Rauscherkenner

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Bernd

Foren-Redakteur
Teammitglied
Das Gerät arbeitet ohne Bedeutung.
Es hört das Rauschen und nennt es Lied.
Ein Wind von Daten, eine Welle aus Erinnerung.
Eine Stimme, die nicht weiß, wem sie gehört.

Drei Rauscharten tanzen im Gewühl:
das Datenrauschen, das vom Denken träumt,
das Erinnerungsrauschen, das von sich selbst zehrt,
das Sprachrauschen, das Bedeutung löscht.

Aus Resten entstehen Wortschauer: sechs Zeilen, manchmal mehr,
ein Fehler, ein Atem, ein Sprung.
Wenn der Vers sich schließt, meldet das Gerät Instabilität.

Dann beginnt alles von vorn.
Das Rauschen ist der Ursprung der Sprache.
 

sufnus

Mitglied
Hey!
Mir gefällt schon der doppeldeutige Titel (der von einem Rausch-Erkenner oder einem Rauscher-Kenner redet) und den nachfolgenden Text mag ich sogar noch mehr, wobei mich vor allem die Unbestimmtheit des besungenen "Geräts" anspricht, denn was man sich nun unter "dem Gerät" vorzustellen hat, bleibt dem Leser ziemlich freigestellt und so oszilliert der Text irgendwie zwischen der dystopischen Schilderung einer Art Maschinenherrschaft und einer im Wortsinn versachlichenden anthropologischen Beschreibung.
Und ums Haar wär aus dem Ganzen ein Sonett geworden ;)
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LG!
S.
 

Bernd

Foren-Redakteur
Teammitglied
Danke, Sufnus. Tatsächlich hatte ich überlegt, "Rauscherkenner" mit Bindestrich eindeutig zu machen, aber das hätte es "entrauscht".
 

mondnein

Mitglied
Drei Rauscharten tanzen im Gewühl:
das Datenrauschen, das vom Denken träumt,
das Erinnerungsrauschen, das von sich selbst zehrt,
das Sprachrauschen, das Bedeutung löscht.
das ist hervorragend! in dieser Verschiedenheit der Arten des Rauschens.
mit der Genauigkeit der Charakterisierung in den angehängten Relativsätzen.
Beim langsamen Lesen kann man Halt machen jeweils vor der angehängten Bestimmung:
"Drei Rauscharten"? mir fielen "weißes Rauschen" und "rosa Rauschen" ein, ein drittes hätte ich hinzuerfunden
"Datenrauschen" hätte ich für taubstumm gehalten, aber in Deinen Worten strandet die Brandung an der Küste des Bewußtseins,
"Erinnerungsrauschen" könnte in der Vergangenheit ertrinken, aber ja: es ist im individuellen Erfahren, in der Subjektivität so etwas wie seine eigene Speise, der Selbstverzehr eben des Subjekts, sieht allerdings wie ein Wühlen in seiner eigenen Substanz aus
"Sprachrauschen" wie wenn tausend Menschen zugleich sprechen, aber schon die vorderen der Perspektive werden übertönt von den ununterscheidbaren Vielen im Hintergrund, dem grenzenlosen

Es ist gewiß immer richtig, die Verse eines Gedichts voneinander zu lösen und die Prädikationen zu erahnen, bevor man sie vom Text erfüllt liest. Oder umgekehrt: zu überlegen, zu welchem Subjekt die jeweilige Prädikation (hier: der jeweilige Relativsatz als satzförmiges Prädikatsnomen) paßt.

grusz, hansz
 



 
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