Retter in der Not

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  • Ersteller Gelöschtes Mitglied 23708
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Gelöschtes Mitglied 23708

Gast
Während meiner Schulzeit war ich geradezu krankhaft schüchtern. Ich wäre nie auch nur auf den Gedanken gekommen mich zu einer Gruppe meiner Schulkamaraden dazuzusetzen und zu fragen "Was geht so?. Ich wartete immer darauf, zuerst gegrüßt zu werden, aus Sorge, mein Gegenüber könnte meinen Gruß vielleicht gar nicht, oder nur kühl, oder im schlimmsten Fall sogar mit einem ironischen Unterton erwidern.
Ich fand keinerlei Anschluss in meiner Klasse oder sonstwo.
Außer einem einzigen guten Freund, den ich seit der zweiten Klasse kannte, waren mir meine Schulkamaraden absolute Fremde.
Alle waren sie in einer festen Clique. Was hätte ich machen sollen? Ich kann mich ja nicht zu ihnen stellen und sie fragen "Darf ich mitspielen?", wie man das in der zweiten Klasse macht. Irgendwie war es so gekommen.
Meine anderen Freunde, die allesamt eigentlich mit mir nur eine Notgemeinschaft aus Außenseitern gebildet hatten, waren alle irgendwann sitzen geblieben oder hatten die Schule gewechselt. So blieben am Schluss nur noch ich und Andreas.
Naja und Lisa, aber die zählte eigentlich nicht, da sie nie mehr als zwei Wörter am Tag sprach. Das einzige was an ihr auffiel war ihr starker Schweißgeruch, der so penetrant war, dass er ihr Antreffen im Klassenraum schon Minuten vorher ankündigte. Sie war übrigens meine Nebensitzerin.
Freunde außerhalb der Schule hatte ich keine. Ich hätte ja in einen Verein gehen können, doch ich fand einfach nicht, dass ich der Typ dafür war. Mit dieser ganzen Vereinsmeierei, dem Biertrinken und dem aufdringlichen, immer lauten Dauergutgelauntsein konnte ich einfach nichts anfangen. Und die wiederum hätten ganz sicher auch mit mir nichts anfangen können.
Die Kommunikaton mit meinen Klassenkameraden beschränkte sich auf ein spöttisches "Was geht Paul?". Dann lachten sie, während ich wortlos weiterlief.

Die schlimmsten Stunden waren die Sportstunden. Schon wenn ich nur normal lief konnte jeder auf hundert Meter Entfernung sehen, wie unsportlich und unkoordiniert meine Bewegungen waren.
So war es also kein Wunder, dass ich immer als letztes ins Team gewählt wurde.
Die Mitglieder des Teams, die mich dann nehmen mussten, stöhnten und schimpften laut "Oh man, nicht den Typ".
Ich tat so, als hörte ich sie nicht oder als würde mich das alles nicht stören. Nach der Sportstunde kam der unangenehmste Teil. Das Duschen.
Ich musste viel Spott ertragen, weil ich mit Badehose duschen wollte. Der Grund war, dass ich mit meinen vierzehn Jahren immer noch nicht in die Pubertät gekommen war und mein Penis daher viel kleiner als der der anderen und noch dazu völlig unbehaart war.
Jahrelang war das mein größer Wunsch, endlich in die Pubertät zu kommen, eine tiefe Stimme, ein paar Muskeln und vor allem einen großen Penis zu bekommen.
Das schlimmste an der Sache war, dass alle Erwachsenen mir erzählten, ich befände mich gerade in der schönsten Phase meines Lebens und sollte jeden Tag davon genießen.
Und die allermeisten meiner Altersgenossen schienen auch ihren Spaß zu haben.
Auch meine Eltern erzählten mir von ihrer aufregenden Schulzeit, von ihren Cliquen und von den wilden Sachen, die sie alle angestellt hatten.
Und ich saß jeden Abend nach der Schule vor dem Fernsehen und guckte "Simpsons-Episoden", die ich bereits halb auswendig kannte.
"Eigentlich lebe ich gar nicht", habe ich mir damals oft gedacht.
Zu dieser Zeit stand ich oft an den Bahngleisen und überlegte mir, mich einfach darauf zu werfen.
Aber das waren eher melodramatische Spielereien und ich hatte nie ernsthaft den Gedanken mein Leben zu beenden.
Obwohl ich zweifellos das war, was man heutzutage als "Nerd" bezeichnen würde, waren meine Schulnoten grottenschlecht. Ich war sehr chaotisch und hatte nie gelernt, wie man ein Heft ordentlich führt. Während des Unterrichts war ich viel zu sehr damit beschäftigt, nichts peinliches zu tun, um mich auf den Stoff konzentrieren zu können. Zudem hatte ich enorme Fehlzeiten, in den seltensten Fällen wegen tatsächlicher Krankheit und wäre danach auch nie auf die Idee gekommen, meine Klassenkameraden nach dem versäumten Stoff zu fragen.
So kam es also, dass ich vom Übergang der achten in die neunte Klasse sitzen blieb.

