Rettungsversuch

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Bo-ehd

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Nicht einmal Rechtsanwälte sind so schlimm wie Eheberater. Bei den Rechtsverdrehern kann man sich anstellen, wie man will, sie garantieren nicht einmal, dass der hoffnungslose Prozess, den sie stundenlang schönzufärben versucht haben, pünktlich anfängt. Sie weisen jede Verantwortung von sich, und wenn ihnen die Argumente ausgehen, berufen sie sich auf eine Weisheit, die ihr bisheriges Verhalten an Wert kaum übertrifft. Dann heißt es nur noch lakonisch: „Vor Gericht ist alles möglich, das wissen Sie doch.“
Eheberater sind zu noch weniger in der Lage. Sie sind Versuchsmenschen, denn wann immer sie eine Leistung anbieten und in Aussicht stellen, sagen sie: „Ich versuch’s.“ Wie der Versuch dann ausfällt, liegt gänzlich in der Hand der Beratenen. Die entscheiden nämlich, wie mehr oder weniger wirksam die Argumente und das Vorgehen des Beraters sind. Folglich kann er nur an seinen rhetorischen Fähigkeiten gemessen werden. Dabei meine ich nicht die Form und Präzision seiner Worte und Sätze, sondern allein die Fähigkeit, den Verstand und noch mehr die Herzen der Beratenen nicht nur zu erreichen, sondern auch einzunehmen und zu lenken. Es gibt einen einzigen Menschen auf dieser Welt, der das richtig gut hinkriegt und eine Ausnahme unter all diesen Versagern darstellt. Er bringt es nämlich fertig, die Gemüter so zu lenken, dass – .
Man möge ihm ein Denkmal setzen.

Die Geschichte hat sich in den Vereinigten Staaten zugetragen, in Louisiana, um genau zu sein. Das muss noch erwähnt werden. An einem Donnerstag nach Mardi Gras erschienen um zehn Uhr Hank U. und Josepha U. im Büro des Ehebraters Rufus Delatte. An dieser Stelle muss nachgetragen werden, dass der Mardi Gras, der fette Dienstag, in New Orleans und Umgebung etwas ganz Besonderes ist. Diesen Tag kann man in etwa vergleichen mit dem Karneval in Rio, Köln oder Basel. Alle Welt ist auf den Beinen. Diejenigen, die sich nur ein einziges Mal im Jahr betrinken, tun es an diesem Dienstag, und wer schon einmal ein paar solcher Tage erlebt hat, weiß, dass das feiernde und trinkende Volk unbedingt noch den Mittwoch braucht, um in die Normalität zurückzukehren. Deshalb war Rufus schlau genug, den Gesprächstermin mit Hank und Josepha auf den Donnerstag zu legen.

Da saßen sie nun vor ihm, den Kater der letzten 48 Stunden noch im Gesicht. Beide weiß, untere Mittelschicht, leicht erregbar, mäßig gebildet, dafür sehr impulsiv, wenn sie gereizt wurden. Ihre Kinder waren aus dem Haus, und konnten sie sich jetzt ungestört in den Haaren liegen, den Tag über schlafen oder flanieren, feiern oder sonstwie zelebrieren. Den Drang zu arbeiten, um ihr täglich Brot bezahlen zu können, hatten sie vor zwei Jahren schlagartig besiegt, als Josepha eine kleine Erbschaft von über eine Mio. Dollar machte, die sie wohl noch ein paar Jährchen über die Runden bringen könnte, ohne dass sie einen Finger krumm machen müssen.
Hank war zeitweise ein ausgesprochener Schöngeist. Nicht dass er sich für Kunst oder anspruchsvolle Literatur ernsthaft interessiert hätte. Das war ihm zu anstrengend. Aber ab und zu hörte er Arien italienischer Opern, weil das alle taten, die um einen gesellschaftlichen Aufstieg bemüht waren. Natürlich nur die leichtgängigen mit den einprägsamen Melodien: Puccini und Verdi. Zu ihren Aufstiegsbemühungen gehörte auch das gelegentliche Speisen im Orpheus, aber hier reduzierte er seine kulinarischen Ansprüche auf ein Stück Fleisch, was seinen Grund darin hatte, dass er mit diesen ganzen gepanzerten Schalentieren aus den Bayous und den grätigen Fischen im Allgemeinen auf Kriegsfuß stand. Natürlich nicht wegen des Geschmacks, sondern ausschließlich auf der Tatsache beruhend, dass er bei Tisch in gehobener Gesellschaft dramatische Defizite im Umgang mit dem Besteck vorzuweisen hatte. In diesem Punkt verfluchte er die Cajuns, von denen er ja abstammte, auch wenn er ihre Küche über alles liebte. Mehrmals waren ihm in vergangenen Zeiten aufgebrochene Chitinpanzer, Scheren von Krebsen und ganze Skelette wie Geschosse in Richtung der Nachbartische abgegangen, so dass er sich eines Tages schwor, derartige Schwierigkeiten künftig kategorisch zu vermeiden.
Josepha hatte diese Schwierigkeiten nicht. Sie litt eher unter einer gewissen Grenzenlosigkeit, wenn es darum ging, Alkohol dosiert zum Essen zu genießen. Sie konnte sich einfach nicht gegen das dynamisch reziproke Verhältnis von Hunger und Durst wehren. Während die Speise auf ihrem Teller mit jedem Bissen abnahm und Hunger und Appetit eindämmten, entwickelte sich, was nun die alkoholischen Getränke betraf, mit jedem Schluck ein stetig anwachsendes Verlangen nach mehr und härterem Stoff. So kam es, dass sie zeitweise kein Dinner ohne Vollrausch beendete. Und wenn sich Hank darüber beschwerte, weil es einfach nicht schicklich war, sich als Dame so volllaufen zu lassen, gab es regelmäßig Zoff in beachtlichen Dosierungen.

