Püttmanns ehrliche Grabreden 3. Folge

Doppelpack

Penner Kalle war verduftet. Et melmte in unserer Zweizimmerhucke so erbärmlich nach seinen widerlichen Ausdünstungen, dat wir alle Fenster aufreißen mussten.
Bis zu Lissis Abschiedsfeier waren et nur noch zwei Tage. Sofort begann ich mit den Vorbereitungen für meine erste, b e z a h l te Trauerrede.
„Bertaaa!“, rief ich, „wo iss der verdammte Zettel mit die Aufzeichnungen von dat Lissi?“
„Willi, wat hab ich mit deinem blöden Spickzettel zu tun? Den hasse gestern aufe Brottrommel gelegt, dat hab ich gesehen.“
Nach stundenlanger Suche und Fragerei wurd ich gewahr, dat unser Sohn Max die wertvollen Aufzeichnungen inne Mülltonne gekloppt hatte.
Wie bestusst hab ich draußen inne Tonnen rumgewühlt und bin bei der dritten zwischen Kartoffelsalat, Eierschalen und Kohlenasche fündig geworden. Ich sah aus wie ein Schwein. Ohne diesen wichtigen Zettel hätte ich nich ma gewusst, wo meine Festrede stattfinden sollte. Dat dicke Honorar wär uns fast durch die Lappen gegangen!
Erleichtert rief ich: „Bertaaa! Hab ihn! Hömma, Berta, da iss noch wat zu besprechen. Bügel ma wacker den Hochzeitsanzug auf, vielleicht kannze unten anne Beine noch ne Naht raustrennen, dann wird der son bissken länger. Opas Krawatte und den Schappoklack such auch ma flott. Alle Klamotten liegen auffem Speicher in Opas Überseekoffer.“
„Willi, wat iss dat denn für’n vornehmen Ausdruck - Schappoklack?“
„Berta, son Dingen haben die feinen Leute bei Trauerfesten auf’m Kopp. Dat iss son schwatten Zylinder, den kannze zusammenklappen, dann macht dat ‚klack’. Da ich durch dat Programm führe, muss ich unbedingt son Apparat aufe Birne haben. Dat macht schwer Eindruck, verstehsse? Und komm endlich inne Gänge, ich will heute noch mein Outfit im Spiegel betrachten!“
Berta reagierte normalerweise auf meine Befehle und vornehme Ausdrucksweise bösartig, sie gab heute ausnahmsweise ma kein Widerwort. Sie akzeptierte still grollend, dat i c h jetz der Chef im Ring war. Sie erkannte, dat unser künftiget Wohlergehen allein von m i r abhing!

Freitag, pünktlich um zehn, stand ich an der verabredeten Grube. Ich war bestens vorbereitet.
Kalle und zwei schrecklich abgerissene Figuren lungerten schon anne Grabstelle rum und tuschelten miteinander. Ich trat grüßend zu ihnen. Da fragte mich doch tatsächlich der beknackte Kalle:
„Bisse wirklich der W-willi Püttmann, m-m-mit dem ich vor zwei Tage allet bequatscht hab?“ Der Blödmann hatte mich in meinem vornehmen Aufzug nich erkannt!
„Kalle, bisse schon am frühen Morgen wieder so voll, dasse mich nich erkennen tus?“
„W-wa ja nur ne F-f-frage.“
„Kalle, wo stecken dat Lissi, und die anderen Trauergäste?“
„Willi, son Mo-moment musse dich noch gedulden. S-s-sechs Kollegen holen die g-gerade ausm Kühlhaus.“ Während er antwortete, hatte er n leichten Linksdrall.
Nach zehn Minuten kamen sechs abgewrackte Gestalten keuchend den langen, steilen Friedhofsweg hochgelatscht, sie trugen ne Kiste aufe Schultern. Dat mussten dat arme Lissy und die restlichen Trauergäste sein. So war et.
Schwitzend stellten die erschöpften Kerle die Lissy rechts vom Grabrand ab.
In diesem Moment fing et furchtbar an zu plästern. Der Lehmboden war im Nu weich wie Butter. Niemand hatte n Schirm. Ich fragte:
„Kommen noch mehr Kollegen oder Kolleginnen? Kann ich anfangen?“
Kalle antwortete kurz und knapp: „F-fang an.“
Ehrlich, ich hatte son bissken Lampenfieber. Mir war klar: Die Kerle erwarteten für dat Geld ne professionelle Rede.
„Guten Morgen, Glück auf! Scheiß Wetter heute. Kommt ma son bissken näher, ich beiß nich.“ Die Trauergestalten bildeten murrend n Halbkreis.
„Ja, meine Lieben, jetz habt ihr dat Theater. Dat Lissi iss hinüber, meine natürlich – hinübergegangen in eine bessere Welt. Ohne jede Ankündigung lag se Montagmorgen total tot im Stadtpark. Ich kann gut verstehen, dat ihr ganz schön sauer seid. Sie hätte sich vorher wenigstens ordentlich abmelden können, man muss sich ja schließlich auf sonne Situation vorbereiten.
Ihr steht hier also verdattert und sprachlos vor der Lisbeth Lusenkamp, eurer lieben Weggefährtin in warmen wie in kalten Nächten. Ihr habt heute Gelegenheit, ihr zu verzeihen, dat se sich einfach so aussem Staub gemacht hat.
Wie ich sehen tu, habt ihr die geklauten Blumen vom Bahnhofsvorplatz und Stadtpark inne Hände, die werft gleich schön brav auf eure Lissi, die freut sich darüber.
Seid nich traurig, glaubt mir, dat Lissi lebt, ja, sie lebt in eurer Erinnerung weiter, die iss nur im Moment son bissken weiter weg.
Ich denke, dat die Sack ..., ääh ..., die Sargträger, sich von ihrem anstrengenden Marsch lang-sam erholt haben und bitte euch nun, dat Lissi schön langsam inne Erde zu tun.
Also, allet hört auf mein Kommando: Heeebt an! Gut so, langsam, langsam, stolper nicht, du Trottel! Sooo, jetz schön sachte, sachte weiter runter. Fertig, ausgezeichnete Arbeit! Ihr anderen dürft klatschen.“ Dat taten se auch wie berauscht und freuten sich wie die Blagen.

