Qual der Wahl

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Klaus K.

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Betty Bernard war jetzt 37 und hatte den “Richtigen” immer noch nicht gefunden. Und das, obwohl sie blendend aussah, sie war gertenschlank, klug und attraktiv.

Was hatte sie nicht alles versucht? Den Rock etwas kürzer, jeden Monat eine andere Frisur, die Haare mal blond, mal schwarz, mal rot…. Entweder waren die Männer bereits verheiratet und suchten ein Abenteuer, oder sie tuschelten Anzüglichkeiten hinter ihrem Rücken, oder aber sie waren ihr einfach zu dumm. Sie war am Verzweifeln, außer flüchtigen Bekanntschaften, die sie dann nach kürzester Zeit wieder löste, wollte ihr einfach kein passender Mann um die vierzig ins Netz gehen. Und alle ihre Freundinnen, die beileibe weder ihren Antritt noch ihren Auftritt hatten, waren längst unter Dach und Fach. “Mutter mit Kind und Mann” war das Ziel gewesen, und nun sahen sie auch ganz danach aus. Aber sie schienen absolut zufrieden zu sein, ganz im Gegensatz zu ihr. 37! Das mit dem Kind konnte sie langsam vergessen, ihre diesbezügliche innere Uhr meldete sich kaum noch, aber die Sache mit dem Mann, das musste doch wenigstens klappen - wenn jede 30-jährige mit zu dicken Oberschenkeln, unmöglich damit aussehenden Leggings, einem Hinterteil wie ein Ackergaul und strähnigen Haaren längst einen passenden Partner gefunden hatte!

Was machte sie falsch? Einer ihrer Verehrer hätte ja ins Beuteschema gepasst, aber der war erst 28. Keine guten Voraussetzungen, wenn man weiss, wie Männer ticken, wenn ihre Frauen älter werden. Und der andere Kandidat - hmmm, der war bereits 55, und sie hatte keine Lust, frühzeitig einen nicht mal wohlhabenden - weil geschiedenen und kräftig zahlenden Mann - als Pflegefall zu versorgen. Nein danke! Es musste schon passen, der Altersunterschied durfte nicht zu gross sein.

Ein Internet-Chatroom? “Hier treffen sich Gleichgesinnte!” hieß es in der Werbung. Um Gottes Willen - nie, nie wieder! Diese Typen lernte man nie richtig kennen, sie verstellten sich und hatten nur eins im Sinn…. persönlichen Kontakt, und dann husch, husch ins Körbchen oder Schlimmeres. Die Anzahl der Durchgeknallten, Verklemmten und Psychopathen war dort einfach unglaublich, die Chance, den Einen zu finden betrug wahrscheinlich eins zu 10 Millionen… nein danke!

Eine “Partner-Agentur“? Rosa Nelke im Knopfloch, Treffen im “Cafe Mozart” oder beim “Ball der einsamen Herzen”? Igitt! Das Fitness-Studio schien der letzte Ausweg, aber die Exemplare dort waren überall zu glattrasiert und hatten viele Muskeln, aber leider nicht im Kopf. Das waren keine Männer, das waren selbstverliebte Egomanen, die glaubten, mit etwas Tiroler Nussöl und gegelten Haaren jede Frau aufreissen zu können, damit sie am nächsten Morgen was erzählen konnten. Überwiegend hirnloses Gesindel, eine simple Frage wie die nach der Hauptstadt von Burkina Faso durfte man da nicht stellen, nein danke!

Dann kam ihr die Idee. Kontaktanzeige ja, aber eben ganz anders! Mal sehen, was sich in einer Kleinstadt mit 12.000 Einwohnern da so abfischen liess….

“ Charmante und absolut seriöse 37-jährige möchte am 30.Juni einen netten Abend bei sich zuhause verbringen, mit tollem Essen und gepflegter Konversation. Dafür möchte ich drei Herren einladen. Ein Butler kümmert sich um uns. Wenn Sie zwischen 35 und 45 Jahre alt und unverheiratet sind: Kontakt unter Chiffre …. ”

Das mit dem Hinweis auf den Butler musste sein - man konnte ja nie wissen!

