Seit Wochen regnet es jetzt. Und wenn es nicht regnet, dann schüttet es wie aus Eimern.
„NDR1 Welle Nord, hier die 10:00 Uhr-Nachrichten für Schleswig-Holstein:
Nach bisher nicht bestätigten Informationen aus dem Bekanntenkreis von Prinz Harry und seiner Frau soll Meghan seine Großmutter als „Alte Schachtel“ bezeichnet haben. Die britische Presse schäumt, berichtet von einem verkniffenen Gesicht der Queen und einer in den sozialen Medien weit verbreiteten Forderung, Harry endlichen den britischen Pass zu entziehen!
Die seit Wochen anhaltenden Regenfälle führen in weiten Teilen Schleswig-Holsteins zu immer katastrophaleren Zuständen. Hier ein Überblick über die momentane Situation:
Alle Flüsse sind über die Ufer getreten und haben die tieferliegenden Gebiete überschwemmt. Wegen der stetig aus West wehenden starken Winde kann das Wasser voraussichtlich nicht vor Ende nächster Woche in die Nordsee abfließen.
Viele Verteilerstationen der Energieversorgungsunternehmen stehen unter Wasser. Weite Gebiete sind daher seit Tagen ohne Strom.
Die Notstromversorgung der Anlagen von Telekom und Mobilfunkanbietern sind für eine derart lange Ausfallzeit nicht ausgelegt. Die meisten Vermittlungsstellen für das Festnetz und viele Mobilfunkmasten sind nicht mehr in Betrieb.
Die Wasserversorgung funktioniert weitgehend störungsfrei. Nur in begrenzten Bereichen ist Schmutzwasser in das System eingedrungen. Hier wird dringend geraten, das Wasser vor dem Gebrauch für die Zubereitung von Essen oder als Trinkwasser abzukochen. Welche Versorgungsgebiete im Einzelnen betroffenen sind können sie in unserer kostenlosen und stetig aktualisierten Nachrichten-App nachlesen.
Alle Rettungsdienste sind im Einsatz und versuchen, die Lage so weit wie möglich in den Griff zu bekommen.
Nach einer Verlautbarung des Pressesprechers der Landesregierung ist man sich dem Ernst der Situation sehr bewusst:
Der Ministerpräsident habe sich bereits neue Gummistiefel (in Jamaika-Farben) bestellt und will demnächst die betroffenen Gebiete überfliegen. Einer der beiden im Land stationierten Rettungshubschrauber steht dafür schon seit gestern in Kiel bereit.
Der Innenminister erwägt, für die Mitglieder des zu bildenden Katastrophenstabes eine Urlaubssperre auszusprechen. Die Verhandlungen mit dem Personalrat über diese einschneidende Maßnahme sind aber noch nicht abgeschlossen.
Das Finanzministerium prüft bereits Möglichkeiten einer finanziellen Unterstützung von besonders betroffenen Personen oder Firmen. Leitende Beamte haben deshalb gestern im Keller des Ministeriums alle Tresore durchsucht. Nach einer nicht dementierten Meldung konnte ein Barbestand von EUR 128,57 festgestellt werden.
Und jetzt die Wetteraussichten:
Das Tief „Boris“ ist auf dem Weg von Großbritannien zu uns und bringt bis mindestens Ende nächster Woche weiterhin ergiebige Regenfälle.
Mehr Informationen zu den Folgen des schlechten Wetters erhalten sie in einigen Minuten.
Aber vorerst machen wir weiter mit dem immer noch beliebten Lied: > Wann wird es endlich wieder richtig Sommer? <.“
Annegret, 89 Jahre, aber immer noch rüstig, dreht das Radio leiser. Heute Morgen hatte sie bereits den Küchenherd angefeuert, sich zwei Tassen Kaffee aufgebrüht und diese wie gewohnt mit zwei Stücken Weißbrot, dick mit Margarine geschmiert, genossen. Dann hatte sie abgewaschen, aufgeräumt, gefeudelt und die Batterien in dem seit 40 Jahren in der Küche stehenden Kofferradio gewechselt.
Nun setzt sie sich auf ihren Lieblingsplatz am Küchenfenster, guckt über den Hofplatz auf die umliegenden überschwemmten Felder und die in der Ferne aus dem Wasser herausragenden Einfamilienhäuser. Es war doch gut, dass die Vorfahren seinerzeit den Hof auf diesem seit Jahrhunderten bewährten Siedlungsplatz errichtet hatten, der jetzt einen Meter über die umgebende Wasserfläche liegt.
