Reine Vernunft

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Hera Klit

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Reine Vernunft


Ich saß in der Abendvorlesung zu Kants „Kritik der reinen Vernunft“ und mein Hiersein war im Grunde bar jeder Vernunft. Ich hätte zu Hause sein müssen, bei meiner Freundin und unserem Baby, das fühlte ich jede Minute der zweistündigen Vorlesung. Dieser Umstand belastete mein Gewissen.
Ich konnte kaum den Ausführungen des Dozenten folgen. An ihm lag es nicht, er brachte den Stoff mit Verve und Engagement. Er liebte Kant, das fühlte man. Immer wieder streute er Anekdoten aus Kants Leben ein, um den trockenen Stoff schmackhafter zu machen.
Aber Kant war auch im Leben recht trocken. Kant, der Granitkopf der Vernunft, trieb ja vermutlich schon Kleist in den Selbstmord. Ein Denker mit hohem Gefahrenpotenzial für Tagträumer.
Der Hörsaal hatte ein starkes Gefälle und ich setzte mich immer in eine Reihe, weit oben im hinteren Drittel, denn ich wollte nicht übermäßig auffallen. Ich setzte mich nicht ganz hinten hin, denn dort oben saßen die, die eigentlich nur kamen, um ungestört ein Nickerchen halten zu können. Schön war, zu dieser Abendvorlesung kamen viele, die sogar älter als ich waren. In den Tagesvorlesungen litt ich darunter, meist der Älteste zu sein, mit meinen nun schon dreiunddreißig Jahren.
Da ich plante, die Klausur mitzuschreiben, um den Schein zu bekommen, musste ich mich zusammenreißen und anstrengen. Ich wollte den Schein unbedingt als Beweis dafür, überhaupt für so ein geisteswissenschaftliches Studium geeignet zu sein. Ich hatte bereits ein Studium an der Fachhochschule abgeschlossen.
Elektrotechnik. Ein reines Brotstudium, in dem ich niemals die geringste Freude empfand. Irgendwie konnte das nicht alles gewesen sein. Nach dem Studium bewarb ich mich zum großen Unmut meiner Eltern nicht, sondern eröffnete mit einem Freund, einem Elektrotechnikkommilitonen, der keinen Abschluss hatte, eine Elektrofirma.
Das Gute daran war, so hatte ich keinen Chef, der mich schikanierte. Das Schlechte daran war, ich musste selbst hart am Bau arbeiten. Ich war mehr so eine Art Elektromeister.
Wahrscheinlich der einzige Elektromeister weit und breit, der sich jeden Morgen zuerst die Beine rasierte. Ich hasste den Staub und Schmutz am Bau. Die Firma sollte allerdings wachsen und dann käme bald die Zeit, in der andere für uns am Bau schuften würden. Damit trösteten wir uns.

