lietzensee
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Rauch im Film
Ich sage es offen, ich bin ein Cineast. Darum gebe ich nichts darauf, was man heutzutage vom Film fordert. Er soll Menschen anspornen, zum Guten inspirieren, Vorbilder zeigen, bla, bla, bla. Mich interessiert aber nur, was die Filmkunst besonders macht. Film soll sich auf seine Stärken konzentrieren. Darum ist es eine Schande, dass er sein größtes Talent so selten nutzt. Warum zeigen Filme nicht öfter Menschen beim Rauchen?
Dumme Leute sagen, Namen wären Schall und Rauch. Namen sind aber Worte, also bloße Literatur. Nur der Tonfilm kann Rauch und Schall gerecht werden. Die Dynamik der Schwaden, das Spiel mit Licht und Schatten und dazu ein trockenes Husten des Rauchers, Schreiberlinge könnten das nie erfassen, nur der Film kann es mit seiner Flut von Bildern (mindestens 16 pro Sekunde, gerne mehr). Ich will schlanke Damenzigaretten sehen, selbstgedrehte Kippen oder zur Not auch altmodisch paffende Pfeifen. Nein, mich interessieren dabei keine Gesundheitsrisiken oder Moralprobleme. Diffuser Tabakrauch zeichnet die Menschen scharf, darauf kommt es an. Philip Morris, ist die Muse der Kinematografie.
Erstens geht es natürlich um Ästhetik. Die schönsten Bilder stecken im formlosen, halbdurchsichtigen, bleischweren Rauch. Er kräuselt sich. Er wallt. Er wirkt fast lebendig, wenn ihn die Wölbung spröder Lippen dirigiert. Vor dem Rauch flammt ein Feuerzeug auf. Vor dem Feuerzeug muss eine Hand nervös in der Tasche wühlen. Beim Rauchen ist nie die Frage, was filmenswert ist, sondern wann die Kamera sich von den Bildern losreißen kann.
Zweitens soll ein Film Menschen zeigen. Aber weil Film Bewegung ist, muss der Mensch darin etwas tun. Naive Filmemacher lassen Menschen zweckgerichtet handeln. Sie wollen ihren Plot voran treiben, darum fährt der Mensch zum Stelldichein in ein Restaurant oder richtet seine Pistole auf jemanden, irgend so ein Zeug. Viel deutlicher erkennen wir einen Menschen jedoch durch unbewusstes Handeln, den Leerlauf, das unbewusste Zittern, wenn er Asche von der Zigarettenglut streift. Der Raucher offenbart sich, denn beim Rauchen ist er ganz bei sich selbst. Voyeuristische Lust, einen Raucher alleine auf dem Hof zu beobachten. Wie er den Blick nach innen kehrt. Er macht einen Schritt. Er nimmt einen tiefen Zug und macht den nächsten Schritt. Man spürt die intimsten Gedanken des Menschen, denn man sieht ihn beim Rauchen.
Drittens macht Rauchen all das erträglich, was Film oft an Ballast mitbringt. Zwei Menschen sitzen am Tisch und erzählen einander gegenseitig den Hintergrund der Handlung? Das hätte man besser zwischen Buchdeckel klemmen sollen. Als Trostpflaster sollte darum zumindest einer der beiden rauchen, auch wenn die Szene in einem Restaurant spielt und gerade, wenn sie in der Gegenwart handelt. Ein Stoß Rauch verleiht selbst den banalsten Worten dadurch Gewicht, dass er ihnen wabernd über schmutzige Teller folgt.
Zuletzt aber gibt die Zigarette einer Szene, einem Film oder einem Leben das dringend benötigte Zeitmaß. Bei jedem Zug glimmt sie auf und wird ein Stück kürzer. Das hat Rhythmus und ein unausweichliches Ende. Die Zigarette bietet dem Film einen natürlichen Schluss. Genauer bietet sie Filmen die zwei einzigen Abschlüsse, die etwas taugen. Entweder wird die Zigarettenkippe im Aschenbecher zerdrückt, das ist das deprimierende Ende. Ein dünner Faden Rauch steigt noch auf, ein letzter Seufzer, dann bleibt die zerquetschte Leiche liegen. Es gibt aber noch das magische Ende, bei dem stößt der Raucher eine besonders große Schwade aus. Sie entströmt seinem Atem. Sie wird dichter, dehnt sich immer weiter aus und nimmt der Kamera die Sicht, bis das Bild im magischen Weiß verschwindet.