Römer
Es war 1956 in einer Ostberliner Küche. Ich saß am Tisch und machte Hausaufgaben. Eine unter ständigem Geldmangel leidende Nachbarin kam, um sich bei meiner Erziehungsberechtigten zwei Eier „auszuleihen“. In der Regel sahen wir das Geliehene nie wieder.
Sie fragte neugierig, was ich da lerne und ich antwortete, dass es sich um Geschichte handelt, die Zeit der Römer. Nach einem kurzen „Aha.“ vertiefte sie sich in ein Gespräch mit dem Haushaltsvorstand. Ganz unvermittelt sagte sie dazwischen: „Die jibts ooch nich mehr zu koofn.“
Ida wollte wissen, was es nicht mehr zu kaufen gibt und die Nachbarin erklärte: „Na, Römer.“
Ich kicherte unhörbar in mich hinein, Ida aber seufzte: „Na ja, Böhmen is ja nu nich mehr deutsch.“
Mir tat sich bei dem Wortwechsel kein Zusammenhang auf, aber ich wollte dahinterkommen. So befragte ich einen meiner Onkel. Er war als Spaßvogel bekannt, konnte aber oft fundierte Auskunft geben.
Endlich erfuhr ich, dass die Römer, die unsere Nachbarin gemeint hatte, kostbare Kristallgläser waren, die vornehmlich in Böhmen produziert wurden und werden und dass aus Böhmen auch das seltene und sehr schön anzusehende Bleiglas kommt.
Der Onkel erzählte mir, dass er schon ein paar Mal in Böhmen war – nämlich mit dem Finger auf der Landkarte. Dann erklärte er mir, wie die Römer zu ihrem Namen gekommen waren. Da zog nämlich ein Mann aus einer Gegend, in welcher „Griechen“ und „Krügen“ völlig gleichlautend ausgesprochen wird, nach Böhmen und lernte dort, Gläser herzustellen. Er war bald sehr kunstfertig und schuf neue Kreationen. Eine davon nannte er Römer und er begründete die Namensgebung mit: „Wenn die Griechen aus Griechen trinken, dann sollen die Römer auch aus Römern trinken können.“
Nun wunderte ich mich nur noch über diese Nachbarin, die sich nicht einmal zwei Eier kaufen konnte, es aber beklagenswert fand, dass die teueren Gläser nicht mehr im Angebot waren. Darauf begann mein Onkel zu singen: „Berliner Jungen, die sind richtig, Berliner Jungs sind auf dem Kien! Mit einem Sechser in der Tasche, da fragen sie kess: „Wat kost Berlin?“
Damit war für mich klar, dass unsere Unterhaltung zu dem Thema Römer beendet war. Und mehr geben ja bestenfalls im Schaufenster zu besichtigende Trinkgläser nicht her, oder?
Juli 2003
Es war 1956 in einer Ostberliner Küche. Ich saß am Tisch und machte Hausaufgaben. Eine unter ständigem Geldmangel leidende Nachbarin kam, um sich bei meiner Erziehungsberechtigten zwei Eier „auszuleihen“. In der Regel sahen wir das Geliehene nie wieder.
Sie fragte neugierig, was ich da lerne und ich antwortete, dass es sich um Geschichte handelt, die Zeit der Römer. Nach einem kurzen „Aha.“ vertiefte sie sich in ein Gespräch mit dem Haushaltsvorstand. Ganz unvermittelt sagte sie dazwischen: „Die jibts ooch nich mehr zu koofn.“
Ida wollte wissen, was es nicht mehr zu kaufen gibt und die Nachbarin erklärte: „Na, Römer.“
Ich kicherte unhörbar in mich hinein, Ida aber seufzte: „Na ja, Böhmen is ja nu nich mehr deutsch.“
Mir tat sich bei dem Wortwechsel kein Zusammenhang auf, aber ich wollte dahinterkommen. So befragte ich einen meiner Onkel. Er war als Spaßvogel bekannt, konnte aber oft fundierte Auskunft geben.
Endlich erfuhr ich, dass die Römer, die unsere Nachbarin gemeint hatte, kostbare Kristallgläser waren, die vornehmlich in Böhmen produziert wurden und werden und dass aus Böhmen auch das seltene und sehr schön anzusehende Bleiglas kommt.
Der Onkel erzählte mir, dass er schon ein paar Mal in Böhmen war – nämlich mit dem Finger auf der Landkarte. Dann erklärte er mir, wie die Römer zu ihrem Namen gekommen waren. Da zog nämlich ein Mann aus einer Gegend, in welcher „Griechen“ und „Krügen“ völlig gleichlautend ausgesprochen wird, nach Böhmen und lernte dort, Gläser herzustellen. Er war bald sehr kunstfertig und schuf neue Kreationen. Eine davon nannte er Römer und er begründete die Namensgebung mit: „Wenn die Griechen aus Griechen trinken, dann sollen die Römer auch aus Römern trinken können.“
Nun wunderte ich mich nur noch über diese Nachbarin, die sich nicht einmal zwei Eier kaufen konnte, es aber beklagenswert fand, dass die teueren Gläser nicht mehr im Angebot waren. Darauf begann mein Onkel zu singen: „Berliner Jungen, die sind richtig, Berliner Jungs sind auf dem Kien! Mit einem Sechser in der Tasche, da fragen sie kess: „Wat kost Berlin?“
Damit war für mich klar, dass unsere Unterhaltung zu dem Thema Römer beendet war. Und mehr geben ja bestenfalls im Schaufenster zu besichtigende Trinkgläser nicht her, oder?
Juli 2003