine Ewigkeit. In diesem Moment weiß man, sie AleX sich sein Leben lang fühlt. Gefangen zwischen Gestern, respektive eben und gleich, beziehungsunfähigerweise morgen. Für eine Ewigkeit. Dies ist das, was man Gegenwart nennt, ein seltener zustand, den die wenigsten kennen. Die meisten kennen nur gestern oder morgen oder beides. „Jetzt“ kennen vielleicht Vergewaltigungsopfer, Selbstmörder, Autounfallüberlebende oder auch (Lebens-)Künstler.
„Ich möchte, dass du meine Hand, auf meine Jeans legst.“, sagte er, in einem Ton, den man nicht erwartet hatte. Es war nicht die Stimme eines Erwachsenen, selbst meine Kinderstimme klang nun älter. Und die folgende Tat machte mich auf eine gewisse Art zu einer Hure. Aber ich tat es. In meinem kindlichen Verstand war es nichts Schlimmes. Es fühlte sich weder schmutzig an, noch fühlte ich mich missbraucht. Erst Jahre später, als ich mich daran zurückerinnerte … ich hatte diesen Abend lange Jahre vergessen … er war irgendwann später, als der neue Kassettenrekorder in meinen Händen war, überschattet worden, verdrängt worden. Ich wusste nicht, was ich da tat, ich machte es einfach, das ist Gegenwart, machen, dabei bleibt keine Zeit, um an gestern oder morgen zu denken, man ist mit dem Machen beschäftigt.
Ich saß mit dem neuen blinkenden und blitzenden Kassettenrekorder (inklusive CD-Fach) in meinem Zimmer. Den Alten hatte ich aufgebrochen. Das Tape hatte ich mit einem Bleistift, den ich in das rostige Rädchen stopfte (wo das Magnetband drum gewickelt wurde), wieder aufgerollt. Ganz sachte und vorsichtig, wie ein liebevoller Mann beim ersten Mal, und den Riss hatte ich mit Tesaband geklebt.
Und nun war es mir möglich, die andere Seite der Schneekönigin zu hören. All die tausend und dreizehn Enden, die damals noch in meinem Kopf waren, nicht wie heute, wo sie verschollen, wo ich sie doch niemals aufschrieb, waren magischer gewesen, als das triviale Ende der Kassette auf der fehlenden Seite der Schneekönigin. Dies war eine Allegorie für das traurige Ende meiner traurigen Kindheit. Die schrecklich dumme B-Seite läutete für mich die Hölle ein, in der ich seither irre.
Der Mann kam nicht mehr. Er war nur noch das eine Mal gekommen, um sein Versprechen einzuhalten, das machte ihn auch auf eine Art edel, womöglich edler, als mein Vater je war, der noch immer Männer nach der Arbeit mit nach Hause brachte, die seine Witze nicht hören wollten, nur sein Bett teilten. Ich tat es ihm nun gleich. Mein Aussehen machte es kinderleicht. Ich treib durch die Betten wie das Mädchen im Lied von AleX Page durch die Luft wirbelte. AleX sang darin von einem Mädchen, das angestachelt von Werbespots, Filmen und dem gängigen Ideal, aufhörte zu essen. Es ging ganz leicht. Sie musste nun nicht einmal mehr kotzen. Und sie wurde immer leichter, unscheinbarer. Sie wurde so dünn wie Papier, fast zweidimensional. Und eines Tages wurde sie vom Winde erfasst, wie eine Feder… Sie schwebte endlich durch die Luft, nichts kommt dem Gefühl von Fliegen gleich. Wie ein Drachen flog sie gefährlich nah an Strommasten vorbei, sang AleX, aber ohne Schnurr, daher verfing sie sich auch nicht. Über den kaputten Antennen und Satellitenschüsseln schwebte sie, die Zoes zurückgebliebener Freund Nox so gerne demolierte auf dem Dach. Sie schwebte aus der Stadt und hinein in die Wälder, wo keine Menschen lebten.
Dann ging es irgendwann wie auf einer steilen Rutsche los (steil reimt sich auf geil), tausend und dreizehn Männer. Alles mischte sich in Erinnerungen, nichts blieb erhalten. Ich griff jeden Abend um meine Taille und war versucht zuzudrücken. Nie würde ich A und B Seite gleichzeitig hören können … Ich beschloss den finalen Schritt zu tun, ohne die Schublade mit der Bibel anzurühren. Dann kam der Roomservice-Kerl hinein. Ich erkannte ihn nicht. Er erkannte mich. Und lächelte … (lange Haare, aus dem Grund, damit sein schüchternes, respektive hässliches Gesicht zu kaschieren, wie durch einen Vorhang)
„Nie kann man geben und erhalten in selben Augenblick! Nie kann man ein und ausatmen im selben Moment“, faselte ich im Wahn, ohne ihn anzuschauen.
„Pah. Blödsinn!“, lachte er mich schnippisch, ja, lasziv und irgendwie feminin an und zog an seiner Kippe und atmete gleichzeitig aus und vice versa.
„Habe ich von einem Typen gelernt, der so ein komisches Blasrohr-Instrument spielte. Ist ganz leicht, wenn man es erstmal gelernt hat. So leicht wie sagen wir mal Malefiz zu spielen…“
Ich riss die Schublade raus und beschmiss den Typ mit der roten Mütze mit der Bibel.
„Er hat dir nie danken können, für deine Musik und dein Foto. Das hat er lange mit sich rumgeschleppt und irgendwann hat er dann Schluss gemacht mit mir. Es brach mir das Herz. Er sagte mir einen Satz, den ich dir sagen wollte, falls du jemals in dieses Hotel zurückkommen solltest. Nun ist der Moment dafür.“
Ich brachte keinen Ton mehr raus.
„Es ist möglich A und B Seite gleichzeitig zu hören. Kinderleicht wie Malefiz-Spielen, Man dupliziert das Tape und spielt beides zur selben Zeit ab!“
Dann erhob der Portier sich und verließ grinsend den Raum, schloss die Tür hinter sich und ließ mich mit meinen Gedanken allein. Das sollte es nun also sein! Na – fein …
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