Ratschlag zur Betrachtung der Sonne

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Gerd Geiser

Mitglied
Es macht sich oft Versonnenheit
beim Untergang der Sonne breit.
Wenn abends sie im Meer versinkt,
der Mensch um seine Fassung ringt.
Auch wirkt ihr Aufgang oft gekonnt
hinter festem Horizont.

Doch muss man diesem Phänomen
besonnen in die Augen sehn.
Ein Trugbild ist der Sonne Lauf,
ihr Untergang und auch ihr Auf-.
Die Erde ist in Rotation,
alles and´re: Illusion.

Drum bitte, Freunde, bleibt gelassen,
dann lässt sich dieser Vorgang fassen.
 
P

Prosaiker

Gast
Das Fräulein stand am Meere
und seufzte lang und bang.
Es rührte sie so sehre
der Sonnenuntergang.

Mein Fräulein! Sein sie munter,
das ist ein altes Stück;
hier vorne geht sie unter
und kehrt von hinten zurück.


Heine, Heinrich, etliche Jahre vorm aktuellen.

Die letzten zwei Verse deiner ersten Strophe scheinen mir mehr oder weniger unangebracht; sie zeigen keine Bezüge zu Voran- oder Hinterhergegangenem. Ansonsten scheint dein Gedicht mir eine Paraphrase von Heinrichs Strophen. Ulkig wärs, wenn du sein Gedicht nicht kennen würdest. Tatsächlich, das wär ulkig. So jedoch scheint mir das erstmal merkwürdig. Da fehlt das Eigene.

Viele Grüße
Prosa
 

Walther

Mitglied
Prosa,

mit Dir in eine Debatte schreiten tue ich eher selten. Weil meist hast Du Recht mit Deinen Hinweisen.

Hier stimmt sicherlich der Verweis auf Heine, der übrigens schnoddrig so zu lesen wäre:

Das Fräulein stand am Meere
und seufzte lang und bang.
Es rührte sie so sehre
der Sonnenuntergang.

Mein Frollein! Sein Se munta,
det iss een altet Stück;
hier vorne jeht se unta
und kehrt von hint zerück.
Zitiert nach meiner Mutter, Berliner Schnauze von Geburt.

Trotzdennoch oder dieserhalb: Das Gedicht ist eine gelungene Interpretation des gleichen Themas. Und es ist ebenso spaßig. Sein einziger Nachteil: Es ist nicht von Heine.

Jedenfalls ist der Wortwitz rund um das Wort Sonne schon fein gemacht. Und daher ist es auch eigenständig genug, um für sich - auch neben dem lieben Heine, dem wir alle nachstreben, ihn aber, nur weiland Gernhardt schaffte das, nie erreichen - zu stehen. Das ist viel und mehr, als manches hier in der LeLu erreicht. Die Werke des Unterzeichners eingeschlossen.

Gruß W.
 

Gerd Geiser

Mitglied
Hallo Prosaiker.

Danke, dass du dich mit meinem Gedicht beschäftigt hast.
Ich kenne das nette Gedicht von Heine, hab es irgendwann mal gelesen, hätte aber nicht mehr gewusst, dass es von Heine ist und es wahrscheinlich auch nicht wieder gefunden. Es freut mich, dass du es mir auf diesem Wege wieder zugänglich gemacht hast.
Und es beruhigt mich, dass sich meine Aussage von der Aussage Heines unterscheidet. Während Heine dem Fräulein quasi bestätigt, dass die Sonne sich bewegt, vorne untergeht und hinten wieder aufgeht, erkläre ich dem Leser, dass dies eine Illusion ist: Nicht die Sonne zieht ihre Kreise, sondern die Erde ist in Bewegung. Dies macht mein Gedicht inhaltlich zu einem eigenständigen "Werk".
Die beiden letzten Zeilen der ersten Strofe bringen die augenscheinliche Bewegung der Sonne ins Spiel: Vorher ist vom Untergang die Rede, jetzt kommt der Aufgang dazu. Ihr Untergang und auch ihr Auf-(gang) wird in der 2. Strofe wieder aufgegriffen. Vielleicht sollte man den f e s t e n Horizont durch r o t e n Horizont ersetzen, weil es unerheblich ist, ob die Sonne "im Meer" oder sonstwo versinkt. Diese raus zu lesende Unterscheidung verkompliziert das Gedicht eventuell.
Das ist in etwa das, was ich dir antworten wollte.

Lieben Gruß
GG
 
P

Prosaiker

Gast
Schlecht ist das Gedicht nicht, keineswegs, das meinte ich auch nicht. Es ist natürlich übertrieben, Heine als Maßstab nehmen zu wollen. Aber der Unterschied zwischen "Illusion" seitens Gerd und "Bestätigung" (ihr wisst schon, das Ding mit und sie dreht sich doch etcetera) seitens Heine halte ich für Haarspalterei, die dichterischem Humor nicht gerecht wird. Zu den zwei angesprochenen Zeilen: vielleicht wirkt mir das einfach zu hölzern. Natürlich stellst du dem Untergang auch den Aufgang entgegen. Jedoch scheint mir der Untergang herzlicher verdichtet. Der Aufgang kommt schlecht weg, der arme Kerl. Der Aufgang wirkt gekonnt, nun ja. Das ist so - fast halb und gar nicht ganz. Das kannst du besser, wie man etwa an dieser Stelle sieht:

Ein Trugbild ist der Sonne Lauf,
ihr Untergang und auch ihr Auf-.
Nun denn, schöner Gruß von
Prosa.
 

Gerd Geiser

Mitglied
D a s k a n n s t d u b e s s e r ...

