Reflektionen

2,00 Stern(e) 1 Stimme

Anonym

Gast
Der Spiegel zeigt hellblauen Fliesen.
Ein grässliches Blau. Das Bad ist abgewohnt. Abgewohnt, wie der ganze Gasthof. Er hat das Zimmer telefonisch auf meinen Mädchennamen bestellt. Ich wollte es von Anfang an so.
Er steht hinter mir. Hält mich umarmt. Betrachtet mich im Spiegel. Er hat ein zartes Gesicht, lächelt mir zu. Seine Lippen sind schmal. Wenn wir uns küssen spüre ich nicht, dass sie schmal sind. Zart umfasst er meinen Bauch. Es ist sein Kind. Ich werde sein Kind nicht gebären. Er wird es nicht erfahren. Ich liebe ihn.
Die Badezimmerleuchte wirft Schatten auf unsere Gesichter. Auf die blauen Fliesen und auf den Duschvorhang. Manchmal standen wir in dieser Dusche und haben den Urin über unsere Beine laufen lassen. Am Anfang lachten wir verschämt dabei. Heute sind wir uns so vertraut.
Ich bitte ihn, mich loszulassen. Tiefe Beziehung zu jemand bereiten mir Sorgen. Ich liebe die Freiheit. Unser Verhältnis wäre mir zu konkret. Ich hätte keine Energie mehr übrig. Ich müsste mir um so viele Leute Sorgen machen, die ich liebe und jetzt gäbe es ihn auch noch.
Und jetzt gibt es ihn auch noch. Es war nicht schwierig den frühen Termin im Krankenhaus zu bekommen. Schwieriger war das andere. Alles andere. Alles andere hätte ich teilen müssen.
Wie ihn, mit seiner Frau.
Miteinander weinen wir. Ich mit Tränen. Ich verlasse ihn und werde trotz allem die Verlassene sein.
Seine Küsse lösten trotz allem Erwartungen in mir.
 

ENachtigall

Mitglied
Hallo Anonymus,

...Märtyrertum; die Verheimlichung der Schwangerschaft,
um ihn zu schonen, aus Liebe, ist falsche Rücksichtnahme.
Es ist sein Kind. Ich werde sein Kind nicht gebären. Er wird es nicht erfahren. Ich liebe ihn.
Die Liebe teilt. Egal ob Glück, Lust oder Leid. Das geschieht hier nicht. Deshalb ist das Ende unabwendbar. Insofern ist die Handlung stimmig, wenngleich nicht sonderlich spannend beschrieben. Der Mitleid erheischende Moment überwiegt hier. Da wäre ein Bekenntnis zur eigenen Schwäche der Protagonistin - mir als Leserin - ein stärkeres Ende.

Viele Grüße
Elke
 

Anonym

Gast
Hallo Elke,

ich bin dafür, dass wahre Liebe gar nicht teilt sondern schont. Wer wahr liebt, der schont den anderen von Leid.
Zum Text. Ich wollte die Dramatik absichtlich nicht mit Spannung untermalen. Sie soll für sich sprechen. die Dramatik: in einer Absteige trifft sich(beide verheiratet)regelmäßig ein Liebespaar. Trotz der Vertrautheit reicht es nicht für mehr. Sie macht ihm was vor von Stärke und satt sein.
Die Protagonistin sollte stark sein
“Alles andere hätte ich teilen müssen“ also auch sein Leid mit seiner Ehefrau und das mit ihrem Ehemann.
wenn das aus dem Text nicht hervor kommt, habe ich wohl daneben gehauen.
Ich danke dir für deinen Eindruck

liebe Grüße
 

ENachtigall

Mitglied
Aber welche Grundlage hat man ohne das Vertrauen, das in der Offenheit liegt? Dann leben beide, vielleicht verliebt, aber doch aneinander vorbei. Dieses "aneinander vorbei" könnte ich mir schon recht gut zur Geltung gebracht in der von Dir gewählten Szene vorstellen.

Gruß
Elke
 

Anonym

Gast
Die beiden leben tatsächlich aneinander vorbei, sie haben ja Partner. Ihre Grundlagen liegen also nicht einer partnerschaftlichen Gemeinschaft. Die leben sie in ihrer Partnerschaft.
Und die kann nur in einem gewissen Grad offen sein. Die Grenze ist, den anderen nicht mit der letzten Offenheit zu verletzen, nämlich der wie in diesem Fall, zu betrügen. Deshalb ist meine Protagonistin stark. Sie betrügt und trägt die Konsequenzen allein.
Wie könnte ich deiner Meinung nach die Mitleid heischende Situation, ohne ein Bekenntnis der Schwäche der Prot. lösen.

Gruß Anonymus
 

ENachtigall

Mitglied
hallo Anonymus,

eine interessante Frage. Ich sehe allerdings die Protagonistin, auch nach mehrmaligem Lesen des Textes, immer noch nicht als stark. Zweifelsohne hat sie sich in eine extrem Kräfte zehrende Situation manövriert. Ihre Gefühlslage ist geprägt von Zerrissenheit; Freiheit, Verantwortung der Familie gegnüber, neue Liebe. Mutig und stark fände ich an der Stelle eine, im wahrsten Sinne des Wortes Entwicklung. Schließlich sind die Verhältnisse auf komplizierte Art mit einander verknüpft. Diese Entwicklung könnte ein Rückzug zur Selbstbesinnung sein, ein Aufdecken der Karten gegenüber der Familie, oder ein Entschluss zur Trennung. Sicher gäbe es noch andere, von mir nicht erwähnte Varianten.

Gruß
Elke
 

Anonym

Gast
Liebe Elke,

also ich danke dir für deine Entwicklungs-Vorschläge. Ich arbeite jetzt schon mehrere Tage an diesem Text, aber ja, du hast recht, es muss sich was entwickeln. Ich habe eine Form ohne Ausschmückung gewählt, weil mich die Herausforderung, fast ohne Adjektive auszukommen, absolut gereizt hat und da dies ein Textende einer Geschichte ist, die aus der Erzählperspektive des männlichen Prot. beginnt werde ich sie aus dieser Perspektive fertig erzählen lassen. Damit kann ich vielleicht ohne Mitleid punkten.
Ich danke dir für deine konstruktive Mitarbeit
Anonymus
 



 
Oben Unten