*
„Ich kenne Euch ja nun schon lange genug, aber sagen Sie mal, Hank“, begann Rufus das Therapiegespräch, „wie kann es sein, dass sich zwei so vernünftige Leute wie ihr beide so häufig an den Arsch kriegen? Könntet Ihr Eure Streitereien nicht ein bisschen gesitteter ausführen? Dann wäre Euch beiden schon geholfen.“
„Gewöhnen Sie der Suffnudel das Saufen ab, dann verhalte ich mich wie ganz normaler Mann“, antwortete Hank und zeigte verächtlich auf Josepha. Die konnte das natürlich nicht unkommentiert lassen.
Suffnudel sagst du. Warum trinke ich denn? Weil du in der Welt herumvögelst. Vor dir ist doch nicht mal der Hund von den Redcliffs sicher. Soll ich Ihnen mal was sagen, Doktor?“, ereiferte sie sich, aber Rufus schnitt ihr das Wort ab.
„Ich bin kein Doktor“, sagte er in ruhigem Ton, um ihre Hitzköpfigkeit etwas zu bremsen.
„Dann eben keiner“, fuhr sie fort. „Wenn ich die Straße lang gehe, ist’s wie ein Spießrutenlauf. Alle grinsen mich an. Und wissen Sie warum? Die lachen mich aus, weil sie mit meinem Mann gevögelt haben.“ Als sie ausgeredet hatte, schob sie ihren Unterkiefer leicht nach vorn und atmete schnaubend aus wie ein Bison, der Gefahr wittert.
„Dreh nur alles wieder schön rum!“, kam es nun barsch von Hank. „Willst du wissen, warum ich die anderen Weiber vögeln tu? Willst du’s wirklich wissen? Ich vögel sie, weil du zu besoffen dafür bist. So, jetzt kennst du mal die Wahrheit.“
„Unverschämtheit sowas“, belferte sie zurück. „Du vergisst, dass ich in jeder Situation zu dir gestanden habe. Ich habe in den schlimmsten Zeiten, in die wir durch deine Schuld geraten sind, immer zu dir gestanden. Vielleicht erinnerst du dich nicht mehr daran, aber ich weiß es noch ganz genau: Du hast deinen Job verloren, und ich habe dich ermuntert, auf die Suche zu gehen und nicht aufzugeben. Und tatsächlich hast du damals ganz schnell diese Beschäftigung bei Tooltraders bekommen. Du hast die Frau von unserem gemeinsamen Freund Ron Murphy gepimpert und dich auf eine Schlägerei mit ihm eingelassen, bis ich dazwischengegangen bin und euch auseinandergebracht habe. Im letzten Herbst hast du die Tochter deines Chefs auf einer Parkbank genagelt und dich von der Polizei erwischen lassen. Und wer hat dich wieder aus dem Knast geholt? Ein bisschen Dankbarkeit dafür wäre angebrachter gewesen, als mich hier vor dem Doktor zu beleidigen, wenn ich mal was trinke.“ Sie schob wieder ihren Unterkiefer nach vorn und pustete, aber dieses Mal waren es die Falten in der Stirn, die einem Angst machen konnten.
„Ich weiß, ich weiß, Schätzchen“, provozierte er sie. „Du warst da, ja, du warst da und hast mir geholfen. Du bist immer da, wusstest du das nicht. Wann immer du da warst, hast du das Unglück mitgebracht. An dir klebt das Pech, Josepha, und ich muss es ertragen. So sieht’s aus.“
„Ooooooooaaaah!“, schnaufte sie, und der Ton ihrer Stimme wurde immer tiefer. „Das ist jetzt aber richtig unter die Gürtellinie gegangen. Solche Unverschämtheiten muss ich mir nicht gefallen lassen. Weißt du was, Hank, du kannst mich mal. Mit dir zusammenleben? Das wird doch nie mehr was!“
„Wenn ich deine Alkoholfahne schon rieche, wird mir speiübel!“

Der Zeitpunkt war da, zu dem sie in die kritischste Phase eintraten. Ein böses Wort noch, und sie würden aufeinander losgehen und sich gegenseitig zerfleischen. Vielleicht sogar nicht nur mit Worten. Rufus kannte mehrere Gelegenheiten, bei denen beiden schon mal die Hand ausgerutscht war.
Hank und Josepha nahmen den Austausch der Beleidigungen in ihrer Hitzköpfigkeit vielleicht nur unbewusst wahr, weil sie beide buchstäblich bis aufs Messer gereizt waren.
Rufus schätzte allerdings die Situation richtig ein. Ihm war völlig klar, dass er versagen würde und nichts mehr zu retten gewesen wäre, würde er in diesem Augenblick nicht den entscheidenden Vorstoß wagen. Die beiden durften sich nicht mehr gegenseitig niedermachen, ja auch die kleinste Steigerung ihrer Gemeinheiten könnte zu einen Totalausbruch ihrer Gefühle führen. Keine Eskalation! Er musste ihre Aggressivität augenblicklich beenden, was bedeutete, dass er sie umlenken musste.