Meine Mutter war sehr betrübt über meine Entscheidung und beschrieb mir immer wieder, wie schön ich es als Angestellter einer großen Firma haben könnte.
Im Grund hatte sie recht, sie kannte ihren Sohn, der immer gerne viel Zeit im Bad verbrachte, sich pflegte und zurechtmachte, seine Haare so fein frisierte, weswegen er des Öfteren sogar für eine Frau gehalten wurde. Eigentlich völlig ungeeignet für so ein brachiales Handwerk. Aber irgendetwas war in mir, das mich zum Selbstquälen trieb. Mein Kumpel war da ganz anders als ich, er besaß keinen Spiegel. Der Prototyp eines Mannes und Handwerkers.
Wenn ich mich wieder einmal als zu schwach für einen Mauerdurchbruch herausstellte, kam er breitschultrig daher und machte es mit Leichtigkeit. Ein ganzer Kerl. Meine Stärken lagen mehr im Erledigen von Papierkram, da brauchte er mich. Wir ergänzten uns. Auf unseren Fahrten zu den Baustellen redete ich gewöhnlich ununterbrochen und er hörte nur schweigend zu. Meistens ging es um meine innere Zerrissenheit und um die scheinbare Zerfahrenheit und Ausweglosigkeit meiner Lebenssituation. Einmal, nach einer besonders langen Fahrt und einer langen Litanei von mir, erklärte er mir, ich hätte den Charakter einer Frau und falls ich einmal etwas von ihm benötigen würde, könne ich es ihm direkt sagen. Ich konnte mir den Sinn seiner Worte nicht wirklich eingestehen, fühlte mich aber irgendwie geschmeichelt. Dass ich meist Spitzenunterwäsche unter meinem Bauoverall trug, erfuhr damals niemand. Es milderte irgendwie den seelischen Druck, der permanent auf mir lastete. Nicht einmal ich begriff, warum ich es tat. Den Begriff Transgender lernte ich erst viel später kennen, als ich über einen eigenen Internetzugang verfügte.
Die Auftragslage unserer Firma war nicht so berauschend, wir verdienten gerade mal genug, um unsere Familien durchzufüttern. Ich hätte natürlich rund um die Uhr für den Erfolg unserer Firma leben und kämpfen müssen. Stattdessen entwickelte ich den Wunsch, mich an der Uni einzuschreiben, um nebenher Geisteswissenschaften zu studieren. Mein Kumpel war ein gutmütiger Mensch und außerdem von mir abhängig, deswegen tolerierte er meine Entscheidung. Er gestand mir allerdings später, seine Frau habe getobt, als sie es hörte.

Auf die Bedenken der anderen konnte ich keine Rücksicht nehmen, denn ich suchte etwas, das ich im normalen Leben nicht fand. Ich konnte allerdings selbst nicht genau sagen, was es war. Ich schrieb mich in Literaturwissenschaft, Philosophie und sogar in Theologie ein. Diese drei Fächer sollten die Werkzeuge sein, mit deren Hilfe ich die große Rätselfrage meines Lebens lösen wollte. Das alles musste doch einen tieferen Sinn haben. Es war mir zu diesem Zeitpunkt schon klar geworden, dass ich Elektrotechnik nur meinen Eltern zuliebe studiert hatte. Mehr noch, ich hegte bereits den Verdacht, mein Kind nur meinen Eltern zuliebe gezeugt zu haben. Trotzdem war die Geburt unserer Tochter das schönste Ereignis meines Lebens. Wer war ich, was wollte ich wirklich? Warum war ich so zutiefst unzufrieden mit meinem Dasein. Ich war permanent auf der Suche. Meine Freundin ließ mich gewähren. Glücklich war sie sicher nicht mit dieser Situation, ich fühlte auch ihre Angst und Eifersucht, ich könnte eine andere auf diesem Wege kennenlernen. Direkt sprach sie es nicht an. Sie hätte einen reiferen Mann als mich verdient gehabt.

Zunächst war ich mir selbst nicht ganz sicher gewesen, ob nicht mein versteckter Antrieb zum Studium in Wirklichkeit nur in dem Wunsch bestand, heimliche Liebesabenteuer mit anderen Frauen zu haben. Inzwischen hatte ich aber nach zwei abgewehrten Versuchungen dieser Art die Überzeugung gewonnen, mein Studium wirklich nur aus Gründen des geisteswissenschaftlichen Erkenntnisgewinns und der Selbstfindung zu betreiben. Zwei Versuchungen spielte mir der Teufel bereits zu, aber ich umschiffte die Klippen glücklich.

Zunächst traute ich am ehesten der Literatur zu, Lösungen für meine innere Zerrissenheit und Unausgeglichenheit bieten zu können. Ich schrieb mich in eine Vorlesung über Kleist ein. Zu meinem Unmut wurde sie von einem jungen, unreifen Dozenten gehalten. Das wäre schon ein Grund gewesen, sie hinzuschmeißen. Ihm fehlte für meine Begriffe völlig die Ausstrahlung und Dominanz, die einen gestandenen Dozenten ausmachen sollten. Wie ein Fähnchen im Wind flatterte er auf dem Katheder herum, ich folgte seinen Ausführungen nur widerwillig. Dass dieser Mann nicht in der Lage sein würde, meine Probleme zu lösen, war sofort ersichtlich.