„Passt ma gut auf, euch vergeht gleich die Begeisterung. Wer von euch iss der Hännes Kowalski? Iss der Kotzbrocken hier?“ Kalle zeigte mit ausgestreckter Hand in Richtung Weg und lallte: „D-da, da kommt er.“
Nee, wat hatte ich mir mit dieser Beerdigung angetan!
Da wankte der zehnte Trauergast sternhagelvoll auf uns zu, hatte noch ne Pulle Schnaps inne Hand und reichte die hier rum. Jetz wurd ich aber ösig.
„Verdammte Schluckspechte, wat seid ihr für ehrlose Halunken, könnt ihr dat Saufen nich ma während der Trauerrede unterbrechen?“
Kalle klärte mich auf:
„Willi, r-r-reg dich nich auf, wir sind sehr, sehr t-r-r-aurig und müssen uns ab und zu ma stärken. Ob vor, da-dabei oder nach der T-r-r-auerfeier, dat iss der Lissi heute scheißegal.“
„Gut“, sachte ich, „dat iss einleuchtend.
Hännes Kowalski, komm du ma nach vorne.“
Der Hännes wankte zum Grabrand und glotzte mich fragend an.
„Hännes, du biss an Lissys Tod der Hauptschuldige, du hass der armen Lisbeth fünfmal die Ehe versprochen, sie hat dir sogar Lesen und Schreiben beigebracht. Wat war mit die Heiraterei. Nix war. Du mieser Sack hass dat Lissi schändlich belogen, und wie ich aus sicherer Quelle erfuhr, auch mehrfach beklaut. Du biss der längste und stinkigste Sargnagel an ihrer Kiste. Wärsse nich mit ner anderen Schlampe abgehauen, wär dat arme Lissi noch am leben!“
Hännes fuhr sich nervös durch die nassen Strähnen und kuckte verschämt zur Seite.
Ich war noch nich fertig mit dem widerlichen Patzköttel:
„Lissi hat sich wegen deiner Untreue bei klirrendem Nachtfrost in den Park gelegt und iss voll – und voller menschlicher Enttäuschung in einem Krokusbeet erfroren.
Stumpen Jupp und Schienen Kalle tretet auch vor. Die beiden schlurften gehorsam zum Grab.
„Auch ihr beiden Piesepampel habt mit dem Lissi n Klüngel gehabt, konntet ihr nich besser auf dat Mädchen aufpassen? Ich kann dat Lisbeth gut verstehen, dat se nix mehr von euch Tippelbrüdern wissen wollte. Sie hatte von euch allen die Schnauze voll! Schämt euch!“
Junge, ich war vielleicht in Fahrt. Ich sah bei den meisten Unglücksvögeln die ersten Krokodilstränen ausse Ölaugen quellen. Ich verurteilte die gesamte Trauergesellschaft:
„Ihr sagt jetz alle im Chor: „Lissi, dat tut uns allet sehr leid, Lisbethchen, bitte, bitte, verzeih uns.“
Die Saufköppe wiederholten den Satz und heulten dabei Rotz und Wasser.
„So“, sachte ich, „jetz nehmt die Pannschüppe und die geklauten Blumen und wünscht der Lissi: ‚Gute Reise’!“
Kaum hatte ich ausgesprochen, da passierte et. Ich traute meinen Augen nicht. Nee, wie furchtbar! Der Hännes Kowalski torkelte zum Grabrand, wollte gerade mit Schmackes ne Schüppe Dreck auf dat Grab werfen, da rutschte der Kerl auf dem sauglatten Lehmboden aus, fiel seitwärts in die Grube und knallte mit dem Kopp auf die Kiste.
Wir erstarrten. Der Hännes lag besoffen auf der Lissi.
„Hännes, mach kein Scheiss, komm endlich wieder rauf, mach hier keine Spirensken!“
Er antwortete nich. Ich fasste mich schnell und kommandierte: „Vier Mann, ab inne Grube, hievt den Hännes hoch!“
Gehorsam rutschten vier Freiwillige auf dem glitschigen Lehm in dat Loch, hoben den Hännes fluchend nach oben, zwei Kameraden nahmen ihn in Empfang und legten ihn neben den Erdaushub.
Mit weit aufgerissenen Augen lag der Hännes inne Matsche, er hatte nen Gesichtsausdruck als wär ihm unten der Leibhaftige begegnet. Er rührte sich nich mehr. Ich fühlte seinen Puls, da gab et gab nix mehr zu fühlen! Wiederbelebungsversuche mit die Knie auf seine Brust und n paar saftige Ohrfeigen waren ebenfalls erfolglos. Der Hännes war hin! Wat nu?
Ausgerechnet bei meiner ersten bezahlten Trauerrede musste so wat passieren!

