Hallo Hera
Am Anfang haben mich die vielen auktorialen Einschübe (z.B. "Solche Frauen findet man heute wirklich nur noch selten.") gestört, aber später, als ich gemerkt habe, worauf es hinausläuft, gaben sie für mich etwas mehr Sinn. Ich denke, sie haben mich bereits ein wenig auf die Wendung der Geschichte vorbereitet. Trotzdem würde ich versuchen, sie wo immer möglich zu reduzieren oder zu eliminieren.
Vom Plot her finde ich die Geschichte ziemlich raffiniert gemacht. Mir gefallen die überraschenden Wendungen darin. Allerdings denke auch ich, du könntest den Text noch ein wenig überarbeiten, um den Witz noch mehr herauszustreichen. Auch gibt es einige Dinge, die mich etwas verwirrt haben, obwohl ich am Schluss doch alles verstanden habe. Zum Beispiel sehe ich ein Problem darin, dass im ersten Abschnitt eindeutig von einer Frau die Rede ist, deren Mann auf Geschäftsreise sei, und später stellt sich heraus, dass es genau umgekehrt ist: "Sie" ist ein Mann, dessen Frau vorübergehend weg ist. Genau genommen hat uns der auktoriale Erzähler brandschwarz angelogen.
Vielleicht wolltest du aber genau das erreichen, nämlich dass der Leser verwirrt ist, oder vielleicht wolltest du rüberbringen, wie man sich als Transmensch fühlt, mal dem einen, mal dem anderen Geschlecht angehörend. Ich denke, das ist zum Teil gelungen, aber trotzdem frage ich mich, ob es nicht anders auch ginge. Vielleicht statt auktorialer Sicht die vermeintliche Frau von jemand anderem, einer zusätzlichen Figur "von außen" beschreiben lassen, wie diese sie wahrnimmt? Dann könnte man als Leser später viel besser akzeptieren, dass die Frau plötzlich ein Mann ist, denn dann hätte sich einfach der Beobachter getäuscht und nicht der auktoriale Erzähler, der doch eigentlich allwissend sein sollte.
Außerdem finde ich, dass der Text das Thema, das ja sehr aktuell ist, gut bearbeitet. Allerdings frage ich mich, ob man die zum Teil etwas expliziten Szenen noch etwas entschärfen könnte. Nicht weil ich prüde wäre, sondern weil ich denke, es lenkt von dem eigentlich sehr wichtigen Thema der Geschlechtsidentität ab - oder gehört bei Transmenschen Sex immer zwangsläufig dazu? Ich weiß es nicht.
Und da ich die vorherigen Feedbacks und deine Antworten darauf gelesen habe, möchte ich noch betonen, dass dies erstens meine persönliche Meinung ist, und zweitens nur zu deinem Text, nicht aber zu dir als Person. Ich denke, das sollte man als Autor/in unbedingt auseinanderhalten, sonst kann es einem zu nahe gehen.
LG
Kati