Reisebericht

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flammarion

Foren-Redakteur
Teammitglied
Reisebericht

Nachdem meine Kinder erwachsen geworden waren, saß ich viele lange Stunden gelangweilt vor der Glotze und legte Patiencen. So auch an jenem Tag, der den Grundstein zu jener Reise legte, von der ich hier berichten möchte.
Ich saß also da und fühlte mich leer und nutzlos, da klingelte es an meiner Tür. Es war kein Besuch angemeldet, so ging ich mit gemischten Gefühlen zur Tür. Hoffentlich will sich jetzt nicht jemand mit mir über Gott unterhalten oder mir einen Staubsauger verkaufen, flehte ich innerlich.
Meine Freude kann sich kaum einer vorstellen, als ich vor der Tür meine Schulfreundin erblickte! Sie hatte 1970 ein Haus in Gotha geerbt und wir hatten uns „eine halbe Ewigkeit“ nicht mehr gesehen. Sie hatte zwei mir unbekannte Damen im Schlepptau und klärte mich gleich über ihre plötzliche Anwesenheit auf: „Wir sind bei einem AMWAY-Treffen in Berlin und ich wusste nicht, ob dazwischen genug Zeit sein würde, nicht nur meine Eltern und Geschwister, sondern auch dich zu besuchen. Darum habe ich dir nicht geschrieben, damit du nicht enttäuscht wirst.“
Wir ließen uns zu einem gemütlichen Kaffeeklatsch nieder und ich ließ mich für AMWAY anwerben. Die Produkte nahm ich selber in Anspruch, einige Putzmittel und Kochtöpfe schwatzte ich meiner Familie auf und ein Minimum ging an Arbeitskollegen. Mir war von vornherein klar, dass ich keine Reichtümer erwerben konnte bei dem kleinen Bekanntenkreis, den ich pflegte.
Aber meine Gedanken hatten ein nun neues Feld. Bei den regelmäßig stattfindenden Treffen war immer was los und ich sah meine Freundin öfter. Die Busfahrten waren wesentlich billiger als eine Eisenbahnfahrkarte und es war auch viel gemütlicher als in der Bahn. Es wurde gesungen, gelacht und selbstgebackener Kuchen herumgereicht.
Dann hieß es eines Tages: „Das nächste Treffen findet in den Zillertaler Alpen statt.“ Ich konnte es kaum glauben – eine Fahrt nach Österreich! Old Icke aus Ostberlin fährt nach Österreich! Natürlich war ich gleich Feuer und Fett. Ich freute mich so sehr auf die Fahrt, dass mir der Kostenpunkt völlig schnuppe war.
Die Fahrt begann wie immer mit Liedern und Scherzen, aber kaum, dass wir Thüringen verlassen hatten, wurde es sehr still im Bus. Die meisten Mecklenburger machten ein Nickerchen und die in Thüringen zugestiegenen achteten das und schwiegen.
Ich freute mich noch immer, in diesem Bus zu sitzen. Ich würde nicht nur halb Deutschland sehen – ganz besonders freute ich mich dabei auf Bayern, wo meine Mutter geboren wurde – sondern auch noch ein Stück von Österreich!
Leider brach die Dämmerung herein und ich bekam von Bayern so gut wie nichts zu sehen. Nur einige kunstvoll gearbeitete Kreuze am Wegesrand.
Allmählich taten mir von dem unbequemen Sitzen alle Knochen weh und ich sehnte den Moment herbei, wo wir endlich am Zielort ankommen.
Zunächst aber galt es, die Grenze nach Österreich zu überschreiten. Ein allgemeines Stöhnen ging durch den Bus, als wir die kilometerlange Warteschlange sahen. Aber unser Busfahrer tröstete uns: „Das sind nur die PKWs, wir müssen rüber zur Busspur, die ist leerer.“
Und richtig, wir fuhren an all den wartenden Autos vorbei und waren nach wenigen Minuten abgefertigt. Der Grenzer sah sich nicht einmal unsere Ausweise an, die der Busfahrer eingesammelt hatte. Er inspizierte nur den Kofferraum.
Zwei Stunden später waren wir im schönen Zillertal angekommen. Nach einem üppigen Nachtmahl – ich aß erstmalig Rehrücken - suchten wir unsere Hotelzimmer auf. Ich hatte kaum mein zweites Bein im Bett, da schlief ich schon.
Am Morgen ging mein erster Weg nicht wie gewöhnlich zur Toilette, sondern an s Fenster. Und da standen sie dann, die Berge, diese Wunderwerke Gottes. Ich konnte mich kaum satt sehen. Hätte meine Zimmerkollegin mich nicht gemahnt, hätte ich glatt das Frühstück verpasst.
Das Hotel war gleichzeitig eine Art Heimatmuseum. Überall, wo es in den Fluren möglich war, standen reich verzierte, buntbemalte Truhen und Schränke aus dem Mittelalter, auch Spinnräder und anderes Gerät, was damals recht nützlich war, heute aber längst aus dem Gebrauch ist.
Die Zimmer waren in ähnlichem Stil gehalten. Wir schliefen in großen, altertümlichen Bauernbetten mit ganz dicken, kuschelig weichen, warmen Federbetten. Über dem Bett durfte natürlich das Heiligenbild nicht fehlen.
Und irgend wo im Flur stand auch ein kleiner Hausaltar, der stets mit frischen Blumen geschmückt war. Ich sah, wie manche Frauen im Vorübergehen ihr Kreuz schlugen und knicksten.
Auf der Fahrt zum Schulungssaal blickte ich die ganze Zeit aus dem Fenster und bekam gar nicht genug von diesen stolzen Riesen mit den weißen Häuptern. Sogar eine kleine Lawine konnte ich beobachten, die ohne Schaden anzurichten auf einem Bergrücken verebbte.
In der Mittagspause hatten wir Gelegenheit, im Ort bummeln zu gehen. Wir sahen uns die Kirche an, den Marktplatz und den Boulevard. Auf selbigem war ein Bekleidungsgeschäft und ich bekam endlich, weswegen ich diese Fahrt überhaupt mitgemacht hatte: ein Dirndelkleid. Blauweiß kariert, mit weißem Blüschen und blauer Schürze. Viel lieber hätte ich natürlich eines mit Samtwams gehabt, aber die überstiegen bei Weitem meine Finanzen.
Endlich war ich fach- und sachgerecht gekleidet, wenn ich auf der Cabaret-Bühne meine Küchenlieder sang. „Das schönste Blümlein auf der Alm“ und „I hob mi mei Häuserl am Waldrand aufbaut.“
Die Heimfahrt traten wir am späten Nachmittag an. So bekam ich wieder nichts von Bayern zu sehen.
Die Fahrt dauerte zwei Stunden länger als die Hinfahrt, weil sich diesmal bei der Busspur eine kilometerlange Schlange gebildet hatte, es war Samstag. Ich war wie gerädert, wusste tagelang nicht, wie ich sitzen, stehen oder gehen sollte. Aber an dem Kleid hatte ich viele Jahre lang Freude. Sogar meine Tochter hat es mehrmals als Faschingskostüm getragen.