Er würgte sie, sie röchelte.
Ihr Blut im Hirn, es köchelte.
Sie hauchte schlapp: "Das kannst du besser.
Lass ab von mir und nimm das Messer."

Dir Walter (Du meine Sonne) einen lieben Gruß

Gerd.
 

Walther

Mitglied
Lb. Gerd,

für ne Sonne bin ich irgendwie nicht so ganz geeignet. Dazu scheine ich viel zu gerne auf mich selbst. :D

Gruß W.
 
H

HFleiss

Gast
Also ich will ja nicht meckern, aber das Gedicht hat was von der vielgepriesenen Hausfrauenlyrik. Wohlmeinende würden die Nähe von Wilhelm Busch suchen, wobei ich aber glaube, dass er einen witzigeren Schluss gefunden hätte. Ganz entsetzlich finde ich die Sie-Anrede am Schluss.
Was ist dir da bloß eingefallen?

Liebe Grüße
Hanna
 

Sta.tor

Foren-Redakteur
Hallo Gerd,

ich finde Dein Gedicht soweit gelungen, nur stachen mir schon beim ersten Lesen ein paar Sachen schmerzend ins Auge.

1. warum die verkürzte letzte Zeile, die den Rhythmus m.A. erheblich stört? Das lässt sich doch ganz einfach durch ein "hinter dem..." bzw. "und alles and`re..." vermeiden.

2. bei "festem Horizont" musste ich erst mal stutzen, hab ich noch nichts von gehört. Logischer fände ich den fernen Horizont.

3. Das "Sie" am Schluss finde ich auch nicht so glücklich gewählt, zumal die Quintessenz auch ruhig etwas origineller hätte ausfallen dürfen. Aber ein: "Drum bitte, Freunde, bleibt gelassen..." hört sich dann doch freundlicher an.


Zu meiner Schande muss ich gestehen, dass ich das Heinegedicht noch nicht kannte, so konnte ich mich allerdings vorurteilsfrei mit Deinem Werk auseinander setzen. (Das "Das kannst Du besser" - Gedicht bekäme von mir allerdings ne glatte 10!)

VG Thomas
 

Gerd Geiser

Mitglied
Nun, zum Glück bin ich kein Architekt, und da ist es nicht so tragisch, wenn mir mal was einfällt.

Ich gebe zu bedenken, dass auch die letzte Zeile der 1. Strofe nur aus 7 Silben besteht.
"...wenn abends sie im Meer versinkt..." - Wasserhorizont. Fester Horizont meint Landhorizont.
Vorletzte Zeile geändert:

Danke, Freunde.
 

Aragorn

Mitglied
Also, erst einmal:

Mit der Glorifizierung von Heine kann ich wenig anfangen.
Ein gutes Gedicht bzw. ein Meisterwerk ist ein ebensolches völlig unabhängig davon, ob es von Jesus in Herodes' Gästebuch oder von einem Strauchdieb an die Stelle, wo der Strauch vor dem Diebstahl gestanden hatte, geschrieben worden ist.

So siedele ich z.B. Gerds aktuelles Wildwest-Gedicht vor Heines Sonnengedicht an.

Dieses hier allerdings erscheint mir noch etwas unausgegoren. Vielleicht hätte Wilhelm Busch was Lustigeres draus gemacht, vielleicht aber auch was weniger Lustiges.

Was ich mir indes wünsche:
Daß Gerd was noch Stimmigeres draus machte!

Es macht sich oft Versonnenheit
beim Untergang der Sonne breit.
[blue]schön![/blue]
Wenn abends sie im Meer versinkt,
der Mensch um seine Fassung ringt.
[blue]Nur mäßig raffinierter Ausdruck! Es sei denn, es wäre z.B. eine Glühbirne, die um ihre Fassung ränge!
Die Inversion wirkt hier übrinx so, als versuchte ein Silberhochzeitsdichter, Wilhelm Busch zu imitieren - weit unter Geiser-Niveau![/blue]
Auch wirkt ihr Aufgang oft gekonnt
hinter festem Horizont.

Doch muss man diesem Phänomen
besonnen [blue]schön![/blue] in die Augen sehn.
Ein Trugbild ist der Sonne Lauf,
ihr Untergang und auch ihr Auf-.
[blue]Klasse, dieser Zweizeiler![/blue]
Die Erde ist in Rotation,
alles and´re: Illusion.

Drum bitte, Freunde, bleibt gelassen,
dann lässt sich dieser Vorgang fassen.
[blue]Diesen Schluß bitte unbedingt in den Papierkorb und einen originelleren ent-werfen!
Das ist nun wirklich alles und nichts![/blue]

lg
Ara
 

Gerd Geiser

Mitglied
Lieber Aragorn,

ich fühle mich von dir an die Hand genommen, kann ihr aber nicht leichten Fußes folgen.

Dass der Mensch beim Untergang der Sonne um seine Birnenfassung ringt, ist ein schöner Gedanke. (Aber das meintest du ja nicht) Vielleicht sollte ich schreiben:
Wenn abends sie ins Meer abschweift,
der Mensch sich an die Birne greift.

Der Schluss entspricht halt meinem Humor. Nach sachlich-ausführlicher Darlegung der astronomischen Gegebenheiten muss und sollte sich mensch der überbordenden Gefühlspalette "Sonnenauf/-abgang" nicht länger hingeben. Aufgrund einer adäquateren Sichtweise dieser Vorgänge (dazu rate ich dringend) ist das (danke Gerd!) nicht länger nötig.

Mag man mögen oder nicht, doch ist es das, was ich sagen wollte.

Gruß
GG
 



 
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