Dann schließt sie die Augen und denkt zurück:
An Ihren Vater, der `44 in Russland gefallen war und sie und ihre Mutter alleine zurückließ. Wie beide alleine den kleinen Hof weiterführen mussten. Wie sie dann beim Tanzen den schneidigen Heinrich traf. An die karge Hochzeit nach nur ein halbes Jahr, und an die Geburt ihrer Tochter Gertrud sieben Monate später. An ihren fleißigen Heinrich, der neben seiner Arbeit im Straßenbau immer noch den Hof weiter betrieben hatte und der nun auch schon seit 20 Jahren auf dem Friedhof lag.
Jetzt kam Gertrud alle zwei Tage um nach ihr zu sehen und um die beim Kaufmann bestellten Sachen zu bringen. Die Enkelin besuchte sie einmal in der Woche und brachte mit ihren drei Kindern stets Leben in die Bude. Schön war es dann aber auch, wenn sie danach wieder ihre Ruhe hatte.
Das Radio reißt sie aus ihren Gedanken:
„Und jetzt wie versprochen Berichte von der Wasserfront:
In Bredenbüttel blieb ein unvorsichtiger Autofahrer in einer überfluteten Unterführung mit seinem PKW liegen. Bei der Bergung des Fahrzeuges mitsamt dem bis zur Brust im Wasser sitzenden Fahrer stolperte ein Mitglied der freiwilligen Feuerwehr über einen hochgedrückten Gullideckel und verletzte sich schwer.
In Freienfeld soll ein Landwirt beim Versuch, seinen festgefahrenen Schlepper vom Feld zu holen, in einer der tiefen Fahrzeugspuren ertrunken sein. Hierfür gibt es aber noch keine offizielle Bestätigung.
Die Bundeswehr musste ihr Angebot, Rettungsmaßnahme durch den Einsatz von Sturmbooten zu unterstützen, zurückziehen. Die kurz nach Gründung der Streitkräfte beschafften Boote erwiesen sich als nicht mehr einsatzfähig. Eine besonders motivierte Gruppe hatte es trotz des miserablen Materials dennoch versucht und war nach wenigen hundert Metern an einem Stacheldrahtzaun hängen geblieben. Die bis zum Hals im Wasser stehenden Soldaten konnten von dem verbliebenen Rettungshubschrauber geborgen werden.
In Arlaubrück wurde eine Familie mit zwei Kindern tot aufgefunden. Nach ersten Verlautbarungen sind diese offensichtlich an einer Kohlenmonoxidvergiftung verstorben, nachdem sie versucht hatten, eine Tiefkühlpizza auf einem Gartengrill zuzubereiten.
In Wullenwurth bat ein expeditionserfahrener Familienvater über sein Satellitentelefon den ihm persönlich bekannten Leiter des örtlichen Technischen Hilfswerks um Hilfe. Es hatte sich herausgestellt, das in seinem Haushalt nur ein elektrisch betriebener, in der derzeitigen Situation relativ nutzloser, Dosenöffner aufzufinden sei. Jetzt hätte er zwar einen für mehrere Monate ausreichenden Vorrat an Konserven, müsste aber bereits die Restbestände an nicht eingeschweißten Lebensmitteln rationieren.
In Quakenstede hatte ein Supermarkt aufgetaute Tiefkühlartikel und noch einige andere vom eingedrungenen Wasser beschädigte Ware zur Abholung und Verteilung durch Hilfsorganisationen am Eingang des Geschäfts bereitgestellt. Dies hatte sich schnell in der Nachbarschaft herumgesprochen und zu tumultartigen Szenen bei der Plünderung geführt.
Also, liebe Hörer. Das war erst mal das Neueste. Wir melden uns wieder in 30 Minuten mit den aktuellen Nachrichten.“
Annegret schaut über den Hof rüber zum Hühnerstall und sieht, wie die Henne Adelheid erst den Kopf und dann den ganzen Körper durch das offene Hühnerloch zwängt, von der Tiefe des auf dem Platz stehenden Wassers überrascht in die Höhe springt und mit ihren kurzen Stummelflügeln in Richtung Misthaufen flattert. Dort steht sie nun, scharrt missmutig und mit wenig Ambitionen im nassen Dung und überlegt offensichtlich, wie sie nur wieder einen trockenen Platz erreichen kann.