Auserkoren für diesen anspruchsvollen Job hatte sie Steven, den inzwischen 20-jährigen Sohn ihrer besten Freundin. Der junge Mann war einen Meter neunzig gross, gut gebaut, sportlich durchtrainiert und stand kurz vor dem Abitur. Seit er mitbekommen hatte, dass man als Butler locker bis zu 150.000 Euro jährlich verdienen konnte, wollte er nur noch eins: sofort nach der Schule eine entsprechende Ausbildung machen und dann mit seinen “Herrschaften” raus in die Welt. Steven brachte von Haus aus alle Voraussetzungen für den Abendjob mit, es war sozusagen sein Praktikum, und anständig bezahlt wurde er auch von ihr.
Sie bekam 29 Reaktionen auf ihre Anzeige. Die meisten waren dumm und garantierten nach dem Essen und der anscheinend leidigen Konversation auch gleich “auf Wunsch entsprechend mehr”. Die üblichen Idioten also - nicht einmal richtig lesen konnten sie.

Anderen war ein Lichtbild beigefügt, das sollte seriös wirken. Nein, das hatte sie nicht zur Bedingung gemacht und entschloss sich daher, drei ohne Konterfei auszuwählen, denn sie wollte sich überraschen lassen. Und bei diesen drei Auserwählten war der Text auch unverfänglich, wie zum Beispiel: “Eine tolle Idee! Ich bin 42, ledig, und würde mich freuen, wenn ich kommen dürfte!?” Na also! Sie schrieb 26 Postkarten ohne Absender, Fairness ging vor: “Leider waren Sie diesmal zu spät, die drei Plätze waren schon vergeben. Vielleicht klappt es ja beim nächsten Mal? Heike” Heike - das war gut. Niemand würde sie ausfindig machen können.

Der 30. Juni war da. Alles war vorbereitet, sie hatte an nichts gespart, einiges hatte sie selbst gemacht, anderes wie das Wild und den Käse von einem Lieferanten kommen lassen. Steven war einsatzbereit und hatte alles unter Kontrolle, den Weisswein gekühlt, den Rotwein dekantiert, er freute sich auf seinen Einsatz. Eine elegante schwarze Hose mit perfekten Bügelfalten, exzellentes Schuhwerk dazu, dann ein blütenweisses Hemd mit leicht aufgekrempelten Ärmeln und eine schwarze Fliege - alles stand ihm ausgezeichnet. Er hatte zwar anfangs auf Anzug mit Weste und weissen Handschuhen bestanden, aber man musste ja nicht übertreiben.

19.30 Uhr. Es klingelte, das war ihr erster Gast. In ihrem schicken roten Kleid, das Haar naturbraun und schulterlang, mit sehr wenig und äußerst dezentem Schmuck versehen, sah sie einfach großartig aus. Sie öffnete die Tür. Vor ihr stand ein 1,80 Meter Mann in einem tadellosen Anzug und einem kleinen Blumenstrauss in der Hand. “Guten Abend, Frau Bernard! Ich bin Rolf - Rolf Frohberg. Vielen Dank für die Einladung!” Er reichte ihr den Blumenstrauss, noch in Papier verpackt.

“Herr Frohberg! Schön, dass Sie da sind, Sie sind der Erste - bitte treten Sie ein,,oh, vielen Dank!” Sie nahm die Blumen in Empfang. Tankstelle. Die Art von Sträussen, die man aus Verlegenheit noch schnell holt, wenn man Tante Frieda’s Geburtstag vergessen hatte und einfach nur sicherstellen wollte, dass man seinen Namen auf der Liste der Erben wiederfand. Entsetzlich. Steven kam zur Hilfe. “Guten Abend! Ich bin Steven, der Junior-Butler!” Und zu ihr gewandt: “Bitte lassen Sie mich das für Sie erledigen, Frau Bernard!” Er nahm ihr den widerlichen Strauss mit dem feuchten Papier ab. Der Junge hatte es drauf! “Bitte treten Sie ein, Herr Frohberg - hier entlang, bitte!” Es klingelte erneut. Sie öffnete, während Steven sich um den ersten Gast kümmerte.

“Äh…ich bin Bruno Bastian…guten Abend… Frau Bernard?” “Herr Bastian! Willkommen…ach, wie aufmerksam!” Er hatte ihr eine Rose mitgebracht. Eine einzelne rote Rose! Total daneben. Und dann trug dieser blasse, nur ca. 1,65 Meter kleine Mann auch noch einen schlechtsitzenden Anzug, Marke “Konfirmand”. Na ja… Aber Steven war bereits wieder zur Stelle. “Bitte treten Sie ein, Herr Frohberg ist schon da - und das ist Steven, er wird Sie miteinander bekannt machen!” Steven stellte sich kurz vor, als es erneut klingelte.

