para_dalis
Mitglied
"Weisst du? Es ist doch gar nicht so schwer!
Wenn man Glück sieht, hat man es. Wenn man allerdings zuviel Glück sieht, geht es verloren. Man nimmt es kaum noch wahr und plötzlich ist es verschwunden."
Ich feierte am Tag zuvor meinen fünfzehnten Geburtstag und frage mich, was mir Mutter damit sagen will. Doch ich bin zu faul zum fragen. Diese Stimmungen habe ich derzeit öfter. Ich sage dann einfach nichts, obwohl es in meinem Kopf brodelt. Mutter meint dann, ich wäre verstockt oder: "Nun sei nicht immer so unzufrieden..." Auch dann äußere ich nichts. Was Mutter natürlich noch mehr aufregt. Jedenfalls schleppt sie mich zu dieser Ausstellung und ich wäre doch lieber im Bett geblieben.
Meine Mutter ist manchmal äußerst merkwürdig. Und manchmal ist sie mir auch peinlich. Dann muss ich aufpassen, dass sie es nicht bemerkt, es würde sie kränken.
Neulich beispielsweise die Sache mit der Sparkasse. Mutter wollte vom Automaten Geld holen. Das ist nichts besonderes, das hat sie schon viele Male zuvor getan.
Allerdings nicht in der Stadt, in der wir uns gerade aufhielten. Wir betraten den Innenhof der Sparkassenanlage. Architektonisch ein Meisterwerk, wie mir Mutter, die einen Architekten als Freund hat, pausenlos versicherte.
Dieser Freund... doch dazu später.
Mutter also steckte ihre Bankcard in den dafür vorgesehenen Schlitz und die Tür der Sparkasse öffnete sich. Sie ging rein, die äußere Tür schloss sich wieder, obwohl sich die innere Tür noch nicht öffnete. Mutter rannte wieder raus. Ich war erstaunt über ihren plötzlichen Panikanfall, doch verkniff mir jegliche Bemerkung.
"Nimm bitte meine zweite Karte zum Tür öffnen, falls ich nicht wieder herauskomme!"
Ich nahm also ihre Karte und Mutter startete einen zweiten Versuch. Natürlich kam Mutter ohne meine Hilfe aus der Sparkasse. Ihre Panik hielt an und sie kramte geraume Zeit in ihrer Handtasche, bis sie die Sonnenbrille fand und sie wieder auf ihrer Nase hatte.
"Starr mich nicht so an!" schimpfte sie.
Meine Mutter und ich sind gezwungen, miteinander volle sechs Wochen zu verbringen. Das hat mit meiner Krankheit zu tun. Wahrscheinlich verhält sich Mutter deshalb so. Jedenfalls wohnen wir gemeinsam in einer Wohnung, die zwar ähnlich groß unserer zu Hause ist, in der wir uns aber nicht heimisch fühlen. Zu viele fremde Dinge umgeben uns.
"Also nein, das darf doch nicht wahr sein!" höre ich Mutter aus dem Wohnzimmer rufen.
"Was denn?"
"Sieh mal hier..." ich schaue in den geöffneten Schrank und lese einen extra angebrachten Zettel: Literatur zum mitnehmen.
"Und?"
"Sieh genauer hin, sei doch nicht immer so oberflächlich!"
Ich krieche fast in den Schrank, um zu erkennen, warum Mutter sich so aufregt.
-Leid nicht von Gott verursacht -
und
-In der Bibel wird uns die Zusicherung gegeben, dass das Leid, das uns umgibt, nicht von Jehova Gott verursacht worden ist... -
Überall Schriften über die Zeugen Jehovas.
Unsere Vermieter sind also Zeugen Jehovas.
Bald werden wir von Wachtürmen erschlagen werden.
Man sollte es nicht für möglich halten, doch bisher hatte mich der Glauben im allgemeinen und Jehova im Besonderen nicht weiter interessiert. Sie stehen auch an unseren Kaufhallen um die Menschheit zu bekehren. Es war also nichts außergewöhnliches. Es ist mir völlig gleich, dass hier überall religiöse Schriften verteilt sind. Und ich verstehe auch Mutters Empörung nicht so ganz. Erst gestern hatte sie in einer katholischen Kirche eine Kerze angezündet... obwohl sie ja Atheistin ist. Und nun die ganze Aufregung, nur weil wir bei den Zeugen Jehovas eingezogen sind? Mutter ist wirklich manchmal sehr komisch. Auch jetzt wieder.
Sie tippt auf ihrer Tastatur. "Was schreibst du da über mich?" frage ich sie.
Mutter schiebt mir den Rechner entgegen.
Sie führt Tagebuch. Jeder Tag meiner Behandlung wird dokumentiert.
Ich bin nicht sicher, ob ich das so haben will. Schließlich vermeide ich bereits die vergangenen zwei Jahre jegliche Diskussion darüber und bringe einfach alle notwendigen Untersuchungen und Behandlungen hinter mich. Der Gerechtigkeit halber sollte ich erwähnen, dass meine Mutter auch mich zum schreiben brachte. Zuvor malte ich Sonnenuntergänge, bis mich diese Art der Beschäftigung langweilte. Ich lasse Mutter also schreiben und kümmere mich meist nicht um ihre Texte.
