Replik eines Requiems

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hermannknehr

Mitglied
Die nie formulierte Entgegnung von Paula Modersohn-Becker auf das Requiem für eine Freundin von Rainer Maria Rilke

Du fragst mich, was mich treibt, warum ich wiederkehre,
schon losgelöst vom allem Irdischen und weit
und wieder eintrete in Raum und Zeit?
Du irrst dich, wenn du meinst ich hätte Heimweh
und käme um Erinnerung zu wecken
um vorwurfsvoll an Dinge anzustoßen,
die dich erschrecken und dir Nächte rauben.
Kein Vorwurf soll dich quälen, Rainer, niemals
gab ich dir einen Vorwand einer Schuld,
ich bitte dich nur um dein Ohr, mir zuzuhören,
und mich so anzunehmen, wie ich bin.

So vieles blieb unausgesprochen,
was hätte Sprache finden müssen zwischen dir und mir,
was unterdrückt blieb all die langen Jahre
aus stolzer Kleinmut, bis die Niederkunft
uns jäh für immer auseinander riss.
Das ist es was mich umtreibt heute noch,
mir keine Ruhe lässt, da wo ich bin
und meine Seele dunkelt und beschwert.

Du sollst nicht reisen, Rainer, nirgends
hab ich ein Ding zurückgelassen, was mir fehlt.
Und mach aus mir kein Bild, keine Ikone,
die du so vor dich hinstellst wie die Rose
auf deinen Schreibtisch, die dir hilft
die Dinge so zu sehen und zu nehmen
wie du sie brauchst für deine schöpferische Arbeit.

Wir warn uns nah, vielleicht zu nah um zu begreifen,
was uns das Schicksal auferlegt,
denn unsere Liebe war ein stilles Reifen
noch nicht erblüht, doch auch nicht unbewegt.

Weißt du noch jene unbeschwerten Tage,
da wir im Lilienatelier uns fanden
und wir im Schweigen uns erkannten, vage
Schicksal verspürten, groß und nah?
Und doch hast du dich mir entzogen
dich ängstlich abgekapselt in dein Dichtersein,
und nur von Ferne mir gewogen,
Zuneigung spendend ohne wirklich da zu sein.

„Mädchen, Dichter sind, die von euch lernen,
das zu sagen, was ihr einsam seid;
und sie lernen leben an euch Fernen,
wie die Abende an großen Sternen
sich gewöhnen an die Ewigkeit.“

Ja,- das ist es was du konntest , Rainer, Liebe wecken
und ganz für dich zu nehmen für dein Dichterwerk,
um sie aus selbstgewählter keuscher Ferne
in kleinen Stücken so zurückzugeben,
dass sie nicht ganz verlöscht in unserm Herzen
und unterschwellig weiter glimmt.

Doch was bleibt Frauen, die begehren,
die leben wollen hier und jetzt?
Otto war meine Stütze und mein Halt
in dieser wilden, atemlosen Zeit.
Ihn brauchte ich, er wusste Rat und Hilfe,
wenn ich erregt, verwirrt und hilflos war.

Und doch hat dich mein Bündnis tief getroffen,
dein schroffer Aufbruch war Beleg genug.
Und deine überstürzte Heirat: Clara!
Wie hast du sie bewusst von mir getrennt
und eingenommen ganz mit deinem Wesen,
so dass sie sich entfremdet von mir abwand,
die Schwesterseele, die ich so geliebt.

Hab´ ich dich so gekränkt in deinem Stolz?
War es mein Wesen, meine Kunst,
die du nie anerkanntest, nicht aus Überzeugung,
die du nur wohlwollend und freundlich
entgegennahmst wie mein Porträt,
dass du nicht wirklich aufnahmst, nicht erkanntest.

Begreifst du wirklich, weshalb ich hier sitze,
glaubst du die Mutterschaft hat mich verstört,
dass ich, herausgebrochen aus der Arbeit,
nicht mehr zum Leben fand, das mir bestimmt war?
Oh nein, ich wollte dieses Kind, es war mein Schicksal,
das nur so grausam war, mich jählings fort zu reißen
von diesem jungen Leben, das so neu war.