“Guten Abend, Frau Bernard! Vielen, vielen Dank für diese aussergewöhnliche Einladung und die grossartige Idee! Mein Name ist Alfonso Meyerbrink, und...” er zog seine linke Hand hinter dem Rücken hervor “das ist selbstverständlich ein kleines Dankeschön vorab für Sie!” Was für ein Strauss! Ohne Papier, wie es sich gehörte. Ein Arrangement aus ausgewählten Sommerblumen, kunstvoll gesteckt - eine Augenweide. Sie betrachtete ihren letzten Gast genauer. Gross genug, nicht zu schlank, nicht schön, nicht hässlich. Aber sehr gepflegt, ein tadelloser dunkelblauer Anzug, blitzend weisse Zähne. Er hatte was. “Bitte treten Sie ein. Die anderen Herren sind kurz vor Ihnen eingetroffen, und das ist Steven, unser guter Geist an diesem Abend!” “Danke! Sehr erfreut, Steven…so einen jungen Butler trifft man selten. Kompliment!” “Danke. Aber ich bin noch in Ausbildung sozusagen. Bitte folgen Sie mir!”

Steven machte die Herren jetzt miteinander bekannt, übergab dann aber sofort die Regie zurück an die Gastgeberin. “Bitte nehmen Sie Platz, meine Herren, ganz ungezwungen, wo Sie möchten. Und dann für uns alle erst einmal einen Aperitif zur Begrüssung, oder?” Betty Bernard hatte es geschafft. Drei Kandidaten gleichzeitig. Spannend!

“Was darf ich bringen, Frau Bernard?” Steven fragte natürlich die Dame des Hauses zuerst. “Einen Martini - aber bitte nicht zu dry - bei diesen charmanten Herren muss ich einen klaren Kopf behalten.” “Sehr gerne. Die Herren?” “Also - ich nehm’ ein Bier, wenn Sie so etwas haben?” Das war Frohberg. Seine Stimme dröhnte durch den Raum. Ein Bier als Aperitif. Steven verzog keine Miene. “Selbstverständlich. Und Sie mein Herr? Was darf ich Ihnen bringen?” Er fragte jetzt den Konfirmandenanzug. “Ich ... ähh…einen Weinbrand…ähhh…geht das?” “Selbstverständlich. Die Hausbar verfügt auch über einen “Cardenal Mendoza”, den Sie sicher kennen - ich möchte Sie nur auf die mögliche Alternative aufmerksam machen, bringe aber gerne auch einen deutschen Weinbrand?” Der Preisunterschied zwischen einem deutschen Weinbrand und dem genannten spanischen Brandy betrug ungefähr 800%. pro Flasche. Steven machte das gut. “Ähh…ich glaube, ich probiere dann mal den …” Verstanden. “Sehr wohl. Und Sie, mein Herr? Was darf ich Ihnen bringen?” “ Ich schliesse mich unserer reizenden Gastgeberin an - ein Martini als Aperitif ist wohl das Richtige.” Dieser Mann hatte verstanden, aber sein Wink mit dem Zaunpfahl kam zu spät. Schade, dass er nicht zuerst angesprochen worden war.

“So, meine Herren, setzen wir uns doch. Und dann möchte ich Sie bitten, sich uns allen doch kurz vorzustellen bevor wir mit dem Diner beginnen. Einverstanden?” Man setzte sich, wobei Meyerbrink als Einziger wartete, bis sie ihm gegenüber Platz genommen hatte. Als kultivierte Frau registrierte sie alles. Spreu und Weizen trennten sich bereits. “Herr Frohberg? Möchten Sie anfangen?”

“Na klar!” Er dröhnte wieder. “Also, ich bin Rolf Frohberg, Versicherungsmakler, 42 Jahre jung, unverheiratet - das liegt aber nur an der harten Arbeit! Meine Spezialität: Tierversicherungen!” “Und was kann man sich darunter vorstellen?” fragte sie, auch, um die Konversation in Gang zu halten. “Na, ich versichere alles, was kreucht und fleucht. Schweine gegen Hagel, Hähne gegen Heiserkeit, Hennen gegen Taubheit und den Hofhund vom Bauern gegen Blitzschlag! Und dann Tierkrankenversicherungen. Weil die Leute keine Kinder mehr bekommen, schaffen sie sich dann unter anderem Katzen an. Und wenn Kater Carlo dann mal nicht mehr durch die Katzenklappe kommt und anfängt zu husten - was ist dann? Entweder zum Autobahn-Rastplatz oder zum Tierarzt! Und bei der Rechnung vom Onkel Doktor haut es die meisten Tierfreunde dann aus den Socken. Deshalb brauchen sie eine Tierkrankenversicherung!” “Und Ihre diesbezüglichen Geschäfte laufen gut?” warf Meyerbrink fragend ein. “Blendend, mein Lieber! Blendend! Ah, da kommt ja mein Bier!”

