Reise durch die Unendlichkeit

5,00 Stern(e) 1 Stimme

Ozznik

Mitglied
Ich treibe durch den leeren Raum und beobachte das Sterben der Sterne, das Verbrennen der Sonnen und die Geburt von Galaxien. Meine Reise begann mit einem Sprung aus dem Grau hinauf auf den Schweif eines Kometen und führte mich in die Tiefen der Galaxie. Ich folgte meinem Bauchgefühl und löste mich von dem Giganten aus Stein. Auf meinem Marsch durch das All ließ ich die Milchstraße hinter mir, wünschte dem großen Wagen alles Gute und wandte mich von dem Bekannten ab. Meine Wahrnehmung formte sich neu, oben wurde zu rechts, links zu unten. Richtungen verloren im Angesicht der sich vor mir ausbreitenden Weiten jede Bedeutung. Mein Bewusstsein erweiterte sich in diesem Raum, die geistigen Schranken meiner Menschlichkeit lösten sich in der Endlosigkeit nach und nach auf und ich spürte, wie ein Prozess in mir begann. Ich grüßte einen weißen Zwerg, schlich um sein sterbendes Licht und sprang auf einen zu Asche verbrannten Planeten in seiner Nähe. Die Kälte und der Tod, der auf der Oberfläche herrschte, umspielten mich, zu meinen Füßen die verbrannten Überreste einer Zivilisation, die sich nicht vor der sterbenden Sonne retten konnte. Dieser Ort erdrückte mich fast so, als ob der zu Grabstätte gewordene Himmelskörper mich bitten würde zu gehen. Der kaum noch vorhandene Wind peitschte Aschewolken in die Höhe. Ich nahm Anlauf und sprang wieder in die Unendlichkeit. Das Marschieren hatte sich zu einem Treiben verwandelt. Jetzt war ich in der Lage, eine neue Veränderung wahrzunehmen: Je mehr Zeit ich in den Armen des Universums verbrachte, je mehr mentale Barrieren meiner Psyche sich ablegten, desto greifbarer wurde das Konzept der Unendlichkeit für meinen Verstand. Das menschgemachte Konzept der Messung von Zeit löste sich vor meinen Augen auf, alles, was blieb, war das Sein in der von so vielen gleichzeitig stattfindenden Prozessen belebten, sich ewig ausbreitenden Finsternis. Welche Bedeutung hatten da noch die Minuten, Stunden und Tage auf der Erde?

Ein zartes Licht in der Ferne zieht mich hinaus aus meinem Treiben, lässt mich in ein Laufen verfallen und verführt mich mit seinem bläulichen Leuchten. Als ich endlich vor dem Licht stehe, erkenne ich einen kleinen Stern, von der Größe eines Medizinballs. Das Blau seines Lichts umspielt mich, hypnotisiert mich und ich verliere mich eine Weile in dem Leuchten des Sterns. Der Stern wurde zu einem Teil von mir und ich zu einem Teil des Sterns. Plötzlich erwache ich aus meiner Hypnose und begreife etwas, das mir mein beinahe überwundenes menschliches Denken vorher nicht ermöglichte: Ich bin ein Teil dieses Sterns und der Stern ein Teil von mir. Der Stern und ich sind Teile dieses Universums, was bedeutet, dass wir praktisch zu einer Einheit verschmolzen sind. Das Gewicht dieser Erkenntnis, dass ein Teil meines Daseins aus einem Funken der Unendlichkeit besteht, hilft mir, die letzte geistige Barriere meiner Menschlichkeit abzulegen. Ich wachse über mich hinaus und bin endlich in der Lage, das für den Menschen Unmögliche zu verstehen - das Konzept der Unendlichkeit.

Bevor ich mich wieder auf den Weg durch die Flut aus Eindrücken mache, klemme ich mir den kleinen Stern unter den Arm. Mit meinem neuen Wegbegleiter stürze ich mich wieder in die Flut der Ewigkeit. Eine Galaxie wird in der Ferne geboren, doch bevor ich sie erreiche, erlischt ihr Licht wieder. Zu meiner Linken zersplittert leise ein Planet in tausende Teile und es entsteht ein Asteroidenmeer, das sich um die restlichen Planeten verteilt. Schwimmend verlasse ich das Meer aus Gestein und finde mich in einem Nebel wieder. Das Licht meines Wegbegleiters hilft mir, einen Ausweg aus dem Nebel zu finden und meine Sicht wird klar. Ich befinde mich an einem dunklen Ort, an dem weder Sterne, noch Zwerge und keine Sonnen glühen. Gerade als ich diesen Ort verlassen will, macht sich der Stern in meinen Armen durch ein helles Aufglimmen bemerkbar. Es scheint mir, als ob mein Begleiter möchte, dass ich ihn hier abstelle. Es ist ein komisches Gefühl, einen Teil seiner Selbst an seinem Ursprung abzusetzen, aber es fühlt sich richtig an. Ich umarmte den kleinen blauen Stern zum Abschied und machte mich auf in tiefere Gefilde. Während ich dem kleinen Stern noch nachschaue, verändert sich dieser schlagartig. Er nimmt rapide an Masse zu, tauscht sein kaltes Blau gegen ein dunkles Rot und erhellt weit die Dunkelheit um sich herum. So war aus dem kleinen Stern doch noch ein Riese geworden. Mit Stolz in meiner Brust wende ich mich ab und fühle schleichend die Wärme des Lichts in meinem Rücken verschwinden.

Ich habe genug gesehen, genug Impressionen gesammelt. Ich habe den Rand der Unendlichkeit erblickt und die Galaxien erforscht. Eine ewig nicht mehr dagewesene Müdigkeit übermannt mich, sowie der Wunsch nach Heimkehr. Ein letztes Mal nehme ich Anlauf und treibe durch die Finsternis in Richtung Heimat. Es ist Zeit für mich zu ruhen. Das Letzte, was meine Augen sehen, bevor der Schlaf mich überkommt, ist das in der Ferne sichtbare Licht meines alten Wegbegleiters. Bald werde ich wieder Zuhause sein und ich freue mich darauf.
 

aliceg

Mitglied
Lieber Ozznik,

wenn Wissenschaft so anschaulich leicht geschildert und gefällig lesbar angeboten wird, gefällt das Mitreisen durchs All
besonders. Vielen Dank!


lg aliceg
 

petrasmiles

Mitglied
Lieber Ozznik,

diese Reise hat wirklich etwas Fasznierendes!
Unter dem WIssenschaftsaspekt wie aliceg habe ich den Text gar nicht gelesen.
Eher aus der Erdlingsperspektiven, wo mir doch kalt und angst und bange wurde ... und dann frage ich mich, was konkret da passiert:
Meine Wahrnehmung formte sich neu, oben wurde zu rechts, links zu unten. Richtungen verloren im Angesicht der sich vor mir ausbreitenden Weiten jede Bedeutung. Mein Bewusstsein erweiterte sich in diesem Raum, die geistigen Schranken meiner Menschlichkeit lösten sich in der Endlosigkeit nach und nach auf und ich spürte, wie ein Prozess in mir begann.
Mit dem Kopf bin ich mitgereist, aber der Körper, der wollte Nähe, Wärme und Schutz.

Liebe Grüße
Petra
 



 
Oben Unten