Rettet die Trafikanten! (Ein Aufruf)

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Eine Trafik, falls das jemand nicht kennt, das ist in Österreich so eine kleine Bude, wo man Tabakwaren, Zeitungen, Glückslose und Schreibbedarf zu kaufen kriegt. Ein Kiosk.
Im städtischen Bereich verkauft der Trafikant außerdem noch Fahrkarten für Straßenbahn und Bus - und Lotto spielen kann man hier ebenfalls.
Nach den letzten beiden Großkriegen wurden die österreichischen Trafikantenstellen vornehmlich an Kriegsinvalide vergeben. Das hat sich so eingebürgert und bis in die Jetztzeit gehalten. Auch heute noch werden die meisten Trafiken (mehr als 50 %) von Invaliden geführt.
Das muss man alles erst einmal wissen, um den nachfolgenden, dringenden Aufruf zu verstehen.

Ich selbst brauche die Trafik nicht sehr häufig. Nur alle vier Wochen hole ich mir das Monatsticket für die Öffis.
Aber hin und wieder begleite ich einen Raucher, der sich hier fast täglich seinen Nikotin-Nachschub holt.
Während der Raucher oft noch hin und her überlegt, ob Davidoff oder doch mal wieder Marlboro, stehe ich ohne jede Kaufabsicht im Laden herum und mein Blick fällt auf die gut sortierten Regale.
Und da ist es mir neulich ganz unvermittelt eingeschossen!
Ja, wie Schuppen ist es mir von den Augen gefallen, was außer mir offenbar niemanden aufzuregen scheint.
Dabei ist es ein regelrechter Skandal.

Ich meine:
Wo sich früher die hübsch gestalteten Etiketten der Zigarettenmarken nebeneinander aufgereiht haben – wirklich gut gemachte Werke aus den kreativsten Denkzentren der talentiertesten Werbeköpfe waren das – findet sich nunmehr diese unansehnliche Bibliothek der Grässlichkeiten.
Kennt man ja:
Auf jeder einzelnen Tschick-Packung muss nun nicht nur ein schriftlicher Warnhinweis prangen wie „Raucher sterben früher“ oder „Achtung, Lungenkrebs!“ in den verschiedensten Variationen, nein, jetzt muss auch noch ein dazu passendes Bild mit vorne drauf. Ein visuelles Warnsignal, das sich nicht so leicht ignorieren lässt.
Kann man wohl sagen, diese Bilder haben es in sich. Wirklich: Eins schlimmer als das andere.
Bilder sind das, die hätten, wären sie ein Filmcover, den roten FSK-18-Stempel drauf, mindestens.
Wo früher goldgestanzte Lettern und ausgetüftelte Markenlogos dem Blick des Käufers harrten, erwartet das ungeschützte Auge nun unsagbar Schreckliches: offener Raucherfuß, amputierte Gliedmaßen, schwarze Lungen, faulige Zähne, Krebskranke im Sterbebett… es kann gar nicht blutig genug hergehen, um den Raucher zu entwöhnen.
Und das immerhin ist ja doch der beabsichtigte Effekt dieser ganzen Veranstaltung. Nur um das Volk gesamtheitlich zu mehr Gesundheit zu erziehen, gibt es jetzt die diversen Schockbilder auf den Zigarettenschachteln.
Den Raucher schockt das aber gar nicht so wirklich.
Direkt nach dem Kauf steckt er die schockbildverzierte Packung in eine mitgebrachte Schutzhülle, die ist schon wieder schön anzuschauen - das habe ich jetzt schon hundertmal beobachtet.
Opfer bleibt: Der Trafikant.
Der muss sich das Elend den ganzen Tag anschauen. Der muss das aushalten.
An den Trafikanten denkt mal wieder keiner.
Aber wirklich, dass das noch nie jemandem aufgefallen ist: Der Trafikant ist es doch, der Tag für Tag im Umfeld dieser Grässlichkeiten seiner stundenlangen Arbeit nachgehen muss. Und zwar, ohne dass es für diese zusätzliche Zumutung ein Kompensat gäbe. Kein Zeitausgleich, keine Bonuszahlung, kein Therapieangebot, kein Verständnis kann er sich erwarten, noch nicht mal ein allgemeines Bewusstsein für seine ungerechte Zwangslage.
Wer schützt den Trafikanten?
Niemand!
Nur selbst kann er sich einigermaßen schützen, indem er das unsagbar Schreckliche im Regal hinter sich verstaut und derart den Horrorbildern während seiner Verkaufstätigkeit demonstrativ den Rücken zuwendet.
So passiert das auch in nahezu jeder Trafik.
Mal drauf achten.
Ich meine: Wäre ich Trafikant, ich würde die Packungen gar nicht erst nach Marke sortieren, sondern nach dem Schweregrad der visuellen Störung. Also das Baby mit Zigarette im Mund - ein Bild, das ob seiner offensichtlichen Lächerlichkeit doch eher harmlos wirkt – großflächig in die Regalmitte räumen, wo der Blick gewohnheitsmäßig öfter hinfällt; hingegen den ekligen abgestorbenen Zeh ganz weit außen im peripheren Gesichtsfeld.
Oder ich würde überhaupt nur jene Exemplare ganz vorne einräumen, wo die Menschen auf den Bildern noch einigermaßen ganz drauf sind - und die blutig-fiesen Detailaufnahmen würde ich wohlweislich dahinter verstecken.
Aber das ist doch alles keine Lösung.