Steven servierte, der Dame des Hauses natürlich zuerst. Frohberg musste warten. “Und nun vielleicht Sie, Herr Bastian?”

“Ja…äh…ich bin bei der Stadtverwaltung.” “Aha - öffentlicher Dienst! Beamter oder Angestellter?” Frohberg hakte sofort nach. “Äh… Beamter.” “Und welche wichtige Funktion üben Sie dort aus?” Meyerbrink schloss sich an. “Ähh…beim Ordnungsamt.” “Beim Ordnungsamt? Ja, ja, Ordnung muss sein! Welche Abteilung leiten Sie denn da?” Frohberg liess nicht locker. “ Na ja…ich kümmere mich …äh, na ja, die Hunde. Hundemarken, Hundesteuer. Die Marken müssen ja regelmäßig erneuert werden, wenn die Tiere überhaupt ordnungsgemäß gemeldet und registriert sind…” “Sicherlich ein interessantes Aufgabengebiet. Und Sie haben bestimmt auch viel Publikumsverkehr. Das ist bestimmt nicht immer einfach - diese Hundehalter sind eine Spezies für sich, oder?” Das war Meyerbrink. Er hatte die Situation sofort erfasst und baute dem etwas angeschlagen wirkenden Halsband-Kontolleur eine goldene Brücke. Betty Bernard konstatierte: Der Mann hatte Feingefühl, eine seltene Gabe. "Ja… genau…Sie sagen es!”

Bevor er sich weiter äussern musste, ergriff sie das Wort, auch weil es sie am meisten interessierte: “Und jetzt bitte noch Sie, Herr Meyerbrink?”

“Aber gerne! Alfonso Meyerbrink, vor 200 Jahren noch alter westfälischer Landadel, danach völlig verarmt, vom Bruder Napoleons, der ja hier als Regent das Sagen hatte, wurde unsere ganze Sippe restlos enteignet. Warum? Weil ein Bösewicht aus der Riege unserer Vorfahren sich nicht so korrekt verhalten hatte, wie es die Statuten der französischen Revolution - liberté, egalité, fraternité - vorsahen. Kurz: Guillotine oder Verbannung, im Fall des familiären Bösewichts war es zum Glück nur Enteignung. Ich entstamme dabei aber einer absolut unbedeutenden Seitenlinie, c’est la vie. Also bin ich heute auf den eigenen Broterwerb angewiesen, bin selbständig und leite einen gastronomischen Betrieb.”

“Frau Bernard - kann ich auftragen?” Steven meldete sich. Zu Recht, denn einige Speisen mussten ja warmgehalten werden. Schade, gerne hätte sie noch mehr gehört. Aber das hatte ja noch Zeit.

Man ging ins Esszimmer und setzte sich an einen perfekt gedeckten Tisch. Betty Bernard beobachtete genau, nach den Vorspeisen wusste sie Bescheid. Frohberg war ein hoffnungsloser Fall. Beide Ellenbogen breit auf dem Tisch hob er kaum den Kopf beim Essen und schaufelte einfach alles in sich hinein. Bastian war kein Deut besser. Den linken Arm unter dem Tisch, den rechten Ellenbogen aufgelegt, das war vielleicht amerikanisch, hatte aber mit Esskultur nun überhaupt nichts zu tun. Diese beiden Männer hatten keine Kinderstube. Schlimmer noch, in ihrem Alter hatten sie Jahrzehnte Zeit gehabt, sich wenigstens die Grundlagen abzuschauen. Man stelle sich vor, dass man mit einem derartigen Partner in ein Restaurant zum Essen ging - peinlich. Sie hatten es beide nicht, und das, obwohl jede Woche mindestens zwei Fernseh-Sendungen die einfachsten Manieren in Millionen hohle Köpfe zu transportieren versuchten. Beim Wein - dito. Gläser wurden in einem Zug geleert. Servietten, aus Stoff? Unnötiges Beiwerk, denn entweder blieben sie einfach unbenutzt liegen wie bei Frohberg, oder wurden in den offenen Hemdkragen gestopft, um wie bei einem Kleinkind keine Flecken zuzulassen - so zu sehen beim Konfirmandenanzug.

Ganz anders Meyerbrink. Die Hände auf dem Tisch - und nur die Hände -, eine gerade Körperhaltung, der Löffel ging zum Mund und nicht umgekehrt, die Serviette wurde dafür benutzt, wofür sie vorgesehen war. Es lebe der Unterschied. Und alles war nicht aufgesetzt, es war von Haus aus da. Manche kommen einfach aus einem guten Stall. “Some have got - some have not” sagen die Engländer.

