Pult

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lapismont

Foren-Redakteur
Teammitglied
Pult

In den grünen Kahn
steig,
kleine Schabe,
doch bleib
bei den braven Mädchen,

Kleine.

An den Ufern
werfen sie die Angel aus
an den Haken
quälen sich Würmer
an den Rudern,
deine Arme.

Pull Kleine!
Zieh endlich Leine!

Grünes Boot in giftigen Dämpfen,
jeder hier fischt im Wasser
der Massen,
teilt es mit Fingern,
es frisst an der Haut.

Deine Knochen staken bleich
durch den Rest.
Was hält die Gebeine zusammen,
die kleinen Knorpel?

Pull
übers Meer,
durch die fleischige Leere
treib mit dem Müll durch strömende Gülle,
atme das Grauen und sieh,
wie es grinst.

Doch pull,
kleine Schabe,
lass dich bloß entkommen,
der Rückweg ist frei,
für die ernsthafte Lache
aus Blei.
 
H

Heidrun D.

Gast
Oh je, Ralf,
das ist eine noch härtere Nuss als die mittlerweile versteinerte Bulette ...

Zunächst zum Formalen, weil einfacher zu begutachten:

An den Ufern
werfen sie [strike]die Angel [/strike] Angeln aus
[blue]hier ist m. E. eine Silbe zuviel[/blue]
an den Haken
quälen sich Würmer
...
Doch pull,
kleine Schabe,
lass dich [strike]bloß[/strike] entkommen,
[blue]oder evtl.: lass bloß dich entkommen[/blue]
der Rückweg ist frei,
für die ernsthafte Lache
aus Blei.

An diesen zwei Stellen melde ich klangliche Bedenken an. Das ganze Restgedicht schmiegt sich aber diesbezüglich vortrefflich.

Es folgen mehrere Lesarten.
Die Schlichteste, dass es sich tatsächlich um das ungeliebte Schabentier handeln könnte, ist wohl zu verwerfen.

Die zweite, die sich um das Wort "grün" rankt ;), ist ebenfalls zu offensichtlich, wenn auch in diesem Zusammenhang sehr witzig. :D

Ich neige bis jetzt zu einer dritten, die auch mit Literatur zu tun hat (sonst bekomme ich das Pult gar nicht unter).
Vielleicht handelt es sich um eine aufstrebende Poetin, die sich nicht beirren lassen soll, trotz des Grauens, das sie täglich umbrandet. :D:) Übertroffen noch vom markig-doppeldeutigem "Zieh endlich Leine." Doch:
jeder hier fischt im Wasser
der Massen,
teilt es mit Fingern,
es frisst an der Haut.
Wie wahr und wie wunderbar: "teilt es mit Fingern und frisst an der Haut."
atme das Grauen und sieh,
wie es grinst.
Am Ende noch eine interessante Doppeldeutigkeit:
der Rückweg ist frei,
für die ernsthafte Lache
aus Blei.
Einerseits die bleierne Lache (Pfütze), andererseits ein bleiernes (zynisches) Lachen.

Ganz toll, wenn die Intention vielleicht auch eine ganz andere war ...

Grüßle
Heidrun
 
M

mirami

Gast
hallo lapismont,

wie fast immer bei deinen werken, ist auch dieses vielseitig interpretierbar.
ausgezeichnet! denn solche gedichte zeichnet aus, dass der leser aus seiner persönlichen gedankenwelt ein thema auswählen und hineinlegen kann, das in seinen gedanken vorkommt. und das gedicht bleibt dann trotzdem stimmig und passt wie die faust aufs auge. ohne rücksicht auf die intension des verfassers... :)

ich las es als einen liebevoll besorgten apell an eine junge aktivistin. (z.b. greenpeace, wegen der grünen schiffe) die rede könnte von einem partner, dem vater, einem dozenten, einem engagierten mitstreiter stammen. „kleine schabe“ ist ein niedliches kosewort. :)

wie gesagt, ich find es ausgezeichnet! gern gelesen!

lg
mirami
 

lapismont

Foren-Redakteur
Teammitglied
Moin,

@Heidrun
Danke für die beiden Hinweise, habs übernommen.
Ja, der Text dreht sich wieder um mehrere Themen gleichzeitig. Besonders hat es mir "Pult" angetan, dass quasi nur am Satzanfang oder hier im Titel seine Doppelbedeutung ausspielen kann (wenn man die Aussprache berücksichtigt).
Schreibt mans klein, muss man sich festlegen. Solche Dinge liebe ich!
:)

@mirami
Auch Dir Dank. Deine Interpretation ist ja genauso spannend, wie Lesarten von Heidrun!
Auch ich kenne Leute, die "Schabe" als Kosewort gut finden. Was natürlich zu Komplikationen führen könnte. "Komm her meen kleenet schäbijet Schäbchen..."

cu
lap
 

lapismont

Foren-Redakteur
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Pult

In den grünen Kahn
steig,
kleine Schabe,
doch bleib
bei den braven Mädchen,

Kleine.

An den Ufern
werfen sie Angeln aus
an den Haken
quälen sich Würmer
an den Rudern,
deine Arme.

Pull Kleine!
Zieh endlich Leine!

Grünes Boot in giftigen Dämpfen,
jeder hier fischt im Wasser
der Massen,
teilt es mit Fingern,
es frisst an der Haut.

Deine Knochen staken bleich
durch den Rest.
Was hält die Gebeine zusammen,
die kleinen Knorpel?

Pull
übers Meer,
durch die fleischige Leere
treib mit dem Müll durch strömende Gülle,
atme das Grauen und sieh,
wie es grinst.

Doch pull,
kleine Schabe,
lass dich entkommen,
der Rückweg ist frei,
für die ernsthafte Lache
aus Blei.
 



 
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