Ich hatte mir vorgenommen jetzt alles anders zu machen. Ich wollte beliebt werden. Aber in einer Klasse, in der sich alle schon kennen und Grüppchen gebildet haben ist es für jemanden, der dermaßen introvertiert ist wie ich natürlich schwer, Anschluss zu finden und bald war ich wieder in der gewohnten Außenseiterrolle.
Ich saß jetzt völlig allein auf der letzten Bank und hatte jetzt nicht mal mehr meinen Kumpel Andreas.
Die Zeit zwischen erstem Läuten und Unterrichtsbeginn war am schlimmsten. Da saß ich mit meinen Büchern und Heften und wartete darauf, dass der Lehrer reinkommt und hatte während dessen absolut nichts zu tun als durch die Luft zu gucken und zu versuchen möglichst lässig auszusehen, was auf so eine Weise natürlich unmöglich gelingen kann.
Mehrere Mädchen stupsten sich an, zeigten in meine Richtung und fingen dann an zu kichern.
Die Unterrichtstunden selbst waren dagegen vergleichsweise entspannt, da die Aufmerksamkeit auf den Lehrer gerichtet war und ich einigermaßen ungestört meinen Träumereien nachhängen konnte.
So zog sich das neue Schuljahr etwa sechs Wochen lang, bis eine Wende in meinem Leben stattfand.

Ich war auf dem Heimweg von der Stuttgarter Landesbibliothek und lief über den Hauptbahnhof, auf der Suche nach dem richtigen Gleis. Da tippte mir jemand von hinten auf die Schulter.
Es war ein marokkanisch aussehender, großer Mann mit freundlichem Gesichtsausdruck. Er fragte mich "Willst du Crystal?"
Ich war mir nicht ganz sicher was das war, nur das es was mit Drogen zu tun hatte.
Aus Gründen, die ich bis heute noch nicht verstehe, sagte ich sofort ja.
Ich zahlte ihm 200 Euro und bekam dafür 5g.
Noch am selben Tag zog ich mir eine kleine Line davon in die Nase. Einige Minuten später durchströmte mich ein wahnsinniges Energiegefühl. Plötzlich glaubte ich , alles schaffen zu können. "Ich bin der Beste!" sagte ich mir.
Erinnerungen und Gerüche an eine glückliche Kindheit strömten durch mein Gehirn und ich fühlte mich wie damals, als ich in der fünften Klasse ganz frisch in Patrick verliebt gewesen war.
Ein breites Grinsen lief mir übers Gesicht. Ich wusste, von jetzt an würde alles gut werden.

Als der Wecker am nächsten morgen um 6:30 Uhr läutete, war ich innerhalb von 2 Sekunden aus dem Bett, obwohl ich in der Nacht vor Aufregung kaum geschlafen hatte. Ich holte meine Tüte Crystal aus dem Versteck unter meinem Schrank und schloss mich ins Badezimmer ein. Vorsichtig gab ich eine kleine Line auf den Badewannenrand, faltete ein Blatt Papier zusammen und sniefte die Line in einem Zug durch die Nase. Ein höllisches Brennen durchzog meine Nasenschleimhaut, doch ich empfand das als sehr angenehm. Dann ging ich unter die kalte Dusche und wartete auf den Wirkungseintritt. Als ich mich gerade einseifte ging es los. Ein Energieblitz durchzuckte meinen gesamten Körper. Ich fühlte mich unsterblich und wäre fast in die Dusche gekommen. Ich konnte es kaum erwarten, in die Schule zu gehen.