Vorsichtig peilte ich nach allen Seiten, rief die schockierten Kerle zu mir und trug meinen Plan vor:
„Hört jetz ma gut zu, kommt ma son bissken näher. Dat wat ich euch jetz sagen tu, iss streng geheim. Wir haben hier ne total beschissene Situation. Dat Lissi hat sich bitter gerächt. Die hat den Hännes eiskalt zu sich geholt. Die hatte übermenschliche Kräfte, so wat gibt et. Sie hat im Tod noch gesiegt, dat war ne wirklich starke Leistung von der Frau! Dat iss hier kein Traum! Normalerweise müssten wir jetzt von wegen Todesursache und son anderen Unfug, den Arzt und die Bullen rufen, wollt ihr dat?“
Alle schüttelten bei dem Wort „Bullen“ verängstigt die Köppe. Flüsternd sprach ich weiter:
„Ihr müsst jetz auch an den Hännes denken. Dat iss eure verdammte Pennerpflicht. Wie mir der Kalle sachte, hatte der Hännes keine Angehörigen, nur euch. Et tut ihn also keiner vermissen, nur son paar schrappige Wirte, weil da noch n paar Saufpicken offen sind. Ich frag euch: Wat wär wohl Hännes letzter Wunsch gewesen?“
Ich wartete die Antwort nich ab. Ich konnte ihre Gedanken lesen.
„Richtig“, sachte ich, „genau, dat hab ich auch gedacht. Der Hännes wäre am liebsten besoffen auf seine Fünffachverlobte gefallen, um mit ihr vereint, diese schöne Welt zu verlassen.
Ihr müsst auch nich wieder für ne neue Kiste sammeln, und kein Honorar für den Hännes latzen.“ Alle hatten verstanden.
Langanhaltender Beifall – und die Schnapspulle, ja, die kreiste natürlich wieder nach dieser genialen Lösung. Ich sachte zu den Trauerweiden:
„Bildet ma son Sichtschutz, und dann schnell runter mit dem Hännes. Legt ihn schön mit Bauch und Gesicht auf die Kiste, Blickrichtung Lissi. Opfert zwei Jacken und dann schnell zuschaufeln, bevor hier noch jemand blöde Fragen stellt. Ich verdrück mich ma ne Weile, ich hab nix gesehen. Pfeift kurz, ich komm dann und sprech noch n paar Worte.“
Ruckzuck war dat Loch zu.
Nach dem verabredeten Pfiff hab ich den Spritköppen noch ma die Leviten gelesen:
„Ihr habt jetzt mit die eigenen Augen gesehen, wat passieren tut, wenn man son erbärmlichen Lebenswandel führt. Lissi und Hännes sind tot, Tote halten zusammen. Passt auf, dat se euch nich auch noch holen. Hört auf mit der Sauferei, geht malochen, sucht ne feste Bleibe und nehmt euch ne anständige Frau, dann hat euer Leben wieder Sinn. Wenn ihr wollt, werft jetz die restlichen Blümkes auf die beiden und singt noch ein Abschiedsliedchen.“
Wat meinen Sie wohl, wat die Arschgeigen hier am Grab gesungen haben. Man glaubt dat nich, die sangen doch tatsächlich:
„Einer geht noch, einer passt noch rein!“

Autor
Wolfgang M. A. Bessel
http://www.bessel-autor.info
 



 
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