Das schönste Blümlein auf der Alm,
das ist das Edelweiß.
Es blüht versteckt auf steiler Höh,
wohl unter Schnee und Eis.

Da sprach das Madel zu dem Bua:
„So a Sträußerl hätt i gern!
Geh, hol mir so a Sträußelein
mit so a weißen Stern.“

Da ging der Bua im Augenblick,
so a Sträußelein zu holn.
Der Abend naht, der Morgen graut,
der Bua kehrt nie zurück!

Verlassen liegt er ganz allein
auf steiler Felsenwand!
Das Blümelein, vom Blut ganz rot,
hält er in seiner Hand.

Und wenn des Sonntags tief im Tal
die Abendglocke läut,
dann steht das Madel an dem Grab:
„Hier ruht mein einzig Freud!“


I hob mi mei Häuserl am Waldrand aufbaut,
hollodrihodijettei, hodijettei, am Waldrand aufbaut.

Da habn mir die Bübli zum Fensterl nei gschaut,
hollodrihodijettei, hodijettei, zum Fensterl nei gschaut.

Da hob i mei Fensterl mit Brettern verschlagn,
hollodrihodijettei, hodijettei, mit Brettern verschlagn.

Da hobn mir die Bübli die Nägli nauszupft,
hollodrihodijettei, hodijettei, die Nägli nauszupft.
Da hob i mei Häuserl a Strohdach aufgsetzt,
hollodrihodijettei, hodijettei, a Strohdach aufgsetzt.

Und wann i mol heirat, da kummt das Stroh weg,
hollodrihodijettei, hodijettei, da kummt das Stroh weg.

Nu hob i geheirat, was hob i davon?
Hollodrihodijettei, hodijettei, was hob i davon?

Die Bude voll Gören, a saublödn Mann,
hollodrihodijettei, hodijettei, a saublödn Mann!
 
M

Mara K.

Gast
hallo flammarion,

er ist recht witzig, dein reisebericht und gefällt mir.
tja, wer kennt das nicht, den trubel nach der wende.
obwohl kein fan von heimatmusik, habe ich es gern gelesen und mich amüsiert.
wünsche eine gute zeit und nette gedanken.
herzlich Mara K.
 



 
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