Also Zeit wird es, dass hier jemand mal was tut.
Rettet, schützt die Trafikanten!
Mein Ernst. Sammelt Unterschriften oder was.
Ich meine: Es muss doch Auswirkungen auf die seelische und geistige, schließlich auch auf die körperliche und generell auf die Gesamtverfassung haben, wenn sich ein Mensch den größten Teil seines Wachzustandes inmitten solcher Schockbilder bewegen muss.
Alles das in dieser beklemmenden Enge seiner winzigen Verkaufsbude!
Noch dazu, wo der Trafikant als Invalide allzu oft ohnehin schon auf die eine oder andere Weise angeschlagen ist!
Ich kann nur einmal mehr dazu aufrufen, doch endlich eine entsprechende Petition zu starten.
Das ist ja wohl das Mindeste, was ich von meinen Zeitgenossen erwarten kann, nachdem ich diesen gewichtigen Stein nun schon ganz alleine angestoßen habe.
 

petrasmiles

Mitglied
Bravo!
Ich fange langsam an, die Ösis und Ösinen zu lieben - nicht nur wegen der vorzüglichen Texterinnen, nein, allein schon wegen des Wortes Trafikant.
Ich finde auch, dass Du auf einen nicht zu vernachlässigenden Aspekt aufmerksam machst. Wie hier ein Teil der Volksgesundheit mir Füßen getreten wird ...
Wo kann ich unterschreiben?

Liebe Grüße
Petra
 
Das ist das Faszinierende an Österreich, wir Deutsche spüren schnell, dass hier die Uhren anders ticken. Um die geistige Verfassung der Trafikanten müssen wir uns keine Gedanken, denn es sind ausgesuchte Teflonmenschen. Einjeder gibt tagtäglich den "Herrn Karl" mit galertartigem Rückrat, anpassungsfähig und trotzdem bahoart. Seltsam, dass sich die Spezies bis heute erhalten hat, wo doch alle Kriegsinvaliden vergestorben sind.
:D
Das Land ohne Zigarettenautomaten hält an der letzten K&K Reminiszens eisern fest. Für mich, der Dreier und Parisienne geraucht hat, stellen die Schreckensbilder keine Gefahr war. Ich finde es nur ungerecht, dass bei Schnaps und "Bensdorff" keine äquivalenten Hinweise stehen.
Wir hatten nachts im Beisl unter der Budl immer Kent für die Raucher, weil unser Chef jedesmal den Spruch absetzte ... Wer Kent kennt, raucht Kent....
Danke für den Bericht mit Heimwehgeschmack. Ich unterzeichne auch die Petition.
Beislgrüße
 
Zuletzt bearbeitet:
Liebe Petra, lieber Hans,

danke für die Zeit und die Aufmerksamkeit, die ihr mir und meinem Text geschenkt habt – und für die netten Worte.