Sie sieht sich das Elend ihrer ältesten, durch die aber immer noch andauernde Legefreude bisher vor dem Kochtopf bewahrte, Henne eine Weile an, geht dann zur Garderobe an der Hintertür, streift ihre Gummistiefel und einen langen, noch von Heinrich stammenden Regenmantel über, und tritt hinaus auf den Hofplatz. Das knöcheltiefe Wasser erinnert sie an den seit längerem verstopften Abfluss, den der Nachbarsjunge dringend mal wieder reinigen müsste. Die dafür fällige Mark will sie sich das wohl noch kosten lassen. Am Misthaufen lockt sie das dumme Huhn, ergreift es und trägt es unter dem Mantel zurück ins Haus. Dort wird das Tier mit einem Handtuch ordentlich abgerubbelt und darf es sich dann in der Küche auf der Eckbank bequem machen.
Annegret zieht die nassen Socken aus und hängt diese zum Trocknen neben den Herd. Sie weiß ja schon seit langem, das die Stiefel alt, porös und nicht mehr wasserdicht sind, aber in ihrem Alter lohnt die Anschaffung eines neuen Paares wohl nicht mehr.
Dann setzt sie Kartoffeln auf den Herd, holt ein Glas mit eingemachten Frikadellen und eins mit grünen Bohnen aus der Speisekammer und bereitet das Mittagessen vor. Gertrud schimpft immer wenn sie wieder mal zu viel einkocht hat, aber in der jetzigen Lage ist es doch ganz gut über ausreichend Vorräte zu verfügen. Gertrud sagt ja auch nichts und nimmt es gerne, wenn sie ihr hin und wieder ein Glas Bohnen oder Rote Bete zusteckt. Und auch die Urenkel sind doch ganz wild nach dem selbst gekochten Apfel-Flieder-Gelee.
Nach dem Mittagessen spült Annegret das Geschirr und räumt es weg, wirft noch ein Stück Holz in den Herd, stellte ihren Stuhl dicht daneben, holt das Huhn von der Eckbank und zusammen machen sie es sich an dem warmen Platz bequem.
So genießt sie die wohlverdiente Mittagsstunde, hält dabei die alte Freundin im Schoss und kann sich nach dem Aufwachen über das Ei in ihrer Schürze freuen.
„NDR1 Welle Nord, hier die 10:00 Uhr-Nachrichten für Schleswig-Holstein:
Nach bisher nicht bestätigten Informationen aus dem Bekanntenkreis von Prinz Harry und seiner Frau soll Meghan seine Großmutter als „Alte Schachtel“ bezeichnet haben. Die britische Presse schäumt, berichtet von einem verkniffenen Gesicht der Queen und einer in den sozialen Medien weit verbreiteten Forderung, Harry endlichen den britischen Pass zu entziehen!
Die seit Wochen anhaltenden Regenfälle führen in weiten Teilen Schleswig-Holsteins zu immer katastrophaleren Zuständen. Hier ein Überblick über die momentane Situation:
Alle Flüsse sind über die Ufer getreten und haben die tieferliegenden Gebiete überschwemmt. Wegen der stetig aus West wehenden starken Winde kann das Wasser voraussichtlich nicht vor Ende nächster Woche in die Nordsee abfließen.
Viele Verteilerstationen der Energieversorgungsunternehmen stehen unter Wasser. Weite Gebiete sind daher seit Tagen ohne Strom.
Die Notstromversorgung der Anlagen von Telekom und Mobilfunkanbietern sind für eine derart lange Ausfallzeit nicht ausgelegt. Die meisten Vermittlungsstellen für das Festnetz und viele Mobilfunkmasten sind nicht mehr in Betrieb.
Die Wasserversorgung funktioniert weitgehend störungsfrei. Nur in begrenzten Bereichen ist Schmutzwasser in das System eingedrungen. Hier wird dringend geraten, das Wasser vor dem Gebrauch für die Zubereitung von Essen oder als Trinkwasser abzukochen. Welche Versorgungsgebiete im Einzelnen betroffenen sind können sie in unserer kostenlosen und stetig aktualisierten Nachrichten-App nachlesen.
Alle Rettungsdienste sind im Einsatz und versuchen, die Lage so weit wie möglich in den Griff zu bekommen.