In der Literaturvorlesung saß regelmäßig ein bestimmtes Mädchen neben mir. Vierundzwanzig, blond, schlank und süß. Sogar schön. Hier hatte sich der Teufel angestrengt und alle Ingredienzien zusammengerührt, die ein Cocktail braucht, um mir den Verstand zu rauben.
Sie kam immer etwas später zur Vorlesung, und obwohl etliche bessere Plätze frei waren, lenkte sie ihren Schritt zielsicher immer zum Platz neben mir. Das musste doch allen auffallen. Machte ich geistreiche Bemerkungen zum Vorlesungsstoff, gab sie durch Gestik und Mimik ihre Bewunderung für mich kund. Nie fing ich ein Gespräch mit ihr an, denn ich wollte meine Neutralität ihr gegenüber demonstrieren. Sie dagegen sprach mich zig mal pro Vorlesung an, weil sie etwas nicht verstanden hatte etc.. Eines Tages war es so weit, ich wollte wie immer schnell nach der Vorlesung nach Hause, da trat sie mir in den Weg und fragte, ob ich Lust hätte, mit ihr bei Karstadt noch einen Kaffee zu trinken. Ich überlegte kaum einen Augenblick und erwiderte, ich müsse schnell nach Hause, ich hätte noch einen Auftrag zu erledigen, drehte mich um und ging. Woher ich in diesem Moment die Kraft nahm, wusste ich nicht, aber es war für mich zunächst ein starkes Indiz für die Reinheit der geistigen Suche in mir.
Wahrscheinlich war sie jedoch, so spann ich nach einiger Zeit zusammen, zu schön, weswegen ich nur Angst hatte, mich mit ihr einzulassen. Gebranntes Kind scheut das Feuer.
Deswegen sandte wohl der Teufel den zweiten Test und den auch noch im theologischen Seminar.

Dort ging es um die Apostelgeschichte. Wir alle saßen brav um einen ovalen großen Tisch. Mir gegenüber saß jeden Dienstag immer das gleiche, braunhaarige, züchtig zurechtgemachte, aber dennoch hübsche Mädchen. In solch einem Seminar neigt man dazu, sich etwas feierlich zu geben. Alle tun es. Man gibt sich, als hätte man noch nie einen unreinen Gedanken gehegt. Man fühlt sich irgendwie beobachtet und durchleuchtet. Mein Streben auf dem Pfad des Glaubens war damals auch keineswegs unlauter, nein, ich spielte zeitweise sogar mit dem Gedanken, ins Kloster zu gehen. Der Dozent, ein toller, würdevoller, reifer Mann, der auch Priester war, berichtete uns so anschaulich von dem Ringen der frühen Apostel um den wahren Glauben, dass ich ganz hingerissen war und ihnen gerne nachgefolgt wäre. Manchmal ließ mich der Dozent eine Bibelstelle vorlesen. Wenn ich geendet hatte, trat er zu mir hin und legte lächelnd seine würdevolle Hand väterlich auf meine Schulter. Ich fühlte mich jedes Mal, als sei ich neu getauft worden. Er lobte meine Betonung, ich floss dahin. In jeder Seminarminute wurde ich gereinigter und klarer und kein irdischer Schmutz sollte mehr meine Reinheit trüben. Ich hegte schon die Hoffnung zum Assistenten des Dozenten avancieren zu können. Das war wohl kindisch, er stand so weit über mir.
Übrigens war ich in diesem Semester wegen dieses Seminars so stark durchgeistigt, dass mir der Geschlechtsverkehr mit meiner Freundin zu profan erschien.
Ich verweigerte ihn ihr. Sie litt und ihr Misstrauen wuchs. Ich war bald nahezu sicher, dem wahren Grund meines Suchens sehr nahe zu sein.