Das mit der Petition wird schon noch, ganz bestimmt!

Ich will euch diesbezüglich auf dem Laufenden halten, versprochen, mit sehr herzlichen Grüßen von


Erdling
 

WackyWorld

Mitglied
" Ich meine: Wäre ich Trafikant, ich würde die Packungen gar nicht erst nach Marke sortieren, sondern nach dem Schweregrad der visuellen Störung. Also das Baby mit Zigarette im Mund - ein Bild, das ob seiner offensichtlichen Lächerlichkeit doch eher harmlos wirkt – großflächig in die Regalmitte räumen, wo der Blick gewohnheitsmäßig öfter hinfällt; hingegen den ekligen abgestorbenen Zeh ganz weit außen im peripheren Gesichtsfeld. "

Hammergeil. Ich liebe diese Art von schwarzem Humor.Herrlich. Jetzt erst mal eine quarzen auf den Schreck ;) Späßchen. Echt coole Geschichte (ich alter Sack darf noch cool sagen, sonst würde es wohl "nice" heißen). Du bist auf meiner Black-Humor-List gelandet. Ist fast wie Literaturnobelpreis. ;)
 

onivido

Mitglied
Zugegeben, ich wusste nicht was ein Trafikant ist und war ueberrascht und zu Traenen geruehrt, als ich von den Leiden lesen musste, die diese Personen ertragen. Natuerlich unterschreibe ich die Petition.
Gruesse///Onivido
 

Scal

Mitglied
Eher selten, dass ich längere Prosatexte lese, aber der Titel hat mich angelockt und verführt.
Gefällt mir, deine Sichtweise.
Das Thema hat eine Erinnerung in mir wach gerufen.


Tschick

Es hülft nix. De Tschick genga ma aus. Es san e nua a boa hundert Meta.
So, jetzt die die Schwungtür auf.
"Gruß Gott, habts ihr Mohawk?"
Der Trafikant sitzt hinter der Verkaufsbudel, vielleicht ist er invalid.
"Mohawk ?", fragt er, dreht den Kopf zurück, kippt ihn in den Nacken und durchmustert kurz die Galerie der Schreckensbildnisse.
"Mohawk? Na, kann mi gar ned erinnern, dass de Markn gibt".
"De gibt's schoo, de rauch i immer!"
"Duad ma load, de hob i ned in mein Sortiment. Was is denn des fia a Sortn?"
"Des san Zigarettn von ana Indianakoopertive, ohne Zusatzstoffe".
"A so? Aha. Oba woadns, do hob i wöche, die san ähnlich".
Er erhebt sich schwerfällig, greift nach einer gelblichen Schachtel mit einem Trauerbildnis - Bahre, brennende Kerze, trauernde Frau, tröstender Mann - und wirft sie auf den Verkaufstisch.
"NAA, de schmeckn mia ned, de san vom gegnerischen Stamm!"
Er grinst.
"Sie san a schwiariga Fall, wos kunnt ma denn da nu machn. Schaun's einfach a bisserl, gibt e gnuag Auswoi."
"Gem's ma irgendwöche, is egal, i rauch jo eigentlich eh nur wegn da Sucht, notfalls passt a jede Sortn.
Won i wengan Genuss rauchad, dan hät i eh kubanische Havannas valangt."
"Na ja, dann geb i ihna Winston, is des recht?"
"Passt. Wievü kriagns denn?"
"Fünf neindzg".
Dreimal zwei ist sechs. "Passt scho."
"Dank scheen."
"Widaschaun!" "Widaschaun!"
Daheim kommen die Tschick in eine Dose fisherman's friend. Riecht gut.


Lieben Gruß
Scal
 
Servus Scal!

Muss schon sagen: Sehr lebensnah, dein Dialog.

Übrigens: Mein Schwager fährt extra nach Deutschland zum Tabak-Kaufen, nachdem man seine Marke bei uns eingestampft hat.

Dankeschön für die funkelnde Sternenspende.

Freundliche Grüße von Erdling - natürlich auch an Onivido: Petition folgt nach, ich bin ganz sicher, nur Geduld!
 



 
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