Nach einer Verlautbarung des Pressesprechers der Landesregierung ist man sich dem Ernst der Situation sehr bewusst:
Der Ministerpräsident habe sich bereits neue Gummistiefel (in Jamaika-Farben) bestellt und will demnächst die betroffenen Gebiete überfliegen. Einer der beiden im Land stationierten Rettungshubschrauber steht dafür schon seit gestern in Kiel bereit.
Der Innenminister erwägt, für die Mitglieder des zu bildenden Katastrophenstabes eine Urlaubssperre auszusprechen. Die Verhandlungen mit dem Personalrat über diese einschneidende Maßnahme sind aber noch nicht abgeschlossen.
Das Finanzministerium prüft bereits Möglichkeiten einer finanziellen Unterstützung von besonders betroffenen Personen oder Firmen. Leitende Beamte haben deshalb gestern im Keller des Ministeriums alle Tresore durchsucht. Nach einer nicht dementierten Meldung konnte ein Barbestand von EUR 128,57 festgestellt werden.
Und jetzt die Wetteraussichten:
Das Tief „Boris“ ist auf dem Weg von Großbritannien zu uns und bringt bis mindestens Ende nächster Woche weiterhin ergiebige Regenfälle.
Mehr Informationen zu den Folgen des schlechten Wetters erhalten sie in einigen Minuten.
Aber vorerst machen wir weiter mit dem immer noch beliebten Lied: > Wann wird es endlich wieder richtig Sommer? <.“
Annegret, 89 Jahre, aber immer noch rüstig, dreht das Radio leiser. Heute Morgen hatte sie bereits den Küchenherd angefeuert, sich zwei Tassen Kaffee aufgebrüht und diese wie gewohnt mit zwei Stücken Weißbrot, dick mit Margarine geschmiert, genossen. Dann hatte sie abgewaschen, aufgeräumt, gefeudelt und die Batterien in dem seit 40 Jahren in der Küche stehenden Kofferradio gewechselt.
Nun setzt sie sich auf ihren Lieblingsplatz am Küchenfenster, guckt über den Hofplatz auf die umliegenden überschwemmten Felder und die in der Ferne aus dem Wasser herausragenden Einfamilienhäuser. Es war doch gut, dass die Vorfahren seinerzeit den Hof auf diesem seit Jahrhunderten bewährten Siedlungsplatz errichtet hatten, der jetzt einen Meter über die umgebende Wasserfläche liegt.
Dann schließt sie die Augen und denkt zurück:
An Ihren Vater, der `44 in Russland gefallen war und sie und ihre Mutter alleine zurückließ. Wie beide alleine den kleinen Hof weiterführen mussten. Wie sie dann beim Tanzen den schneidigen Heinrich traf. An die karge Hochzeit nach nur ein halbes Jahr, und an die Geburt ihrer Tochter Gertrud sieben Monate später. An ihren fleißigen Heinrich, der neben seiner Arbeit im Straßenbau immer noch den Hof weiter betrieben hatte und der nun auch schon seit 20 Jahren auf dem Friedhof lag.
Jetzt kam Gertrud alle zwei Tage um nach ihr zu sehen und um die beim Kaufmann bestellten Sachen zu bringen. Die Enkelin besuchte sie einmal in der Woche und brachte mit ihren drei Kindern stets Leben in die Bude. Schön war es dann aber auch, wenn sie danach wieder ihre Ruhe hatte.
Das Radio reißt sie aus ihren Gedanken:
„Und jetzt wie versprochen Berichte von der Wasserfront:
In Bredenbüttel blieb ein unvorsichtiger Autofahrer in einer überfluteten Unterführung mit seinem PKW liegen. Bei der Bergung des Fahrzeuges mitsamt dem bis zur Brust im Wasser sitzenden Fahrer stolperte ein Mitglied der freiwilligen Feuerwehr über einen hochgedrückten Gullideckel und verletzte sich schwer.
In Freienfeld soll ein Landwirt beim Versuch, seinen festgefahrenen Schlepper vom Feld zu holen, in einer der tiefen Fahrzeugspuren ertrunken sein. Hierfür gibt es aber noch keine offizielle Bestätigung.
Die Bundeswehr musste ihr Angebot, Rettungsmaßnahme durch den Einsatz von Sturmbooten zu unterstützen, zurückziehen. Die kurz nach Gründung der Streitkräfte beschafften Boote erwiesen sich als nicht mehr einsatzfähig. Eine besonders motivierte Gruppe hatte es trotz des miserablen Materials dennoch versucht und war nach wenigen hundert Metern an einem Stacheldrahtzaun hängen geblieben. Die bis zum Hals im Wasser stehenden Soldaten konnten von dem verbliebenen Rettungshubschrauber geborgen werden.