Eines schönen Seminartages, nachdem ich wieder einmal vom Dozenten gelobt worden war, schaute ich selig in mich hinein, doch als ich meinen Blick wieder nach außen wandte, schaute ich direkt in die braunen Augen des braunhaarigen, unscheinbaren, aber hübschen Mädchens. Solche Angriffe sind normalerweise kein Problem für mich, aber ich hatte in diesem Moment einen höheren geistigen Aggregatzustand, was mich sehr sensibilisierte. Deswegen traf es mich um so mehr, dass sie ihren Blick keineswegs sofort abwandte, was gerade in einem theologischen Seminar schlechterdings erwartet werden kann und muss. Nein, sie hielt den Blick, mengte ihm nun sogar ein recht zweideutiges Lächeln hinzu. Ich empfand dies als einen infamen Angriff auf meine Reinheit. Tausend anderen wäre diese Ereignis völlig unbedeutend erschienen, für mich jedoch war es Grund genug, dieses theologische Seminar abzubrechen und meine Suche auf das Feld der Philosophie zu verlagern. Ich entdeckte das Abendseminar zu Kants „Kritik der reinen Vernunft“ und belegte es im nächsten Wintersemester.
Natürlich war es zunächst schwierig, meiner zur Enthaltsamkeit verurteilten Freundin abzuringen, mich abends bei völliger Dunkelheit unbeobachtet aus dem Haus zu lassen.
Ich konnte ihr jedoch die Reinheit meines Strebens und Suchens glaubhaft versichern, worauf sie mir ihre Erlaubnis gab. Ich war mir jetzt sicher, ihr unter allen Umständen treu bleiben zu können, hatte ich doch schon den schwersten Versuchungen widerstanden.
In der Kantvorlesung waren auch nur wenige Hörerinnen zu finden, nein, fast nur Hörer. Interessanterweise bestand sogar etwa ein Drittel der Hörer aus Männern jenseits der sechzig, was mich zunächst vermuten ließ, die Vorlesung diene nur schöngeistigen Unterhaltungszwecken. Der Dozent wischte meine Bedenken bereits in der ersten Stunde mit dem Hinweis auf die Wahlpflichtklausur am Ende des Semesters weg. Eine Klausur verlieh einer Vorlesung immer die nötige Ernsthaftigkeit. Ich besorgte mir sämtliche Pflichtlektüre und las große Teile davon. Ich wollte die Klausur unbedingt bestehen.
Von Vorlesung zu Vorlesung wurde mir wahrscheinlicher, echte Selbsterkenntnis nur unter Einsatz der reinen Vernunft erlangen zu können. Weder literarische Blumigkeit noch gefühlsverworrene Gläubigkeit erschienen mir nun geeignet, das eigene versteckte Wollen und Trachten transparent machen zu können. Kant war hier ein vorbildlicher Mann, der zeitlebens allein geblieben war, ohne Ablenkung im Eis und Hochgebirge seines reinen Verstandeslebens. Meine Freundin ahnte noch nichts von der Gefährlichkeit dieser Vorlesung für den Fortbestand unserer Beziehung.
Ich hatte die Masse der älteren Herren in den Hinterbänken nie recht zur Notiz genommen, wenn ich den Hörsaal betrat und meiner im oberen Mittelfeld befindlichen Reihe zustrebte.
Ich setzte mich, wie das meine Art war, immer auf den gleichen Platz in einer Reihe, die für gewöhnlich außer mir niemand besetzte. Dies war heute anders, direkt auf dem Platz links neben mir saß ein älterer Mann, der nur kurz nickte, als ich etwas verwirrt und unsicher Hallo sagte und mich neben ihn setzte. Es war mein Stammplatz, es blieb mir ja nichts anderes übrig, als mich auch wieder auf ihn zu setzten, das war so eine Marotte von mir. Woher kam dieser Mann plötzlich, war er neu hier oder saß er sonst auf einem anderen Platz, den er heute aufgab, um sich ausgerechnet neben mich zu setzen. Dies klärte sich bald auf, denn er informierte mich darüber, er hätte Interesse an meinem Manuskript, welches er die Gelegenheit hatte, mich regelmäßig führen zu sehen, die ganzen Wochen von der letzten Reihe aus.