Die kranke Frau im Warteraum ist allerdings schon eine Beschreibung wert...
Wenn man Glück sieht, hat man es. Wenn man allerdings zuviel Glück sieht, geht es verloren. Man nimmt es kaum noch wahr und plötzlich ist es verschwunden."
Ich feierte am Tag zuvor meinen fünfzehnten Geburtstag und frage mich, was mir Mutter damit sagen will. Doch ich bin zu faul zum fragen. Diese Stimmungen habe ich derzeit öfter. Ich sage dann einfach nichts, obwohl es in meinem Kopf brodelt. Mutter meint dann, ich wäre verstockt oder: "Nun sei nicht immer so unzufrieden..." Auch dann äußere ich nichts. Was Mutter natürlich noch mehr aufregt. Jedenfalls schleppt sie mich zu dieser Ausstellung und ich wäre doch lieber im Bett geblieben.
Meine Mutter ist manchmal äußerst merkwürdig. Und manchmal ist sie mir auch peinlich. Dann muss ich aufpassen, dass sie es nicht bemerkt, es würde sie kränken.
Neulich beispielsweise die Sache mit der Sparkasse. Mutter wollte vom Automaten Geld holen. Das ist nichts besonderes, das hat sie schon viele Male zuvor getan.
Allerdings nicht in der Stadt, in der wir uns gerade aufhielten. Wir betraten den Innenhof der Sparkassenanlage. Architektonisch ein Meisterwerk, wie mir Mutter, die einen Architekten als Freund hat, pausenlos versicherte.
Dieser Freund... doch dazu später.
Mutter also steckte ihre Bankcard in den dafür vorgesehenen Schlitz und die Tür der Sparkasse öffnete sich. Sie ging rein, die äußere Tür schloss sich wieder, obwohl sich die innere Tür noch nicht öffnete. Mutter rannte wieder raus. Ich war erstaunt über ihren plötzlichen Panikanfall, doch verkniff mir jegliche Bemerkung.
"Nimm bitte meine zweite Karte zum Tür öffnen, falls ich nicht wieder herauskomme!"
Ich nahm also ihre Karte und Mutter startete einen zweiten Versuch. Natürlich kam Mutter ohne meine Hilfe aus der Sparkasse. Ihre Panik hielt an und sie kramte geraume Zeit in ihrer Handtasche, bis sie die Sonnenbrille fand und sie wieder auf ihrer Nase hatte.
"Starr mich nicht so an!" schimpfte sie.
Meine Mutter und ich sind gezwungen, miteinander volle sechs Wochen zu verbringen. Das hat mit meiner Krankheit zu tun. Wahrscheinlich verhält sich Mutter deshalb so. Jedenfalls wohnen wir gemeinsam in einer Wohnung, die zwar ähnlich groß unserer zu Hause ist, in der wir uns aber nicht heimisch fühlen. Zu viele fremde Dinge umgeben uns.
"Also nein, das darf doch nicht wahr sein!" höre ich Mutter aus dem Wohnzimmer rufen.
"Was denn?"
"Sieh mal hier..." ich schaue in den geöffneten Schrank und lese einen extra angebrachten Zettel: Literatur zum mitnehmen.
"Und?"
"Sieh genauer hin, sei doch nicht immer so oberflächlich!"
Ich krieche fast in den Schrank, um zu erkennen, warum Mutter sich so aufregt.
-Leid nicht von Gott verursacht -
und
-In der Bibel wird uns die Zusicherung gegeben, dass das Leid, das uns umgibt, nicht von Jehova Gott verursacht worden ist... -
Überall Schriften über die Zeugen Jehovas.
Unsere Vermieter sind also Zeugen Jehovas.
Bald werden wir von Wachtürmen erschlagen werden.
Man sollte es nicht für möglich halten, doch bisher hatte mich der Glauben im allgemeinen und Jehova im Besonderen nicht weiter interessiert. Sie stehen auch an unseren Kaufhallen um die Menschheit zu bekehren. Es war also nichts außergewöhnliches. Es ist mir völlig gleich, dass hier überall religiöse Schriften verteilt sind. Und ich verstehe auch Mutters Empörung nicht so ganz. Erst gestern hatte sie in einer katholischen Kirche eine Kerze angezündet... obwohl sie ja Atheistin ist. Und nun die ganze Aufregung, nur weil wir bei den Zeugen Jehovas eingezogen sind? Mutter ist wirklich manchmal sehr komisch. Auch jetzt wieder.
Sie tippt auf ihrer Tastatur. "Was schreibst du da über mich?" frage ich sie.
Mutter schiebt mir den Rechner entgegen.
Sie führt Tagebuch. Jeder Tag meiner Behandlung wird dokumentiert.
Ich bin nicht sicher, ob ich das so haben will. Schließlich vermeide ich bereits die vergangenen zwei Jahre jegliche Diskussion darüber und bringe einfach alle notwendigen Untersuchungen und Behandlungen hinter mich. Der Gerechtigkeit halber sollte ich erwähnen, dass meine Mutter auch mich zum schreiben brachte. Zuvor malte ich Sonnenuntergänge, bis mich diese Art der Beschäftigung langweilte. Ich lasse Mutter also schreiben und kümmere mich meist nicht um ihre Texte.
Die kranke Frau im Warteraum ist allerdings schon eine Beschreibung wert...