In Arlaubrück wurde eine Familie mit zwei Kindern tot aufgefunden. Nach ersten Verlautbarungen sind diese offensichtlich an einer Kohlenmonoxidvergiftung verstorben, nachdem sie versucht hatten, eine Tiefkühlpizza auf einem Gartengrill zuzubereiten.
In Wullenwurth bat ein expeditionserfahrener Familienvater über sein Satellitentelefon den ihm persönlich bekannten Leiter des örtlichen Technischen Hilfswerks um Hilfe. Es hatte sich herausgestellt, das in seinem Haushalt nur ein elektrisch betriebener, in der derzeitigen Situation relativ nutzloser, Dosenöffner aufzufinden sei. Jetzt hätte er zwar einen für mehrere Monate ausreichenden Vorrat an Konserven, müsste aber bereits die Restbestände an nicht eingeschweißten Lebensmitteln rationieren.
In Quakenstede hatte ein Supermarkt aufgetaute Tiefkühlartikel und noch einige andere vom eingedrungenen Wasser beschädigte Ware zur Abholung und Verteilung durch Hilfsorganisationen am Eingang des Geschäfts bereitgestellt. Dies hatte sich schnell in der Nachbarschaft herumgesprochen und zu tumultartigen Szenen bei der Plünderung geführt.
Also, liebe Hörer. Das war erst mal das Neueste. Wir melden uns wieder in 30 Minuten mit den aktuellen Nachrichten.“
Annegret schaut über den Hof rüber zum Hühnerstall und sieht, wie die Henne Adelheid erst den Kopf und dann den ganzen Körper durch das offene Hühnerloch zwängt, von der Tiefe des auf dem Platz stehenden Wassers überrascht in die Höhe springt und mit ihren kurzen Stummelflügeln in Richtung Misthaufen flattert. Dort steht sie nun, scharrt missmutig und mit wenig Ambitionen im nassen Dung und überlegt offensichtlich, wie sie nur wieder einen trockenen Platz erreichen kann.
Sie sieht sich das Elend ihrer ältesten, durch die aber immer noch andauernde Legefreude bisher vor dem Kochtopf bewahrte, Henne eine Weile an, geht dann zur Garderobe an der Hintertür, streift ihre Gummistiefel und einen langen, noch von Heinrich stammenden Regenmantel über, und tritt hinaus auf den Hofplatz. Das knöcheltiefe Wasser erinnert sie an den seit längerem verstopften Abfluss, den der Nachbarsjunge dringend mal wieder reinigen müsste. Die dafür fällige Mark will sie sich das wohl noch kosten lassen. Am Misthaufen lockt sie das dumme Huhn, ergreift es und trägt es unter dem Mantel zurück ins Haus. Dort wird das Tier mit einem Handtuch ordentlich abgerubbelt und darf es sich dann in der Küche auf der Eckbank bequem machen.
Annegret zieht die nassen Socken aus und hängt diese zum Trocknen neben den Herd. Sie weiß ja schon seit langem, das die Stiefel alt, porös und nicht mehr wasserdicht sind, aber in ihrem Alter lohnt die Anschaffung eines neuen Paares wohl nicht mehr.
Dann setzt sie Kartoffeln auf den Herd, holt ein Glas mit eingemachten Frikadellen und eins mit grünen Bohnen aus der Speisekammer und bereitet das Mittagessen vor. Gertrud schimpft immer wenn sie wieder mal zu viel einkocht hat, aber in der jetzigen Lage ist es doch ganz gut über ausreichend Vorräte zu verfügen. Gertrud sagt ja auch nichts und nimmt es gerne, wenn sie ihr hin und wieder ein Glas Bohnen oder Rote Bete zusteckt. Und auch die Urenkel sind doch ganz wild nach dem selbst gekochten Apfel-Flieder-Gelee.
Nach dem Mittagessen spült Annegret das Geschirr und räumt es weg, wirft noch ein Stück Holz in den Herd, stellte ihren Stuhl dicht daneben, holt das Huhn von der Eckbank und zusammen machen sie es sich an dem warmen Platz bequem.
So genießt sie die wohlverdiente Mittagsstunde, hält dabei die alte Freundin im Schoss und kann sich nach dem Aufwachen über das Ei in ihrer Schürze freuen.