Normalerweise schalte ich bei solch dreisten Attacken mir völlig fremder Personen zunächst auf stur, aber er hatte so etwas einnehmend Befremdliches in seinem Wesen, das mich vorsichtig zustimmen ließ. Ich wollte ihm das Manuskript sogleich reichen, aber er lächelte gönnerhaft und sagte, es wäre schon gut, wenn ich auch zuerst heute noch alles mitschreiben würde und ihm das Manuskript nach der Vorlesung geben würde. Ich gehorchte, schrieb während der kompletten Vorlesung mit und er saß schweigend neben mir. Ein großer, kräftiger Mann, den ich auf über fünfundsechzig schätzte. Seltsamerweise presste er während der ganzen Vorlesungszeit sein Bein gegen meins. Normalerweise dulde ich so etwas von niemandem. Jetzt hatte ich das Gefühl, mein Bein nicht wegnehmen zu dürfen, um ihn nicht zu kränken. Ich fühlte mich einerseits in Anspruch genommen und bedrängt, andererseits fühlte ich viel Zustimmung für sein Tun in mir. Ich weiß nicht mehr was ich an jenem Abend mitschrieb, befürchte allerdings es war wenig Sinnvolles dabei, denn ehrlich gesagt war meine reine Vernunft durch seine Zudringlichkeit irgendwie getrübt. Als die Vorlesung beendet war, wollte ich ihm das Skript geben und mich verabschieden.

Da sagte er, er könne dies unmöglich zulassen und er möchte meine Freundlichkeit nicht beansprucht haben, ohne wenigstens eine geringe Gegenleistung zu gewähren. Er möchte mich gerne auf einen Kaffee einladen, das wäre doch das Mindeste, was er jetzt tun könne. Dabei beugte er sich halb über mich und legte sogar seinen rechten Arm über meine Schulter. Dadurch kam ich mir ein bisschen wie in einen Schraubstock eingespannt vor, mit dem Gefühl, meine Meinung gar nicht frei äußern zu können. Das wäre im Prinzip noch erträglich gewesen, damit hätte ich vielleicht noch umgehen können. Womit ich nicht so recht umgehen konnte, war die ungewohnte Reaktion meines Körpers, der eindeutige Signale des Wohlwollens und der Zustimmung zu seiner Zudringlichkeit gab. Ich hörte jemand mit schwacher Stimme sagen: „Ja klar, ich habe alle Zeit der Welt.“ Erst Sekundenbruchteile danach erkannte ich die Stimme als meine. Wir verließen den Vorlesungssaal und gingen in ein Café auf der gegenüberliegenden Straßenseite. Ich ging mit, obwohl es mir eigentlich auch ein bisschen töricht vorkam, mit einem Fremden Kaffee trinken zu gehen. Was sollte dabei herauskommen?
Im Café plauderten wir recht viel. Ich erzählte ihm von meinem Geschäft und andere Details aus meinem Leben und er erzählte von sich.

Ich war nicht wenig erstaunt, als er mir berichtete, er sei der Schäfer der Universität und höre nur zur Entspannung hin und wieder eine Abendvorlesung. Eigentlich kam er mir zu elegant für einen Schäfer vor, doch aufgrund seiner körperlichen Präsenz und Kraft, die er ausstrahlte, konnte ich mir schon vorstellen, wie er ein Schaf packen könnte, um es zum Scheren auf die Seite zu werfen. Und aufgrund seiner etwas unheimlichen Art, die er ausstrahlte, konnte ich mir auch vorstellen, wie er ein Schaf packen könnte, um es zum Schlachten auf die Seite zu werfen.