„Heeeeyyy, jetzt hört mal auf, ihr zwei“, schrie er die beiden an und erhob sich drohend von seinem Stuhl. „Ihr gebt jetzt mal Ruhe und hört mir zu.“
„Was will der denn jetzt?“, fragte Hank verdutzt und schaute Josepha fragend an.
„Los, Doktor, kotzen Sie sich aus“, kam es von ihr.
„Hank, du verdammter Hurensohn, ich verstehe dich nur zu gut, wenn du in der Weltgeschichte herumvögelst. Eine Schnapsleiche unter sich liegen zu haben, das ist nicht gerade das, was einem Mann einen Ständer beschert. Also, mein Verständnis hast du, obwohl ich – .“

Weiter kam Rufus nicht. Josephas Unterlippe schwoll abermals an, sie pustete und schnaufte, sie fuhr ihre Krallen aus, stand auf und ging unangekündigt zum Du über: „Doktor, spinnst du jetzt!? Du willst das gutheißen? Du bist doch genauso ein Schwein wie der da. Ich weiß gar nicht, was ich hier noch soll?“ Schnaubend setzte sie sich wieder hin.
„Ich kann Sie ja verstehen, Josepha“, ging Rufus nun auf sie ein. „Aber Sie sind wirklich eine Schnapsdrossel, obwohl ich Ihnen nicht übelnehmen kann, dass Sie bei so einem vervögelten Miststück zur Flasche greifen. Ja, eigentlich gebe ich Ihnen die geringere Schuld an dem Dilemma, weil - .“
„Das glaub ich jetzt nicht. Der Idiot deckt diese Säufernatur. Das ist doch nicht zu fassen! Und dafür zahle ich noch Geld. Wissen Sie was, Doktor, Sie kommen mir vor wie ein Verkehrsrichter, der keinen Führerschein hat. Sie haben doch auch keine Frau, oder? Wichsen Sie noch? Aha, da haben wir’s. Sie können uns doch nicht das Wasser reichen.“
„Ja, richtig, Hank. Gib’s ihm!“, kam der plötzliche Beistand von Josepha.
Und dann schob Hank verbissen nach: „Ja, Doktor, ich weiß gar nicht, was das alles soll. Und wie Sie meine Frau beleidigen, das muss ich mir nicht gefallen lassen. Sie ist krank, alkoholkrank, verstehen Sie. Statt zu helfen, dreschen Sie noch auf sie ein. Das hat sie nun wirklich nicht verdient. Ich glaube, ich bin hier fehl am Platz!“

„Ja, und wie du meinen Mann behandelst, das ist auch nicht fair. Was ist schon dabei, wenn er ein bisschen herumvögelt, wenn ich undispo … undispo … disponiert bin. Er ist ein Mann, der noch Triebe hat und nicht so einer wie du. Ich verbitte mir in aller Zukunft, ihn wie einen Puffgänger zu behandeln. Haben Sie mich verstanden? Und jetzt gehen wir, Hank.“
Sie standen auf, Josepha hakte sich bei Hank ein, und wie ein frisch vermähltes Brautpaar, hocherregt und bis zum Platzen aufgeladen, aber erleichtert, schritten sie einträchtig aus dem Raum.

Rufus atmete ganz langsam aus. Erleichtert schloss er die Augen und genoss es geradezu, wie der letzte Rest von Sauerstoff seine Lungen verließ. Dann atmete er wieder genüsslich ein. Das war ja gerade nochmal gutgegangen. Die beiden Streithähne hatten wieder für die nächsten Monate Gesprächsstoff. Die Ehe war gerettet. Für eine gewisse Zeit wenigstens. Einen Tag später steckte Rufus Delatte einen Umschlag in den Briefkasten der Familie Hank und Josepha U.

Lieber Hank, liebe Josepha,

in der Anlage schicke ich Euch die Rechnung für die Sitzung von gestern.

Es ist mir wieder einmal gelungen, Euch zusammenzubringen, was mich sehr glücklich macht. Ich hoffe, es ist nicht wie die letzten beiden Male nur für ein Jahr. Wenn Ihr Euch aber wirklich wieder so sehr in die Haare kriegt, dass Ihr früher kommen müsst, dann, bitte, tut es und vereinbart einen Termin mit mir. Ich freue mich immer auf Euch, denn Ihr seid wirklich gute Kunden.

Rufus Delatte
 



 
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