Du klagst den Mann an, der in falscher Liebe
die Frau vereinnahmt, ihr die Freiheit nimmt,
sich zu entfalten und sich selbst zu finden.
Ja, das ist Schuld, wirkliche Schuld!
Auch du bist hier nicht frei davon.

So klage nur, ich klage mit dir, Rainer,
nicht um mein kurzes Leben, nein,
die Frauen lass gemeinsam uns beklagen,
die ihrem Leben Größe geben wollten,
doch die der Kunst und Schaffenskraft beraubt
gefesselt werden durch die Mode und den Mann.

Ja, klagen wir, ich bleibe noch,
lass uns gemeinsam klagen hier im Dunkeln.
Nur bitte mich nicht, dir zu helfen.
Ich kann es nicht und niemand wird es können.
Denn jeder muss für sich allein
die große Arbeit und das Leben
vereinen, zu vereinen suchen.
Da hilft uns keiner, doch du kannst es,
ich habe dich dafür bewundert und verehrt,
für diese Kraft, mit der du dich voran treibst und vollendest,
denn deine Kunst ist groß und bleibt auf ewig.
 

Patrick Schuler

Foren-Redakteur
Teammitglied
Tolles Gedicht. Sicher nicht jedermanns Geschmack, da es eben sehr an Rilke angelegt ist und daher direkt an die Gedichte des Meisters erinnert und sich mit ihnen messen muss.

Trotz allem gefällt es mir sehr gut.

Gott sei es gedankt, du greifst inhaltlich nicht nach den Sternen sondern bleibst auf dem Boden des einfach, menschlichem.
Das macht das Gedicht umso sympathischer.
Glückwunsch.

L.G
Patrick
 

Herr H.

Mitglied
Eine wunderbare Idee, lieber Hermann, Rilkes Requiem durch die tote Freundin beantworten zu lassen. Ich musste daran denken, was RMR mal zu Frau Kippenberg über Paula sagte: "Sie ist die einzige Tote, die mich beschwert." Und wenn er selbst im Requiem schreibt: "Nur du, du kehrst zurück, du streifst mich, du gehst um ..." - dann kommt da ja das Unvollendete zum Ausdruck, das dieser Beziehung zweier Künstlernaturen auch noch im Nachhinein etwas besonders Tragisches gibt.
Dein Gedicht verleiht dieser Tragik ergreifenden Ausdruck: Es bringt das Drama zwischen beiden, ihr Ringen miteinander und umeinander in Worte. Ich finde es rundum gelungen.

LG
Arnd
 

hermannknehr

Mitglied
Hallo Patrick,
vielen Dank für deine positive Bewertung. Ich weiß, der "alte Kram" ist nicht jedermanns Sache. Noch dazu ist Rilkes Requiem nicht ganz einfach zu lesen, geschweige denn zu verstehen. Es freut mich aber, dass es dir gefallen hat.

Gruß
Hermann
 

hermannknehr

Mitglied
Hallo Arnd,
vielen Dank für dein positives Urteil für diesen Versuch.
Ich beschäftige mich schon lange mit Rilke und dem etwas unklaren Verhältnis zu Paula Moderson-Becker, das mich schon immer fasziniert hat. War sie nun seine Geliebte oder nicht? Dann die überhastete Heirat mit Clara Westhoff, die eigentlich nicht seine Favoritin in Worpswede war. Das Zerwürfnis und später die halbherzige Unterstützung Paulas in Paris, nachdem sie sich von ihrem Mann losgesagt hatte und frei war. Fragen über Fragen, die m.E. im "Requiem für eine Freundin" keine Erklärung finden und das insgesamt der Rolle Paulas in meinen Augen nicht ausreichend gerecht wird. Ich musste also ganz einfach die Replik schreiben, egal ob es ein "Sakrileg" dem Meister gegenüber darstellt oder nicht.

Liebe Grüße
Hermann
 



 
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