Wenn er mir etwas erzählte -dabei hatte er sich press an meine Seite gesetzt- legte er immer wieder wie beiläufig seine starke Hand auf meinen Oberschenkel und zwar gefährlich weit oben. Ich beschwerte mich nicht darüber, wünschte mir sogar törichterweise, er möge die Hand noch weiter nach oben legen. Dass ich unheimlich feucht wurde durch sein Treiben, könnte ich ja verschweigen. Ich gebe es aber zu. Ich lernte mich jetzt von einer Seite kennen, die ich bisher nur ahnungsweise an mir geduldet hatte.
Das Café wollte schließen, wir mussten es verlassen.

Er führe immer mit der Straßenbahn nach Hause. Ich schlug vor, da ich ja mit dem Auto hier sei, ihn die paar Straßen zu bringen. Es war ihm recht, wir fuhren und standen dann vor seinem Haus und redeten im Auto noch eine ganze Zeit über dies und das. Ich legte dabei wie immer meine rechte Hand auf den Schaltknüppel.

Auf einmal ergriff er meine Hand, schaute mir tief in die Augen und erklärte dabei, er hätte mich schon die ganze Zeit beobachtet und auch sofort erkannt, was ich für einer sei. So feminin und weich sei ich ihm vorgekommen. Dabei zog er meine Hand zu sich und führte sie auf seinen Schaltknüppel, den er unbemerkt von mir bereits aus seinem Hosenschlitz hervorgeholt hatte. Es war ein völlig überraschendes Knüppel-aus-dem-Sack für mich. Ich ließ es geschehen, denn mir wurde schlagartig klar, dass ich nun im Begriff war, den wahren Grund meines Suchens und Strebens zu finden. Ob man das auch als Erleuchtung bezeichnen darf, weiß ich nicht. Er war von der Natur stark, fast martialisch ausgestattet worden, im Gegensatz zu mir. Ich hatte schon öfter gehört, dies sei bei richtigen Männern immer der Fall, erfuhr es aber so konkret nun zum ersten Mal. Hätte ich meiner Freundin zu Hause je begreiflich machen können, dass ich das, was ich nun tat, nicht so sehr deswegen tat, weil ich ihn sympathisch und nett fand, sondern weil mich das Bedrohliche, das von ihm ausging, faszinierte und anzog. Es brach meinen Widerstand und machte mich gefügig. Trotzdem sagte alles in mir ja dazu. Womöglich hätte sie es sowieso verstanden, weil es nichts anderes war als das normale weibliche Empfinden in solchen extremen, archetypischen Situationen? Männer wie er sind auf dem Gebiet der Sexualität richtige Schurken und Halunken, dominant, fordernd und egoistisch. Da sind es eben böse Männer, die sich einfach nehmen, was sie brauchen, und das ist es letztlich, was einem so guttut. Es sind Freibeuter und Seebären, die sich zähnefletschend auf unsere sturmreif geschossenen Blanken schwingen, während wir Leichtmatrosinnen hilflos zuschauen und darauf warten, ihre Befehle ordnungsgemäß ausführen zu dürfen. Ich nehme für mich in Anspruch, nicht die geringste Wahl gehabt zu haben, glaube allerdings nicht, dass das Ergebnis ein anderes gewesen wäre, hätte ich eine gehabt.
Mit Vernunft hat so etwas herzlich wenig zu tun Herr Kant, schon gar nichts mit einer reinen.


Und wie der Faust der Tragödie, des Suchens und Studierens müde, sich endlich der Magie ergab, so ergab ich mich nun seiner Magie und das mit großem Gewinn.
 



 
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