Als ich mein Fahrrad am Fahrradständer abschloss kamen Gregor und Jerome vorbei. "Hey Paul, was geht? Warum bist du heute so früh dran, hat deine Freundin schlussgemacht?" fragte er höhnisch. "Sturzhelm auf, vorbildlich" fügte Gregor kichernd hinzu.
Normalerweise hätte ich so getan, als hätte ich sie nicht gehört oder sogar noch mitgelacht.
Jetzt wurde ich plötzlich unglaublich wütend. "Steck dir deine Sprüche in den Arsch du Kürbisfresse! Ich weiß, ich bin hier der Unbeliebte, da kann man seine Späße mit mir machen um vor den anderen cool dazustehen, aber findest du das nicht ein bisschen erbärmlich? Und so beliebt bist du jetzt auch nicht. Das ist wahrscheinlich der Grund, warum du bei so was mitmachen musst, du Lauch!"
Die anderen waren kurz sprachlos. Dann kam ein "Oho" und "Was geht bei dem?", doch es hörte sich nicht sehr überzeugend an.
In der Mittagspause schloss ich mich einer Gruppe von Jungs und Mädchen an, die ich eigentlich ganz sympathisch fand.
Auch sie konnten mich glaube ich gut leiden. Ich hatte mich bisher nur noch nie getraut, sie zu fragen, ob ich mitkommen kann.
Die Pause verlief super; ich war lustig, schlagfertig und selbstbewusst. Die anderen staunten nicht schlecht. Während den Schulstunden viel mir jetzt auf, dass ich mich plötzlich konzentrieren konnte, hervorragend sogar.
Innerhalb von 2 Monaten hatte ich Freunde gefunden und meine Noten hatten sich enorm verbessert.
Ich war den ganzen Tag über voller Optimismus und Tatendrang.
Ich trat der Theater-AG bei und wurde dort schnell wegen meines Schauspieltalents und wegen meiner unglaublich lustigen Improvisationen bekannt.
Ich schloss mich einer Gruppe von Menschen an, die als Hobby Geschichten schrieben und sie dann in der Gruppe besprachen. Das machte mir unglaublichen Spaß und ich lernte eine Menge sehr netter Leute kennen, die gut zu mir passten. In Deutsch war ich immer schon gut gewesen, doch ich wäre nie im Traum darauf gekommen, etwas aus diesem Talent zu machen.
Ich lernte mit der Zeit, dass die Leute positiv reagieren, wenn man selbstbewusst auf sie zugeht. Ich lernte, mit Ablehnungen klarzukommen. Zwei Monate lang konsumierte ich jeden morgen vor der Schule Crystal Meth.
Dann ging mir das Zeug langsam aus.. Ich wurde panisch und dachte sofort ans Nachkaufen. Doch mir fielen die ganzen Vorher-Nachher-Bilder ein, die man in den Medien so kennt. Ich überlegte mir, was meine Eltern denken würden, wenn sie von all dem erführen. Mir war klar, wie gefährlich die Droge ist. Als die Packung leer war, konsumierte ich die Substanz nie wieder.

Ich bin jetzt an der Universität, habe Spitzennoten und bin der Held aller Partys. Und naja, auch bei den Frauen und Männern läuft es nicht schlecht. Ich habe die Lektionen, die Crystal Meth mir gelehrt hat, nie vergessen. Ich weiß, wie viele Leben diese Droge zerstört hat, doch ich verdanke ihr mehr als alles andere. Diese Geschichte wollte ich hier erzählen.
 
Zuletzt bearbeitet von einem Moderator:

DocSchneider

Foren-Redakteur
Teammitglied
Hallo Ales.ey,

hm ... das klingt wie ein Freifahrtschein für Drogenkonsum: Damit löst du deine Probleme!

Nach zwei Monaten täglichen Konsums hatte er keine Entzugserscheinungen, als er CM von einem Tag auf den anderen absetzte? Das kann nicht sein!

Für mich ist deine Geschichte leider sehr unglaubwürdig.

Gruß DS
 

petrasmiles

Mitglied
Was ich merkwürdig finde, ist dieser 'Kleiner Junge'-Duktus, der ja nur will, dass ihn alle lieb haben und dann weiß er aber gleich, wie er CM zu nehmen hat - ich hätte keine Ahnung - und dann purzelt er unbeschadet aus der Chose raus und ist von da an Prince Charming.
Wenn hier etwas zu lernen war, dann doch wohl, dass es ums Selbstvertrauen geht, sich selbst nicht zu wichtig nehmen, offen sein. Das zu verstehen, machte den Unterschied, nicht das Zeug, aber darauf gehst Du gar nicht ein.
(Ich glaube, ich habe jetzt mit mehr Wörtern nicht viel mehr gesagt, als was Doc Schneider schon gesagt hat :rolleyes:)

Liebe Grüße
Petra
 

Hans Dotterich

Mitglied
Also ich habe auch vieles Positive in der Geschichte gesehen, wenngleich der Schluß so nicht funktioniert.

Die Darstellung des jungen, arg schüchternen Ich-Erzählers ist stark erzählt und mit farbigen Details angereichert, die plausibel erscheinen und Erwartungen schüren. Auch die Tatsache, dass er über die Droge stolpert. Das passt zu ihm.

Aber dann geht in der Story etwas schief. Die Droge macht ihn glücklich, überlegen und erfolgreich. Trotzdem schafft er es nicht, sich seiner Achillesverse bewusst zu werden und sich über sich selbst Sorgen zu machen. Das glaube ich ihm nicht.

Meine bescheidene Idee dazu (die vermutlich grottenmiserabel ist wie jedes Ende von Geschichten, die jemand anderes angefangen hat): als die Droge alle ist, entwickelt er sich in den schüchternen, verklemmten Typ zurück, der er einst war. Aber so recht gelingt das nicht mehr, weil seine neuen Freunde, die er zunehmend als stumpf und oberflächlich erkennt, ihn daran hindern. Er kommt von ihnen nicht mehr weg und endet als Woody Allen im Kleinformat. Ziemlich neurotisch, komplexbeladen, aber er kann über sich selbst tiefgreifend wie erfolglos philosophieren. Man kennt und schätzt ihn in dieser Rolle. Die Story als tragisch-ironische Autobiografie.

Grüße

Hans
 



 
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