Das waren Grundvoraussetzungen. Zwei Kandidaten fielen also sofort durch, ganz zu schweigen von ihren miserablen Qualitäten als Gesprächspartner. Sie machte vor dem Dessert einen weiteren Test, eine bescheidene Frage zur Literatur, harmlos gestellt.

“Was halten Sie eigentlich von Gedichten? Interessiert man sich als Mann dafür?”

“Gedichte? Wofür braucht man die noch? Die Leute lesen ja nicht einmal die Versicherungsbedingungen!” Das war Frohberg.

“Ich…äh…ich habe das letzte Mal eins in der Schulzeit gelesen, aber sie interessieren mich nicht besonders. Teilweise sind sie auch schwierig zu verstehen. Zumindest, was ich so gehört habe…” Aha… aber zumindest eine ehrliche Antwort.

“Und Sie, Herr Meyerbrink?”

“Angefangen hatte es wie bei Herrn Bastian in der Schulzeit, und zwar mit Conrad Ferdinand Meyer. “Die Füsse im Feuer”, diesem dramatischen Stück Literatur zur Hugenotten-Verfolgung, da hatte es mich gepackt. Ich habe mir dann Arthur Rimbaud besorgt, zweisprachig, mein Französisch ist eher mässig. Das “Bateau ivre” ging ja noch, aber bei “Une Saison en enfer” musste ich das Buch schliessen. Ich war zu Tränen gerührt - dieser junge Rimbaud - er steht bei mir im Regal, weit hinten, wie eine gefährliche Arznei in einem Giftschrank. Ich kann ihn nur alle paar Jahre hervorholen, und dazu muss ich in der richtigen Verfassung sein…es ist eine Art Droge… ich kann mich nur wiederholen: er hat mich gepackt.”

Betty Bernard hatte es gepackt. Dieser Mann hatte Format, er hatte Kultur, er war gebildet und ein äußerst interessanter Gesprächspartner. Sie mochte ihn, er musste ihr ins Netz gehen. Nein, sie mochte ihn nicht nur, er gefiel ihr. Jetzt galt es nur, diesen Fang auch an Land zu ziehen. Steven meldete sich.

“Das Dessert, Frau Bernard. Darf ich servieren?” Der Junge hatte seinen Job erstklassig gemacht. Plötzlich klingelte leise ein Telefon.

“Ich bitte vielmals um Entschuldigung - Sie gestatten?” Meyerbrink stand auf und zog ein Handy hervor, begab sich aber sofort damit in den hinteren Bereich des Raumes, Sekunden später kam er zurück. “Es tut mit furchtbar leid, aber ich muss leider auf Grund eines Notfalls sofort aufbrechen. Eine unangenehme Sache in meinem Betrieb. Liebe Gastgeberin, es war ein bezaubernder Abend! Ihre Bekanntschaft machen zu dürfen, Ihr vorzügliches Menu, die aussergewöhnliche Unterhaltung mit Ihnen …ich kann mich nur vielmals bedanken! Meine Herren, es war mir ein Vergnügen …” Er gab ihr einen Handkuss. Sie war hin und weg, was sollte sie jetzt sagen…und bevor sie einen klaren Gedanken fassen konnte, hatte er sich bereits zu Steven umgedreht. “Und Sie, mein junger Freund, Sie haben mir ebenfalls ganz aussergewöhnlich gefallen. Ich muss Sie unbedingt wiedersehen! Kommen Sie in meinen Club, nur Männer, Sie verstehen schon…”
 

hein

Mitglied
Hallo Klaus,

schöne Geschichte, aber irgendwie habe ich das Ende erwartet. Meyerbrink ist einfach zu perfekt.

LG
hein
 

Klaus K.

Mitglied
Hallo Hein,

.....vielen Dank an Dich zuerst - ja, ein einsamer "Treffer", der sich dann aber letztlich als Niete entpuppt. Spass muß sein!
 
Hallo Klaus K.,

arme Betty ... Aber wie hein schon andeutete, die Geschichte musste einen Haken haben. Die anderen beiden Herren waren einfach zu dilettantisch gezeichnet - und das von Anfang an. Vielleicht wäre ein anfänglich halbwegs gleichwertiges Auftreten nicht so auffällig gewesen. Ich würde sagen, das ist der Makel der Geschichte. Ansonsten wirklich nett.
Nur ein Tipp noch: Wenn der Sprecher in wörtlicher Rede wechselt, muss ein Absatz erfolgen.

Schöne Grüße,
Rainer Zufall
 



 
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