Reset - alles auf Anfang

Günter Wendt

Mitglied
Heute ist mir etwas Seltsames passiert. Genauer gesagt, etwas krass Seltsames.
Ein Déjà-vu hat sicher jeder von euch schon mal erlebt. Ich hatte schon mehrere in meinem Leben.

Ich sitze mit Freunden zusammen und höre diesem einen Quatschkopf zu, der immer, also oft, die selbe Geschichte erzählt. Innerlich verabschiede ich mich von dieser Situation, weil ich genau weißt was kommt. Langsam trinke ich mein Bier, schaue mich um und nicke an markanten Stellen, während ich Leute beobachte. Dann rufe ich, weil es immer an dieser Stelle der Story kommen muss: „Nein! Is nich wahr! Warum das denn?“
Während die Freunde diesem Laberkopf anscheinend, vielleicht auch scheinbar, aufgeregt zuhören, lasse ich meinen Blick schweifen. An der Bar sitzt so ein Rockertyp. Lederkutte, lange Haare, Tatoos an den Händen. Trinkt Bier, raucht.
Als sich unsere Blicke kurz treffen, bewegt der seinen Kopf ganz langsam, als wolle er dir ein Nein mitteilen, aber so, dass nur ich es bemerke.
Er steht auf, verlässt die Kneipe. Sekunden später habe ich ihn vergessen.
Zwei Stunden später, leicht angeschickert, schlendere ich Tubular Bells vor mich hinpfeifend nach Hause. Schließe die Haustür auf und bereite mich auf das Willkommensgemaunze meines Katers vor.
Ich stolpere, finde mich auf dem Holzboden im vorderen Flur wieder. Große, fragende Katzenaugen blicken mich an und scheinen mir zu sagen: „Ey Alter, was soll das denn?“ Dabei bewegt er seinen Kopf tadelnd langsam von links nach rechts.
Ich stehe mühsam auf, schließe kurz die Augen, öffne sie.

„Hey Leute! Habe ich euch schon erzählt, warum die Möwen auf dem Rücken über Ostfriesland fliegen?“ Michael ist wieder mal in seinem Element. Alleinunterhalter in einer Kneipe.
Lars, Ove und Mike antworten im Chor: „Nein! Is nich wahr! Warum das denn?“
Nur Willy sagt nichts. Als ob er gerade mal gedanklich weit weg ist, schaut er sich in der Kneipe um. Mit einem Blick, der jedes Detail in sich aufzusaugen scheint.
Neben ihm an der Theke sitzt so ein Rockertyp. Lange Haare, Tatoos an den Händen und eine Kutte auf den Schultern. „Hells Bells“ prangt auf dem Rücken.
In diesem Moment springt Willy auf und stürmt ins Freie. Läuft, rennt und flüchtet wie ein von der Polizei verfolgter Bankräuber. Zwei Blocks weiter bleibt er keuchend stehen. Vornüber gebeugt, die Hände auf den Knien. Sein Röcheln beim Kotzen wird vom Lärm einer riesigen Explosion verschluckt.

Ich stehe mühsam auf, schließe kurz die Augen, öffne sie. Mein Kater reibt sich seinen Kopf an meinen Beinen und maunzt.
Draußen vor der Tür bricht eine Geräuschorgie aus. Polizeisirenen, Martinshörner von Krankenwagen und Feuerwehrfahrzeuge donnern am Haus vorbei. Dem Kater ist das zu doof. Er flüchtet in den hinteren Bereich meines Hauses.
Als ich die Haustür öffne und mich umsehe, bemerke ich eine Rauchsäule zwei Blocks weiter. Ein leises Beben nähert sich aus dieser Richtung und pflanzt sich bis hierher, direkt vor meinem Haus fort. Putz bröckelt von allen Gebäuden und landet auf den Bürgersteigen. Kleine Risse im Straßenasphalt vergrößern sich, Wasserfontänen schießen aus ihnen hervor.
Mir wird schwarz vor Augen, alles dreht sich, der Boden bewegt sich auf mich zu.

Als ich meine Augen öffne, rufen meine Kumpels gerade: „Nein! Is nich wahr! Warum das denn?“
Ich knalle mein Bierglas auf den Tisch und rufe: „Stopp!“
Alle Augen sind auf mich gerichtet. Das macht mich verlegen.
Wenn es hier Mucksmäuschen geben würden, wären sie stolz. Stille.
Die Zeit bleibt stehen. Durch die wie in einer 3-D Animation gestoppten Bewegungen der Menschen hier in der Kneipe bewege ich mich auf den Rockertypen zu, reiße ihm die Kutte runter. Bisher kenne ich das nur aus Thrillern im Kino. Eine Weste voll mit Sprengstoff trägt er darunter. „C4“ ist auf allen rechteckigen Päckchen gedruckt.
Alle sind mit einem silbernen Kästchen verbunden, auf dem ein rotes Lämpchen leuchtet. Auf einer Digitalanzeige sind die Ziffern 0:00:30 zu erkennen.
Klar, mir bleibt nur eine Wahl. Also reiße ich alle Kabel auseinander und die Digitalanzeige erlischt. Dann ziehe ich dem Typen die Weste aus, lasse alles auf Toilette wegspülen. Ein bisschen mit der Bürste nachhelfen, und weg ist es. Vielleicht bekommt nächste Woche in der Kläranlage jemand eine Herzattacke, wenn das Zeugs ankommt.
Zurück im Gastraum ziehe ich dem Rocker den Revolver aus seinem Hosenbund, schieße ihm in den Kopf.
Dann setze ich mich wieder an meinen Tisch und rufe: „Weitermachen!“

„Nein! Is nich wahr! Warum das denn?“
Während meine Freunde diesem Laberkopf anscheinend, vielleicht auch scheinbar, aufgeregt zuhören, lasse ich meinen Blick schweifen. Als ich diese süße Maus an der Theke sitzen sehe weiß ich, dass alles gut wird.
 



 
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