Reagenz

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Auf der Straße lag eine alte Flasche.

Sie hatte eine ausgesprochen lange Reise hinter sich, die alte Flasche, aber niemand schien das würdigen zu wollen.

Sie war zwar nicht süchtig nach Aufmerksamkeit, aber von den Palästen dieser Welt zu einer dreckigen, israelischen Provinzstraße, das war doch ein herber Rückschlag. Ein demütigender Abstieg. Wagen rumpelten an ihr vorbei, Sandalen kickten sie zur Seite und gelegentlich landete sie in einem Haufen Eselsmist. Sie war verdammt mies gelaunt, die Flasche, und war überzeugt, es könne nicht schlimmer kommen, doch da täuschte sie sich. Was beileibe nicht oft vorkam, schließlich hatte man schon viel gesehen und erlebt, doch Irren ist glasig.

Eine Frau kam die Straße entlang. Ein rücksichtloser Eselskarrenpilot lenkte sein Fahrzeug zwischen den Fußgängern hindurch und die Frau sprang erschrocken zur Seite, als er ihr plötzlich direkt entgegenkam. Ihr Ausweichmanöver ließ sie mit einem Fuß auf der Flasche landen, sie verlor das Gleichgewicht und fiel mit dem Hinterkopf in den Staub. Die Flasche schoß über den Straßenrand hinweg in einen steinigen Graben und zersprang.

Benommen rappelte die Frau sich auf und blickte sich um.

Qualm entstieg aus den Scherben der Flasche, stieg auf und blickte sich um.

Die Frau klopfte sich wütend den Schmutz vom Körper, raffte ihre Kleider und machte sich auf den Weg nach Hause.

Der Qualm schüttelte sich und atmete tief durch. Und atmete nochmal tief durch. Und konnte sein Glück kaum fassen.

Immer noch aufgebracht, hastete die Frau die letzten paar Schritte zu ihrem Haus. Sie trat ein, schaute sich suchend nach jemandem um, dem sie ihr Leid klagen konnte, und setzte sich dann enttäuscht an den Küchentisch. Ihre Eltern wraen nie da. Und ihr Verlobter hätte genauso gut in Ägypten leben können, diese Pfeife, so selten ließ er sich blicken.

Der Qualm wallte frohgelaunt durch die Straßen, bis er das Haus seiner Wohltäterin fand.

Die Frau schaute aus dem Fenster. Nebel. Nebel?

Unter dem Türschlitz her zog der Qualm ins kühle Innere des Hauses und dann in die Küche. Er formte sich zu einem menschlichen Gesicht und blieb schwebend in der Mitte des Raumes stehen.

Die Frau erschrak. Eine Wolke? Eine Halluzination? Eine Strafe Gottes?

Freundlich hub der Qualm an zu sprechen...

... und die Frau war fasziniert.

„Hast Du einen Wunsch?“

„Äh, was für einen Wunsch, oh Qualm?“

„Na, einen Wunsch eben, Du meine Retterin.“

„Hm... so einen richtigen Wunsch?“

„Natürlich, ich bin ja auch ein richtiger Qualm.“

„Also, ich wüßte da schon was...“

„So spuck's denn aus, Ehrenwerte.“

„Ähm, kann ich's Dir ins Ohr flüstern?“

„Aber selbstverständlich, so Du denn endlich zur Sache kommst, denn ich habe viel nachzuholen...“

„So höre...“

„Oooooooh...“





Ermattet rollte sich der Qualm zur Seite. Mit geröteten Wangen rollte sie sich eine Manna light und zündete sie an. Ihre Augen glänzten.

„Duuuhuuu?“

„Ja?“

„Ich hoffe, Du denkst nicht...“

„Was?“

„Ich hoffe, Du denkst nicht, ich würde gleich jeden Qualm... also... ich bin nicht so eine.“

„Nein, sicher nicht.“

„Ob ich wohl Fehl oder Makel von dieser Begegnung davontrage?“

„Und wenn schon, berichte einfach, was passiert ist.“

„Ein Geist kam über mich?“

„Ein Geist kam über Dir.“





Neun Monate später gebar Maria einen Sohn.
 



 
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